
Ist zu grosser Erfolg der Vorbote vom Untergang in der Duftwelt?
Die Parfümszene hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt, insbesondere im Nischenumfeld. Was früher mit hohen Einstiegskosten verbunden war, ist heute weitaus simpler. Mit "wenig" Einsatz, einer kreativen Story und viel Passion kann heutzutage nahezu jeder sein eigenes Parfüm herstellen - Erfolg mal zur Seite gestellt. Zugleich sind die Lebenszyklen und der go-to-market einfach kürzer, was es vielen Brands erlaubt, schneller zu kommerzialisieren. An und für sich ja positive Entwicklungen, und viele Brands haben davon profitiert, aber schaufeln sich die heute erfolgreichen Brands eventuell ihr eigenes Grab, geleitet vom heutigen Erfolg? Eine Frage, die ich letztens mit einem Kollegen besprochen habe und es würde mich einfach interessieren, wie es ihr alle seht. Nachfolgend ein paar Statements als Gedankenstütze:
1) Verlust an Kreativität und Einzigartigkeit
Viele Vorreiter Nischen-Brands wie Creed, Xerjoff, PdM sind zurecht erfolgreich und haben durch einzelne, teils viele, Düfte extrem an Popularität gewonnen. Diese Erfolgsdüfte haben den Weg oftmals geebnet, waren kreativ, mutig, aber zugleich "likeable". Mit wachsender Beliebtheit stellt man bei einigen Brands jedoch fest, dass viele der neueren Releases eher auf Masse und Absatz fokussiert sind. Die Kompositionen werden irgendwie "zeitgemässer", aber charakterloser.
2) Finanzielle Interessen überlagern die Liebe zum Duft und Detail
Nun ja, Nische war für mich immer verbunden mit etwas Einzigartigem. Nebst dem Duftinhalt, der irgendwo "anders" war, war es die gesamte Experience. Man hat die Handwerkskunst end-to-end gespürt und auch die Liebe zum Detail. Was ich bei manchen Brands teilweise feststelle, ist, dass sie bei grösser werdendem Erfolg und mehr Attention mehrheitlich den Absatz und die Kosten in den Vordergrund stellen. Ja klar, sie werden grosse Apparate und müssen sich finanzieren, aber da ist aus meiner Sicht ausreichend Marge vorhanden und die Zusatzkosten für ein "bisschen mehr" ist nicht gerade gewaltig; kenne den Owner einer sehr bekannten Brand, und kann das bestätigen. Als Beispiel: Xerjoff's Strategie bei gewissen Düften von Lederboxen auf Karton-Plastikboxen zu gehen, ist für mich einfach nur gewinnoptimiertes Denken bei den "Massendüften", um einfach nochmals mehr die Marge zu optimieren.
3) Zu viele, zu schnelle Releases generieren keinen klaren Pfad und aufgeblähte Portfolios
Jää, dazu sage ich nicht viel. Man merkt einfach, dass viele Brands sehr viele Releases in kürzeren Zyklen aufgebaut haben, ohne sich wirklich gross eine Strategie überlegt zu haben. Zu viele Produkte, zu schnell kommend mit teils gewaltigen Positionierungsproblemen waren das Resultat und haben mich persönlich teilweise verwirrt. Sorry, aber ich brauche nicht 3 Kokosdüfte; einen für eher wärmere Tage, einen für verregnete Tage mit leichter Bewölkung und einen für kalte Tage wolkenfrei. Ich weiss, es ist übertrieben formuliert, aber manche finden sich vielleicht auch in der Aussage.
4) Die Gefahr des Ausruhens auf dem Erfolg
Einige Brands leben trotz vielen neuen Produkten, die anscheinend im Hype sind, immer noch von den alten Zugpferden. Die Attention kommt von den Neuen, die Marge aber von alten Zugpferden. Irgendwann wird dieses Spiel jedoch nicht mehr aufgehen und deswegen muss man sich stets darum bemühen, neue stabile Produkte auf den Markt zu bringen. Ich habe leider oft festgestellt, dass die Ansätze bei neuen Düften zwar dem aktuellen Trend folgen, aber die Akkorde einfach nicht immer zu Ende gedacht wurden. Zu schnell den Trends gefolgt, zu schnell herausgebracht und zu wenig Geschichte dahinter.
5) Unermüdlicher Hunger, zuerst exklusiv, dann über alle Kanäle bis runter zu Discountern
Viele Brands waren einst wirklich exklusiv und diese Exklusivität hat den Reiz ausgemacht sind wir ehrlich. Es geht nicht darum, dass man die Parfums nicht zugänglich machen soll für alle, es geht viel mehr darum, dass man sich effektiv mit Düften auseinandersetzen musste und sich "engagieren" musste, um ranzukommen, was die ganze Experience einfach gehaltvoller gemacht hat. Man hat mehr geschätzt. Mittlerweile ist alles überall vorhanden und Parfüm kaufen wird für viele einfach zum Commodity und Schnäppchen-Hunting, man sammelt statt zu geniessen. Für viele Brands natürlich toll, denn es fördert den Absatz, aber die Exklusivität geht hierbei verloren.
Natürlich gibt es noch viele weitere Aspekte, und gerne könnt ihr ergänzen, aber aus meiner Sicht ist zu schneller Erfolg immer ein zweischneidiges Schwert. Wenn etablierte Brands ihre ursprünglichen Werte, den kreativen Geist sowie die Qualität zugunsten der finanziellen Gewinnmaximierung opfern, laufen diese aus meiner Sicht effektiv die Gefahr, ihren Value zu verlieren. Es ist einfacher gesagt als getan, das ist mir bewusst, aber man muss eine gesunde Balance zwischen Authentizität und Einzigartigkeit bewahren, um nachhaltig sein Klientel zu wahren aus meiner Sicht.
Nun viel geschwaffelt :) was ist eure Meinung dazu und seht ihr gewisse Bereiche ähnlich oder komplett anders? Bitte bedenkt, Obiges sind nur Gedankenstützen und Hypothesen, nicht zerreissen :) Natürlich gibt es für alles Ausnahmen und Erklärungen, das ist mir natürlich bewusst.
…die ich übrigens teile ;-)
P.S. Parfumo ist kein Konsensforum, darfst also gerne weiterhin auch mal kritisch bleiben…!!!
Der Grund warum viele Parfumos protestieren und derzeit selbst werkeln.
Irgendwie kann (und will) ich mir keine Gedanken mehr über Marken/„Häuser“ und deren Bedeutung/Image machen.
Seitdem kann ich meiner Leidenschaft für Düfte wieder viel besser und entspannter frönen 😉.
Ich kaufe allerdings nur, was mir gefällt. Egal ob billig oder teuer, gehypt oder unbekannt. Aber es kann sein, dass ich es da auch durch mein Alter (Mitte 50) mittlerweile einfacher habe.
Wie kamen sie dazu, eine Parfummarke zu gründen?
„Mein Großvater war Bildhauer und meine Mutter hat schon immer gern Parfum gerochen“.
Die machen sich inzwischen noch nicht einmal mehr die Mühe, eine phantastische Geschichte zu erfinden. Wir sind kackedreist teuer, das muss reichen.
Aber Hauptsache angeblich Nische, teuer und eine hanebüchene Geschichte dazu.