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Sniffsniff
Top Rezension
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Wenn die Matrone erst ausgesessen ist ...
Meine erste Begegnung mit Terracotta hatte ich Anfang Dezember in einer Husumer Parfümerie. Es war der Flakon, der mich mit seiner mediterranen Anmutung und seinen leicht antiken Reminiszenzen magisch anzog. Vielleicht war es aber auch nur die Sehnsucht nach ein wenig Sonne im nasskalten norddeutschen Winter, die mich die Verkäuferin bitten ließ, mir Terracotta auf einen Teststreifen zu sprühen. Who knows? Als ich das Papierchen unter meine Nase hielt, war die Entscheidung zu Ungunsten des Duftes schnell gefallen. Viel zu schwer und dann erst diese geballte Blumigkeit. Nein. Abgehakt. Danke.
Zwei Wochen später treffe ich in einer Kieler Filiale des Türkisen (die Wetterbedingungen waren ähnlich desolat) erneut auf den sonnigen Flakon. Dieses Mal steht er in Greifhöhe und erlaubt mir einen zweiten Test ohne den erwartungsvollen Blick einer Verkäuferin. Warum ich einen Duft, der mir beim ersten Test so gar nicht gefallen wollte, ein zweites Mal herausfordern musste, lässt sich wohl nicht rational erklären. Es ist ein Guerlain, ganz so furchtbar kann er also gar nicht sein. Und dann ist da wieder dieser Flakon. Diese Sonne, dieser golden leuchtende Inhalt. Und immerhin hatten mich einige andere Düfte bereits gelehrt, dass es manchmal die Zeit ist und nicht die erste Intuition, die Abneigung in Gefallen umzukehren vermag. Und Papier ist nunmal keine Haut, also galt es, den Duft meinem Handgelenk vorzustellen. Die ersten fünf Minuten waren wirklich keine Freude. Blumen. Ein undurchdringliches Dickicht aus Blumen. Süß, krachend grell, intensiv. Vor meinem inneren Auge erscheint eine wuchtige Matrone, eine Operndiva im bodenlangen Satinkleid. Man mag sich kaum vorstellen, wie viel Kraft es gekostet haben mag und wie viele helfende Hände benötigt wurden, um den langen Reißverschluss auf ihrem Rücken zu schließen. In ihrem opulenten Dekolleté steckt ein umso opulenteres Bouquet aus Weißblühern. Jasmin, Neroli, Tiaré. Und sie kommt immer näher, will mich in ihre Arme schließen, mich erdrücken. Nein, das ist wahrlich zu viel für mich. Ich schalte das Kopfkino aus und widme mich stattdessen Guerlains Insolence, das ich mir auf das verbleibende Handgelenk sprühe.
Während der Rückfahrt aufs platte Land kommt mir immer wieder ein warmer einladender Duft entgegen, der von einer Prise Kokos und einem Hauch Vanille getragen wird. Ich fühle mich wohl und geborgen. Meine Handgelenk wandert in Richtung Nase und ich stelle mit Wohlwollen fest, dass die Matrone mitsamt ihrer Blümelentourage abgezogen ist. Sie hinterlässt aber kein Schlachtfeld, sondern eine Piazza. Irgendwo in der südlichen Toskana, an einem herrlichen Abend im August. Nicht Siena, dieser Platz wäre zu groß und zu offen. Aber vielleicht Montepulciano. Es ist belebt, aber nicht mehr voll. Die alten Steine reflektieren die Wärme des brüllend heißen Sommertages und man gönnt sich einen kleinen Apéritif. Die Blumen auf meiner Haut haben sich mit den anderen Komponenten des Duftes zu einer wunderbaren Einheit verwoben, aus der keine einzige Ingredienz dominant oder sogar unangenehm hervorsticht. Was mir anfangs heftig süß und überbordend blumig erschien, hat sich jetzt in einen cremig-weichen und unglaublich schmeichelnden Schleier verwandelt.
Wenn ich diesen Duft in lediglich zwei Worte fassen müsste, dann wären dies warm und solar. Ich habe noch keinen anderen Duft erleben dürfen, der das Konzept eines wärmendes Sonnenstrahles olfaktorisch so treffend einzufangen vermocht hätte wie Terracotta. Deshalb ist dieser Duft für mich auch kein Sommerduft. Säße ich mit Terracotta beduftet auf eben dieser Piazza in Montepulciano, würde mich vermutlich schnell der Hitzetod ereilen. Aber an diesem sonnigen Januartag mitten im norddeutschen Nirgendwo ist Terracotta mein sommerlicher Strohhalm, der mich vom Augustabend in Montepulciano träumen lässt. Dies funktioniert übrigens auch hervorragend bei Nieselregen und stürmischem Wind. Sobald ich Terracotta trage, scheint dieser Duft irgendetwas an meinen Synapsen zu manipulieren, das mein Kälteempfinden unterdrückt. Terracotta ist deshalb für mich der Duft der Wintermüden, die sehnsuchtsvoll das Licht des Sommers herbeiträumen möchten.
Was Haltbarkeit und Sillage angeht, muss man Terracotta zugestehen, dass er einfach gut performt. Er übersteht einen achtstündigen Arbeitstag im Gegensatz zu mir ohne Ermüdungserscheinungen und ist auf meinem Schal auch nach drei Tagen noch deutlich wahrnehmbar. In puncto Sillage gilt, dass weniger hier mehr bedeutet. Mit drei Sprühern wird man deutlich wahrgenommen, dosiert man ihn über, läuft man Gefahr, dass die Matrone mitsamt Busenbouquet ganz schnell wieder vor der Tür steht.