Landei

Gewürznelke massiv - hu! Eine Stunde lang! Dazu für mich das Flair von Berlin Prenzlberg vor 1990 bei meiner Oma, alte Ladentheke aus dunklem Holz, ein winziger Hauch Bahnhofsunterführung, Dampflok- und S-Bahngeruch, dann wird es wärmer (Benzoe?) und die Gewürznelke wandelt sich zur Gartennelke! Eine rote? Etwas Animalisches schwingt mit, auch eine Spur Eichenmoos. Eine dunkle Vanilleschote liegt in einer alten Ledertasche, deren Griff den Geruch des Besitzers angenommen hat. All das rieche ich hier, und es fasziniert mich. Ein Parfum, das man nicht trägt, um sich damit zu veredeln, sondern eine Seite in einem Fotoalbum, die Erinnerungen weckt...

Herrlicher warmer Petunientintenduft schlägt mir entgegen, Hyazinthe wahrscheinlich, und weicht alsobald einem tollen ungleichen Duo: dichte, schwere, säuerliche Nelke reicht die Hand einem durchsichtigen, schweben wollenden Veilchen - ein so naturnahes Veilchen, dass ein Hauch "frischer Landluft" wie im Frühjahr mit vorbeiweht ;). Lugt nicht dazwischen ein Gewürznelklein hervor? Hin und wieder ja, manchmal sogar zwei.
Der kleine handgepflückte Blumenstrauß beweist Intensität und Ausdauer, bis in der Basis das Blumenduo minimal harzig und sandelig unterfüttert wird.

Die Nelkenblüte erscheint hier unzimtig und unkastriert wie in einem Vintageparfum! Es geht also doch noch! Die runde Weichheit eines Caron-Meisterwerks fehlt ihr, aber vielleicht fehlen ihr nur ein paar Jahre Reifezeit in einem dunklen Keller...

Auf den war ich besonders gespannt. Die Pyramide liest sich minimalistisch. Eine schlichte, naturnahe Nelke? Nicht bei Dolce und Gabbana!
Schon beim Aufsprühen merke ich: Der kommt mir aber sehr bekannt vor... *grübel*... ach, die gute alte Chloe Narcisse! Gleich rausgekramt und auf den anderen Arm aufgelegt.
Velvet Love hat etwas weniger Aprikosensüße, aber genau die gleiche Würzung (Zimt ohne Gewürznelke, Pfeffer, Benzoe kann ich identifizieren); bescheidenere Sillage, nicht so streng, aber der gleiche Blütenmix (Tagetes, Ylang, Narzisse rund um die Gartennelke, vielleicht auch ein Veilchenblatt und sicher ein paar Rosen und Jasmin)!
Die Ähnlichkeit bleibt im Verlauf erhalten, VL etwas vanilliger und alles flacher und auf Sparflamme, was Narcisse hat.
Wirkt so, als hätte da jemand das Rezept gekauft und modern verschlankt. Als Reformulierung würde es glatt durchgehen!

Die Byredo-Kreationen waren mir bisher alle zu künstlich-chemisch, doch hier haben mich die angegebenen Duftnoten Opoponax und Vanille verleitet, es noch einmal zu versuchen und eine Abfüllung zu ertauschen. Herzlichen Dank an die liebe A.!
Eine ordentliche Portion Zucker ist schon dran, zusammen mit dem künstlich-sauberen Patchouli wirkt es erst mal mainstreamig und hohl. Aber "es entwickelt sich, Genossen Bauern!", wie Manfred Krug sagte.
Die Mitte zwischen hellem Zucker und dunklem Patchouli füllt sich nach und nach mit warmer harziger Blumigkeit, geboostert von der zunehmend vanilligen Maltolsüße, bis sie überläuft und ein bisschen anbrennt. Ab hier unverändert, bleibt die Kunstblumen-Echtharz-Karamellwolke lange hängen. Kuschelig und gemütlich in der Weihnachtszeit, ein bisschen nervensägig in wärmeren Monaten vielleicht.
Der Duft wirkt schön ausgewogen zusammengestellt und wärmt wie eine Polyesterdecke. Wolle ist mir trotzdem lieber.

Sambacjasmin? Neroli? Wo seid ihr? 30 Minuten lang Pfingstrosenstrauß pur inclusive Stengelsaft. Steht schon zwei Tage im Zimmer. Minimal Mandarinenaroma dabei. Wenigstens keine Spur von Zucker, nur etwas Vanillin. Bei Blindtest hätte ich auf Betty Barclay oder s.Oliver getippt. Erst die Basisnote wirkt komplexer, erinnert mich ein bisschen an - nein, nicht etwa Addict, sondern Diors J´adore in joy. Einer der zarteren J´adore-Flanker.
Wer auf den Duft von echten Pfingstrosen steht (eher die rosafarbenen), sollte diesen Dior hier mal testen.