FrauDingens

Die meisten Menschen, die mit der Metro North aus den Vororten wie White Plains, Mt. Kisco und Pleasantville nach Manhattan morgens zur Arbeit pendeln, fahren durch Harlem, steigen Grand Central aus und bestreiten dann zu Fuß oder mit der U-Bahn ihren täglichen Weg.

Oft bin ich an Harlem - 125th Street vorbei gefahren, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Und eines Tages, als ich sehr früh dran war, bin ich einfach ausgestiegen und den Malcolm X Boulevard hinunter gebummelt, bis zum Central Park.
Kaum ein anderer Stadtteil hat so viele einschneidende Entwicklungen mitgemacht, wie Harlem. Jüdische Einwanderer, Afroamerikaner, die Zeit des Jazz im Cotton Club - Duke Ellington spielte hier - das Apollo Theatre, Martin Luther King, die Bürgerrechtsbewegung. Gang Rivalitäten, Drogen, Prostitution.

New Haarlem ist schwarz. Er duftet wie den Kaffee, den man an der Ecke schnell mitnimmt, heiß, stark. Und dann kommt diese Vielfalt, die Harlem ausmacht. Ein wenig Vanille-Candy vom Drugstore die Strasse runter, das alte Holz der Dielen in den Brownstone-Reihenhäusern. Er ist staubig und ein wenig trocken, wie die Hinterhöfe - ohne Baum, ohne Strauch.
Und doch ist alles reizvoll. Eine andere Welt, nur ein paar Subway-Stationen entfernt. Ein Stück Geschichte, dem der Hauch des Verbotenen anhaftet.

Sehr reizvoll.

Gestern Abend bekam ich ein unerwartetes Geschenk. Mein Mann kehrte von einer seiner Reisen zurück und im Hause Dingens hat sich die schöne Tradition entwickelt, unsere Wiedersehensfreude mit einem kleinen Präsent zu verschönern. Das können recht unterschiedliche Dinge sein. Aus Italien brachte er einmal einen recht seltsam geformten Stein mit, den ich sofort in mein Herz schloss, in London entdeckte ich einen alten Penny, der am Themseufer einsam und vergessen sein Dasein fristete, bis er Platz fand, im Portemonnaie meines Mannes.

Doch gestern war es anders. Größer, schwarz eingewickelt und mit einer Schleife verziert. Warte mit dem Öffnen, wies er mich an und nicht lange danach erfüllte Billie Holiday unser Wohnzimmer.
The way you wear your hat, the way you sip your tea, the memory of all that.
No, no, they can't take that away from me.
Jetzt, sagte er und lächelte. Vorsichtig entfernte ich Papier und Pappe, die mich von diesem kostbaren Flakon trennten. Une Voix Noire.

Eine Gardenienexplosion auf meiner Haut, die langsam leiser wurde, dunkle Töne klangen auf. Kubanischer Rum, Pfeifentabak und über allem die Blume, die Lady Day, wie Lester Young Billiy Holiday nannte, die Gardenie. Weitere Blumen ergänzen das Potpourri. Jasmin, Tuberose, betörend wie ihre Stimme. Rauchig, ein wenig kratzig der Tabak und zum Schluss die Leberzirrhose, der frühe tragische Tod. Der Duft dieser Frau, der Duft ihrer Stimme.

Heute morgen war da noch dieser dunkle Duft in meinen Haaren. Ein wenig blumig nur noch, mehr Tabak und ein bisschen Holz. No, no, they can't take that away from me.
Mein Mann beugte sich über mich, um uns beide in unsere Tage zu verabschieden, vergrub die Nase in meinen Haaren. Ah, was für eine Frau, flüsterte er und ich weiß gar nicht, ob er nicht vielleicht doch Billy Holiday meinte.

Ich fahre mit dem Finger über sein Schulterblatt. Gebräunte Haut am salzigen Strand. Meine Haut riecht danach nach ihm, holzig und würzig. Es ist ein Moment, der verfliegt, das weiß ich schon. Ich bin noch jung, aber eben nicht dumm.

Er legt den Kopf auf die Seite, blinzelt in die Sonne, lächelt mir zu. Verschmitzt und ohne einen Gedanken an später. Unsere Küsse sind zart und sommerlich. Sein Hals duftet nach Honig und Ananas. An jeder Stelle seines Körpers entfaltet sich eine neue Nuance dieses Duftes, der so gar nicht zu ihm passen will.

Warmer Sand spielt mit meinen Füßen. Plop, plop klingt in der Ferne ein Tennisball zum Rhythmus der Wellen. Die schrägen Strahlen der Sonne beenden einen langen Tag des Nichtstun.
Morgen wieder? fragt er. Ich nicke lächelnd, unverbindlich und denke, ja, vielleicht. Was das für ein Parfum sei, das er trägt, will ich wissen. Er überlegt und antwortet entwaffnend ehrlich: Bois Oriental - ich habe einige Tropfen aus der Flasche meines Vaters genommen.
Ah, das erklärt viel. Ich sehe ihm hinterher, während er am Strand kleiner wird, in den Dünen verschwindet.

Sein Vater, ein interessanter Mann.

... when the world falls in love.
Ev'ry song you hear seems to say "Merry Christmas,
may your New Year dreams come true"...
Singt Frank Sinatra im "Christmas Waltz".
Das Weihnachten meiner Kindheit.

Oh du magischer Weihnachtsabend! Ein Haus voller lieber Menschen, Truthahn und Kartoffelbrei und all diese bunten Päckchen unter dem geschmückten Tannenbaum.

Egg Nog? fragte meine Mutter verschmitzt lächelnd jeden Gast in unserem Hause und niemand konnte meiner Mutter und ihrem selbst gemachten Egg Nog widerstehen.
Sie verwendete einen ausgezeichneten Single Malt Whiskey, ein Ei, heiße Sahne und Zucker - die genaue Zusammensetzung wird wohl ein Geheimnis bleiben, denn sie hat ihr Rezept nie aufgeschrieben.
Für mich als Kind blieb es beim Geruch. Alkohol war selbstverständlich interdit. Aber dieser Duft, der bis in den letzten Winkel des Hauses zog... Süß und zuckrig kroch er mir in die Nase, sahnig und voll. Ein Zeichen dafür, dass alle eingetroffen waren, ihren Weg über die verschneiten Strassen gefunden hatten.

Egg Nog ist das Weihnachten nach dem sich alle sehnen. Egg Nog ist der Egg Nog meiner Mutter.
Magisch.

So duftet der Oktober.
Indian Summer in Connecticut, ein Ausflug auf eine Apple Orchard. Für $10 soviel Äpfel pflücken wie man will. Knackigen McIntosh, Honeycrisp, Red Delicious und Empire. Und wenn man Glück hat, ist der Tag frisch und hell, die Sonne strahlt schräg durch das rot-gelb-grüne Laub der Bäume und auf einem der sanft rollenden Hügel kann man bis ins Tal sehen und dahinter nur noch das Meer.

In handgeflochtenen Körben stapeln sich Kürbisse und abends vor den Kamin, mit einem Glas heissen Apfelmost - hot apple cider, zuckrig und zimtig, fällt der Abschied vom Sommer gar nicht mehr so schwer. Nelke und Koriander geben einen Vorgeschmack auf den Winter.

Mulled Cider ist so herbstlich und so tröstlich warm.
Als Parfum benutze ich ihn nicht. Aber ab September gebe ich immer mal wieder ein paar Tropfen auf die Bettwäsche und Erinnerungen an goldene Herbsttage und Apple Pies wiegen mich sanft in den Schlaf.