MariellaMmmh
Mari's matter
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 4 Jahren - 03.10.2020
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Du Pflaume!

Ich denke es gibt hier unzählige Kommentare oder Einträge andererorts im Forum, wo bereits viel über Düfte und deren Verankerung diskutiert, dissertiert oder fabuliert wurde. Für mich persönlich ist das sehr spannend, vor allem, wann und wie bestimmte Düfte plötzlich eine Welt öffnen, die irgendwo im Hinterstübchen zustaubt oder erfolgreich verdrängt oder schlicht vergessen wurde. Dabei kann es ja positive wie negative Erinnerungen in uns wach rufen. Die Positiven, da gehen wir gerne ran! Der Duft von Kuchen oder Plätzchen im Ofen lassen uns an Mamas oder Omas Backkünste denken und lösen Wohlbehagen aus. Ich freue mich jedes Jahr auf die Backzeit, dieser wohlige Geruch in der Wohnung lässt mich entspannt zurück - zumindest nachdem die Küche wieder aufgräumt wurde und kein Plätzchenteig mehr an der Decke klebt. (Bitte fragt nicht!) Für mich auch ein absolutes Wohlgefühl löst der Geruch von Milchsuppe mit Gries aus. Das gab es im Kindergarten zum Frühstück. Im Sommer haben meine Eltern alles eingekocht und eingelegt, was der Garten hergegeben hat oder im Wald gesammelt wurde. Der Duft von Gewürzen wie Pfeffer, Koriander, Piment, Senfsaat und Lorbeerblättern genau wie knackigem Obst, Gemüse im Sommer und im Herbst dann auch Pilzen sowie Nüssen, die teils eingelegt, teils getrocknet wurden, ist für mich damit verbunden.

In meiner Erinnerung sind diese Düfte fest gespeichert. Auch, wie es draußen roch. Denn bei uns roch es anders als bei den Omas in der Großstadt. Wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere, kann ich jederzeit zurückreisen: In die Sommer als Kind, die irgendwie endlos, bunter und heißer waren, denn wir waren immer baden. Ich weiß genau wie der Frühling damals roch, erinnere mich an die Blütezeit der Linden und Akazien in der Nähe. Bis heute ein absoluter Wohlgeruch für mich und mit der Kindheit verbunden. Ich finde man kann riechen, wenn es kalt wird, und werde dafür zwar jedes Mal ausgelacht aber behalte dann doch Recht. Meine Mama sagt, ich war schon immer ein kleiner Nasenbär, hab stets an allem und jedem geschnuppert. Man konnte sich auch gut auf meine Riechkünste verlassen, denn ich roch wer unerwartet zu Besuch kam vorm Öffnen der Tür. Wenn mal das Bettzeug verwechselt wurde, das damals einfach nur schlicht weiß oder wenn man fetzig drauf war geblümt war, so konnte ich erschnuppern welches Kissen wem in der Familie gehörte. Als Leseratte liebe ich auch den Duft von Büchern. Also die aus Papier, die man umblättern kann, nicht die elektronischen. Die Bücher die man sich in der Stadtbibliothek ausleihen kann mag ich ganz besonders gern. Ein absolutes Wohlgefühl habe ich beim Duft frischer Wäsche, gewaschener Gardinen, frisch geputzter Wohnung und so fort. Vielleicht putze und wasche ich deswegen so gern. Der Duft vom verbrannten Laub im Herbst, im Schrebergartenverein alle zusammen, wo dann immer auf Stöckern aufgespießt Würstchen gebraten wurden, auch so eine schöne Erinnerung. Irgendeinem kleinen Pechvogel fiel das Würstchen immer ins Feuer, daher damit verankert auch das Geheule von zwei bis fünf Kindern. Hach.

Was für wundervolle, dufte Erinnerungen.

Aber ich habe auch echt schlechte. Fast jeder Duft, den irgendein Idiot von einem Exfreund trug. Diors Fahrenheit wird wohl nie im Leben für mich erträglich sein, ohne dass ein Wunder geschieht. Der Geruch von Kuttelsuppe lässt mich heute noch meilenweit rennen. (Wie kann man das essen und dann noch unschuldige Kinder dazu zwingen?) Der Geruch beim Zahnarzt. Es klappen sich bis heute meine Zehnägel hoch, wenn ich zur Kontrolle muss. Meine Zähne sind tadellos, es muss nie etwas gemacht werden, aber als Sechsjährige wurden mir unbetäubt zwei gesunde Zähne gezogen, und aus irgendeinem ulkigen Grund mochte ich das nicht. Gut, die Zahnärztin, die aussah als hätte sie schnell von Metzgerin umgeschult, wird bis heute einen Tinnitus haben, ein kleiner Trost.

Ein gewisser Duftmix lässt mir bis heute das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich war ungefähr 18. An einem Abend, als ich mit meinem damaligen Freund Schluss machen musste, zwang mich eine Freundin zur Ablenkung mit ihr und einem weiteren Freund tanzen zu gehen. Ich wollte absolut nicht, Ich wollte lieber zu Hause bleiben, mich bemitleiden und betrinken. Da dies auch wunderbar in einer Disco geht mit dem Betrinken, schleppte sie mich mit. Ich hatte dermaßen schlechte Laune, was nicht oft vorkommt, jeder ging mir aus dem Weg. Prima, fand ich, dann habe ich wenigstens Platz. Ich ergatterte einen Tisch, nachdem ein paar Mädels schnell panikartig wegliefen, als sie mich sahen. Da Happy Hour war, bestellte ich gleich vier Coctails. Ich dachte es wäre dann halber Preis, stattdessen bekam ich acht Getränke. Nun, ich mag Herausforderungen und machte mich an die Arbeit. So ging das Sich-Bemitleiden auch viel leichter von der Hand. Jeder ließ mich in Ruhe. Fast jeder. Denn dann kam plötzlich ein Typ an meinen Tisch, ich musste lang überlegen, ob ich albträume. Er war ca. 2m groß - aus meiner Sicht, sitzend und nur 1,60m groß, riesig. Er war selbst in der bullenheißen Disco mit einem schwarzen Ledermantel im Matrix-Style gekleidet. Er trug gammelige Hosen und schwarze Lederstiefel mit Stahlkappen. Den Gammellook perfektionierte er mit seiner, na, nennen wir es mal salopp "Frisur". Seine dunklen Haare waren strähnig, fettig und klebten ihm im Gesicht. Er sah vermutlich gar nicht übel aus, aber ich fand diese ganze Aufmachung so eigenartig und wollte, dass er sich vom Acker macht. Er jedoch war der Meinung, der Himmel habe mich geschickt und er hätte endlich seine Traumfrau gefunden und strahlte mich mit seinen, oh, ebenfalls äußerst ungepflegten Zähnen an. Das passte nun aber gar nicht in das Konzept, welches ich für diesen Abend hatte und er machte mir meine ganze schlechte Laune kaputt. Ich war grad mal eine Viertelstunde da, aber schon beim fünften Drink angekommen, irgendwas giftgrünes, Bartender werden besser wissen, was ich da so trank. Da ich an dem Tag kaum etwas zu mir genommen hatte aus lauter Kummer, wirkte der Alkohol doch recht schnell. Ich pflaumte ihn an und war sicher, total gemein gewesen zu sein. Aber er grinste nur und setzte sich zu mir. Ich trank schneller in der Hoffnung, dann einfach in Ohnmacht zu fallen, aber leider gelang mir das nicht. Dieser Geruch von der alkoholgetränkten Luft, zusammen mit dem Leder seines Mantels, dem Schweiß der Tanzwütigen und seinem After Shave oder was auch immer er wo drauf hatte war atemberaubend. Aber nicht auf die gute Art und Weise. Er blubberte mich voll und machte mir unentwegt Komplimente, er würde in mich hineinsehen können und spürte, dass ich seine Seelenverwandte sei und grad halt voller Schmerz und Alkohol. "V'pss disch.." stammelte ich, aber er lachte ganz entzückt. als hätte ich ihm meine Liebe gestanden. Ich verstand die Welt nicht mehr. Egal was ich ihm an den Kopf warf, und mindestens ein Mal warf ich wirklich etwas nach ihm, er lachte und strahlte und schien gänzlich verliebt. Allein das fand ich dermaßen befremdlich und er war mir derart unsymphatisch, dass ich wegrennen wollte. Dafür hatte ich aber zu sehr einen sitzen. Nach einer Weile des Beleidigens meinerseits und Anstrahlens seinerseits wurde mir richtig schlecht und ich rannte tatsächlich raus an die frische Luft. Ich merkte, dass ich nicht mehr Herr meiner Sinne war und das machte mir Angst. Es war November, es war recht kühl und es regnete. Wenn man um die Ecke bog, war eine kleine überdachte Treppe, wo die Kiffer sich meist eine Pause vom Tanzen oder Saufen gönnten. Es roch danach und wie es halt so in Gassen riecht wo junge Leute feiern. Ich merkte, wie schlecht es mir ging. Plätzlich stand der Matrixmensch hinter mir und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Er zog seinen Mantel aus, legte ihn auf die nasse Treppe und half mir, mich hinzusetzen. Er war total lieb und nahm mir nichts übel, was ich ihm so um die Ohren schlug. Er erzählte mir von seiner Exfreundin, und wie ihm eines Nachts auffiel, dass die Beziehung eine Lüge sei, denn er fühlte sich wie in einer Blase. Achso. Er legte seinen Arm um mich damit ich nicht fror, denn ich hatte nur ein bauchfreies Spaghettiträgertop an zu der dünnen Stoffhose, und ich fröstelte. Er schaute mich an und sagte mir mit ernstem Blick: "Du bist die Eine. Sei doch nicht so eine Pflaume und lächel mal! Du bist soooo schööööön!" Und dann versuchte er, mich zu küssen, aber ich sprintete davon. Ich rannte hinein, diese Situation war so derart gruselig, ich konnte diesen Typen null einschätzen und wollte nur weg. Gut, dass ich von der frischen Luft klar wurde im Kopf. Ich schätze, er wollte mir nichts Böses, aber ich war alleine in einer dunklen Gasse mit einem fremden Typen der mir was von einer Blase erzählte. Da kann man ruhig wegrennen, finde ich.

Ich lief zu meinen Freunden, die auf der Tanzfläche feierten, und stellte mich stumpf mit verschränkten Armen zu ihnen. Der Typ kam hinterher und stand neben der Tanzfläche und glotzte und lächelte. Das ging ca. zwei Stunden so. Dann schafften wir drei es, zum Auto zu kommen ohne dass er mit einstieg, obwohl er mitwollte und mir seine Liebe beteuerte.

Bis heute: Wenn ich diese Mischung rieche aus Leder, süßlich-würzigem Parfum, Regen und Hasch, dreht sich mir der Magen um. Ich finde mich sofort in dieser Situation wieder und habe eine große Wegrenntendenz. Gott sei Dank ist diese Mischung sehr speziell und es kommt nicht so oft vor.

Man kann sich ja einige Dufterfahrungen glücklicherweise umprogrammieren - Lederduft mag ich mittlerweile sehr gerne, aber ich kiffe nicht, wenn ich einen trage und es darf nicht regnen.

Mich würden EURE Schreckens-Duft-Erlebnisse interessieren. Konntet ihr erfolgreich therapiert werden? Bezahlt dies dann die Krankenkasse? So ein oder zwei Duftverankerungen in meinem Kopf dürften ruhig mal umgeschult werden...

Vielleicht gebe ich Fahrenheit ja noch einen Versuch, Irgendwann. An einem hübschen Mann. Ohne Ledermantel. ;)

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