Sniffsniff

Sniffsniff

Rezensionen
Filtern & sortieren
16 - 20 von 21
Sniffsniff vor 4 Jahren 21 8
5
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Ich brech' dann mal 'ne Lanze ...
Kurz vor Weihnachten veranstaltet das Internat, in dem ich arbeite, ein rauschendes Fest. Eine heiß ersehnte Ballnacht, in der Herzen entflammen und brechen, bevor man sich am nächsten Tag für die kommenden drei Wochen voneinander verabschieden muss.
Großes Kino. Zumal die Veranstaltung zweigeteilt stattfindet. Die Klassen 5 bis 8 haben ihren eigenen kleinen Ball in geschütztem Rahmen. Und ich hatte die Ehre, das Ganze moralisch und fotografisch begleiten zu dürfen. Abendgarderobe ist natürlich obligatorisch und meine werdenden Diven scheuten selbstverständlich weder Mühen noch Kosten, um sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Die kleinen 5.-Klässlerinnen noch etwas schüchtern und zaghaft, die 8-Klässlerinnen durch beherzten Make-up-Einsatz optisch bereits so gereift, dass sie locker manche Clubtür hätten meistern können. Ich war kurz sprachlos. Eine stach jedoch aus dem Meer fleischgewordener pubertärer Feierwut heraus. Sie trug die üppigen Locken ihres langen dunkelblonden Haares zur Seite gesteckt, hatte ihre dunkelblauen Kulleraugen dezent betont und erfüllte den Raum mit der Wärme ihres strahlenden Lächelns. Sie trug ein knielanges und auf einer Seite schulterfreies Kleid, dessen feiner schwarzer Stoff leicht schimmerte und perfekt mit den zierlichen schwarzen Mary-Janes an ihren noch zierlicheren Füßen harmonierte. Als ich ihr ein Kompliment für ihr Outfit machte, wurde ich stutzig. Wir standen in einer sprichwörtlichen Parfumwolke. Aber das kann doch nicht sein? Es riecht so tief, so erwachsen, sinnlich, dunkel, weich, geheimnisvoll, umfangend. Mein Duft ist es definitiv nicht. Der ist zwar auch gut, aber anders. Ich inhalierte den Duftschleier förmlich und es gab keinen Zweifel. Die kleine Lady in Black duftete mich so gekonnt an. Ohne Umschweife stellte ich ihr die Frage der Fragen. Leicht verlegen und geschmeichelt lächelte sie mich an und antwortete: "Miss Dior, habe heute extra das Eau de Parfum genommen."
Aha. So erwachsen riecht Miss Dior? Dieser unglaublich tiefe und dunkle Patchouli, der durch das Palisanderholz eine warme und kuschelige Aura bekommt und trotz Dunkelheit nie düster wirkt? Miss Dior! Und wieder bin ich sprachlos. Da ist noch etwas dezent Blumiges, das mitschwingt, aber nicht dominiert. Eine sanfte Rose, die sich hinter dem Palisanderholz versteckt und nur leise hinüberduftet. Ich nehme auch eine feine Vanille wahr, obwohl die angeblich gar nicht da sein dürfte. Der Duft ist leicht süß, aber es ist eine weiche, abrundende Süße - nicht das spitze Messer aus geschmolzenem und wieder erstarrtem Zucker, das andere beliebte Düfte aus dem Fruity-Florals-Regal mir direkt in mein Riechzentrum zu rammen pflegen.
Ich gehe an diesem Abend noch häufig an ihr vorbei und jedes Mal geschieht dies mit einem bewussten Hinriechen und Wahrnehmen. Und mit jedem Mal finde ich den Duft unpassender für dieses bildschöne junge Mädchen. Der Duft erzählt Geschichten über das Wesen und die gemachten Erfahrungen seiner Trägerin und um eben diese zu sammeln, braucht es mehr als 14 Lenze. Der Duft ist so sinnlich, dass er einer opulenten Weiblichkeit bedarf, um dieser wiederum eine noch opulentere Weiblichkeit zu verleihen. Duftende Reziprozität. Oder so ähnlich.
Längst ist der Entschluss gereift, den Duft bei nächster Gelegenheit testen zu müssen. Als ich den Flakon sehe, verdrehen sich meine Augen quasi von selbst. Darf es noch ein bisschen mehr Girlie sein? Noch ein kleines Schleifchen ums Hälschen vom Gläschen?
Ich sprühe direkt auf die Haut und sogleich macht sich Ernüchterung breit. Wo sind die dunklen Töne? Hier duftet nichts in Moll, hier schreit mir eine grellhelle Rose in schrillem Dur mitten ins Gesicht. Arg künstlich stellt sie sich dabei an. Pfeffer, Mandarine? Keine Ahnung. Es riecht für mich nach allerweltsgefälligem Einerlei. Die sinnliche Femme Fatale auf tragische Weise vom Winde verweht. Au revoir, Miss Dior! Du bist doch der nervige Teenie, den ich dir schon angedichtet hatte, bevor wir uns das erste Mal trafen.
Etwa eine Stunde später ist es dann doch so weit. Die Miss chillt ihre Base (ich höre das tatsächlich häufiger) und umfängt mich mit dieser wundervoll-verführerischen Aura, die mich am Ballabend so abrupt in ihren Bann ziehen konnte. Ich bin augenblicklich mit der garstigen Kopfnote versöhnt und freue mich, dass die Miss mit meiner Haut kooperiert.
Dass ich auf diesen Duftmoment ein Weilchen warten muss, stört mich nicht wirklich, da der Duft in dieser Ausprägung extrem haltbar ist und auch in puncto Sillage nicht schwächelt. An meinem Schal nehme ich ihn sogar nach einer Woche noch deutlich wahr.
Diese Miss führt hier definitiv zu Unrecht ein Schattendasein. Mir gefällt sie. Aber eben nicht an der Miss, sondern an der Misses.
8 Antworten
Sniffsniff vor 4 Jahren 27 8
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9.5
Duft
Der Versuch einer Hommage ...
Jicky und ich sitzen gerade gemeinsam auf einem umgestürzten Baum an einem kleinen Strand der Flensburger Außenförde und lassen uns die ersten zaghaften Strahlen der Märzsonne auf den winter- und regenmüden Pelz scheinen. Heute habe ich fast nichts auf der Agenda und so nehme ich mir die Muße, endlich jenen Plan zu verwirklichen, den ich schon seit Wochen mit mir herumtrage: Ich möchte den Versuch wagen, einen Kommentar zu verfassen, der diesem herausragenden Duft ansatzweise gerecht wird.
Nachdem ich einige Guerlains testen durfte und mich infolgedessen näher mit dieser traditionsreichen Marke beschäftigt habe, blieb ich immer wieder an Jicky hängen.
Dieser Name. Irgendwie neckisch, fast frech. Wer ist diese/r Jicky und wie mag er/sie wohl riechen?
Eine Abfüllung war schnell geordert und so wagte ich mich ohne jegliche Erwartung an diesen Duft, über den schon so viel gesagt wurde. Ich wollte einfach nur wissen, wie ein Parfum riecht, das bereits Ende des 19. Jahrhunderts für Furore sorgte und bis heute zu begeistern weiß.
Mein Test wurde begleitet von einer kleinen Prise Angst, dass mir ein großtantiger Schwall muffiger Blumensüße entgegenschlagen könnte. Doch nein, nichts dergleichen geschah. Jicky ist Goethes Mignon, jenes androgyn-ätherische Wesen, das mich fragt, ob ich es kenne, das Land, in dem die Zitronen blühen. Jicky ist nicht weiblich, nicht männlich, Jicky ist Jicky. Zitrisch im Anklang, der sogleich einen leicht orientalischen Twist durchlebt und von dunkel-holziger Intensität getragen wird. Ein Hauch Süße balanciert die Zitrusnoten gekonnt aus und lässt sie mir nicht nur erträglich, sondern genießenswert erscheinen. Jicky bleibt dabei immer frisch und driftet niemals auch nur im Ansatz in die mir verhasste und so gefürchtete Muffigkeit ab. Weihrauch gesellt sich dazu und verleiht dem Duft eine geheimnisvolle und dunkel funkelnde Tiefe. Die einzelnen Noten verweben sich immer tiefer und feiner miteinander und verwandeln die Frische in eine mich sanft umgarnende Wärme, die weder jung noch alt, sondern absolut aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
Und jetzt weiß ich, dass ich Jicky schon lange kenne. Jicky riecht wie Tante Trutchen. Tante Trutchen, die gute Seele meiner Kindheit. Tante Trutchen war nicht meine Tante, sondern meine Nachbarin. Jahrgang 1912. Und kein anderer Name hätte schlechter zu dieser Grande Dame passen können als Trutchen. Trutchen war die Gattin eines Hamburger Speditionskaufmannes und weit gereist. Ende der Siebziger kauften sie unser Nachbarhaus am Waldrand und verbrachten fortan ihre Ruhestandswochenenden in ländlicher Idylle. Trutchen war etwa 1,55m groß, bis ins hohe Alter sehr schlank und trug niemals Hosen. Sie empfing mich (zwischen meinem 5. und meinem 10. Lebensjahr verbrachten wir fast jeden Nachmittag gemeinsam) stets in einem knielangen Bleistiftrock, trug dazu eine edle Bluse und zierliche Pumps (mit 9 Jahren war ich stolz wie Bolle, da ich nun das erste Mal hohe Absätze ausprobieren konnte - ich war in ihre Schuhgröße 35 hineingewachsen). Ihre kastanienbraunen Haare trug sie kinnlang, mit Seitenscheitel, ab Ohrhöhe gelockt und so akkurat in eine Wasserwelle gelegt, wie ich es nur von schwarz-weißen Filmschönheiten kannte. Natürlich war Trutchen geschminkt, wenn sie mit überschlagenen Beinen auf ihrem teuren Polstersessel saß und auf mich wartete. Echte Damen machen das so. Und niemals hätte sie eine Strumpfhose getragen. Um Himmels Willen. Trutchen trug Seidenstrümpfe und Strumpfhalter. Natürlich. Wenn Trutchen und ihr Mann in ihrer Stadtwohnung in Hamburg-Altona residierten, langweilte ich mich. Mir altklugem Einzelkind fehlte schlichtweg das mondäne Element in meinem langweiligen Schulalltag (auch wenn ich es damals noch nicht so benennen konnte). Daran konnte auch meine herzensgute Oma nichts ändern, so sehr sie sich auch bemühte. Oma servierte mir um 16 Uhr keinen Earl Grey aus chinesischen Porzellantässchen. Oma trug Hosen. Oma erzählte mir auch nicht von Odessa in den frühen 50ern und wilden Partys in Rijeka. Was für ein Klang. Exotik pur. Wie gerne würde ich mich heute noch einmal mit Trutchen über erwachsenere Themen unterhalten. Ich bin mir sicher, dass mir dabei hin und wieder eine ordentliche Portion Schamesröte ins Gesicht gestiegen wäre. Trutchens Mann war nämlich das, was man landläufig als veritablen Schwerenöter bezeichnet. Das merkte ich bereits als Kind. Wenn er mich mit auf den Tennisplatz nahm, war er stets in Windeseile von einem ansehnlichen Schwarm deutlich jüngerer Damen umgeben und mimte mit Hingabe den Gockel. Trutchen war das herzlich egal, es wird ihr niemals an Verehrern gemangelt haben.
Als ich Anfang 20 war, rief mich meine Mutter an und teilte mir mit, dass Trutchen mit 94 Jahren gestorben sei. Sie saß friedlich in ihrem Polstersessel, mit Bleistiftrock und überschlagenen Beinen.
Je häufiger ich Jicky trage, desto sicherer bin ich mir, dass genau dieser Duft ihr Signaturduft war. Ich kenne ihn, er ist mir so vertraut wie kein anderer. Jicky ist Trutchen. Und heute, mit 37, ist Jicky auch ich.
8 Antworten
Sniffsniff vor 4 Jahren 28 8
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Wenn die Matrone erst ausgesessen ist ...
Meine erste Begegnung mit Terracotta hatte ich Anfang Dezember in einer Husumer Parfümerie. Es war der Flakon, der mich mit seiner mediterranen Anmutung und seinen leicht antiken Reminiszenzen magisch anzog. Vielleicht war es aber auch nur die Sehnsucht nach ein wenig Sonne im nasskalten norddeutschen Winter, die mich die Verkäuferin bitten ließ, mir Terracotta auf einen Teststreifen zu sprühen. Who knows? Als ich das Papierchen unter meine Nase hielt, war die Entscheidung zu Ungunsten des Duftes schnell gefallen. Viel zu schwer und dann erst diese geballte Blumigkeit. Nein. Abgehakt. Danke.
Zwei Wochen später treffe ich in einer Kieler Filiale des Türkisen (die Wetterbedingungen waren ähnlich desolat) erneut auf den sonnigen Flakon. Dieses Mal steht er in Greifhöhe und erlaubt mir einen zweiten Test ohne den erwartungsvollen Blick einer Verkäuferin. Warum ich einen Duft, der mir beim ersten Test so gar nicht gefallen wollte, ein zweites Mal herausfordern musste, lässt sich wohl nicht rational erklären. Es ist ein Guerlain, ganz so furchtbar kann er also gar nicht sein. Und dann ist da wieder dieser Flakon. Diese Sonne, dieser golden leuchtende Inhalt. Und immerhin hatten mich einige andere Düfte bereits gelehrt, dass es manchmal die Zeit ist und nicht die erste Intuition, die Abneigung in Gefallen umzukehren vermag. Und Papier ist nunmal keine Haut, also galt es, den Duft meinem Handgelenk vorzustellen. Die ersten fünf Minuten waren wirklich keine Freude. Blumen. Ein undurchdringliches Dickicht aus Blumen. Süß, krachend grell, intensiv. Vor meinem inneren Auge erscheint eine wuchtige Matrone, eine Operndiva im bodenlangen Satinkleid. Man mag sich kaum vorstellen, wie viel Kraft es gekostet haben mag und wie viele helfende Hände benötigt wurden, um den langen Reißverschluss auf ihrem Rücken zu schließen. In ihrem opulenten Dekolleté steckt ein umso opulenteres Bouquet aus Weißblühern. Jasmin, Neroli, Tiaré. Und sie kommt immer näher, will mich in ihre Arme schließen, mich erdrücken. Nein, das ist wahrlich zu viel für mich. Ich schalte das Kopfkino aus und widme mich stattdessen Guerlains Insolence, das ich mir auf das verbleibende Handgelenk sprühe.
Während der Rückfahrt aufs platte Land kommt mir immer wieder ein warmer einladender Duft entgegen, der von einer Prise Kokos und einem Hauch Vanille getragen wird. Ich fühle mich wohl und geborgen. Meine Handgelenk wandert in Richtung Nase und ich stelle mit Wohlwollen fest, dass die Matrone mitsamt ihrer Blümelentourage abgezogen ist. Sie hinterlässt aber kein Schlachtfeld, sondern eine Piazza. Irgendwo in der südlichen Toskana, an einem herrlichen Abend im August. Nicht Siena, dieser Platz wäre zu groß und zu offen. Aber vielleicht Montepulciano. Es ist belebt, aber nicht mehr voll. Die alten Steine reflektieren die Wärme des brüllend heißen Sommertages und man gönnt sich einen kleinen Apéritif. Die Blumen auf meiner Haut haben sich mit den anderen Komponenten des Duftes zu einer wunderbaren Einheit verwoben, aus der keine einzige Ingredienz dominant oder sogar unangenehm hervorsticht. Was mir anfangs heftig süß und überbordend blumig erschien, hat sich jetzt in einen cremig-weichen und unglaublich schmeichelnden Schleier verwandelt.
Wenn ich diesen Duft in lediglich zwei Worte fassen müsste, dann wären dies warm und solar. Ich habe noch keinen anderen Duft erleben dürfen, der das Konzept eines wärmendes Sonnenstrahles olfaktorisch so treffend einzufangen vermocht hätte wie Terracotta. Deshalb ist dieser Duft für mich auch kein Sommerduft. Säße ich mit Terracotta beduftet auf eben dieser Piazza in Montepulciano, würde mich vermutlich schnell der Hitzetod ereilen. Aber an diesem sonnigen Januartag mitten im norddeutschen Nirgendwo ist Terracotta mein sommerlicher Strohhalm, der mich vom Augustabend in Montepulciano träumen lässt. Dies funktioniert übrigens auch hervorragend bei Nieselregen und stürmischem Wind. Sobald ich Terracotta trage, scheint dieser Duft irgendetwas an meinen Synapsen zu manipulieren, das mein Kälteempfinden unterdrückt. Terracotta ist deshalb für mich der Duft der Wintermüden, die sehnsuchtsvoll das Licht des Sommers herbeiträumen möchten.
Was Haltbarkeit und Sillage angeht, muss man Terracotta zugestehen, dass er einfach gut performt. Er übersteht einen achtstündigen Arbeitstag im Gegensatz zu mir ohne Ermüdungserscheinungen und ist auf meinem Schal auch nach drei Tagen noch deutlich wahrnehmbar. In puncto Sillage gilt, dass weniger hier mehr bedeutet. Mit drei Sprühern wird man deutlich wahrgenommen, dosiert man ihn über, läuft man Gefahr, dass die Matrone mitsamt Busenbouquet ganz schnell wieder vor der Tür steht.
8 Antworten
Sniffsniff vor 4 Jahren 24 12
8
Flakon
7
Sillage
6
Haltbarkeit
6
Duft
Je l'adore? Non! Mais ça me plaît un peu.
Vorgestern warf mir die Kassiererin beim Türkisen eine Probe "J'adore" ins Tütchen. Ich freute mich über die Testmöglichkeit und sprühte mir bereits auf dem Parkplatz beherzt ein Schwällchen des großen Namens auf meinen Unterarm. Der große Name weckte große Hoffnungen, wenngleich ich mit Dior auch immer etwas sehr Elegantes und Feminines, ja sogar eine gewisse Noblesse assoziierte und deshalb schon darauf gefasst war, dass der Duft nicht wirklich zu mir passen könnte.
Nunja, was jetzt folgt, kann wohl getrost als selbsterfüllende Prophezeiung bezeichnet werden. Es duftet mir ein zurückhaltend-zitrisches Wölkchen floraler Zartheit entgegen. Wenn ich "J'adore" musikalisch interpretieren müsste, würde ich zur Querflöte greifen. Helle Töne dominieren den Duft, wenn er eine Farbe hätte, wäre er hellgelb mit pastelliger Note. Ich rieche Ylang-Ylang und ganz viel Jasmin, die hölzerne Basis will sich mir indes nicht zeigen. Und so blümelt es still und leise vor sich hin. Ich vermisse jegliche Tiefe. "J'adore" hat so viele Ecken und Kanten wie ein Gymnastikball. Ich fühle mich mit diesem Duft fremd in meiner Haut. So riechen Damen, bei denen immer alles perfekt ist. Von der Frisur über die Nägel bis hin zum Kostümchen, an dem kein Fusselchen haftet. Frische Wäsche kommt mir in den Sinn, blütenrein. Während ich so vor mich hin sinniere, entferne ich ein paar weiße Katzenhaare von meinem schwarzen Wollpulli.
Ist der Duft erotisch? Mitnichten. Er ist der Duft eines ätherischen Wesens, das jenseits jeglicher Sexualität frisch, sauber und adrett duften möchte. Da ist ganz und gar nichts Verdorbenes, das auf ungeahnte Tiefen hinter der akkuraten Fassade seiner Trägerin verweisen wollte. Ich kann mir den Duft gut an betont femininen Frauen bis 40 vorstellen, die ihren Job in Hosenanzug oder Kostüm bestreiten müssen und dabei freundlich-seriös wirken möchten. "J'adore" ist nicht aufdringlich oder gar penetrant, sondern bleibt immer fein und höflich. Dieses Understatement zeigt sich auch im Duftverlauf, der linear ist wie eine Perlenkette (die übrigens gar nicht schlecht mit "J'adore" harmonieren würde) . Die Sillage ist bei angemessener Dosierung auf Armlänge wahrnehmbar, aber auch hier weicht der Duft nicht vom seinem zurückhaltenden Credo ab. Nach etwa vier Stunden baut der Duft in puncto Haltbarkeit rapide ab und ist nur noch sehr körpernah wahrnehmbar.
"J'adore" ist ein Duft, der bei den wenigsten Nasen vehemente Ablehnung auslösen dürfte. Er ist gefällig, ein freundlich-klarer Wohlgeruch für Liebhaberinnen und Liebhaber floraler Akkorde, für die das Wort Extravaganz etwas immanent Bedrohliches besitzt.
Umso mehr irritiert mich die Namensgebung. Mit dem Französischen "J'adore" assoziiere ich affektgesteuerte Hingabe, sinnliches Begehren und ein klitzekleines Bisschen animalische Triebhaftigkeit. Insofern hätte ich den Duft eher "Mais oui, ça me plaît un peu" genannt. Aber wahrscheinlich sitze ich aus genau diesem Grund nicht in der Marketingabteilung bei Dior.
12 Antworten
Sniffsniff vor 4 Jahren 39 15
10
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft
Von Verstörung und irrationalem Begehren ...
Am 3. Oktober ging ich an Bord einer LKW-Fähre in Richtung Baltikum, um einige Tage auf der Kurischen Nehrung zu entspannen. Um das Passagierdeck des gewaltigen Schiffes zu erreichen, wurden die Fußpassagiere unmittelbar nach dem Betreten des Schiffes durch einen schmalen Gang gelotst, der nahtlos in eine scheinbar endlose Rolltreppe überging. Man fuhr und fuhr, leichte Beklemmung stellte sich ein. Ein paar Takte "Stairway to heaven" kamen mir in den Sinn. Plötzlich hängt da ein Werbeplakat. Allein auf weiter Flur. Schöne Menschen in weichem Licht. Boheme, ick hör dir trappsen! Ein Zeichen, Fatum, göttliche Fügung! Ein neuer Gucci-Duft - und die Rolltreppe führt mich direkt ins Himmelreich des Bordshops. (Man muss dazu wissen, dass meine Sammlung Anfang Oktober noch aus Gucci Rush und Gucci Rush bestand - mein Duft seit 1999.) Ich checkte also schnell ein, trank meinem Mann zuliebe noch ein gemütliches Bierchen und verschwand im (12 Quadratmeter großen) Bordshop. Schicker Flakon. Passt zu diesen schönen Menschen, die da im sanften Gegenlicht Bacchanalisches im Kopf zu haben scheinen. Mein Inneres schwelgt bereits in verführerisch-weichen Duftsphären. Ich sprühe auf das Papierchen. Voller Vorfreude inhaliere ich den Duft. Peuhaoioioi! Ich bin empört. Kippe fast hinten über. Was um Himmels Willen ist das, was soll das und wer zum Teufel will so riechen? Alkohol auf Fußtinktur mit Stroh und Moos unter morscher Birke. Ich erwartete ein Parfum, das gefälligst so zu riechen hat, wie meine Ottonormalnase Parfum kennt und einzuordnen vermag. Das ist "Memoire d'une odeur" definitiv nicht. Ich war irgendwie verstört und stapfte enttäuscht zurück zu meinem Mann, der insgeheim frohlockte, viel Geld gespart zu haben.
Einen Monat später bin ich beim Türkisen und darf mir einen Geburtstagsduft aussuchen. Die Verkäuferin ist wunderbar. Scannt mich, kennt mich. Der erste präsentierte Duft ist meiner und wird gekauft. Ich bin allerdings etwas enttäuscht, da ich gerne noch mehr probiert hätte. "Ach, da fällt mir ein Erlebnis mit dem neuen Gucci ein, den würde ich gerne noch einmal testen." Die Wunderbare greift zielstrebig nach "Ambrosia di fiori" und hält mir das Papierchen unter die Nase. "Nein, der hier ist auch nicht meins, aber ich meine den Grünen, den Krassen." "Den Grünen, ernsthaft den Grünen?" Die Türkise ist merklich erschüttert. "Ja, ich will ihm noch eine Chance geben. Vielleicht entwickelt er sich ja und wird noch schön." "Nee, da wird gar nichts mehr schön!" Habe ich schon erwähnt, dass mir diese Verkäuferin unglaublich sympathisch war? Es geht doch nichts über entwaffnende Ehrlichkeit. Wir finden den Duft also beide nicht so dolle.
Dritter Versuch, Ende November. Da isser wieder. Das grüne Anti-Blümel-Wasser lacht mich an, ich greife zu und werde waghalsig. Ich sprühe den Duft auf mein Handgelenk. Er ist nicht mehr so böse wie bei unserer ersten Begegnung auf der stürmischen Ostsee. Nachdem der Alkoholschleier sich verzogen hat, bekommt er eine nüchterne Note. Er ist klar. Er hat nichts Verspieltes. Er will auch nicht erotisch sein, nicht feminin, nicht verrucht. Ich mag die Kamille, die mich beruhigt. Sie hat etwas Strenges, sie gibt die Richtung vor, bleibt dabei aber klar und erhaben. Die Hölzer kommen hinzu, geben der Kamille Fülle. Moschus nehme ich nur minimal wahr. Ganz am Ende kann ich die Vanille erahnen, ganz zart, jetzt nur noch in Verbindung mit der Kamille, die auch nur noch ein feiner Schleier ist.
Anfang Dezember: Was soll der Geiz. Ich habe mir den Flakon gekauft. Was mich so lange und wiederholt bewegt, soll wohl zu mir gehören. Ich habe auch eine Erklärung: Seit unserer ersten Begegnung habe ich mich durch das gesamte türkise Standardsortiment gerochen und begriffen, dass ich Blumen furchtbar finde. Besonders Maiglöckchen. Früchte sind etwas besser. Ich habe auch begriffen, dass meine Düfte mindestens Unisex sein müssen. Viele Herrendüfte finde ich an mir tragbarer als zum Beispiel ein SI oder LVEB. Dass ein reiner Damenduft einen Kaufimpuls in mir auslösen kann, ist äußerst selten. Ich bin mittlerweile froh, wenn ein Duft anders riecht, wenn er sich vom fruchtblümeligen Gefälligkeitseinerlei abheben kann.
Und das kann "Memoire d'une odeur" nur zu gut. Er ist kein Mädchenduft. Zumindest keiner für die, die süß und sexy sein wollen, ins Nagelstudio rennen und sich Fake-Lashes dranbasteln.
Er erinnert mich mit seiner leichten Heunote an meine Pferde und löst schon allein deshalb ein Wohlgefühl bei mir aus. Ich sprühe ihn vor dem Einschlafen auf mein Kopfkissen und schlafe tief und fest. Er ist so leicht und klar, dass ich ihn sogar im Stall tragen würde. Niemals käme ich bei einem anderen Duft auch nur auf die Idee. Und ich glaube, meine Pferde würden ihn auch mögen.
Morgen werde ich ihn in der Schule tragen und ich bin gespannt, was er da auslöst. Es ist und bleibt ein polarisierender Duft, aber es lohnt sich, ihm 7-364 Chancen zu geben. Alle Duftkonventionen auf "reset" und "Memoire" hat das Potenzial, eine neue Dufterinnerung zu schaffen.
15 Antworten
16 - 20 von 21