Flaconesse
duftende Gedanken
vor 4 Jahren - 04.08.2020
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Eine olfaktorische Bahnfahrt

An manchen Tage kann ich nicht gut Bahn fahren. Das mag sich ein wenig seltsam anhören, da ich nicht an Platzangst leide, aber die Gewissheit nun 35 Minuten in der Bahn verbringen zu müssen und nicht einfach vorher aussteigen zu können, erzeugt eine Grundanspannung. Dabei ist das Strassenbahnfahren weit angenehmer als das U-Bahnfahren, man sieht einfach mehr von der Stadt und diese Linie bietet das volle Sightseeing-Programm: Uniklinik, Hauptbahnhof, Willy-Brand-Platz, Römer Zeil. Also vorbei am Coronatestzentrum, multikulturellen Imbissbuden, gläsernen Hochhausfassaden, geschichtsträchtiger Altstadt, Einkaufsgetümmel. Ich kenne das Alles schon, also muss eine andere Ablenkung her.

Zuhause hatte ich mir eine Zeitungsbeilage in den Rucksack gesteckt, doch die brauchte ich gar nicht, denn bereits an der Haltestelle erhielt ich meinen heutigen Auftrag: Ein blassblauer Hauch von Apfel und Synthetik umwehte meine Nase. Keine Frage, Light Blue, schoss es mir durch den Kopf und schon sollte sie beginnen, meine olfaktorische Bahnfahrt. Ob ich durch die Maske überhaupt etwas riechen kann?

Eine Frau mittleren Alters lief an mir vorbei und stellte sich direkt neben meinem Sitz an die Tür: Blumig-fruchtig und ziemlich durchdringend, was könnte sie tragen? Optisch hätte sie in die Estée-Lauder-Ecke gepasst, olfaktorisch war sie jedoch eine klare Juicy Couture. Im Bahnhofsviertel stieg ein betagter Herr ein und setzte sich schräg hinter mich: Graues, schütteres, gut in Form gebürstetes Haar, Karohemd, graue Stoffhose: Ein klassischen Barbershopduft umgab ihn. Ist das Old Spice oder bloß Birkenhaarwasser? Es ging jedenfalls in die Richtung würzig mit dezenter Frische, angenehm, nicht aufdringlich.

Während die Bahn so vor sich her tuckerte überlegte ich, welche Parfums ich in letzter Zeit an den Anderen wahrgenommen hatte: Eine Dame im Fitnessstudio trug eindeutig Boudoir, der an diesem Ort so dermaßen unpassend wirkte. Sie kam wohl direkt von der Arbeit und hatte sich bereits morgens eingeduftet. Letztens im Bus und ich roch die unverkennbare, durchdringende Süße von Baccarat Rouge 540 aus den hinteren Reihen. Vorsichtig drehte ich mich um, dem sehr jungen Mädchen nach zu urteilen handelte es sich jedoch eher um Burberry her oder um Cloud. Sie sah aus, als könne sie ein Ariana Grande Fan sein und fand den Wolkenflacon vermutlich total niedlich. Die junge Frau aus meiner Gesprächsgruppe trug vor drei Wochen Black Opium, den ich natürlich sofort erkannte. Sie war ein bisschen beeindruckt und ich triumphierte, als ich sie darauf ansprach. Man meint es kaum, aber der Duft passt sogar in den Hochsommer, ich probierte es selbst einmal aus.

Und schon war ich an meinem Ziel angekommen. Raus aus der Bahn, Maske runter. Wenn ich ehrlich sein soll, fühle ich mich durch sie nicht sonderlich gehindert, weder am Atmen noch am Riechen. Zwischendurch zwei andere Gerüche: Autoabgase, so sehr ich die Stadt auch liebe, so froh bin ich nun „weiter draussen“ zu wohnen, und Desinfektionsmittel: alkoholisch und leicht zitrisch-blumig.

Termin erledigt, ab in die Bahn nach Hause: Eine Frau saß schon drin, irgendwo im hinteren Teil. Sie roch nach Avon Femme oder einem penetranten Weichspüler, der eben diese blütige Frische verbreietet, nicht direkt unangenehm, aber weitgehend belanglos. An der Zeil stieg ein junger Mann ein. Oh oh, ich roch es sofort: ambrierte Hölzer, könnte Sauvage gewesen sein, nein nicht das gute alte Eau Sauvage, sondern der neue hippe Johnny-Depp-Duft. „The smell of menspreading“ hatte ich dazu einmal geschrieben und musste schmunzeln.

Wann hatte ich mich schon mal getraut, jemand anderen nach seinem Parfum zu fragen? Einmal tat ich das bei einer Frau aus dem selben Sportkurs, die ganz fantastisch nach Neroli roch: Es war Seathalasso und sie freute sich ungemein über das Kompliment zu ihrem Duft. Eine Tischnachbarin in der Kur befragte ich auch einmal, da ich bei ihr Joop le bain vermutete, was sich jedoch als Bettina Barty Vanilla-Bodylotion entpuppte. Einen wirklich Fremden sprach ich noch nie auf sein Parfum an. Schade eigentlich.

Und auch die Rückfahrt verging wie im Flug, wenn man beschäftigt ist. Beseelt durch dieses lustige Spielchen ging ich zum Bäcker Frühstück besorgen, hier roch es wie erwartet nach Kaffee und Gebäck und eine Kleinigkeit bei Tedi kaufen, hier roch‘s nach Plastik.

Auf meiner nächsten Bahnfahrt werde ich dieses schöne Spielchen wiederholen!

Eure Flaconesse

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