Eisbaer

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Eisbaer vor 4 Jahren 12 6
"Rumor has it that you could play dirty..."
Ich erinnere mich noch heute an meinen ersten Gedanken, als ich im Jahr 2015 das erste Mal Aventus roch: Ich bin verliebt! Genial! Was für eine Komposition! Diese wunderbare zitrische Frische und dieser Hauch von Leder! Und mein Gott: Was für eine perfekte Hochzeit zwischen fruchtiger Ananas und rauchiger Birke! Gerne möchte ich genauer erklären, warum ich damals dachte, dass ich den vermeintlich genialen Gedanken hinter Aventus ganz genau verstanden hätte. Der Großteil der Aventus-Träger liebt die fruchtige Komponente, die in erster Linie durch die Ananas repräsentiert wird. Andere fühlen sich gleichzeitig durch die scharfe Rasierwassernote, größtenteils verkörpert durch die rauchige Birke, eher abgeschreckt. Meine Idee war damals jedoch, dass dies genau so gewollt war. Ich vermutete damals hinter ebendieser interessanten Mischung die Genialität der Duftkomposition. Aventus war ein Charakter mit herausgestreckter Brust bei gleichzeitiger Bescheidenheit und Bodenständigkeit. Wie ein Gentleman, der seine Angebete fest am Arm packt, nur um dann ihren Lippen den hingebungsvollsten Kuss of Roses zu geben. Aventus war in meinen Augen die perfekte Verbindung zwischen Tradition (Rasierwasser) und Moderne (Frucht). Beim Riechen dachte ich unweigerlich an einen zeitgemäßen jungen Mann Mitte/Ende 20, der sich mit seinen Freunden auf ein Basketballspiel im Park trifft... und gleichzeitig an meinen mittlerweile 50-jährigen Onkel, der seinem Gesicht nach ausgiebigem Rasieren eine schmackige Ladung 4711 gönnt und sich anschließend seinen Siegelring auf den Finger setzt. Der Creed Aventus sollte, so dachte ich, eine olfaktorische Provokation darstellen. Durch diesen Duft konnte der Träger kommunizieren, dass er in seinem Charakter Jugendlichkeit und Reife zu einer perfekten Symbiose vereint hat und dies nun durch dieses Parfum zum Ausdruck bringen möchte.

Womöglich wäre Aventus ab 2015 mein Signature-Duft geworden, wenn es nun nicht innerhalb der letzten fünf Jahre mehrere Probleme gegeben hätte. Zunächst einmal der mit Abstand langweiligste Grund: Ich konnte ihn mir lange Zeit nicht leisten. Zwischendurch testete ich diverse Doppelgänger - unter ihnen den Vibrant Leather von Zara sowie den Insurrection II Pure von Reyane Tradition. Abgesehen davon, dass beide in Punkto Haltbarkeit und Sillage im Vergleich zu meiner damaligen Abfüllung nur mit großem Abstand verlieren konnten - ungleich größer war das Problem, dass sich beide Dupés viel zu sehr auf die Ananas konzentrierten und viel zu wenig auf die Rasierwassernote. Dementsprechend gleitete das Ganze erheblich in die Gefälligkeit ab. Nun war es aber so, dass ich mich ja inzwischen stark belesen hatte und so von der großen Diskussion um die einzelnen Batches erfuhr. Mich traf der Schlag. Die Mehrheit wollte tatsächlich noch mehr Süße, noch mehr Ananas und prügelte sich um die fruchtigsten und langanhaltendsten Batches? Faszinierend genug. Viel faszinierender aber: Wieso überhaupt die Diskussion? Wieso gibt es Batches, die fruchtiger sind als andere? Wieso hält Aventus aus Flasche A eine Stunde hautnah, während Flasche B für zehn Stunden einen Umkreis von zwanzig Metern bestrahlt? Wieso hat Creed keine stabile Qualität in der Duftzusammensetzung? Wieso wird trotzdem pro 50ml-Flakon ein Preis von nahezu 200 Euro verlangt?

Und je länger und intensiver ich mich in den letzten Jahren mit diesen Fragen beschäftigte, desto stärker wurde mir bewusst: Ich hatte Aventus über all die lange Zeit völlig falsch eingeschätzt und seine Intention missverstanden. Meine Interpretation war ein Irrtum. Es ging von Anfang an gar nicht um eine provokante Duftmischung, anhand derer der Träger eine Botschaft hätte vermitteln können. Es ging ganz offensichtlich doch nur um Gefälligkeit. Um das Ansprechen der breiten Masse. Darum, bloß doch nirgendwo anzuecken. Ich bin mir sicher, dies ist auch einer der Gründe dafür, dass der Aventus inzwischen mitunter so stark kritisiert wird. Viele Parfumos haben den Duft erst relativ spät getestet und einige von ihnen haben sich nach dem Testen die berechtigte Frage gestellt: Das war es jetzt? Darum dieser Hype? Wegen dieser gefälligen Duftmischung? Freilich ist der Preis geblieben, ebenso wie die Qualitätsschwankungen. Das Thema Reformulierung greife ich nicht an, das würde hier den Rahmen sprengen. Nur so viel: Ich habe mir unlängst eine neue Abfüllung des Aventus zukommen lassen und mich traf der Schlag ein zweites Mal. Die provokante rauchige Birke ist völlig verpufft und nur die Ananas ist, zusammen mit einem Hauch Leder und einer sehr weit entfernten zitrischen Frische, geblieben. Haltbarkeit und Sillage wurden nicht nur heruntergeschraubt - sie sind vergleichsweise quasi gar nicht mehr vorhanden. Ich kann natürlich jetzt nicht sagen, welchem Batch die Probe entnommen wurde. Aber wenn selbst der Vibrant Leather deutlich länger hält, dann muss irgendetwas im Hause Creed ganz gewaltig schief gelaufen sein.

Um noch einmal klarzustellen: Der Duft ist natürlich Geschmacksache; ich liebe die Zusammensetzung "meiner" damaligen Version abgöttisch. Die Entwicklung, die Aventus in den letzten Jahren durchmachen musste, stimmt mich jedoch sehr traurig. Ich muss allerdings dazu sagen, dass mich die Qualitätsschwankungen viel weniger ärgern als verwundern. Ich würde niemals behaupten, dass Creed nicht (mehr) im Stande sei, hochwertige und qualitative Düfte herzustellen. Das stünde mir nicht im Entferntesten zu. Die Umstände wundern mich nur einfach - und sie schrecken mich erheblich vor dem Kauf eines Creed-Flakons ab. Sowohl den Erolfa als auch den Royal Oud finde ich dufttechnisch prima. Aber durch diese erheblichen Abweichungen in der Qualität traue ich mich beim besten Willen nicht mehr an einen ganzen Flakon heran. Ich gönne jedem Parfumo sein Glück mit seiner jeweiligen "individuellen" Abfüllung. Jeder möchte ja ohnehin seinen Aventus anders haben, wie man hervorragend an uns allen, die wir hier unsere Eindrücke schildern, beobachten kann. Ich habe jedoch ein wirklich mulmiges Gefühl, wenn ich mir bildlich vorstelle, wie sich die Damen und Herren bei Creed trotz der ganzen Diskussionen die Hände reiben, einfach weil der Rubel rollt. Ob Aventus nun gefällig ist oder nicht, ist doch egal - er wird verkauft. Ob Aventus nun lange hält oder nicht, ist doch egal - er wird verkauft. Ob Aventus nun morgen nach Dachziegel riecht oder nach Ananas, ist doch egal - er wird verkauft.

Im Gesamten betrachtet lässt sich für meinen Teil nur eines sagen: Der Creed Aventus hat starke Eindrücke bei mir hinterlassen - aber noch viel mehr Verwirrung.

Wenn Creed Aventus Musik wäre:

"8th Wonder" von Marc Martel
"If You Can't Beat Them" von Queen
"Waves" von Mr Probz

PS: Eine kleine Anekdote. Im Sommer 2015 kaufte ich mir ein Freddie-Mercury-T-Shirt und es war lange Zeit mein liebstes Kleidungsstück. In ebendiesem Sommer war der Aventus aus der ersten Probe mein Standard-Duft. Leider bin ich in den letzten fünf Jahren sehr dick geworden und passe in dieses T-Shirt längst nicht mehr hinein. Es wurde schätzungsweise um den Jahreswechsel 2016/2017 herum ein letztes Mal frisch gewaschen und seitdem im Schrank aufbewahrt. Vor ein paar Tagen fiel es mir beim Sortieren wieder in die Hände und mir stand regelrecht der Mund offen, als ich feststellte, dass der Halsausschnitt des T-Shirts eindeutig nach Aventus roch. Über all die Jahre war der Duft nicht von der Kleidung gewichen. Darüber habe ich mir noch lange Gedanken gemacht.
6 Antworten
Eisbaer vor 4 Jahren 5 4
9
Flakon
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Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft
"Michigan's in the rear view now..."
Im Jahr 2014 begann sie - meine große Reise in das Land der Nischendüfte. Damals noch Student im Bibliothekarswesen (nicht arm, aber sehr viel ärmer als heute) und ohne wirklich nennenswerte Kenntnisse, was Düfte angeht. Von der Fähigkeit, einzelne Duftkomponenten auszumachen, ganz zu schweigen. Nein, damals zählte im Bereich Parfum eigentlich nur eines: meine Neugier. Wenn mich ein Flakon in Hinsicht auf sein Äußeres interessierte, ließ ich mir eine Abfüllung erstellen - völlig unabhängig von den beinhalteten Komponenten und Duftrichtungen. Dies führte natürlich dazu, dass ein beachtlicher Teil getesteter Düfte nicht wieder auf meiner Wunschliste landete. Nicht dass sie schlecht gerochen hätten - Gott bewahre - aber sie haben mich einfach leider nur höchst selten abholen können, gerade im Vergleich zu sehr bekannten Designerduft-Klassikern wie etwa das "Dior Homme", das ich damals liebte und heute noch liebe.

Ein Exemplar stach dann aber von Anfang an aus der Masse heraus: Mark Birleys "Charles Street". Ein im wahrsten Sinne des Wortes ruhiges Eau de Parfum. Aber für mein damaliges (und teilweise noch heutiges) Empfinden einfach unglaublich elegant, hochklassig, erwachsen, edel... und wohltuend. Und selbst zu dieser Zeit war ein 125ml-Flakon für mich glücklicherweise sogar erschwinglich. Teuer war er so weit ich weiß nie. Und selbst heute, da es ihn eigentlich nicht mehr gibt, werden Restbestände für kleines Geld noch vereinzelt angeboten. Zu unbekannt war der Duft damals und ist er noch heute. Womöglich liegt es daran, dass seine Komposition im Grunde nicht bahnbrechend war - so gibt es von Tom Ford und von Parfums de Marly ganz ähnliche Parfums, die sich am Markt allerdings bis heute behaupten können. Ich glaube, der "Tuscan Leather" von Tom Ford dürfte der Ursprungsduft sein. Nun denn, ich bin ein alter Vertreter der "Charles Street"-Fraktion, weil mir dann doch der Flakon mit Abstand am besten gefällt, und natürlich nicht zuletzt, da mein Herz mit "Charles Street" sehr schöne Erinnerungen verbindet.

Der Duft ist eine lupenreine Mischung aus Leder, Himbeere und Kaffee. Eine große Entwicklung macht er eigentlich nicht durch, aber wie gesagt: Er ist im Allgemeinen auch eher ein leiser Zeitgenosse. Er strahlt nur am Anfang erkennbar aus und wird nach nur wenigen Stunden bereits absolut hautnah. Auf der Kleidung hält er freilich sehr viel länger, wie wohl jedes Parfum. Ein schüchterner Mark Birley. Da ich Düfte größtenteils für mich alleine trage, stört mich das nicht sonderlich. Viele mögen ja sogar diese gewisse "Bürotauglichkeit" und Zurückhaltung. Und als ein doch eher schüchterner Mensch würde ich ohnehin eher etwas leisere Düfte bevorzugen, sowohl in der Freizeit als auch etwa zum Ausgehen in Anzug und Krawatte. Meiner Meinung nach ist der "Charles Street" nichts für den Sommer und will auch nicht so recht zu T-Shirt und Caprihose passen - allerdings ist das natürlich Geschmacksache und jeder soll seinen Duft so tragen, dass sie oder er sich damit wohlfühlt.

An dieser Stelle eine kleine Frage an die Community: Kennt Ihr das, wenn ein Duft in Euch sofort Assoziationen an einen bestimmten Ort weckt? Ich muss beim Riechen von "Charles Street" merkwürdiger immer wieder an London denken. Ich sehe einen Mann von Mitte 40 mit Vollbart vor mir, die Haare an der Seite mit leichtem grauen Schatten. Er trägt einen Mantel und einen Burberry-Schal sowie eine Schiebermütze. In sich gekehrt steht dieser Gentleman in den frühen Abendstunden auf der Westminster Bridge, lehnt an einem Geländer und schaut zum Elizabeth Tower hinüber. Gerade schlägt Big Ben mit seinem charakteristischen Klang und kündigt die volle Stunde an. Der Mann lauscht den Glockenklängen. Und er trägt Mark Birleys "Charles Street". Ich teile diese Assoziation deswegen mit Euch, weil ich diese faszinierende Eigenschaft schon des Öfteren an diversen Düften beobachten konnte: Diese Fähigkeit, sofortiges Kopfkino in Bezug auf konkrete Orte zu verursachen. Nun ist London auch noch eine Stadt, die ich sehr mag. Leider ist es inzwischen viel zu lange her, dass ich sie besucht habe. (Nachtrag: Ok, dass tatsächlich die Londoner Charles Street damals als Namensgeber des Duftes fungiert hat, war mir vorher nicht bekannt. Einfach nur klasse, was man auch durch Parfumo lernt!)

Was nun mich persönlich angeht: Mark Birleys "Charles Street" war und ist ein Duft, den ich seit 2014 sehr gerne bevorzugt in den Wintermonaten trage. Die würzige Lederkomponente gefällt mir ganz besonders gut, sie harmoniert hervorragend mit der Himbeere und tritt nach etwa einer Stunde etwas stärker in den Vordergrund. Der Kaffee bleibt eher verhalten, ist jedoch unterschwellig wahrnehmbar und rundet die Komposition wunderbar ab (womöglich hätte er sonst auch etwas zu viel Bitterkeit in das Gesamtkonzept gebracht). Ganz besonders gerne trug ich das Parfum zur Zeit während meines Studiums, wenn ich zu Fuß unterwegs war. Früh morgens auf dem Weg zur Universität, wenn es noch dunkel war und der kalte Wind mir um den Mantel blies, vergrub ich mein Gesicht ganz tief in meinen Schal und atmete "Charles Street", während ich andächtig den Milk Carton Kids auf meinem Musikplayer lauschte. Auch bei den regelmäßigen abendlichen Spaziergängen war, und ist bis heute, "Charles Street" ein sehr treuer Begleiter von mir.

Ein kleiner Kritikpunkt zum Schluss: Der Flakon ist in seiner geschmackvollen Schlichtheit und unlauten Farbgebung zweifellos einer der schönsten, die ich in meiner Sammlung habe. Leider ist er durch seine Würfelform relativ gewaltig und liegt etwas wuchtig in der Hand. Dies könnte aber auch an der Füllmenge von 125ml liegen. Es gibt bzw. gab ihn noch in der Traveller's Edition mit 75ml Füllvolumen. Die greifen sich mit Sicherheit besser, sind jedoch leider nicht annähernd so schön wie der Glasflakon. Weiterhin ist das Pumpsystem nicht ganz optimal, da zum einen ein wenig geizig und zum anderen leider des Öfteren leck. Ich werde mir aufgrund der eingestellten Produktion demnächst noch ein paar Traveller-Flakons sichern und gerne noch nachtragen, ob diese sich besser sprühen lassen.

Im Großen und ganzen bleibt "Charles Street" ein fester Bestandteil meiner Sammlung und ist für mich ein sehr wichtiger Weggefährte geworden. Im Spätsommer 2019 verstarb mein geliebter Großvater und hinterließ mir seinen Ledermantel. Ich fühle mich stets sehr gewärmt und auch ein wenig getröstet, wenn ich mir nach einer ausgiebigen heißen Dusche einen bequemen Pullover anziehe, den Ledermantel darüber trage und mich, nach ein paar Sprühern "Charles Street", vor die Tür begebe und der Welt dort draußen begegne. Ich liebe es, wenn es Düfte schaffen, mir in gewissem Maße einen Ruhepol zu geben und mir das Gefühl von Sicherheit und Zuversicht zu schenken. Nach solchen Exemplaren bin ich stets auf der Suche. Mit "Charles Street" hat Mark Birley quasi meinen ersten "erwachsenen" Duft kreiert. Dafür bin ich dankbar.

Wenn "Mark Birley Charles Street" Musik wäre:

"Michigan" von The Milk Carton Kids
"Love Of Mine" von Nickel Creek
"Great Lakes" von John Smith
4 Antworten
Eisbaer vor 4 Jahren 28 7
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
"We all need a little mercy sometimes..."
Mein Vater (Jahrgang 1955) hatte zu meiner Kindheitszeit keinen richtigen Signature-Duft im Schrank, so wie es bei vielen Parfumos hier der Fall ist. Ich glaube, ihm gefielen einfach mehrere Düfte gleichermaßen, ohne dass er sich auf eine bestimmte Marke festlegen wollte. Eine Eigenschaft, die ich von ihm geerbt habe, da es mir ganz genauso geht: Bis heute habe ich auch keinen Signature-Duft, weil ich so unglaublich viele Parfums mag, dass ich mich niemals festlegen könnte und wollte. Außerdem fiele es mir sehr schwer, auf bestimmte Schätze in meiner Sammlung zu verzichten und ich genieße die Möglichkeit der täglichen Abwechslung, die sich daraus ergibt. Hinzu kommt, dass ich meine Düfte größtenteils für mich trage. Meine Haut strahlt relativ schlecht aus und im Allgemeinen weiß meine Umgebung gar nicht, dass ich ein Parfüm aufgetragen habe. Mein Vater war nie ein Freund der Nischendüfte - er trug so ziemlich alles, was in den 80er und 90er Jahren so zum allgemeinen Tenor gehörte: Harley Davidson Legendary, Tabac, Lagerfeld Photo, Daniel Hechter Caractére - und eben auch Davidoff Zino.

Im Normalfall liebe ich es, diese Düfte meiner Kindheit zu riechen. Sie haben alle etwas ganz besonderes an sich. Diesen klassischen frischen Zeitgeist und diese Reinlichkeit, die sich mir sofort beim Aufsprühen olfaktorisch eröffnet. Beim Davidoff Zino zählt allerdings für mich weniger der Kindheitsfaktor; vielmehr gibt es eine ganz besondere Beziehung zwischen uns beiden: Er ist ein Duft, der mich in einer extrem schweren und harten Zeit aufgefangen und mich getröstet hat. Aber von Anfang an: Es war das Jahr 2017. Ich befand mich in einer Lebensphase, in der ein sehr großer und einschneidender Wechsel anstand. Ohne Euch zu sehr mit Details langweilen zu wollen: Ich hatte mich zuvor mehrere Jahre lang bis an meine körperlichen und seelischen Grenzen bemüht, dass dieser Wechsel gut laufen würde - und es wurde, unter anderem durch mehrere schwere Unglücksfälle, eine absolute Katastrophe. Mein psychischer Zustand war miserabel. Ich war am Ende meiner Kräfte, mit allem überfordert, einfach fertig mit der Welt und kurz davor, zu resignieren.

Dann aber kam ein verhängnisvoller Tag im Oktober 2017. Ich entdeckte bei einem harmlosen alltäglichen Einkauf einen Duft im Regal, der dank Parfumo schon lange auf meiner Warteliste stand und den ich zuvor (von meiner Kindheitszeit abgesehen) noch nicht gerochen hatte: Davidoff Zino. Im Sale, im Preis heruntergesetzt. Ich nahm einen Probesprüher (in einem "normalen" Kaufhaus darf man das ja meines Wissens nach eigentlich nicht, aber so what) und war sofort angetan von dieser Wärme, die vom Zino ausging. Er sprach mit mir - er sagte: Kopf hoch. Ich bin für Dich da. Ich wärme Dich. Es wird wieder bergauf gehen, versprochen. Und der Flakon wurde mein. Mein Eindruck des Duftes: Ich rieche eine äußerst angenehme Mischung aus mildem Pfeffer und Seife, später gesellen sich diverse Holzarten dazu und garniert wird dies alles mit einer ganz leichten Süße. Der Zino verstrahlt eine wohltuende und tröstende Geborgenheit, ähnlich einer alten Kuscheldecke, wie man sie als Kind oft hatte; schon etwas in die Jahre gekommen und zerzaust, aber nach wie vor stets wärmend und wohlriechend. Ich trug ihn in diesem Winter mit Vorlieben in den Nachmittags- und Abendstunden. Dann, wenn die Gedanken kreisten wie ein Karussell und ich schon wieder einmal Gefahr lief, meinen Verstand zu verlieren. Auch zum Schlafen trug ich ihn sehr oft und, mag es nun Einbildung sein oder nicht, ich bin der Meinung, er half mir auch dabei, ruhiger einzuschlafen und die immer wieder auftretenden Angstzustände zu lindern. Wann immer ich ihn brauchte: Zino war da, war an meiner Seite, beruhigte mich, gab mir den Boden unter den Füßen zurück.

Diese schwierige Zeitperiode hielt noch etwa bis zum Frühling des Jahres 2018 an und besserte sich dann nach und nach. Auch als ich langsam wieder auf die Beine kam und das Leben wieder anfing, Spaß zu machen, begleitete mich Davidoff Zino. Heute ist er mir ein wirklich guter und enger Freund geworden, den ich nicht jeden Tag trage, aber an den ich regelmäßig denke und auf den ich hin und wieder zurückgreife - und dies mit Freuden. Bei all meinen Ausführungen ist mir wohl bewusst, dass ich hier nicht über die Vintage-Version schreibe. Diese möchte ich überaus gerne bei Gelegenheit einmal testen. Die jetzige Version ist für mich persönlich dennoch ein Meisterwerk. Die Sillage und Haltbarkeit, die im Vergleich zum Original wohl um etliche Level heruntergeschraubt wurden, sind für meine Zwecke Gott sei Dank noch ideal. Der Flakon trifft nicht jedermanns Geschmack; mir gefällt er ausgesprochen gut. Er greift sich prima, hat eine angenehme Form und die Farbgebung harmoniert sehr gut mit dem Duft an sich. Die Vintage-Version, in der auch das "Davidoff" kursiv dargestellt wird, gefällt mir noch besser - schon allein auch, weil sie mich an die Zeit erinnert, in der ich als kleiner Mann von vielleicht vier oder fünf Jahren den Flakon meines Vaters auf der Badablage bewundern durfte. Wirklich: Ich fand solche Behälter schon damals sehr schön anzusehen.

Abschließende Worte: Der Davidoff Zino hat einen großen Anteil daran, dass ich die Zeit um den Winter 2017/2018 herum nicht mehr als absolut grausam, sondern wenigstens inzwischen als bittersüß in Erinnerung behalten kann. Ich bin unendlich dankbar, dass Zino und ich zueinander gefunden haben. Sollten nun die (zum Teil widersprüchlichen) Angaben stimmen, dass der Duft inzwischen nicht mehr produziert wird, werde ich mich definitiv mit einem Vorrat an Flakons eindecken. Finanztechnisch ist dies Gott sei Dank kein großes Problem, da der Zino (noch) nicht allzu hochpreisig angeboten wird. Ich respektiere zweifellos weiterhin die Meinung, dass die Vintage-Version durch die neue natürlich in keinem Punkt zu übertreffen sein wird, jedoch macht dies die neue Version beileibe nicht schlecht. So denke ich zumindest. Danke Zino, dass Du für mich da warst, wenn ich Dich gebraucht habe.

Wenn "Davidoff Zino" Musik wäre:

"Stealing Tomorrow" von Great Lake Swimmers
"A Little Mercy" von Jamie Lawson
"The Closest Thing To Crazy" von Katie Melua
7 Antworten
Eisbaer vor 4 Jahren 10 5
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Flakon
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Haltbarkeit
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Duft
"What a sight to see - are you there to guide me?"
Ich habe schon sehr früh damit begonnen, mich nach der Zeit zu sehnen, in der ich noch ein Kind war. Dies geschah bereits im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren und dies geschah in Wehmut, da ich in der Zeit als Heranwachsender zu großem Teil mit der Welt nach der Jahrtausendwende überhaupt nicht zurecht kam. Heute, als rund 30-jähriger langweiliger Büroangestellter, schaffe ich es inzwischen mit einem Funken weniger Wehmut, mich an die damalige Zeit zu besinnen. Ich habe derweil kein Problem damit, mitunter verklärt zu sein. Freilich waren die 90er Jahre schon fernab von vielem, was die früheren Generationen kannten. Aber noch heute korrigiere ich gerne diverse Vorverurteilungen in Gesprächen: Wir haben die internetfreie Zeit noch erlebt. Mit uns war die Wiedervereinigung noch frisch. Wir wuchsen mit Schallplatten und Kassetten auf, wie auch unsere älteren Geschwister und unsere Eltern. Wir bedienten Telefone mit Wahlscheiben und schrieben die Dankesbriefe (für die zehn Mark zum Geburtstag) per Hand an die Verwandten. Wir weinten, als Mufasa starb und ließen uns von Menschen trösten, die uns nahestanden. Wir waren zuhause.

Mit Düften und der Welt des Parfums beschäftige ich mich erst seit 2014 ganz bewusst. Damals befand ich mich mitten in meinem Studium auf dem Weg zum staatlich anerkannten Bibliothekar. Bis dahin (wenn überhaupt) nur im Bereich der bekanntesten Standarddüfte bewandert, beschloss ich damals, mir die Welt der Nischendüfte selbst näher zu bringen und ließ mir teilweise wahllos (ich ging vordergründig tatsächlich nach der Schönheit der Flakons) eine Anzahl von Abfüllungen herstellen. Mir offenbarte sich eine völlig neue Welt. Nischendüfte haben meine Sammlung von Standarddüften niemals ersetzt, sie jedoch mittlerweile hervorragend ergänzt. Unter den Abfüllungen befand sich auch David Jourquins "Cuir Mandarine". Und auch, wenn ich mich inzwischen etwas intensiver durch die Welt der Düfte probiert habe: Bislang ist es keinem anderem Duft derart gelungen, mich so prägend in die Kinderzeit zurück zu versetzen, wie es "Cuir Mandarine" vermag. Seit 2014 war dieses Parfum jedes Jahr an Weihnachten mein Signature-Duft. Nur für diese Zeit, da ich mir als Student keinen Flakon leisten konnte und mir jedes Jahr eine Abfüllung anfertigen ließ. Nun, da wir das Jahr 2020 haben, ist mein Traum in Erfüllung gegangen. David Jourquins "Cuir Mandarine" aus der Opera Collection wird mich nun endlich als Flakon auf meinem Weg begleiten.

Ich gebe einen Sprüher "Cuir Mandarine" auf meine Haut, nehme einen tiefen Atemzug und schließe die Augen. Ich sehe mich wieder als kleinen Jungen an einem schneereichen Dezemberabend zusammen mit meinen Geschwistern und meinen Cousins bei gedimmtem Licht an einem Schreibtisch sitzen und Bilder mit Buntstiften zeichnen, während geliebte Menschen um mich herum ausgelassen miteinander reden und lachen und mir das Gefühl von Geborgenheit geben. Das Geschehen wird von besinnlicher Musik untermalt. In einer ruhigen Zimmerecke in unmittelbarer Nähe des Kaminfeuers raucht jemand Pfeife. Meine Lieblingstante, neben mir sitzend, trägt einen süßen Lavendelduft, der mich behaglich einhüllt. Geschälte Mandarinen liegen auf dem Tisch und das alte Einfamilienhaus, jenseits der 1930er Jahre erbaut, umgarnt alle Bewohner angenehm mit sanften Holzgerüchen. Die Haustür öffnet sich und mein Onkel, der gerade noch draußen Schnee geräumt hatte, betritt den Raum und legt seinen Ledermantel ab. Ich lege den Stift weg, mein Bild ist fertig gezeichnet. Ich bin zuhause.

Ich öffne die Augen und befinde mich wieder in der Gegenwart. Ein kurzzeitiges Gefühl der Traurigkeit überkommt mich. Die charmanten Häuser unserer Kleinstadt werden nach und nach abgerissen und durch sterile Neubauten ersetzt. Meine Lieblingstante ist inzwischen geschieden. Von besinnlicher Musik an Weihnachten sind die Menschen genervt. Die Dezembertage sind mittlerweile verregnet und grau. Aber: Mir wird bewusst, dass ich einen Duft gefunden habe, der mich an meine fröhlichen Kindheitstage denken lässt und der mich von nun an in die Zukunft begleiten wird. Heute bin ich es, der Pfeife raucht und eine Lederjacke trägt. Heute bin ich es, dessen Aufgabe es ist, anderen Menschen Geborgenheit zu geben. Und wer weiß: Womöglich werde ich es auch eines Tages sein, der seinen eigenen Kindern an einem schneereichen Dezembertag beim gemeinsamen Malen und Basteln Gesellschaft leisten und für sie da sein darf. Dabei werde ich "Cuir Mandarine" tragen. Und mir wird bewusst werden: Ich bin zuhause.

Wenn "Cuir Mandarine" Musik wäre:

"The Last Unicorn" von America
"Everyday" von Phil Collins
"I Just Can't Stop Loving You" von Siedah Garrett und Michael Jackson
"Christmas Star" von John Williams
5 Antworten
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