Gerry

In den letzten Wochen habe ich mit Muße allerlei Duftproben zum Thema Weihrauch getestet und verglichen. Um es vorweg zu sagen, ich liebe Weihrauch; ihn aber auch als Parfüm tragen zu wollen, das ist für mich dann doch noch eine andere Sache. Weihrauch ist da sicher der Spalter schlechthin.

Eine Spur von Weihrauch im Parfüm ist mir schon vor langer langer Zeit begegnet. Meine damalige Freundin in der Oberstufe trug ein an sich sehr zurückhaltendes und unauffälliges Parfüm. Wenn ich sie aber ganz eng in den Arm nahm oder ihren Hals küsste, spürte ich eine zarte Spur von Weihrauch. Das machte sie geheimnisvoll, als „wüsste“ sie mehr als ich. Ein „mehr wissen“ wie es vielleicht das profane Volk des antiken Griechenlands in seinen Priesterinnen gesehen haben könnte.

Für mich bemerkenswerte Weihrauchdüfte sind
Comme des Garcons „Avignon“
James Heeley „Cardinal“
Comme des Garcons „Kyoto“
Montale „Full Insence“

Wer hätte das gedacht ;-) .

Für meinen ersten Komi zum Thema Weihrauch habe ich Avignon gewählt. Als Parfüm ist er nicht mein Favorit, nein, ganz und gar nicht. Für das Schnurgerüst zum Aufbau meines Kommmentar-Gebäudes brauche ich aber zunächst einen Pflock als Referenzpunkt. Das ist Avignon.

Wenn ich mir die Liste der Duftbestandteile ansehe, kann ich das nicht glauben, was ich lese. Das soll alles in Avignon enthalten sein? Gut, meine Nase ist weniger trainiert, als die vieler anderer Member hier, ich rieche ausschließlich Weihrauch, Weihrauch und Weihrauch. Avignon fehlt aber das Rauchige von verbranntem Weihrauch. Ich empfinde den Duft daher auch ganz und gar nicht als kratzig. Vielleicht arbeiten hier doch die übrigen Bestandteile diskret im Hintergrund. Ich rieche einen opulenten und scheinbar "gereinigten" Weihrauch-Duft, der so gut wie keine Entwicklung durchmacht. Er bleibt vom Aufsprühen bis zum späten Abklingen unveränderlich.

Von allen getesteten Weihrauchdüften ist Avignon für mich der kompromissloseste. Dieser Duft steht da, wie eine romanische Basilika aus dem sehr frühen Mittelalter; gewaltig, gedrungen, wie ein christliches Bollwerk in mitten der Häresie. Für die Gläubigen ein Sammelpunkt der Ruhe und Geborgenheit. Ein Ort in dem der harte Alltag ausgeblendet werden kann.

Nein, Avignon ist für mich kein Parfüm zum Tragen in der Öffentlichkeit, es sei denn ich möchte sehr auffallen oder vielleicht sogar provozieren. Ich werde ihn aber als „körpernahen Raumduft“ nutzen. Turandot, da bin ich voll und ganz bei Dir ;-) . So hege ich meine Probe und hole sie für besondere Tage heraus.

Blenheim Bouquet habe ich erst Anfang des Jahres entdeckt. Ich habe ihn mir nach der ersten Probe sofort und ohne jeden Zweifel gekauft.

Ich mag diesen Duft aus vielen Gründen.

Er hält keine unangenehmen Überraschungen bereit. Keine Enttäuschungen im Duftverlauf. Auch wenn die Zitusnote anfangs dominat erscheint, tritt sie doch sehr schnell einen Schritt zur Seite und gibt dem Nadelholz Platz. Außerdem ist es ein ganz und gar nicht spitzer oder nach Reinigungsmittel riechender Zitrusduft.
Ob diese Holznote nun Pinie ist, wie in der Duftpyramide zu lesen? Mich erinnert es stark an Zeder.
"Nadelholz" ist sicher nicht falsch ;-)

Zitrus und Nadelholz gehen zusammen Hand in Hand. Es scheint so als tanzen sie zusammen und Lavendel, Pfeffer und Moschus spielen die Musik, damit das auch Takt und Rhythmus bekommt. Mir ist nicht immer klar wer da in diesem Tanz führt. Es scheint so, als gäbe das Nadelholz der Zitrus die nötige Tiefe und "Kante" um nicht wie ein Fruchtdrops daher zu kommen und Zitrus befreit das Nadelholz von seiner ätherischen Strenge und Kantigkeit. Ein beschwingter Sommer-Fandango.

Im Gegensatz zu TVC15 bin ich nicht der Meinung, dieser Duft habe etwas formelles und stenges. Ich finde ihn sogar eher sportlich und trage ihn oft zu Jeans und Poloshirt - und natürlich gerne auch zu formalen Anlässen weil er so unaufdringlich bleibt.

Ob die geringe Projektion nun kritikwürdig ist ... ich finde sie charmant.
Reviermarkierer bevorzugen andere Düfte.