MaKr

Endlich darf ich den Duft testen, auf den ich seit Jahrzehnten neugierig bin.

Seit ich „Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun gelesen haben, ging mir dieser Chypre nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht weil ich damals angefangen habe, mich für Düfte zu interessieren, und genauso alt war, wie die Protagonistin des 1932 erschienenen Buches:
Doris, hübsche junge Frau (18), aus „kleinen Verhältnissen“, hasst ihren Job als Stenotypistin und träumt davon, berühmt zu werden, ein „Glanz“, wie sie es nennt.
Ein bisschen Luxus kann sie sich nur durch wohlhabendere Männer leisten, die mal mehr mal weniger nett sind. Von einem der Netteren, einem kleinen Dicken, anscheinend Handelsvertreter für Parfum und Kosmetik wird sie mit großen Flaschen von Coty‘s Chypre beschenkt.

Durch Vermittlung ihrer Mutter, die im Theater als Garderobiere arbeitet, erhält sie eine Stelle als Statistin, aber Doris will mehr: Um bei einem Vorstellungsgespräch als Schauspielschülerin besser dazustehen, „leiht“ sie sich aus der Garderobe den sehr teuren Pelzmantel einer älteren, reichen Frau, der so perfekt zu ihr passt, dass sie es absolut nicht mehr über sich bringt, diesen zurückzugeben.
Aus Angst vor der Polizei flieht sie nach Berlin, mit kleinem Gepäck, dem Pelzmantel und Chypre.
Im Berlin der Weimarer Republik ist es nicht einfach, sich durchzuschlagen, ihr Leben ist ein Auf und Ab, und ein Ritual zur Stimmungsaufhellung ist es, sich und dem Pelz ein „Gedufte von Chypre“ zu gönnen.

Jetzt, beim Testen, kann ich mir diesen dunkelgrünen, animalischen Chypre, den „Urchypre“, ganz hervorragend als Pelzduft vorstellen. (Und nein, ich hatte nie einen Pelzmantel. Keine Frau sieht darin besser aus, als der Vorbesitzer)

Auffällig fand ich, dass Zibet schon in der Kopfnote auftaucht, und nicht nur als Fixateur in der Basis.
Vielleicht erzeugt das ein bisschen die Illusion, sich in einen weichen, schützenden, angenehm nach Fell und Leder duftenden Mantel zu hüllen. (Meine Haut mag Zibet, das in der verdünnten! Form so wunderbar riecht.
Balsamischer Salbei unterstützt den dunklen Grüneffekt von Eichenmoos, das hier gar nicht knarzig wirkt.
Sogar Rose und Jasmin scheinen hauptsächlich ihre dunklen und animalischen Facetten beizutragen!
Veredelt und etwas aufgehellt durch Iriswurzel, die hier zum Glück nichts Schminkpudriges hat.

Erstaunlich finde ich die sehr „übersichtliche“ Zutatenliste, mit der Coty so einen wunderschönen Duft komponiert hat. Mit ein Grund dafür könnte sein, dass jede dieser Natursubstanzen für sich schon eine komplexe Zusammensetzung hat.

Chypre von Coty ist ein Parfum völlig ohne „Restsüsse“, keine Art von Dessert. Nichts was „vernasch mich“ schreit.

Chypre von Coty ist ein Maßstab, ein Parfum, das Haltung verleiht, aber auch verlangt.

Bisher habe ich um die sogenannten „süßen Gourmanddüfte“ einen großen Bogen gemacht.
Obwohl ich gerne Süßes esse, allerdings am liebsten mit dunkler Schokolade.
Echt gruselig finde ich so Sachen wie Zuckerwatte, Marshmallows, Vanillin, penetranter Karamellsirup und zuckrig-synthetische Fruchtessenzen.
Nach sowas riechen? Nie im Leben!
Zu sowas passt der Begriff Gourmand, der ja eher „Vielesser“ oder Vielfraß bedeutet, während mit Gourmet eher der Feinschmecker bezeichnet wird.
Nun hat mich in einem Wanderpaket ein Duft erreicht, den ich sonst nie kennengelernt hätte, schon die Marke völlig unbekannt, und dann noch die Bezeichnung süß-Gourmand!
Doch es entwickelt sich alles völlig unerwartet:
Der Duft nimmt mich mit zu einem Besuch in die Versuchsküche eines hervorragenden Patissiers. Der Meister kreiert gerade neue Pralinen und Trüffel aus dunkler Schokolade mit wunderbaren Füllungen.
Aus dem großen Topf duftet die warme, flüssige Kouvertüre aus ausgesuchten Kakaosorten, perfekt conchiert, und wartet auf den Einsatz als Tauchbad.
In den kleinen Töpfen sind die verschiedenen Füllungen, deren feine Gewürze sich schon in der Luft harmonisch mit der Schokolade verbinden.
Meine Nase klebt am Arm, ich könnte glatt die Orgasmusszene aus „Harry und Sally“ nachspielen :-)
Auch die Haltbarkeit ist großartig:
Wenn sich nach Stunden die Gewürze und die Süße der getrockneten Früchte verflüchtigt haben, bleibt noch für lange, lange der dunkelschokoladigste Amber auf der Haut, den ich je riechen durfte.
Ein echter Gourmetduft, herzlichen Dank, liebe Gandix!

Eine Restabfüllung von diesem Duft bekam ich als Zugabe in einem Souk-Päckchen.
Die Marke war mir bisher nicht bekannt, also habe ich mir hier die Duftpyramide angesehen und war erstmal sehr skeptisch:
Die Zusammensetzung klingt für mich wie das Rezept für einen dieser schrägen Smoothies, wo zu der Obst-Gemüse-Mischung noch so eine grüne Scheußlichkeit wie roher Spinat oder Algen dazukommt. Hier eben giftiges Tomatengrün.

Nun denn, Home-Office macht mutig, ich kann ja nur bei mir selbst anecken.
Wow, mir bläst eine tolle, fruchtig-säuerliche Frische entgegen, geschätzte Windstärke 6 ;)
Erste angenehme Überraschung, denn bisher habe ich Frische immer mit Zitrus assoziiert, und fruchtig mit süß.
Ich bin völlig hin und weg, wie gut das alles zusammenpasst!
Der leckere Geruch erinnert mich an die „Extra sauren Stäbchen“, die ich als Kind gerne genascht habe, nur riecht das ganze hier viel natürlicher.
Als ob ich im Garten nach dem Tomatenausgeizen mit grünen Fingern Johannisbeeren gepflückt hätte.
Auch der Apfel, der für mich in vielen Düften nur synthetisch nach Shampoo riecht, hier könnte es einer der ersten Klaräpfel sein.
Vetiver ist von der sanftgrünen Art , die ich mag und der Weihrauch legt ein Leuchten über das Ganze.

Zusammengefasst: Ich bin schockverliebt, der Duft kommt auf meine Wunschliste.
(Falls jemand seinen loswerden möchte.......?)

Gestern Abend, nachdem die größte Hitze etwas abgeklungen war, wollte ich mal den Versuch machen , einen Duft zu testen, ohne mich vorher über die Zutaten zu informieren.
Die Wahl fiel auf eine Herstellerprobe von Watch Collection.

Ein vorsichtiger Sprüher auf den Arm, und meine Mundwinkel verziehen sich spontan nach unten, denn mir kommt sofort ein Schwall überreifes Obst entgegen.
Nach etwa einer halben Stunde ist diese „Fruchtouverture“ zum Glück beendet.
Der Vorhang öffnet sich, Auftritt der Diva: Die Tuberose!

Oje, Tuberose und ich, das geht zu 99,9% gar nicht.
Meistens ist sie mir zu indolisch (eklig), zu laut, zu grell, unangenehm.
Hier jedoch ist nichts Unangenehmes, die Tuberose steht zwar selbstbewusst im Vordergrund, hat jedoch nichts grelles und schreiendes an sich.
Die Farben kräftig, aber etwas gedämpft, Die Töne eher tiefere Oktave, kein Blech sondern Cello.

Meine Nase wandert laufend zum Arm, um herauszufinden, was diesen Effekt auslöst.
Ich weiß, ich kenne es, aber ich komme einfach nicht drauf.
Irgendwann kapituliere ich und werfe einen Blick in die Duftpyramide:
Alles klar, natürlich Ylang-Ylang !

Ich hätte nie gedacht, dass die zwei so gut miteinander können.
Da ist keine Konkurrenz, Ylang-Ylang bildet einen schönen Rahmen, wie die Fassung für ein Schmuckstück. Auch der Jasmin fügt sich ganz unauffällig ein, und Neroli rieche ich zum Glück nicht.

Der Duft ist ohne Frage sehr schön, trotzdem werde ich ihn nicht kaufen.
Kennt ihr das: Manchmal trifft man jemanden, den man schön findet und respektiert, aber trotzdem wird keine Liebe daraus, warum auch immer.

PS: Am nächsten Morgen rieche ich an meinem Arm noch einen Hauch von wunderbarer Vanille, wie einen lockenden Abschiedsgruß.
Ich bleibe bei meiner Entscheidung, wenn auch mit aufrichtigem Bedauern!

Selten habe ich den Namen eines Duftes als so passend empfunden:
Ich fühle mich in die schattige Ecke eines schön angelegten Schlossgartens versetzt.
Rosen spiegeln sich in einem kühlen Brunnen.
Ich sehe sie wie durch Glas, während ich ihren Duft rieche:
Nicht die schwere, üppige, animalische „Vamp-Rose“, sondern eine elegante Lady, kühl, klar, distanziert, reserviert.
Umweht von einem seidig-zarten, transparenten Chypre-Schleier.
Wunderschön, aber ich werde nicht warm mit ihr.
Vielleicht ein Duft für die Tage, an denen ich kühl und distanziert wirken möchte ?