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Cimis Blog
vor 9 Monaten - 01.11.2024
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Ist zu grosser Erfolg der Vorbote vom Untergang in der Duftwelt?

Ist zu grosser Erfolg der Vorbote vom Untergang in der Duftwelt?

Die Parfümszene hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, insbesondere im Nischenumfeld. Was früher mit hohen Einstiegskosten verbunden war, ist heute weitaus simpler. Mit "wenig" Einsatz, einer kreativen Story und viel Passion kann heutzutage nahezu jeder sein eigenes Parfüm herstellen - Erfolg mal zur Seite gestellt. Zugleich sind die Lebenszyklen und der go-to-market einfach kürzer, was es vielen Brands erlaubt, schneller zu kommerzialisieren. An und für sich ja positive Entwicklungen, und viele Brands haben davon profitiert, aber schaufeln sich die heute erfolgreichen Brands eventuell ihr eigenes Grab, geleitet vom heutigen Erfolg? Eine Frage, die ich letztens mit einem Kollegen besprochen habe und es würde mich einfach interessieren, wie es ihr alle seht. Nachfolgend ein paar Statements als Gedankenstütze:

1) Verlust an Kreativität und Einzigartigkeit

Viele Vorreiter Nischen-Brands wie Creed, Xerjoff, PdM sind zurecht erfolgreich und haben durch einzelne, teils viele, Düfte extrem an Popularität gewonnen. Diese Erfolgsdüfte haben den Weg oftmals geebnet, waren kreativ, mutig, aber zugleich "likeable". Mit wachsender Beliebtheit stellt man bei einigen Brands jedoch fest, dass viele der neueren Releases eher auf Masse und Absatz fokussiert sind. Die Kompositionen werden irgendwie "zeitgemässer", aber charakterloser.

2)  Finanzielle Interessen überlagern die Liebe zum Duft und Detail

Nun ja, Nische war für mich immer verbunden mit etwas Einzigartigem. Nebst dem Duftinhalt, der irgendwo "anders" war, war es die gesamte Experience. Man hat die Handwerkskunst end-to-end gespürt und auch die Liebe zum Detail. Was ich bei manchen Brands teilweise feststelle, ist, dass sie bei grösser werdendem Erfolg und mehr Attention mehrheitlich den Absatz und die Kosten in den Vordergrund stellen. Ja klar, sie werden grosse Apparate und müssen sich finanzieren, aber da ist aus meiner Sicht ausreichend Marge vorhanden und die Zusatzkosten für ein "bisschen mehr" ist nicht gerade gewaltig; kenne den Owner einer sehr bekannten Brand, und kann das bestätigen. Als Beispiel: Xerjoff's Strategie bei gewissen Düften von Lederboxen auf Karton-Plastikboxen zu gehen, ist für mich einfach nur gewinnoptimiertes Denken bei den "Massendüften", um einfach nochmals mehr die Marge zu optimieren. 

3) Zu viele, zu schnelle Releases generieren keinen klaren Pfad und aufgeblähte Portfolios

Jää, dazu sage ich nicht viel. Man merkt einfach, dass viele Brands sehr viele Releases in kürzeren Zyklen aufgebaut haben, ohne sich wirklich gross eine Strategie überlegt zu haben. Zu viele Produkte, zu schnell kommend mit teils gewaltigen Positionierungsproblemen waren das Resultat und haben mich persönlich teilweise verwirrt. Sorry, aber ich brauche nicht 3 Kokosdüfte; einen für eher wärmere Tage, einen für verregnete Tage mit leichter Bewölkung und einen für kalte Tage wolkenfrei. Ich weiss, es ist übertrieben formuliert, aber manche finden sich vielleicht auch in der Aussage.

4) Die Gefahr des Ausruhens auf dem Erfolg

Einige Brands leben trotz vielen neuen Produkten, die anscheinend im Hype sind, immer noch von den alten Zugpferden. Die Attention kommt von den Neuen, die Marge aber von alten Zugpferden. Irgendwann wird dieses Spiel jedoch nicht mehr aufgehen und deswegen muss man sich stets darum bemühen, neue stabile Produkte auf den Markt zu bringen. Ich habe leider oft festgestellt, dass die Ansätze bei neuen Düften zwar dem aktuellen Trend folgen, aber die Akkorde einfach nicht immer zu Ende gedacht wurden. Zu schnell den Trends gefolgt, zu schnell herausgebracht und zu wenig Geschichte dahinter.

5) Unermüdlicher Hunger, zuerst exklusiv, dann über alle Kanäle bis runter zu Discountern

Viele Brands waren einst wirklich exklusiv und diese Exklusivität hat den Reiz ausgemacht sind wir ehrlich. Es geht nicht darum, dass man die Parfums nicht zugänglich machen soll für alle, es geht viel mehr darum, dass man sich effektiv mit Düften auseinandersetzen musste und sich "engagieren" musste, um ranzukommen, was die ganze Experience einfach gehaltvoller gemacht hat. Man hat mehr geschätzt. Mittlerweile ist alles überall vorhanden und Parfüm kaufen wird für viele einfach zum Commodity und Schnäppchen-Hunting, man sammelt statt zu geniessen. Für viele Brands natürlich toll, denn es fördert den Absatz, aber die Exklusivität geht hierbei verloren.

Natürlich gibt es noch viele weitere Aspekte, und gerne könnt ihr ergänzen, aber aus meiner Sicht ist zu schneller Erfolg immer ein zweischneidiges Schwert. Wenn etablierte Brands ihre ursprünglichen Werte, den kreativen Geist sowie die Qualität zugunsten der finanziellen Gewinnmaximierung opfern, laufen diese aus meiner Sicht effektiv die Gefahr, ihren Value zu verlieren. Es ist einfacher gesagt als getan, das ist mir bewusst, aber man muss eine gesunde Balance zwischen Authentizität und Einzigartigkeit bewahren, um nachhaltig sein Klientel zu wahren aus meiner Sicht.

Nun viel geschwaffelt :) was ist eure Meinung dazu und seht ihr gewisse Bereiche ähnlich oder komplett anders? Bitte bedenkt, Obiges sind nur Gedankenstützen und Hypothesen, nicht zerreissen :) Natürlich gibt es für alles Ausnahmen und Erklärungen, das ist mir natürlich bewusst.

20 Antworten
ScentwolfScentwolf vor 8 Monaten
1
Wieso hast du Angst, deine Rezi könnte zerrissen werden? Steh doch einfach zu deiner Meinung…
…die ich übrigens teile ;-)
P.S. Parfumo ist kein Konsensforum, darfst also gerne weiterhin auch mal kritisch bleiben…!!!
DuftessenzDuftessenz vor 9 Monaten
Dem kann ich nichts zufügen, genau so ist es, leider.
Tisi77Tisi77 vor 9 Monaten
Ich unterschreibe jeden Punkt. Das Internet gibt den zusätzlichen Spin, diese Entwicklungen sind, fürchte ich, allein schon betriebswirtschaftlich nicht aufzuhalten. Dennoch sehe ich eine gewisse Hoffnung am Horizont: Philipp Birkholz sieht in einem aktuellen Podcast, genau nach diesen Kommerzialisierungstendenzen und Zukunftsaussichten gefragt, ein Potential in der „Nische in der Nische“, quasi ein Liebhaber-Biotop für alles, auch sehr spezielle, so wie ich es verstehe. Es bleibt spannend…
AbscheBoAbscheBo vor 9 Monaten
4
Noch mehr Abgrenzung und Elitarismus? Nischen-Matroschka als Rettung aus der Nische? Die Spirale einfach eine Runde weiter drehen? Vielleicht stattdessen einfach gute Produkte statt nur gutes Marketing? Nicht mit dem Ziel der reinen Gefälligkeit, aber auch keine Angst davor.
CimiCimi vor 9 Monaten
Ja das stimmt... :) den Podcast muss ich mir mal anhören, hört sich spannend an :) Danke!
Eggi37Eggi37 vor 9 Monaten
1
Habe jeden einzelnen Punkt sehr gefühlt. Du beschreibst die großen Probleme sehr gut.
Der Grund warum viele Parfumos protestieren und derzeit selbst werkeln.
StenLaurelStenLaurel vor 9 Monaten
8
Die Attention geht natürlich schnell verloren, auch wenn die likeable Experience Owner und Commodity im Hunting die Value näher bringt.
KäseKäse vor 9 Monaten
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Ich habe das Gefühl, es hat irgendwas mit Geld zu tun 😁
GauletteGaulette vor 9 Monaten
4
Quod erat demonstrandum
ExUserExUser vor 9 Monaten
2
😂 ... so schaut´s aus.
HenriquatreHenriquatre vor 9 Monaten
5
Pokal! Die Perspektive finde ich auch deswegen spannend, weil sie 1.) auf die Brands, ihre neuen Releases und finanzielle Interessen fokussiert - und 2.) die Düfte selbst. Ich hab da einen anderen Zugang (BWL ist nicht meine Welt, Anglizismen benutze ich nur, wenn ich muss...) Aber klar ist, dass die marktwirtschaftliche Notwendigkeit, ständig Neues rauszuhauen, immer mehr auf Kosten der Qualität und der Durchdachtheit eines Duftes geht. Das sieht man bei den großen Marken (sorry: Brands) auch in anderen Bereichen - wer will sich noch Sneaker oder Shirts kaufen, die vier- oder fünfstellig kosten, nur weil ein bestimmter Name draufsteht? Offensichtlich immer noch genug, teils Luxuskundschaft, teils sog. middle class consumers, die sich ab und zu was "gönnen" wollen. Bei Düften war das Spektrum zwischen Drogerie-Klassikern und Nische / Marken vermutlich nie so groß wie jetzt. Lösung für mich (s.u.): Es ist nur Parfum. Wenn ihr € 389 von mir wollt... sorry, andere sind auch gut.
ExUserExUser vor 9 Monaten
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Ich sehe in Deinem Blog auch viele richtige Gedanken und es juckt mich in den Fingern mich zu einigen davon auszulassen … und dann ist da ganz schnell wieder ein (rettender?) Gedanke, der in letzter Zeit immer präsenter wird und ich sage mir: „Mach Dich locker. Es ist nur Parfum.“
Irgendwie kann (und will) ich mir keine Gedanken mehr über Marken/„Häuser“ und deren Bedeutung/Image machen.
Seitdem kann ich meiner Leidenschaft für Düfte wieder viel besser und entspannter frönen 😉.
CimiCimi vor 9 Monaten
Jep, gesunde Einstellung :) letzten Endes geht's effektiv um die persönliche Experience
TivellonTivellon vor 9 Monaten
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Sehr schöner Blog, den ich gern gelesen habe. Und vielleicht ist das auch so, alles sehr plausibel. Letztendlich profitiere ich von der Vielfalt und fröne meinem wunderschönen Hobby immer noch mit Liebe. 😊
Ich kaufe allerdings nur, was mir gefällt. Egal ob billig oder teuer, gehypt oder unbekannt. Aber es kann sein, dass ich es da auch durch mein Alter (Mitte 50) mittlerweile einfacher habe.
CimiCimi vor 9 Monaten
Richtige Einstellung :)
UnverdünntUnverdünnt vor 9 Monaten
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Aus einer Brandvorstellung hier, sinngemäß wiedergegeben:
Wie kamen sie dazu, eine Parfummarke zu gründen?
„Mein Großvater war Bildhauer und meine Mutter hat schon immer gern Parfum gerochen“.
Die machen sich inzwischen noch nicht einmal mehr die Mühe, eine phantastische Geschichte zu erfinden. Wir sind kackedreist teuer, das muss reichen.
PistazieneisPistazieneis vor 9 Monaten
1
...und täglich werden es mehr, die darauf reinfallen. :-)
Aber Hauptsache angeblich Nische, teuer und eine hanebüchene Geschichte dazu.
CimiCimi vor 9 Monaten
1
hahah ich kann nicht mehr :D
AbscheBoAbscheBo vor 9 Monaten
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Ja, viele richtige Fragen. Letztendlich landet man immer bei der hier schon viel diskutierten Frage der Definition eines Nischenproduktes, was Luxusprodukte wie Parfum ja eh schon sind und dann darin noch mal sich bildende Unternischen. Abgrenzung ist das Stichwort und „Ausbeutung“ des inhärenten Prestigefaktors eines augenscheinlich besonderen Produktes. Einmal erworben hält der Effekt eine zeitlang an, bis der Erfolg das Produkt und damit auch die Marke aus der Nische in das „Gewöhnliche“ zurückfallen lässt. Erkennbar daran, dass nur noch der Preis die Besonderheit des Produktes ausmacht. Was aber vielen Nischenkonsumenten auch reicht, zumindest eine Zeit lang. All dies ist „Marktwirtschaft at Work“. Verbraucher und mehr oder weniger mündige Konsumenten im Austausch. Kein Untergang in der Duftwelt, sondern ständiger Wandel. Und nachdem in der Flut abgesahnt wurde reiten die Dupes die Heckwelle während sich die nächste Bugwelle schon aufbaut.
CimiCimi vor 9 Monaten
Spannende und gesunde Betrachtungsweise :)