Man macht es sich zu leicht, wenn man Guerlain für alle Neuerscheinungen schilt und nur die alten Klassiker feiert, auch wenn ich prinzipiell selbst dazu neige.
Vétiver Fauve ist immerhin mal wieder der Versuch, einen Duft zu kreieren, der sich nicht am gleichförmigen Massenausstoß orientiert, den Guerlain in den letzten Jahren auch reichlich mitbedient hat (Maltol in den zahllosen kleinen Schwarzen
La Petite Robe Noire (2012) Eau de Toilette , Fruchtester in vielen Aqua Allegorias wie in
Aqua Allegoria Mandarine Basilic , die viel gescholtene süße Mandelnote in
L'Homme Idéal Eau de Toilette und seinen Brüdern, die wenig gelungenen Re- und Dekonstruktionen à la
Habit Rouge Spirit).
Dieser Duft hingegen ist eine wenig(er) angepasste Komposition mit Vetiver (klassisch, eher maskulin, nicht so leicht integrierbar), mit grasig grünen Noten (wenn auch - trotz Tonka - kaum eine Spur von Fougère spürbar ist), leider jedoch mit der derzeit omnipräsenten Feige, der in vielen Nischendüften verbauten Cypriolnote (eigentlich ein ätherisches Öl, das holzig, würzig, ledrig wirken kann) und leider auch mit Ananas resp. Furaneol (bei der / dem man unwillkürlich Angst bekommt, es könnte sich schon wieder ein Duft bei Aventus angesteckt haben).
Verantwortlich für die Komposition ist wieder Delphine Jelk, die sehr häufig (geschickt) auf dem schmalen Grat zwischen innovativem Twist und Mainstream balanciert.
Aus meiner Sicht gilt das aber alles nicht so sehr für
Vétiver Fauve , das keinem Trend hinterherläuft, nicht mal der Feige und der Ananas, die hier anders interpretiert werden, als man es in den letzten Jahren sehr häufig erleben konnte, sondern wahrscheinlich eher - umgekehrt - einen Trend setzt: Da ist etwas durchaus neu, eigenwillig, aber wahrscheinlich auch relativ massenkompatibel, unkompliziert tragbar und natürlich gezielt in der L'ART & LA MATIÈRE-Serie veröffentlicht worden - und nicht als Aqua Allegoria, wo der Duft auch seinen Platz hätte haben können, denn dort gibt es bereits Düfte mit o.g. Inhaltsstoffen, die aber teils braver, biederer und synthetischer sind.
Was macht den Duft nun anders?
Vetiver ist hier zwar durchaus im Stile der postmodernen Vetiverylacetat-Düfte (Encre Noire, Sycomore, verschiede Escentric Molecules) interpretiert, entfernt sich also vom alten Stil des Hauses à la
Vetiver Eau de Toilette, das erdiger, saftiger, weniger lackartig, weniger artifiziell war, zeigt aber in der Interpretation von
Vétiver Fauve auch eine grüne, grasige, säuerliche und saftige Note, die einen angemessen neuen Akzent bringt. Je länger man den Duft trägt, umso näher kommt er allerdings den o.g. Vetiverylacetat-Vertretern und je mehr verliert er von seinem Charme.
Zu ergänzen wäre noch, dass die Ananas nicht stört, sogar etwas schüchtern wirkt, auch die Feige züchtig im Hintergrund bleibt, Tonka nicht mit Marzipansüße nervt und Cypriol eher krautig als ledrig daher kommt. Alles so, wie ich es mir wünsche.
Resümee: Meine heiß geliebte alte Tante Guerlain trägt Minirock - und entgegen meiner Befürchtungen kann sie ihn gut tragen.