Sarungal

Sarungal

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61 - 65 von 69
Sarungal vor 9 Jahren 10 6
7.5
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft
Angriff des Killerveilchens
Dass „Grey Flannel“ die Inspiration zu Diors Fahrenheit gewesen sein soll, passt zu meiner Dufterinnerung; dort sind beide in der gleichen Schublade verwahrt. Es ist dieselbe Dufterinnerung, die - im Widerspruch zu vielen dokumentierten Meinungen - Diors Meilenstein als lieblicher, zugänglicher und charmanter gespeichert hat. Diese Einschätzung harrt noch der Überprüfung.

Zum amerikanischen Klassiker „Grey Flannel“ hat meine Nase eine recht konstante Haltung; eine Begegnung mit der gegenwärtig erhältlichen Formulierung bestätigt weitgehend, was mich schon früher an diesem Duft faszinierte. Auch die aktuelle Version (EA) überzeugt mit einer fast aggressiven floralen Fülle. Dem namensgebenden Stoff – Flanell - wird bestenfalls die Basis gerecht, die schmeichelhaft warm-holzig daherkommt und der zuvor erlebten Blütenexplosion ein versöhnliches, beinahe schon konventionelles Ende bereitet. Eben dieses Ende ist es auch, das mich irritiert: Nichts ist falsch daran, aber ich habe es dunkler und zugleich weicher in Erinnerung. Ohne Moos nix los?

Der Start hingegen ist genau so ungezügelt und kühn wie eh und je. Diesen Knaller explizit als Herrenduft zu lancieren erscheint mir nach wie vor mutig, denn schon der Auftakt verbreitet eine nachgerade klirrend blumige Süße. Vielleicht aber ist es gerade dieses „Zu Viel“, das „Grey Flannel“ die maskuline Note verleiht. Vor allem die Iris bewaffnet das dominierende Veilchen mit einer derartig stechend kalten Spitze, dass die zitrischen Noten der Kopfnote bestenfalls als Komparsen taugen. Sie sind da, spielen aber für die Wahrnehmung kaum eine Rolle. Möglicherweise liege ich hier aber auch völlig falsch, und Zitrone, Berggamotte, Neroli und Co. sind medizinisch essentielle Bestandteile, ohne die lebensbedrohliches Nasenbluten mit potentiell letalem Ende drohte.

Was sich beinahe abschreckend liest (und verschiedentlich auch so empfunden wird), ist für einen Süße-Paranoiker wie mich offensichtlich die perfekte Konfrontationsstrategie: Ich beuge mich willig der Überwältigung und tauche beinahe devot ein in dieses Meer aus Blüten – vielleicht, weil es keine fröhliche Vielfalt ist, die ich erlebe. Stattdessen muss ich an Eisblumen denken, während Grey Flannel und sein schwerst bewaffnetes florales Heer meine Nase stürmt.

Tatsächlich gelingt dem Duft das Kunststück, bei aller Süße heißkalt metallisch zu erscheinen und dennoch nicht nervtötend zu wirken. Dass ich es sogar als erfrischend empfinde, mag einem Defekt meiner Nase geschuldet sein – aquatisch ist hier nämlich nichts.

Grey Flannel bleibt sich lange, sehr lange treu, bis die Blumenheere endlich den Sturm einstellen und langsam den Rückzug in die sehr friedliche Basis antreten. Die habe ich moosiger, erdiger in Erinnerung; was ich aktuell erschnuppere, ist ein immer noch wiesenhell duftender Drydown mit den üblichen Verdächtigen, unter anderem Vetiver und Zeder. Bleistifte immerhin treffe ich keine – was ich beinahe bedauere: Grey Flannel hätte nach meinem Dafürhalten einen spektakuläreren Schlussspurt verdient. So bleibt’s beim süßlich-grünen, dabei durchaus angenehmen Siechtum im letzten Akt. Dessen Dauer stellt jeden chronischen Duftwechsler auf eine harte Probe: Grey Flannel ist ein verdammt zäher Hund, der auch unter der Dusche noch seinen Mann steht.

Für den Flakon habe ich eine Schwäche: Seine Schlichtheit spielt – wie der Name des Dufts – mit britischem Understatement *). Olfaktorisch hingegen denke ich an alles Mögliche – gewiss nicht an Understatement!

Wer kann’s tragen? Ich sehe die übliche Alterseinteilung nicht, die hier wiederholt dokumentiert wurde. Es bedarf aber sicher eines gewissen Selbstbewusstseins, nach Grey Flannel zu duften: Möglicherweise wird nicht jeder auf diese florale Granate abfahren! Deren kräftige Sillage tut das Ihre, um Grey Flannel Präsenz weit jenseits seines Trägers zu verschaffen - und auch der wird zu keinem Zeitpunkt darüber im Zweifel sein, welcher Duft ihn gerade begleitet.

Haltbarkeit wie Duftschweif beeindrucken also, die Basis ist harmlos. Kopf- und Herznote sind kaum unterscheidbar, aber von bestechender Wucht; als Nasenschmeichler eignet sich Grey Flannel nur bei entsprechender Disposition. Trotz dieser Einschränkung unbedingt eine Empfehlung: Die Süße dieses Dufts hat mit der aller gegenwärtigen Mainstream-Zuckerschmeichler nichts am Hut!

*) ansonsten ist nichts an Grey Flannel britisch!
6 Antworten
Sarungal vor 9 Jahren 12 10
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Encre Noire – das bessere Kenzo Air Intense?
Zu Recht erfreut sich Laliques schwarzes Tintenfass hier erstaunlicher Beliebtheit: Der Duft ist mutig, unkonventionell – und preisgünstig obendrein.

Mutig ist sein Verzicht auf die üblichen Präliminarien in der Kopfnote. Kein duftender Orangenhain ziert den Auftakt, keine hell-bittere Bergamotte sorgt für milchiges Licht im Bouquet. Einzig der Zypresse wird nachgesagt, „würzig-limonig“ zu duften. Die Würze zumindest nehme auch ich wahr – verblüffenderweise aber als zart süßholzige Note, die eine dezente Lakritzahnung in den bereits zu Beginn eher dunkel gehaltenen Duft zaubert. Sie ist es auch, die gemeinsam mit dem wurzeligen, raubeinig auftretenden Vetiver verantwortlich ist für die wiederholt festgestellte Ähnlichkeit mit Kenzo Air Intense.

Encre Noire ist dennoch kein Kenzo-Air-Intense-Dupe – gerne aber möchte ich mir einbilden, dass der Japaner Nathalie Lorsons Inspiration war. Gerade im direkten Vergleich sind die Ähnlichkeiten zu frappierend. Während allerdings Kenzo tatsächlich Süßholz sprechen und mit der Bergamotte zumindest die Idee einer zitrischen Einleitung erahnen lässt, wählt Encre Noire umweglos den Weg in den Urwald nordeuropäischer Prägung – das ist seine unkonventionelle Seite.

Etwas aufgeräumter begegnet uns sein japanisches Pendant: Nachdem sich die spektakulär eigenwillige Kopfnote beruhigt hat (die vielleicht ursächlich ist für überschaubaren Erfolg wie frühen Tod), bleiben auch bei Kenzo Air Intense die Holztöne im Vordergrund. Seine Herznote allerdings ist freundlicher, der Vetiver etwas lichter. Encre Noire tritt als Ölbild in Erscheinung, der Japaner arbeitet in Pastell-Technik – die Farben aber gleichen sich sehr.

Wie es dem Lalique-Duft angesichts des Verzichts auf die üblichen olfaktorischen Spotlights gelingt, nicht als trübdumpf muffelnder Geselle in Erscheinung zu treten – das ist dann tatsächlich ein echter Coup. Erklären kann ich den nicht, bestenfalls die Vermutung anstellen, dass es der Moschus ist, der im Zusammenspiel mit dem Vetiver für die wunderschöne Maserung des Dufts sorgt. Das Kaschmirgehölz dürfte das Seine dazu tun, entzieht sich aber nachhaltig der eindeutigen Identifizierung durch meine Nase.

Bis zur Basis setzen sich die Ähnlichkeiten fort. Mein rechter Handrücken (Kenzo) erscheint dabei wie die frechere Ausgabe seines Tintenbruders, der links mit großer Konstanz Präsenz zeigt. Kenzo hingegen ist sprunghafter: Er meldet sich zurück, wenn man ihn schon fast in der Haut versunken glaubt. Ihm gelingt es bei seinen wiederholten Comebacks sogar, die Kopfnote aufleben zu lassen – für Momente nur, aber dann mit Nachdruck.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich die titelgebende Frage mindestens verjeinen muss – zu prachtvoll changiert Kenzo Air Intense, als dass Encre Noire in dieser Hinsicht punkten kann. Dafür aber steht Lorsons Schöpfung olfaktorisch geradezu eichengleich ihren Mann – und beeindruckt mit einem anderen Kabinettstückchen: Laliques Duft startet recht leise und entwickelt sein Bouquet erst nach und nach. Dann aber wummert der Edelholzfäller im Businessdress und zeigt seinen wohltrainierten Trizeps.

Beide Düfte sind großartige Kompositionen, die beim Thema „Vetiver“ wirklich die Wurzel des Süßgrases in den Mittelpunkt stellen – als überhaupt nicht seifige, sondern dunkel-holzige Dufterzählung. Sie geben sich wenig, was Haltbarkeit und Sillage angeht: Erstere ist in beiden Fällen gut, wenn auch nicht überragend. Der Duftschweif hingegen zeigt vermutlich mehr Wirkung als der Träger ahnt.

In Prozente übersetzt liegt Kenzo 2 Punkte vorn; nachdem unsere Bewertungsskala für derlei Feinheiten nicht geschaffen ist, erhält Encre Noire die vollen Hundert – nicht zuletzt auch deshalb, weil Laliques Flakon ein Dekostück ersten Ranges ist.

Verschiedentlich wurde die Frage aufgeworfen, ob Encre Noire nicht zu sperrig sei, um als Allrounder zu taugen. Ich selbst empfinde den Duft als nicht gar so schwierig. Sicher: Er ist speziell und individuell, aber seine Rauheit hat etwas Samtiges. Manchen mag dieses Paradoxon irritieren; mir scheint, dass genau darin der spezielle Reiz von Encre Noire liegt.

Seltsam geformte, borkige dunkle Wurzeln zum Kuscheln – und eine eindrucksvolle olfaktorische Begleitmusik für den bösen Blick. Voilà: das ist Laliques Encre Noir.

EDIT: Ich ziehe 10 Punkte ab - nicht weil der Duft schlechter geworden wäre; ich sortiere schlicht meine eigenen Duftbewertungen neu, stelle in Relation und justiere - zumeist marginal...
10 Antworten
Sarungal vor 9 Jahren 30 7
10
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft
Kapriziöses Understatement
München. 30° Celsius. Blitzblauer Himmel.

Ich schnüffle mich bei Ludwig Beck durch einen Teil meiner Merkliste, rieche Spannendes (Acqua di Sale), angenehm Irritierendes (Sel Marin) und vergleichsweise Harmloses (Nasengold). Ich lasse mir Zeit und ersticke zwischendrin meine Lungenbläschen mit dem Aroma von Kaffeebohnen. Die Atmosphäre ist freundlich-aufgeschlossen, der Verkäufer an meiner Seite engagiert, geduldig und offensichtlich mit der Materie vertraut.

Also ändere ich die Strategie: „Ich hätte gerne was mit Weihrauch, frisch darf’s dennoch sein, gerne sommerlich, von mir aus auch mit ungewöhnlicheren Noten.“
Merkliste adé, Nase eigentlich hinüber, aber was soll’s.
Der Verkäufer überlegt nicht lange, krallt sich einen sehr dekorativen Flakon und nebelt einen Streifen ein. „Weihrauch in der Basis!“, meint er noch und hält mir das Papier hin.

Hui! Das ist ja mal n Knaller. Sauer mit dezenter Süße. Rhabarber vom Tomatenbusch.
Geht das? Und wie – als ob die beiden aufeinander gewartet hätten. Mag sein, dass sich irgendwo im Bouquet noch ein Apfel versteckt oder sogar ein paar Beeren – meine Nase nimmt vor allem den von Tomatenblättern umrankten Rhabarber wahr. Faszinierend, denkt es mich. Ich schiebe Spock rasch ins Off und schnüffle erneut. Spannend, aufregend, wohlriechend, appetitlich, herausfordernd, genial!

Beim Preis setzt Ernüchterung ein: 210 Euro für den zugegebenermaßen exorbitant schönen Flakon samt Inhalt? Ich denke Schöneberger reziprok und frage, ob’s das auch in klein gibt. Gibt es – 3 x 12 ml für 95 Euro. Immer noch ne Menge Asche, aber die Hemmschwelle wird unterschritten. Zum Abschied gibt’s noch ne wolkige Beduftung mit Aedes de Venustas durch den Verkäufer. (Den 10-Prozent-Nachlass, den ich beim Bezahlen gar nicht registriert hatte, bemerke ich erst auf dem Kassenzettel. Merci. Monsieur!)

Einige Stunden später. Ich rieche einen typischen Sarungal-Nasenschmeichler: Weihrauch mit einer Spur Vetiver, jetzt möglicherweise verwoben mit zartesten Nußaromen. Sehr angenehm und immer noch äußerst gekonnt komponiert: Das ist Basis auf hohem, vielleicht höchstem Niveau. Aber wo ist der fulminante Auftakt hin? Wo ist mein Tomatenblatt, das sich botanisch so wunderbar verwegen mit dem Rhabarber gekreuzt hatte, wo die Frische der Kopfnote?

Die Nase taucht ab in die heimischen Bohnenvorräte. Kurze Pause, dann ein neuer Versuch. Eine Ahnung immerhin ist noch übrig vom grandiosen Start, wenn auch tief hineingesackt in den Weihrauch. Sehr distinguiert und edel gibt sich Aedes de Venustas jetzt – eine durch und durch vornehme Komposition. Der Mut zur Einzigartigkeit aber hat sie verlassen; übrig bleibt Konvention, wenn auch von superber Qualität. Schade!

Ungeachtet dieser nicht geringen Einschränkung freue ich mich, den Duft gekauft zu haben: Ich schätze die Förmlichkeit, die seine Basis auszeichnet. In höchstem Maße aufregend aber ist der Beginn: Wie da der Gemüse-Frucht-Akkord auf dem noch sehr zurückhaltenden Weihrauch Kapriolen schlägt – das ist große Kunst!

Die Haltbarkeit ist – wir sprechen von einem Eau de Parfum – anständig, die Sillage vor allem eingangs respektabel. Ihre Entwicklung folgt dem Duftverlauf und endet vergleichsweise rasch im eher körpernahen Bereich.

Einen Vorteil übrigens hat die etwas unausgewogene Entwicklung dieses Dufts: Er will und kann sich nicht auf eine Jahreszeit festlegen. Nach dem sehr sommerlichen Start entwickelt sich Aedes de Venustas hin zu einer so freundlichen Feierlichkeit, dass ich beinahe in der Christmette lande…

PS: Die Bewertung in Prozenten bereitet mir Schwierigkeiten. Die Kopfnote verdient mühelos 100 %, die saubere, exzellente Basis immer noch 80%; dass ich bei diesem Wert bleibe, ist allein der allzu kurzen Intro geschuldet.

PPS: Um die Relation zu meinen anderen Duftbewertungen zu wahren, erhält Aedes de Venustas 10% Abzug = 70%. Hintergrund: in diesem Preissegment ist mir die kurzlebige brillante Kopfnote allein nicht genug, um den Duft höher zu bewerten, zumal die Basis nach wiederholtem Test tatsächlich nicht mehr hergibt als tolles, aber etwas fades, vielfach erschnuppertes Handwerk. Genau diese Basis aber ist es, die über weite Strecken die Präsenz des Dufts bestimmt....
7 Antworten
Sarungal vor 9 Jahren 4 2
7.5
Flakon
2.5
Sillage
2.5
Haltbarkeit
2
Duft
Die Illusion von Duft
Da steht er nun, der silbrig-glänzende , leicht transparente Schädel in seiner ganzen geschmacksverirrten Pracht. Jeder an sich wohl verdiente Steinwurf ist hier unangebracht, denn der Flakon hält alles, das die Produktphotos versprechen: Er schaut auch real aus wie ein Gimmick aus dem Gothic-Shop. Schön ist er nicht, aber auf eine verdrehte Art sympathisch trashig.

Ebenso sympathisch ist sein Preis – womit ich bereits die beiden kaufentscheidenden Faktoren benannt habe, die gemeinsam mit meiner manchmal etwas morbiden Lust an sinnarmen Kaufimpulsen diesen Duft in den Warenkorb beförderten.

Bleiben wir beim Preis: Meine Nase interessiert sich nicht für Flakons – und findet den Inhalt bestenfalls preisadäquat. Anders gesagt: mehr sollte man für diese Hommage an die Mediokrität nicht verlangen. Ob ich hier einem Fierce-Dupe begegne, kann ich nicht beurteilen; mir ist A&Fs Duft schlicht unbekannt. Stimmen die Einschätzungen der Parfumisti, dann verzichte ich dankend auf jede Begegnung mit Fierce (und bewundere das Marketing des Unternehmens...)

Lustigerweise erlebe aber auch ich in der Herznote ein olfaktorisches Déjà-vu. Ich laufe allerdings nicht Abercrombie & Fitch über den Weg; ich treffe unerwartet auf eine alte Duftliebe, von der ich mich irgendwann leicht angewidert trennen musste. Dazu später mehr.

Beim Papiertest kriegt nicht einmal die Kopfnote das kleinste bisschen Charme gebacken: sie riecht nicht frisch, sondern nur beißend – eine verwirrend absichtsfrei müffelnde Kakophonie aus Deos gräbt sich in die ungläubig schnuppernde Nase. Wurde ich in die Umkleide einer McFit-Filiale gebeamt?

Auf der Haut (und das ist’s letztlich, was zählt) präsentiert sich The Illusionist nicht gar so unangenehm: ich rieche eine Mixtur aus aquatischer Frische und einem entfernt an Zitrone erinnernden Aroma, dazu eine weitere Note, die Fruchtigkeit imitiert: Das wird wohl die Orange sein. Nicht unerwartet stößt eine Farbe dazu, die vermutlich für Männlichkeit sorgen soll. Ob das der Efeu ist?

Mein Interesse erlahmt; ich wende mich anderen Dingen zu. Geschätzte 90 Minuten später schießt mir – gänzlich unerwartet – ein Gedanke durch den Kopf: Seattle.
Seattle? Richtig – Washington, Space Needle, Boeing, Pudget Sound etc. Ich bin leicht verstört: Woher kommt denn das nun wieder?

In diesem Moment fällt mir mein Dufttest wieder ein. Ich schnüffle bewusst an meinem Unterarm – und rieche dort exakt jene faulige Obstigkeit, die mir irgendwann in den 90ern Calvin Kleins Escape Men nachhaltig verleidete. Dabei hatte ich den Duft so geliebt. Unnötig zu erwähnen, wo wir Freundschaft geschlossen hatten: den ersten Flakon erstand ich 1994 in Seattle. Anschließend blieb ich dem Duft sicher gute 2 Jahre treu. Vielleicht war ich gar zu monogam, denn irgendwann roch ich nicht mehr die fruchtige Frische, die mich anfangs so begeistert hatte, sondern ausschließlich vergammeltes Obst. Trotzdem bleibt Escape in meinem olfaktorischen Gedächtnis untrennbar mit Seattle verbunden, und diese Erinnerung ist – trotz schmutziger (Duft-)Scheidung – äußerst angenehm.

In der Herznote finde ich also kaum etwas von dem, das die Duftpyramide erwarten lässt; dort erlebe ich einen Escape-Dupe, zugegebenermaßen etwas metallischer in der Anmutung und dabei leicht synthetisch – als ob Parfumeure halbwegs erfolgreich Stille Post mit Ihren Rezepturen gespielt hätten. Das Ergebnis – Dupe hin, Dupe her – überzeugt mich nicht wirklich; versöhnlich stimmt mich die Zeitreise.

Theoretisch müsste im Drydown ja noch ein bisschen was los sein – ich erschnuppere hier nicht mehr als eine minimale Verholzung des Dufts. Ohnehin geht dem Wässerchen die Luft so früh aus, dass der Drydown schon wenige Stunden nach dem Start einsetzt. Sein markantestes Merkmal ist das gnädige Verblassen der Duftreste. Übrig bleibt das vermatschte Aroma eines etwas kühner bedufteten Drogerie-Bodylotions.

So schlimm? Nein – aber im Gegensatz zu Scentist konstatiere ich, dass der Duft tatsächlich preiswert riecht. Vielleicht vermag er auf der Haut eines anderen Trägers mehr zu leisten. Erträglicher als der Erzfeind meiner Nase duftet er allemal – aber ihm fehlt beinahe alles, das nötig ist, um eine Affaire mit ihm zu beginnen. Selbst für einen Seitensprung reicht es kaum – ganz im Gegenteil: Wahrscheinlich ist The Illusionist der ideale Begleiter, wenn es gilt, ein übereilt angesetztes Date planbar zu einem raschen Ende zu bringen – nicht weil es Fluchtreflexe beim Gegenüber auslöst. Es ist eher die ambitionsfreie Beliebigkeit, die jedes Interesse im Keim erstickt.

Sorry, Totenkopf: so bist du am Ende doch nur ein geschmacksirritierendes Deko-Objekt, in dem zufällig eine Flüssigkeit schwappt.

PS: Ein Gedanke kam mir dann doch noch: wieso zur Hölle heißt der Duft Illsuionist? Vielleicht ist er so gesichtslos, dass er jedem Träger die Illusion eines olfaktorischen Déjà-vus schenkt?
2 Antworten
Sarungal vor 9 Jahren 16 7
10
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
7
Duft
I feel good!
Lalique White ist ein ausgesprochen freundlicher Vertreter - auch wenn er schon wenige Minuten nach dem Auftragen eine klitzekleine, hinterfotzig kaschierte Verwandtschaft mit seinem ungemütlicheren Vetter aus dem Tintenfass *) behauptet, die so recht von keiner der kursierenden Pyramiden gedeckt wird. Vielleicht aber drängelt sich einfach nur der Moschus vor.

Ich bin ihm dankbar für seine Ungeduld; andernfalls bliebe das gefällige, zitrisch blitzende Entrèe gar zu harmlos und flach. Ohnehin ist Lalique White der bedeutend schwerelosere der beiden Cousins: das beginnt bei der Duftfarbe (die sich bedingt im Flakon spiegelt) und endet noch lange nicht bei seiner etwas kürzeren Haltbarkeit.

Gar so weiß, wie Name und Flakon insinuieren, will mir der Duft übrigens nicht erscheinen: Die würzigen Anteile dimmen die Strahlkraft spätestens ab der Herznote zu einem (freilich immer noch recht lichten) Creme-Ton.

Cremig allerdings ist der Duft deshalb nicht: er bleibt auf harmlose Weise frech, charmant und zitrisch. Selbst der etwas akzentuiertere Pfeffer integriert sich willig in den Akkord der Aromen,. Er verleiht ihnen Spritzigkeit ohne jeden Hauch von Schärfe. Auch das Veilchen gibt sich nicht vorlaut, sondern bleibt auffallend unauffällig im Hintergrund – so weit hinten, dass es meine Nase in einem Blindtest nicht einmal hätte identifizieren können.

Im Drydown schließlich wächst dem sympathischen Luftikus eine freundlich lächelnde Ernsthaftigkeit zu, die den Duft ein wenig erdet. Der Amber balsamiert die zitrischen Noten und legt sie gemeinsam mit der unaufdringlichen Zeder in ein Bett aus frisch geschlagenem Holz. Untendrunter brummt noch immer leise der Moschus, der seine kleine, gleichwohl aber tragende Nebenrolle erfolgreich bis zum Vorhang spielt. Er ist der entscheidende und damit unabdingbare Schönheitsfehler, der dekorative Makel des Dufts, ohne den seine strahlende Schönheit ins Belanglose kippen müsste.

Nicht wahrnehmen kann ich die gelegentlich entdeckte Pudrigkeit; die finde ich weitaus eher in Pradas Infusion d’Homme. Gemeinsam haben die beiden bestenfalls eine gewisse olfaktorische Helligkeit. Während Prada aber mit seiner signifikant herausstechenden Iris eine gelegentlich provozierende Süße in die Sillage wirft, ist Lalique White kein Duft, der herausfordert. Er ist „Feel good“ pur; kaum vorstellbar, dass dieser Duft irritiert, gar anstößig wirkt.

Bei aller Gefälligkeit liegt die Vermutung nahe, dass Lalique White sich ein wenig zu sehr an den aktuellen Mainstream anbiedert. Das kann man so sehen – aber dann muss man zugestehen, dass Mainstream selten mit so viel Esprit und Gelassenheit nacherzählt wurde.

Mit anderen Worten: das Wässerchen ist einfach geil – und für meine Nase der perfekte Frühlingsduft: Er erzählt vom Sommer, ohne ihn zu behaupten, ist mehr perfekt geformte Knospe als blühende Pracht, verspricht glaubwürdig, ohne einlösen zu müssen. Manchmal sind Wunsch und Hoffnung beglückender als Erfüllung…

Haltbarkeit und Sillage passen zum Auftritt: Lalique White ist kein Brecher, keine aromenwerfende Duftbombe. Gelegentlich aber versteckt er sich nur, während man ihn schon verloren glaubt – um dann plötzlich doch wieder Präsenz zu zeigen.

Der Flakon ist berückend schön: glatt, schlicht und weiß. Einzig die nicht gar so wertige Anmutung der Kappe trübt die Erscheinung. Angesichts des im Netz verschiedentlich aufgerufenen Preises allerdings verstummt diese Kritik sofort: Nicht nur der Inhalt, auch die Verpackung bietet eine Menge Luxus zu einem überschaubaren Preis.

Ein Stimmungsmodulator für trübe Momente – und der perfekte Gute-Laune-Duft!

*) Encre Noire
7 Antworten
61 - 65 von 69