Wunderwerk Geruchssinn
Wir ganzen Duftverrückten hier auf Parfumo können unseren Geruchssinn wohl sehr dankbar dafür sein, dass er uns eine so tolle Leidenschaft ermöglicht. Durchaus oft wird beim Parfum auch auf eine sehr emotionale Weise der Duft beschrieben. Man hat genaue Bilder oder Szenerien vor Auge, wenn man an bestimmten Düften riecht. Wie z.B. kleine Zeitsprünge in die Vergangenheit oder schöne Augenblicke. Auf der anderen Seite ist es auch spannend in einer kleinen Runde verschiedene Düfte vorzustellen und jeder Person die Frage zu stellen, welche Eindrücke beim Testen zuerst ins Gedächtnis kommen. Da kommen die unterschiedlichsten Rückmeldungen und Empfindungen.
Zumal ist es auf Parfumo auch wirklich immer wieder amüsant, wie sehr man in den Kommentarsektionen auf Verwirrung, aber auch unfreundliche Meinungen stößt, wenn man den Lieblingsduft einer Person sehr negativ bewertet. Man sollte sich nicht von solchen Kommentaren, individuellen Meinungen und Empfindungen zu Düften beeinflussen lassen. Manchmal erwische ich mich aber auch selbst dabei, wie ich völlig an der Wahrnehmung von anderen Personen zweifle, wenn sie einen Duft mal völlig anders beschreiben, als ich ihn wahrnehme (beim Thema Haltbarkeit passiert das auch öfter, aber Hauttypen, sowie die Wahrnehmung verschiedener Duftnoten, sind eben auch unterschiedlich). Das kommt vor, natürlich, dennoch überrascht es mich manchmal, wie stark unterschiedlich die Wahrnehmung zwischen den verschiedenen Personen sein kann.
Daher hat mich das Thema rund um die Sinneswahrnehmung von Menschen, wie viele Emotionen Gerüche in uns auslösen, sowie der Fakt interessiert, wie wir auf bestimmte Gerüche schon bei unserer Geburt reagieren. Das Thema ist umfangreich und es gibt auch genügend schöne Bücher dazu! Es kann also folgend etwas biologisch-chemisch werden, mit Sicherheit aber auch für den ein oder anderen sehr informativ.
Dass Gerüche so viel in uns auslösen, kann auf die Verbindung des Geruchssinnes zum limbischen System unseres Gehirns zurückgeführt werden. Dort, vor allem im Hippocampus und in der Amygdala, werden emotionale Reaktionen sowie die Gedächtnisbildung verarbeitet. Aufgenommene Gerüche hinterlassen nie einen neutralen Eindruck, sondern werden immer emotional bewertet. Die emotionale Wirkung eines Geruchs ist stark von persönlichen und kulturellen Faktoren geprägt. Zudem hängt die Bewertung von der Situation ab, in dem ein Geruch zum ersten Mal wahrgenommen wurde. Man kann sagen: Riechen ist die Grundform des Fühlens.
Jede Person kennt die Situation, in der uns ein bestimmtes Lied einen gedanklichen Zeitsprung erleben lässt. Diese Erfahrung wird von der Intensität der Emotionen jedoch nicht damit vergleichbar sein, was ein positiver Geruch aus unserer Jugend in uns auslöst. Lange Zeit hatte der Geruchssinn einen weniger hoch angesehenen Wert im Gegensatz zu unseren Sinnen Sehen und Hören. Die Forschung in diesem Bereich wird in den nächsten Jahren immer mehr zunehmen.
Aber warum mögen wir eigentlich bestimmte Gerüche? Naja, zum Großteil eben aufgrund der automatisch emotionalen Bewertung eines Geruches. Teilweise mögen wir bestimmte Gerüche unterbewusst aufgrund ihrer positiven Funktionen auf unseren Körper, dazu später mehr.
Ein Geruchsrezeptor wird immer vom passenden Duft aktiviert. Die Ruhr Universität Bochum erforschte in diesem Zusammenhang passende Schlüsselverbindungen und konnte einige entschlüsseln. So zum Beispiel Hedion, ein Duftstoff, welcher auch im Jasmin vorkommt. Kernspinuntersuchungen zeigten, dass bei Kontakt darauf immer die gleiche kleine Region im Hypothalamus mit erhöhter Gehirnaktivität reagiert. Bei Frauen sogar 10x stärker, als bei Männern. Bei Versuchen konnte herausgefunden werden, dass die Probanden immer, wenn Hedion im Raum vorhanden war, mit signifikant mehr Vertrauen bei Belohnungsspielen und mit mehr Misstrauen bei Bestrafungsspielen reagierten. Das nur als Beispiel, wie der Körper auf manche Duftstoffe reagiert.
Ebenso gibt es viele Stoffe, die unserem Körper guttun oder helfen können.
Denn: Riechrezeptoren existieren im gesamten Körper, nicht nur in der Nase. Sie reagieren auf Duftstoffe, die wir über die Atmung, das Einreiben auf die Haut oder mit dem Essen in hohen Konzentrationen ins Blut gelangen und von dort im ganzen Körper verteilt werden. Einer dieser Riechrezeptoren reagiert auf Sandalore, einen synthetischen Sandelholzduft. Hautzellen vermehren und bewegen sich schneller, wenn sie mit Sandelholzduft in Kontakt kommen. Wunden heilen schneller, die Haut regeneriert besser. Das gilt natürlich auch für natürliches Sandelholz. Auch in Haarwurzelzellen konnten diese Rezeptoren gefunden werden.
Bekannte Phänomene lassen sich von Kräutern und Gewürzen herleiten. Duftstoffe, die in Kümmel (Carvon) oder Nelken (Eugenol) vorhanden sind, lassen unsere Verdauung beschleunigen oder verlangsamen.
Duftkomponente aus der Gardenienblüte (Vertacetal) oder Lavendel (Linalool) wirken als Beruhigungs- oder Schlafmittel. Umgekehrt können Menthol aus der Minze, Cineol aus dem Eukalyptus oder Beta-Asaron aus der Kalmuspflanze unseren Körper wach und aktiv werden lassen.
Duftstoffe aus Lakritze oder Ingwer können gegen Reiseübelkeit helfen.
Dann gibt es noch das Wundergewürz Zimt. Zimt wirkt besonders wirksam und tötet Keime im Körper ab, ebenfalls spricht es die Wärmerezeptoren des Nervus trigeminus an, sodass uns warm wird.
Das Ganze geht jetzt aber auch schon über den „eigentlichen“ Geruchssinn hinweg, ich wollte nur hervorheben, wie viel mehr unser Körper „riechen“ kann. Es folgt vorerst nur noch ein wissenschaftliches Beispiel, versprochen!
Der Babygeruch von Neugeborenen. Warum ist dieser Geruch so gut? Ganz genau kann man es nicht sagen. Vermutlich jedoch aufgrund der starken emotionalen Verbindung zum Kind. Amerikanische Forscher haben mithilfe von Gehirn Scans folgendes untersucht: Bei Frauen, egal ob selbst schon Mutter oder nicht, wird durch das Riechen am Baby das Belohnungszentrum im Gehirn stark aktiviert. Schwedischer Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Geruch von Neugeborenen das Gehirn ähnlich wirkungsvoll ansprechen kann wie Medikamente gegen Angst und Depressionen. Ein schönes Beispiel, dass wir beim Riechen immer emotional bewerten.
Diese Verbindung haben auch Neugeborene zu Ihren Müttern. Babys können in ihren ersten Wochen nicht wirklich sehen, dies entwickelt sich in den ersten Monaten. Die Kleinkinder bauen im ersten Moment Kontakt zu der Mutter über ihren Geruch auf.
Noch früher beginnt die „Duftschule“ schon im Mutterleib. Vorlieben der Mutter und gewohnte Gerüche und Geschmäcker und die damit verbundenen Emotionen während der Schwangerschaft werden von dem Fötus aufgenommen. Denn schon ab der ca. 26 Schwangerschaftswoche bilden sich die Riechzellen. Es gibt Studien, in welcher eine Gruppe Schwangeren im letzten Drittel der Schwangerschaft, sowie der Stillzeit nur Wasser zu trinken gegeben wurde, die andere Gruppe hat nebenbei auch Möhrensaft getrunken. Das Ergebnis war eindeutig: Die Babys, die den Möhrensaft schon kannten, verzogen weniger das Gesicht und aßen ihre Portion Möhrenbrei schneller auf.
Einer der bekannteren Beispiele für einen Geschmack, mit dem viele von uns schon früh in Berührung kommen: Vanille. Die Muttermilch schmeckt vanillig. So wird auch in Milchpulver für Säuglinge oftmals Vanille als Geschmacksrichtung verwendet. Entsprechend kommen fast alle Kinder in ihren ersten Jahren mit Vanille in Kontakt. Heute ist Vanille einer der Geschmäcker, der weltweit mit am beliebtesten ist.
Weiter werden Duftinformationen unbewusst wahrgenommen, daher sind sie stark erfahrungs- und erziehungsabhängig. Die gesamte Kindheit bestimmt für viele von uns, was wir in Zukunft mögen oder eher verabscheuen werden. Gab es bei den Großeltern am Wochenende zum Nachtisch Nutella, worauf man sich immer gefreut hat? Oder wurde man so erzogen, dass das, was auf den Tisch kam, auch gegessen werden musste und die Abneigung gegen Kohl stetig größer wurde? Traurigerweise kann auch ein stark negatives Ereignis bestimmte Gerüche „zerstören“, auch wenn man jahrelang diesen Geruch geliebt hat. All das wird unseren Geruchssinn formen und unsere entsprechenden Emotionen dazu festigen.
Im Gegensatz zu anderen Sinnen arbeitet die Nase immer. Ob wir etwas bewusst wahrnehmen, hängt nur davon ab, ob es ein Geruch ist, der unerwartet oder sehr intensiv ist. Der Geruchssinn dient nämlich vor allem als Schutzmechanismus, gerade vor hunderten Jahren war dies essenziell. Ist das Fleisch verdorben? Sind diese Früchte giftig? Ist dies Rauch von einem Waldbrand? Verfaulter Geruch bei Wunden an Menschen? Vieles hat die Nase beeinflusst.
Der Geruchssinn ist nicht bestechlich. Finden wir etwas unschön oder unangenehm, schauen wir einfach weg. Hat sich mein Gegenüber auf dem 5 Stunden Flug 10 Sprüher Ombre Nomade genehmigt, kann ich da nicht einfach „wegriechen“. Unsere Nase schaltet zwar bei Überreizung ab, dennoch wird der starke Geruch auf Dauer stören. Es gibt zwar das Wundermittel Kaffee(pulver), welches unseren Geruchssinn kurzfristig neutralisieren kann, das hat man aber auch nicht immer zwingend griffbereit. Es ist übrigens bis heute nicht geklärt, warum Kaffee diesen Effekt hat.
Wir nehmen also alle weiteren Gerüche aus dem Alltag unbewusst wahr, die wir nicht direkt wahrnehmen können. Dies wirkt sich auch auf die Laune aus, auch wenn dies teils nur kurzfristig erfolgt.
Es gibt Studien, die den Schweiß von Personen nach einem Horrorfilm sowie nach einer Komödie ausgewertet haben. Entsprechend fühlen sich Menschen bei anderen Menschen, die positiv gestimmt sind, wohler als bei Gruppen, die einen Horrorfilm geschaut haben. Die Auswirkung ist kaum aktiv zu spüren, aber unterbewusst regieren wir entspannter oder gestresster auf die anderen Personen. Die Sprüche: „Die beiden können sich nicht riechen“ oder „Gute Freunde riechen ähnlich“ ergibt somit Sinn und sind nicht einfach so daher gesagt. Ein weiteres Beispiel wäre: Je mehr Östrogen Frauen an ihren fruchtbaren Tagen produzieren, je interessanter riechen sie für Männer.
Der Geruchssinn ist somit keineswegs eine einfache unbedeutende Wahrnehmung, es ist viel mehr. So beeinflusst er auch unterbewusst unsere Laune und unsere Empfinden.
Das Riechen ist ein subjektiver Prozess.
Wie in der Einleitung angesprochen kann man manchmal einfach nicht nachvollziehen, wie andere Personen einen Duft auf eine so andere Art und Weise wahrnehmen und diesen anders beschreiben. Das hat mehrere Gründe.
1) Zum einen liegt es an unserer Anatomie. Kurz runtergebrochen hat der Mensch oben im hinteren Teil der Nasenhöhle viele Millionen Riechzellen, die mit den Duftmolekülen eine Bindung eingehen. Damit das klappt, transportieren Trägermoleküle die Geruchsmoleküle durch die Nasenschleimhaut zu Sinneszellen, die an ihrer Zellwand mit Riechrezeptoren ausgestattet sind. Der Mensch hat ca. 400 solcher Riechrezeptoren. Mal zum Vergleich: für das Sehen haben wir nur vier Rezeptorarten. Menschen unterscheiden sich auf den Rezeptorarten, daher erkennt jeder Mensch aus einem Duftbuquet individuell bestimmte Noten in verschiedenen Intensitäten. Es gibt auch Gerüche, die manche Menschen aufgrund Ihrer Rezeptorarten nicht wahrnehmen können.
(FYI Die Anzahl an Riechzellen und Riechrezeptoren, sowie die genaue Bezeichnung, sind von Quelle zu Quelle abweichend.)
Allein aus diesem Grund werden Gerüche und Düfte von verschiedenen Personen unterschiedlich aufgenommen.
2) Es gibt keine perfekte Nase.
Jeder Test eines Duftes ist abhängig davon, wie man gelaunt ist, ob man vorher schon andere Düfte getestet hat. Und es kommt noch mehr hinzu, ist man in Hektik oder wurde vorher in dem Raum gekocht, wo getestet wird? Ist man frisch geduscht oder verschwitzt nach einem anstrengenden Tag? All das und vieles mehr beeinflusst die Reaktion auf den Duft. Wir können diesen nicht für sich selbst beurteilen. Daher bin ich Freund davon, jeden Duft mehrmals auf der Haut zu testen, bevor man zu einer finalen Bewertung kommt.
3) Die Beschreibung von Düften.
Düfte zu Beschreiben finde ich äußerst schwierig und komplex. Was man hört, oder auch sieht, zu beschreiben ist deutlich einfacher. Die Beschreibung harzig ambrierte Vanille wird jeder anders auffassen als die Beschreibung, dass das Auto rot ist und vier Räder hat. Zudem beschreibt jeder Mensch Gerüche auf seine eigene Art und Weise.
Daher ist es auch so wichtig, nicht nur auf die Meinungen von anderen bei der Parfumauswahl zu hören. Sie kann helfen, wenn man schon einiges getestet hat und seinen Geschmack kennt, am Ende sollte man den Duft aber immer selbst testen.
Wie bereits angesprochen spielt die Herkunft auch eine interessante Rolle bzw. sie gibt teilweise vor, ob wir bestimmte Gerüche tendenziell mögen oder nicht.
Zum Beispiel bei Putzmittel. Des Öfteren lese ich hier auf Parfumo bei zitrischen Düften, sie seien dem Geruch von Putzmittel oder Kloreiniger zu ähnlich. Vieler der hierzulande genutzten Putzmittel haben vor allem Grapefruit, Limette oder Zitrone. Diese Ähnlichkeit kann für den ein oder anderen fordernd sein. In Spanien zum Beispiel hat Putzmittel überwiegend einen Chlorgeruch, in Russland wäre es ein sauberer Fliedergeruch. So werden wir uns von Kind auf eine unbewusste Emotion zu diesen Gerüchen einspeichern.
Auch spannend ist die Aromanutzung in Lebensmitteln. Das sie benutzt werden, ist klar. Aber das beispielsweise die gleichen Sorten an Fertigsuppen oder Puddingpulver in verschiedenen Ländern anders schmecken, damit der Geschmack an die Vorlieben der Länder anpasst wird, darüber denkt man nicht sofort nach.
Unser Geruchssinn ist viel mehr als nur riechen und wird von vielen Faktoren beeinflusst. So anstrengend manche Gerüche auch sein können, so sehr können uns Gerüche – und vor allem auch Parfum – begeistern. Ich dem Sinne hoffe ich diese Infos waren für den einen oder anderen unterhaltsam.
Quellen:
- Die Lust am Duft: Wie Gerüche uns verführen und heilen von Hanns Hatt und Regine Dee
- Alles Geruchssache: Wie unsere Nase steuert, was wir wollen und wen wir lieben von Prof. Dr. Bettina M. Pause
- Parfum: Ein Führer durch die Welt der Düfte von Jean-Claude Ellena
Immer bereichernd, wenn man seine Hobbies oder ästhetischen Alltagspraktiken gelegentlich mit wissenschaftlichen Grundlagenüberlegungen unterfüttert :-)).
Was Putzmittel angeht rieche ich sie auch deutlich seltener als andere. Was aber auch teilweise daran liegt, dass ich den Geruch von Zitrusfrüchten allgemein liebe & gerne danach dufte. Bei manchen MFK Colognes kann ich es aber nachvollziehen ;D …
Geht mir auch so, ich mag zitrische Noten sehr gern. Bei dem Aqua Celestia Forte zum Beispiel kam mir auch eine ordentliche Note von Weichspüler in den Sinn, da bist du nicht alleine ;D
Wenn ich darf, würde ich gerne noch ein Buch hinzufügen.
"Himmlische Düfte" von Susanne Fischer-Rizzi.
Sehr gerne gelesen und wieder einiges dazu gelernt😉
Hatte gerade meine erste Putzmittelassoziation bei einem Test. Wenn einem das bewusst ist, wird es auch noch schwieriger ihn fair zu bewerten.
Sehr gerne gelesen !
Das kenne ich nur zu gut. Die Bewertung wird dann doch stark emotional beeinflusst.
Letzten Endes sind die Sinneswahrnehmungen und ihre Wirkungen auf die Körper, Hirnzentren und Botenstoffe von Lebewesen nur Zeichen der Interaltion von uns Lebewesen mit der Umwelt.
Oder mit anderen Lebewesen … ich selber werd zB von Angstschweißgeruch aggro. Immer ^^ !!
Auch interessant finde ich allemal den kleinen Schwenk auf das Ding mit dem Hedion. Das muss ich, glaub ich, mal näher beriechen :D
Sehr interessant finde ich, dass wir nicht nur mit der Nase riechen... Das erklärt so einige Zusammenhänge.
Wirklich spannend😊.
Danke dir.