Wundertuete

Wundertuete

Rezensionen
Wundertuete vor 23 Tagen 1
9
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Oh wie schön, ein postmodernes Chypre!
Mehr Chypre als Metall. Ein astrales Flimmern im milchig-trüben Nebel, alles nur nicht langweilig. Manchmal bist zu mir zu wenig, manchmal zu viel, und das komischerweise weitgehend unabhängig von der Dosierung. Nur gleichgültig lässt du mich nie. Und manchmal bist du genau richtig. An Tagen wie heute, wenn ich nicht zu viel und nicht zu wenig davon erwischt habe, ist die Kopfnote von der ersten Sekunde an wunderschön, Iris schwirrt und flirrt und irrt herum und hat einen irgendwie fruchtig geratenen Pfeffer in ihrer Begleitung. An dieser Stelle kriege ich am ehesten auch noch eine metallene Anmutung. Und nach drei bis vier Stunden kommt ein herrliches Wildleder dazu. Und das bleibt über Stunden erhalten.

Wie kann ich den verorten? So schwierig! Kein Natur-Duft, keine Synthetik-Bombe, kein Kopfnoten-Blender, ganz im Gegenteil, einer, der toll startet und im Lauf der Stunden immer noch schöner wird. Und der dennoch nicht nonstop Aufmerksamkeit heischt. Ein definitiv unisexes bzw. genderfluides, vordergründig nostalgisches und zugleich post-/hypermodernes Chypre mit unruhigen Molekülen unter der Oberfläche, ein radioaktives Zerfallsprodukt, das im Dunkeln geheimnisvoll bläulich schimmert.

So weit ich das beurteilen kann, hält er bei normaler/moderater/arbeitsplatzverträglicher Dosierung (zwei bis drei Sprüher) auf meiner Haut locker zehn Stunden durch, aber die Sillage ist nicht überbordend. Aufgrund des Ambroxans kann ich mich diesbezüglich aber auch täuschen. Bei hochsommerlicher Hitze wäre der Metal Chypré nicht meine erste Wahl, aber ansonsten scheint er weitgehend immer zu funktionieren, zuhause, bei der Arbeit, insbesondere auch an Tagen, die Konzentration und Fokussiertheit verlangen, wenn ich der Welt freundlich, aber auch etwas distanziert begegne.

Im Lauf meiner parfumistischen Umtriebe sind einige Vorlieben und Spezialinteressen gekommen und gegangen. Aktuell stehen Iris-Düfte bei mir hoch im Kurs, Chypre-Kompositionen interessieren mich immer, und Leder punktet auch oft. Und siehe da: In meiner Sammlung ist dieser hier im Moment der mit Abstand am häufigsten verwendete Iris-Duft.
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Wundertuete vor 2 Jahren 11 6
8
Flakon
6
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Buch, Druckerschwärze, Holz, Tinte, Zigarette, Flirt
Also gut, meinetwegen: Er duftet schon irgendwie nach frisch geöffnetem Buch, vielleicht irgendwie nach Druckerschwärze, und irgendwann kommt dann ein süßer, dezenter, zugleich markanter, mich ausnahmsweise mal nicht nervender (denn sonst nerven mich Tabaknoten meist) Tabak hinzu. Mit dem frisch geöffneten Buch und der Tinte und der Druckerschwärzw könnte man auch mit Steidls Paper Passion ( Parfumeur Geza Schön) hinreichend glücklich werden. Wozu braucht es dann den LGN x Æther?

Er riecht, duftet einfach nur lecker, zum Anbeißen sogar, geradezu verführerisch, einfach sehr, sehr gut. Und das kann man dem Paper Passion wirklich nicht nachsagen.

Nehmen wir folgende Situation: Ich sitze in einem Café, lese ein Buch, rauche eine Zigarette, und jetzt kommt eine wichtige Ergänzung zum vorherigen Parfumo-Kommentar: Mir gegenüber sitzt eine attraktive, aber bisher unnahbar/mysteriös erscheinende weibliche Person. Wir flirten blickweise. Es liegt etwas Spannendes in der Luft. Der mich umgebende Duft ist unzweifelhaft da, er hat seine eigene Präsenz, aber er ist nicht zuviel, er lenkt nicht von mir ab, er unterstreicht mich, er unterwelliert mich mit einem leuchtend braunen Textmarker (die mir gegenüber sitzende und blickweise flirtende weibliche Person liest ebenfalls ein interessant scheinendes Buch)...

Dieser Duft weckt in mir die Sehnsucht nach solchen Situationen. Wann hatte ich die? Es ist eine ganze Weile her, in meinem Studium, ich bin im Café oder in der Mensa, oder in der Universitätsbibliothek. All das, wie gesagt, long ago. Aber das hier ist der Duft, der mir mir all das wiederbringt. Dabei wirkt er nicht überambitioniert/bemüht/kitschig wie einige andere Bibliotheksdüfte (CBIhatepetfume, Margiela). Denn vielleicht will er ja auch gar kein Bibliotheksduft sein. Man weiß das nicht so genau. Mir kommt jedenfalls vor wie einer. Und ehrlich gesagt: Für mich ist dieser klar der beste von allen, die mir aus diesem Genre bekannt sind.

Das Label Æther mag ich sehr gerne. Synthetik als olfaktorische Kunstfotm. Dieser Duft wirkt auf mich jedoch weniger synthetisch als die andern, die ich von dem Label kenne. Aber das passt, ich fühle mich sehr wohl mit dieser Aura aus gebohnertem Holz, Tabakkrümeln (nicht angezündet) und bedrucktem Papier. Oh würde sie doch noch ein wenig länger anhalten bzw. auch für meine Nase erriechbar sein (denn andere Nasen, wie ich höre, haben anscheinend länger etwas von diesem Duft als meine eigene...)!

6 Antworten
Wundertuete vor 8 Jahren 17 5
7
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Wärmt das Gemüt an kalten Tagen
Nanu, da gibt es einen Duft, der seit langem die magische 8.0-Grenze geknackt hat, sich somit hoher Beliebtheit erfreut, und den trotzdem niemand kommentieren mag? Vorigen Herbst habe ich mich darüber schon gewundert, als ich ein Pröbchen von diesem Duft erstmalig am Handgelenk hatte, ich hin und weg von ihm war und etwas darüber lesen wollte. Also gut, dann muss er jetzt eben für meinen ersten Kommentar auf Parfumo herhalten.

In diesem Sommer, der nicht so recht in Gang kommen mag, schnuppere ich in den zahlreichen regnerisch-grauen-kühlen Momenten manchmal sehnsüchtig an diesem Flakon. Armònia duftet für mich eindeutig nach Herbst und Winter, aber vor allem nach Herbst, genauer: nach einem Waldspaziergang in der Zeit, wenn der goldene Oktober in den grauen November übergeht. Da entdecke ich beim Schnuppern viel Erde, viel Patchouli und Holz, auch durchaus einiges an animalischen Noten. Wieso mag ich eigentlich diesen Duft so sehr? Ich bin normalerweise kein großer Freund von animalischen Noten. Orientalisch ist auch nicht automaisch meine Lieblingsrichtung. Und wenn in dieser Kombination auch noch „süß“ dabei steht, ergreife ich meist die Flucht. Hier nicht, im Gegenteil. Hier bleibe ich stehen, halte inne, werde mucksmäuschenstill und bin ergriffen. Auf mich hat dieser Duft eine richtiggehend meditative Wirkung. Einige meiner Lieblingsdüfte haben das…

Für diesen Duft bin ich nicht von Beginn an heiß entflammt, aber er hat mich sofort fasziniert – möglicherweise am Anfang auch etwas überfordert. Beim ersten Sprüher passiert erstmal das, was bei Meister Bucellas Sigilli-Düften auch meistens geschieht: Es wirkt alles ein bisschen chaotisch, man fühlt sich überrumpelt, man fragt sich, wie so viele Duftmoleküle in einen einzigen Sprühstoß hineinpassen – alles sehr kompakt.
Und dann, wenn dieser Duft es sich auf der Haut ein wenig gemütlich gemacht hat, dann fängt das große Kino an: Da rieche ich Mandarine und Lederjacke, eine sehr edle Bitterschokolade, Waldboden mit viel Patchouli und etwas Vanille. Angeblich haben die Cerchi Nell´acqua-Düfte keine Duftpyramide im engeren Sinne, sondern eher einen „runden“ Verlauf, so wie auch die Humiecki & Graef-Düfte. Das ist für mich sehr abstrakt, außerdem habe ich leider keine Ahnung von Chemie und kann mir nicht vorstellen, wie sowas handwerklich geht.

Ich nehme bei diesem Duft (und auch bei den meisten der anderen Cerchi-Düften, die ich probiert habe) sehr wohl einen Duftverlauf wahr, anders als bei vielen H&G-Düften. Und zwar einen hochgradig spannenden und eigenständigen Duftverlauf, aber seeehr langsam und sehr gemächlich. Insofern ist das Bild der konzentrischen, sich langsam im Wasser ausbreitenden Kreise, das der Markenname nahelegt, sehr stimmig. Wie gesagt: geradezu kontemplativ und meditativ. Das geht über eine sehr lange Zeit so: Lederjacke kommt, Lederjacke geht, hier ein paar Schokoladenbrösel und eine halbe Stunde später dann nochmal ein paar davon, und alles auf diesem Waldboden, der an diesem Herbsttag auch noch einige ambratisch-golden-warme Sonnenstrahlen abbekommt. Und gegen Ende kommt von irgendwo eine schöne und richtiggehend dezente Räucherstäbchen-Note durch, die mich ein wenig an einen Weihnachtsmarkt erinnert. Dabei steht Weihrauch noch nicht mal auf der Zutatenliste. Dafür kriege ich nichts vom Koriander mit, und der steht drauf.
Viele der Düfte von Sigilli und noch mehr die von Cerchi Nell´acqua haben einen recht markanten Retro/Vintage-Charme, den ich schlecht in Worte fassen kann. Armònia macht da keine Ausnahme. Vielleicht kann ich es am ehesten so beschreiben: Obwohl diese Düfte bei mir nicht unbedingt konkrete Kindheitserinnerungen wecken, wirken sie auf eine bestimmte Weise antiquiert und wie von sehr weit aus der Vergangenheit her kommend, was mich dann doch an die Gerüche meiner Kindheit erinnert, die sich im Wesentlichen in den 70er-Jahren abspielte. Und Komplimente bekommt man für diesen Duft übrigens auch öfters…

Dieser Duft hat für mich etwas sehr Wärmendes, auch Tröstliches, weshalb ich ihn gerade im Herbst, passend und wohltuend finde. Er hat überhaupt nicht diesen morbiden Touch, den ich etwa in „Tellus“ von Liquides Imaginaires erlebe. Dieser spielt ja auch mit diesem Waldboden-Thema und erweist sich interessanterweise auch als sehr Patchouli-geladener Duft, der aber für mich einen sehr kühlen, geradezu abweisenden Charakter hat. Bei Enrico Bucella selbst liest man keine hochtrabenden Cover-Stories, die irgendetwas mit Waldboden zu tun hätten (er scheint überhaupt sehr zurückhaltend zu sein, was Marketing und alles damit Zusammenhängende angeht, und lieber im Verborgenen zu blühen) – das ist eine der Assoziationen, die mir dieser Duft bringt, aber die bringt er mir sehr zuverlässig. Eine andere Assoziation, die ich beim Tragen von Armònia passend finde: eine jahrhundertealte italienische Villa, sehr gepflegt, sehr antik, es duftet nach frisch gewaschener Bettwäsche und frischen Tischdecken, durch die Fenster scheint die Sonne, in den Sonnenstrahlen sieht man den Staub tanzen, ein Moment, in dem die Zeit still zu stehen scheint.

Dieser Duft hat ein hervorragendes Durchhaltevermögen. Wenn ich ihn morgens vor der Arbeit aufsprühe, ist er zwölf Stunden immer noch präsent. Ob Armònia zum Nasenschmeichler oder zum Nasenschreck wird, hast du selbst in der Hand. Beim Dosieren ist nämlich einige Vorsicht angebracht: Ein Sprühstoß ergibt eine dezente, aber deutlich wahrnehmbare Sillage. Zwei Sprühstöße sind ein klares Statement an die Umwelt. Und drei Sprühstöße sind, zumindest für mich, eindeutig einer zu viel. Somit ist Armònia in meiner Sammlung der unangefochtene Preis-Leistungs-König, denn die 100ml, die man regulär für 120 Euro bekommt, reichen selbst bei regelmäßigem Gebrauch über Jahre…zumindest wenn man ihn selbst aufbrauchen will und ihn nicht irgendwann weiter versoukt...

Eindeutig ist dieser Duft nichts für warme Temperaturen. Nichts für olfaktorische Leisetreter. Und auch nichts für TrägerInnen mit Anfang 20. Aber wenn man Düfte mit einer klaren Kante und einer starken Präsenz, einer unverwechselbaren Aussage und einer überraschenden Duftentwicklung schätzt, dann ist dieser hier ein hervorragender Kandidat. Ich habe ihn trotz regelmäßigem Einsatz im vorigen Herbst/Winter/Frühjahr nie übergekriegt. Und freu mich drauf, wenn es in ein paar Monaten wieder soweit ist, dass ich ihn wieder tragen kann, auch wenn ich nichts dagegen hätte, bis dahin noch möglichst viele Gelegenheiten für sommerlichere Düfte zu haben.
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