Chimo

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1 - 5 von 7
Chimo vor 2 Jahren 14 3
Vom Siegen und Verlieren
Die Niederlage hat einen schlechten Ruf. Wer fällt, ist schnell Vergangenheit. Wer am Boden liegt, sieht die Welt von unten. Mag sein, dass der Zweite sich noch freuen kann. Aber den Vierten schon bestraft das Leben.

Dabei hat das Verlieren eine eigene Schönheit. Wenn sich die Scheinwerfer wegdrehen, macht das Leben Platz für leise Farben. Und wer es schafft, sie zu sehen, kann ein Leben großer Fülle erreichen.

Aber dann gibt es auch noch die Gauner. Die Hochstapler und Aufschneider, die ihre Hand an den Thron legen. Die ohne Mühe, ohne Können und allenfalls mit den Schweißperlen der List nach oben kommen. Die Taugenichtse, die sich mit Nebelkerzen ihren Weg bahnen. Sie sehen das Feld von hinten, aber ihr Schneid fährt sie im Taxi ins Ziel. Dabei hätten sie was Eigenes leisten können.

Es geht hier also um einen Klon. Die Sache mit den Nachahmern ist eigentlich banal. Trittbrettfahren ist nicht verboten, und jeder soll sich an Dupes freuen können. Andererseits könnten Schlaumeier wie die von Cuba ja auch einfach mal einen eigenen Duft herstellen oder zumindest einen neuen Pinselstrich in der Kopierwerkstatt einsetzen. Stattdessen entschlüsseln sie mit Zange und Schraubzwinge die DNA bekannter Parfums und brauen sie nach.

Dass Le Male die Blaupause ist, riecht man vom ersten Sprühstoß an. Es ist eine süß-würzige Überdosis von Minze mit Lavendel und Vanille. Etwas süßer das Original, etwas würziger der Nachahmer. Eine Spur Tabak scheint dabei zu sein. Doch schon nach 20 Minuten ist kaum noch ein Unterschied zu erkennen. Cuba Gold ist nur flacher und weniger schlau. Es fehlt ihm die Klarheit. Und die Überraschung einer echten Entdeckung sowieso.

Die homoerotische Geste von Le Male war damals eine große Sache. Sie erreichte die Massen und man konnte sie in Clubs und an Supermarktkassen riechen. Auch heute ist der Duft noch respektabel. Allerdings ist sein Spektrum ein wenig in die Jahre gekommen. Ein bisschen wie ein Tattoo, das man sich vor der Loveparade noch schnell in die Haut stechen ließ.

Warum trotzdem so viele diesen Duft kopieren, liegt auf der Hand. Wie die Kistenschieber der Discounter kann man damit noch gutes Geld verdienen. Es ist leichter, als ein Wagnis einzugehen.

Doch wie bei allen Nachahmerprodukten bleibt ein schales Gefühl. Dupes sind so, wie wenn man mit Wasserfarben malt und im Tuschkasten irgendwann die Töne verwischen. Die Klarheit fehlt, das Prisma der Farben wird von einem Schleier überzogen. Le Male hat trotz seiner minzig-vanilligen Süße diese klaren Spitzen, als wären die Duftnoten aufgefächert. Man muss das nicht mögen, aber es ist interessant. Dieser Duft hier ist halt nur ein Strauchdieb.

„Und warum tust Du Dir das an und schreibst auch noch darüber?“

„Ich weiß auch nicht. Ich wollte mal was über die Schönheit des Verlierens schreiben. Und jetzt weiß ich immerhin, dass Galgenvögel niemals fliegen können.“
3 Antworten
Chimo vor 3 Jahren 24 6
7
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
7.5
Duft
Der Aufschneider
Es liegt eine Wehmut in Parfums, die ihrem Wesen innewohnt. Sie entfernen sich in dem Moment, wo sie zu uns kommen. Wenn ihre Schönheit besonders groß ist, sterben sie längst wie die Blumen in der Vase. Sie verabschieden sich in die Luft. Vielleicht ist das die Melancholie, die ich hier oft spüre. Wir wollen es festhalten.

Als ich gestern morgen zum ersten Mal diesen Duft aufgesprüht habe, wusste ich sofort, dass er sich diesem zärtlich schönen Kummer verweigern will. Er hat es vom ersten Moment an mitgeteilt. Eine seltsame Präsenz außen und eine verwirrende Genugtuung innen stellten sich ein. Ich ging unter Bäumen, und er war da. Ich saß am Schreibtisch, und er war da. Ich stand an der Supermarktkasse, und er war da. Abendessen, Zähneputzen, Lesen. Immer wieder Präsenz. Der Duft winkte mir zu, und manchmal schnalzte er mit dem Finger wie in der Schule bei einer dringenden Wortmeldung.

Es war eine Raumeroberung, und zu all dem kam noch ein anderes Erlebnis hinzu. Es war die Begegnung mit einem Hybridwesen. Denn Casino Elixir 2.0 ist nicht nur ein Duft, sondern zwei. Er kreuzt zwei bekannte Parfums als das Ergebnis einer Labormöglichkeit. Aventus und Baccarat Rouge 540. Man sieht förmlich Menschen in weißen Kitteln schmunzeln, weil sie es geschafft haben uns zu verwirren.

Zuerst ist da dieser konvexe Silberakkord, den wir von Aventus kennen. Rasch breitet sich schillernd der bekannte Johannisbeerfougere aus mit dem Pinselstrich eines Third Hand Smoke, der Raucher*innen in den Klamotten hängt. Aber man glaubt es kaum, es schiebt sich mehr und mehr diese medizinische Zuckerwatte von Baccarat Rouge ins Bild. Und so steht man da in einem mal interessanten, mal verwirrenden bipolaren Dufterlebnis.

Ich habe mich sofort gefragt, ob das nun raffiniert ist oder ein Horrorclown aus dem Chemiebaukasten. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob nicht auch dieser Duft dafür verantwortlich war, dass ich heute Nacht um 2.49 Uhr aufgewacht bin. Er war auf jeden Fall da. Fast hätte ich geschaut, ob ein roter Luftballon unter dem Bett liegt.

Es ist Segen und Fluch zugleich bei Dua Düften, dass sie uns ihre Aufdringlichkeit schenken. Interessant ist allemal, dass sie so klar sind. Sie trennen die Farben im Malkasten sehr kontrolliert. Da ist kein Herumpinseln, durch das sich Mischtöne einschleichen (oder sogar dieses seltsame Wasserfarbenbraun, das wir aus dem Kindergarten kennen). Das Konzept der Firma scheint Trennschärfe aus dem Chromatographen zu sein. Es ist die digitale Hochauflösung bekannter Parfums. Ein einwandfrei reproduziertes Bild, in dem die Kontraste und Farben hochgedreht wurden. Es ist ein bisschen wie im Iphone, wenn man zu stark an den Foto-Filtern dreht.

Gleichzeitig sparen sie nicht an den Duftstoffen. Es ist ja nicht besonders teuer, einen größeren Schluck aus dem Zutatenbottich in die Flakons zu schütten, und sicher liegt auch darin der Erfolg der Marke begründet. Man fragt sich gleichzeitig, warum die Hersteller der Originale oft so zurückhaltend sind.

Vielleicht liegt es daran, dass diese berechnende Hochdosierung auch beklemmend sein kann. Es ist schnell von allem zu viel. Eine bunte Neonreklame. Will man das?

Am Ende habe ich etwas gelernt. Als ich heute nach dem Duschen ein normales Eau de Toilette aufgetragen habe, kam es mir in den Sinn. Vielleicht ist es ganz einfach.

Zurückhaltung ist Lächeln. Aufschneider grinsen.
6 Antworten
Chimo vor 3 Jahren 13 5
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft
Geliebte Langeweile
An einem Tag im Jahr 1897 steht ein Mann an einer Straße und filmt eine Szene. Man kann den kolorierten Clip auf Youtube finden. Es sind überraschend zärtliche Bilder. Wir sehen erwachsene Menschen, die Schneebälle werfen. Sie hüpfen und werfen, greifen wieder und wieder ausgelassen in den Schnee, suchen sich immer neue Mitspieler und bedecken immer neue Rücken und Mantelkrägen mit dem weißem Pulver. Es ist so unschuldig und vermodern, ein so famos und überaus kolossaler Spaß, dass man ganz still wird. Lautlos wie der Film selbst. Sie wissen nicht, dass sie noch den Blutdurst ihres Zeitalters erleben werden, dessen Erde sie verschlingen wird. Sie werfen Schneebälle. Es ist die Zeit der Unschuld.

Kiton Men war für mich immer so wie diese Szene: Heiter und vormodern und ein bisschen außerhalb der laufenden Ereignisse. Der Duft wirkt wie aus einer Welt, in der man noch da und dort eine Blume im Knopfloch finden konnte, in der Männer im Alltag Anzüge trugen (so gut es in ihren sozialen Klassen möglich war) und in einem seltenen Moment des Übermutes plötzlich kolossal heiter werden konnten.

Der Duft startet mit angenehmer Bergamotte, die in eine ungesüßte Ananas eingebettet ist. Vor allem aber ist Kiton Men von einem weichen floralen Aroma umworben, das aus einem Kerl einen Herren machen kann, wohlmeinend und leise. Es wirkt so höflich und zuvorkommend, so überaus klassisch und ohne geckenhafte Attitüde, dass man fast schon in die Jahrhunderte zurückfällt. Der Duft hat so gar nichts Auftrumpfendes und Plakatives. Er ist in keinem Moment berechnend. Und bevor die Blüten möglicherweise ungebührlich durchschlagen, dimmt er die aufkeimende Farbpalette auch schon mit Trockenheit ab. Das ist auf altmodische Weise elegant. Ein angenehmer Gefährte.

Und es ist einfach grundehrliches Handwerk. Auf der Verpackung liest man keinen Chemiebaukasten, sondern nur wenige Zutaten. Der Duft dreht keine waghalsigen Pirouetten, sondern begleitet einen so zuverlässig durch den Alltag wie ein Einstecktuch. Und auch wenn die großen Komplimente ausbleiben, weil schlichtweg die Effekte fehlen, mag das langweilig wirken, wo es doch schön ist.

Und ja, die Langeweile. Sie hat ja einen schlechten Ruf. Dabei schenkt sie uns ihren großen Bogen jenseits sprunghafter Attraktionen. Sie ist so langsam und zeitverloren wie ein ereignisloser Wintertag. Der Duft erzählt ein bisschen davon, von langsamen Gesten und lautlosem Warten. Aber er erzählt auch davon, dass plötzlich was passieren kann. Diese Begegnung in der Strasse, in der Menschen zusammen kommen und Schneebälle werfen. Nichts hat darauf hingearbeitet, nichts lärmt dazwischen. Es ist, wie der Duft ist.

https://www.youtube.com/watch?v=UaYfi-A7xY0
5 Antworten
Chimo vor 4 Jahren 25 8
6
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
6.5
Duft
Briefkastenduft
Auf parfumo habe ich ein Wort kennengelernt, das ich zuvor noch nie gehört habe: Briefkastenduft. Es ist offenbar ein Parfum, das man sich schnell aufwirft, wenn man nicht einfach so losgehen möchte. Es muss aufwandslos sein, griffbereit und ohne Sorge, dass es mal leer sein könnte. Trotzdem sollte es toll genug sein, dass andere nicken, wenn man vorbei geht.

Dieser Duft ist also ein Briefkastenduft. Man sprüht ihn auf und rast die Treppen runter, und im Hausflur verbreitet sich eine sportliche Frische, die keinem missfallen sollte. Wenn der Briefträger unten noch rumsteht, denkt er sich: Aha, hier wurde geduscht. Wenn die ältere Nachbarin aus dem EG im Türrahmen steht, murmelt sie: Na endlich, die Putzbrigade. Und die Kinder auf dem Bobbycar lächeln, weil gerade ein aquatischer Supergrobi an ihnen vorbeigerauscht ist.

Es verbietet sich, eine Duftpyramide orten zu wollen, denn es ist die reinste Synthetik. Als die Leute aus der Zara-Marketingabteilung ins Labor kamen und von „Zitrone“, „Alpenveilchen“ und „Orangenblüte“ schwadroniert haben, haben sich die Weißkittel tot gelacht. Ja, ihre Brillen haben sich beschlagen und sie mussten sich die Tränen aus den Augen wischen. „Kardamom!“ Hahaha. „Amber!“ Hahahaha. „Und hier, Achtung: PATCHOULI!“. HAHAHAHAHA!

Noch auf dem Nachhauseweg haben sie gekichert, so dass die Leute an der Bushaltestelle ratlos den Kopf geschüttelt haben.

Aber halt, liebe Briefkastengänger. Der Duft ist in Ordnung. Er ist silbrig-frisch, zitronig-heiter und verbreitet eine kitzelnde Nautik um einen herum in den Farben der alten Fa-Werbung. Azur-Seife halt. Und er hat eine erstaunliche Projektion. Auch die Haltbarkeit ist so gut, dass sie locker hält bis zum DHL-Boten, der nachmittags genervt klingelt und den 3. Stock verflucht, auch wenn es da so kontrolliert-sauber duftet.

Die Jungs aus dem Labor würden sich übrigens niemals diesen Duft aufsprühen. Sie wissen, dass das, was in ihren Stahlbottichen herumsuppt, nur ein geruchlicher Kompromiss für Impulskäufer ist. Die Typen aus der Marketingabteilung dagegen nebeln sich abends ganz gerne mal mit den Testflakons ein, die sie haben mitgehen lassen. „Alpenveilchen und Orangenblüte“, sagen sie dann. „Das kommt echt gut.“
8 Antworten
Chimo vor 5 Jahren 29 10
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Aristokrat oder Aufschneider
Am 17. September 1859 krönte sich Joshua Abraham Norton zum Kaiser von Amerika. Der frühere Geschäftsmann schritt in Uniform, mit Schulterklappen und Pfauenfeder durch San Francisco und durfte umsonst in Restaurants speisen. Seine Erlasse wurden zwar vom amerikanischen Kongress ignoriert, und er schaffte es nicht, ihn abzuschaffen. Und auch die republikanische und demokratische Partei, die er verbieten wollte, widersetzten sich seinen großspurigen Dekreten. Aber als er ein paar Jahrzehnte später starb, säumten 30.000 Menschen die Straßen.

Kaiser Norton I. war ein Herrscher ohne Gnade. Bekannt im ganzen Land und irgendwas zwischen Narr und Napoleon. Aber was hat das mit Aventus zu tun?

Es ist ganz einfach. Ich frage mich seit jeher, ob sich auch Creeds schillerndste Majestät die Insignien der Macht nur angeheftet hat oder ob Aventus doch gottgekrönt ist. Hochstapler oder Edelmann? Ist die Kombination von Birkenteer und Johannisbeere und Ananas ein Geniestreich oder ein banaler Glückstreffer? Ist Aventus wirklich groß, oder war der Duft einfach zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.

Dass Aventus große Schlachten gewinnen wollte, daran ließ Creed von Anfang an keinen Zweifel. Der Duft sei tatsächlich inspiriert von Napoleon Bonaparte, wie es in einer Pressemitteilung von Creed hieß. Und man lieh sich rasch dessen Attribute von "Männlichkeit, Kraft, Stärke und Weitblick." Ein selbsternannter König des Krieges, so hieß es weiter, des Friedens und der Liebe.

Die Marketingabteilung hatte also schonmal ganze Arbeit geleistet. Aber ehrlich gesagt waren die geruchlichen Klammern, die folgten, dann doch etwas maulheldisch. Die schwarze Johannisbeeren stamme beispielsweise aus Korsika, wo Napoleon geboren wurde. Aber gibt es die dunklen Früchte nicht überall? Und dann holte Creed noch weiter aus. Die Birke verweise auf Louisiana, das einst zu Napoleons Reich gehörte. Doch das ist nun wirklich bizarr. Denn Frankreich hat im Jahr 1803 Louisiana für den Preis von umgerechnet 251 Millionen Dollar an die USA verscherbelt. Alles andere als eine Eroberung also, sondern Bonapartes Schnäppchentage. Autsch.

Aber am Ende ist es dann doch der Duft, der überzeugen muss. Und Aventus ist zweifelsfrei gut gemacht. Er ist nicht das Ergebnis von Laborzufällen, sondern eine fruchtige Chypre-Interpretation, die sich an eine unerwartete Duftnote heranmachte. Die Ananas in Kombination mit Johannisbeere und diesem eigenartigen Third Hand Smoke ist modern und raffiniert.

Und der Erfolg gibt dem Duft Recht. Denn an den Marketing-Feuerwerken kann es nun wirklich nicht gelegen haben, dass ausgerechnet Aventus Creeds größter Kassenschlager wurde. Was mir am besten an Aventus gefällt, ist dessen konvexe, schillernde Präsenz. Die ersten Minuten nach dem Aufsprühen sind so makellos wie die Silhouette eines silbernen Sportwagens. Der zitrisch-fruchtige Akkord ist herrlich ausbalanciert mit einer herb-ledrigen Note. Und es kommt nicht viel mehr dazu und bleibt durchaus formstreng und schwebt irgendwie zwischen Modernität und Klassik. Und dann wird der Duft auch noch durch weichen Moschus abgefedert und durch ISO-E-Super und proportioniertes Ambroxan mit Raumeroberung versehen. Das ist kühl orchestriert.

Sicherlich ist gerade die projizierende Präsenz ein Grund, warum Aventus so gut ankommt. Man kann den Duft folglich überall antreffen, in Kunstgalerien und in Großraumdiskotheken, in Büroaufzügen und an Supermarktkassen. Und man kann ihn tatsächlich tragen und glauben, dass man ein Alleinstellungsmerkmal hat. Das alles muss man erstmal schaffen.

Was bleibt also? Aristokrat oder Aufschneider? Vielleicht kann man es so sagen: Aventus ist der erste Kaiser, der demokratisch gewählt wurde. Es war eine Abstimmung mit dem Sprühflakon. Und es ist immer noch eine beachtliche Regentschaft. Doch wie die Herrscherjahre von Aventus am Ende bewertet werden - das müssen wie immer die Historiker entscheiden.
10 Antworten
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