Naaase
Top Rezension
22
Schokolade für Fortgeschrittene
"Schokolade für Fortgeschrittene"
Es findet sich in den Regalen einschlägiger Parfüm-Ketten, aber auch im Sortiment gut sortierter kleinen Parfumerien -dem Trend entsprechend-, eine stattliche Anzahl gourmandiger Düfte für den Herrn. Musste früher der Mann noch einen heftig-zitrischen Auftakt über sich ergehen lassen, um bestenfalls nach ein paar Kräutern zu der "Ich-Bin-Frisch-Rasiert-Basis" zu kommen, um dort vielleicht noch etwas mit ein paar herumliegenden Hölzchen im Eichenmoos (kann auch toll sein !!!) zu spielen, darf sich der moderne Mann von heute sogleich (sozusagen ohne über das monopoly'sche "Los" zu gehen) in die olfaktorische Konditorei begeben. Um dort in sinnlichen Genüssen zu schwelgen, die uns -oral zu sich genommen- bereits nach wenigen Bissen den Hüftspeck an den Körper zaubern und damit den Hosenbund enger nähen würden.
Und welchem Stoff haben wir (natürlich neben Vanille und der mit ihr zumindest geruchlich verwandten Tonkabohne) das zu verdanken ? Es ist das Patchouli, was zumeist für diesen "erdig-dunklen Schokolade-Effekt" verantwortlich ist.
Patchouli ist ein aus Malaysia stammender Halbstrauch aus der Familie der Lippenblütengewächse Das Patchouli-Öl, wird aus den Blättern der Pflanze gewonnen, wobei 30-50 kg der getrockneten Patchouliblätter durch Wasserdampfdestillation zu einem Kilo Patchouliöl verarbeitet werden. Das fertige Öl ist zähflüssig, schimmert in braun-gelb und gewinnt über die Jahre an Aroma. Der Duft des Patchouliöls verflüchtigt sich sehr langsam und war wegen seiner geheimnisvollen und erotisierenden Wirkung bereits bei dem schönen Geschlecht im 19. Jahrhundert sehr beliebt. Erst in den 60er und 70er Jahren wurde Patchouli zum Lieblingsduft der Hippies. Sie bezeichneten diesen Duft als "Frieden spendend". Heute ist Patchouli ein etablierter Duftstoff der Parfumindustrie und zählt durch seine süßlich-erdigen sowie waldig-holzigen Komponenten zu den elegantesten Duftakzenten.
Patchouli harmonisiert angeblich besonders gut mit Lavendel, Wildleder, Rose, Orange,Jasmin und Zitrone.
Bei dem 2004 erschienenen "L'Instant de Guerlain Pour Homme" und seinem ein Jahr später hinzugetretenen großen Bruder "L'Instant de Guerlain Pour Homme Eau Extrème" haben wir es mit zwei besonders edlen Vertretern dieser Zunft zu tun.
Der kleine Bruder startet zitrisch. Nämlich mit einer weichen und reifen Zitrone und einer ebensolchen Bergamotte. Diese sind nicht sauer und spitz sondern bereits zu Beginn dieser Duftentwicklung reif und natürlich, ohne die fluffige Cremigkeit von Chanel's "Allure Homme Édition Blanche" zu besitzen . Müssen sie auch nicht, denn diese wunderbar reifen Zitrusfrüchte sind floral (Jasmin) und würzig (Anis) unterlegt und bieten einen wunderschönen Auftakt.
Doch schon bald betritt ein zauberhafter Duft nach geheimnisvoll-erdiger und tiefgründiger Zartbitter-Schokolade die Bühne. Meiner Meinung nach hauptsächlich durch das verwendete Patchouli hervorgerufen. Es ist eine weiche und köstliche Zartbitter-Schokolade, die meine Nase erfreut. Jedoch sorgen die nach wie vor präsenten -reifen- Zitrusfrüchte, die würzigen Blümchen sowie mediterran-strahlender Lavendel dafür, dass der Gesamteindruck nicht zu dunkel-erdig wird. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ein Stück hochwertigster Zartbitter-Schokolade, das mit einem köstlichen Frucht-Gele gefüllt ist: Der erdig-herbe Kakao stellt mit dem fruchtig-süßen Gele ein hochinteressantes Spannungsverhältnis dar.
Und die ganze Sache wird noch interessanter: Urplötzlich bekommt diese Köstlichkeit noch eine etwas leicht-bittere Tee-Note hinzu. Es ist ein schwarzer Tee auserlesenster Herkunft. Nur fein wahrnehmbar umschmeichelt er unsere süße kulinarische Kostbarkeit und gibt ihr eine zusätzliche herbe Note. Alles im Wechselspiel und feinstens aufeinander abgestimmt. Einfach nur handwerklich perfekt gemacht. Einfach nur edel.
Der Duft klingt nach mehren Stunden sanft mit begleitenden Hölzern aus.
Sein großer Bruder "L'Instant de Guerlain Pour Homme Eau Extrème" startet zwar auch zitrisch. Jedoch -zumindest nach meiner Meinung- mit zwei erheblichen Unterschieden: Zum einen ist es ein nur sehr kurzes fruchtiges Entree. Zum anderen wirken auf mich die uns begrüßenden Zitrusfrüchte noch reifer und süßer und bereits von Anfang an würzig (und leicht floral) untermalt. Dann erscheint sogleich ein edles und erdiges Patchouli, das erneut an eine köstliche dunkle Schokolade erinnert. Diese ist jedoch erdig-süß, ja geradezu (im positivsten Sinne) erschlagend voluminös. Was dann kommt zählt für mich zu dem Großartigsten, was Parfum-Kunst zu bieten hat: Ich möchte es mal "Das Spiel der Winde" nennen: Für einen Moment umgibt mich ein süßer Hauch dunkler Schokolade. Ich bin hingerissen und möchte immer mehr von ihm haben. Doch er lacht mich spitzbübisch aus. Er ist plötzlich weg. Doch da erscheint plötzlich eine geheimnisvoll-orientalische Erdigkeit, die von einem Moment auf den anderen in meine Nase dringt. Sie ist feucht und tiefgründig. Geheimnisvoll und fremdländisch. Ich rufe:"Verweile doch !" Aber diese Worte hängen noch in der Luft, als auch diese mich verlässt und Platz macht für den Geruch eines edlen Schwarztees, der mich urplötzlich umgibt. Seine trocken-herbe Note kitzelt meine Nase, erfrischt mich jedoch zugleich. Im Gegensatz zum kleinen Bruder ist es nicht nur ein "Tee-Hauch", sondern ein ganzer Tee-Laden. Bitter, erfrischend und kräftig. Er hat eine unglaublich kühlende Wirkung. Fast, wie ein Menthol-Bonbon nach einem (zu) ausgiebigem Essen. Dieser Tee wirkt auf mich etwas rauchig untermalt, jedoch im gleichen Maße auch süß (ein Stück Zucker ?).
Und so tanzen den lieben langen Tag diese drei verschiedenen Düfte um mich herum. Spielen mit mir. Foppen mich. Denn immer wenn ich den einen Duft bitte zu bleiben, verschwindet dieser und macht Platz für den anderen.
Dieser Reigen geht sehr sehr lange Zeit: Die "Winde" balgen sich um meine Aufmerksamkeit, um meine Gunst. Doch, haben sie sie, dann sind sie jeweils auch schon wieder verschwunden.
Fazit:
Beide Düfte haben jeweils als anspruchsvolles Meisterwerk ihre eigene Existenzberechtigung nebeneinander. Ich würde nie sagen: Wenn man den einen hat, dann benötigt man den anderen nicht. Denn: Anders als bei anderen "Extrem-Varianten" eines Duftes ist bei "L'Instant de Guerlain Pour Homme Eau Extrème" nicht einfach nur die "Lautstärke" der ohnehin vom Vorgänger bekannten Duftnoten nach oben gedreht. Es handelt sich vielmehr um eine neue Duftkomposition. Auch wenn beide Brüder dem Grunde nach die selbe DNA besitzen, so erscheint mir -mit vergleichbarer Duftpyramide- die Konzeption des großen Bruders jeweils eine völlig andere zu sein: Das "Instant de Guerlain Pour Homme" lebt nach meiner Auffassung von dem höchst interessanten Spanungsverhältnis zwischen den reifen Zitrusfrüchten und der herben (Tee !) Zartbitter-Schokolade. Zart umspielt von frischen Blumen, rauen Gewürzen und edlen Hölzern. Sein großer Bruder, das "L'Instant de Guerlain Pour Homme Eau Extrème" ist viel dunkler und geheimnisvoller. Damit ist dieses vielleicht ein Stück weit weniger alltagstauglicher und damit möglicherweise eher besonderen Anlässen vorbehalten. Es ist ein anstrengender, ja geradezu verstörender Duft, der stets seinen Träger durch das schier unaufhörliche Wechselspiel seiner perfekt herausgearbeiteten Facetten fordert. Ihn aber auch für seine Aufmerksamkeit reich belohnt.