My Muse

Smellie13
08.07.2020 - 07:37 Uhr
14
Top Rezension
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Seelebaumeln im sicheren (Duft-) Hafen

Im Laufe unseres ersten Lebensjahres beginnen wir uns aus der ursprünglich symbiotischen Nähe zu unserer Bezugsperson in kleinsten Schritten zu lösen, indem wir immer öfters kurze Erkundungen in die zunächst nähere und dann immer weitere Umgebung vornehmen.
Nach diesen Ausflügen in unsere Umwelt kehren wir wieder in den „sicheren Hafen“ zurück. Wir nehmen Köper- oder zumindest Blickkontakt zu unserer Bezugsperson auf und können in der vertrauten Nähe wieder zur Ruhe kommen und das Erlebte verarbeiten.

Dieses Wechselspiel aus, ich nenne es ‘mal Komfort- und Stretchzone setzt sich unser Leben lang fort.
Ohne dass wir uns immer wieder auf Neuland begeben und uns Herausforderungen stellen, findet keine Entwicklung statt und ohne eine vertraute und sichere Komfortzone gibt es keine Entspannung.

Was hat das mit „My Muse“ zu tun?

Mir kam so der Gedanke, dass es auch in meiner Duftsozialisation und meinem "Dufttrageverhalten" dieses Wechselspiel zwischen Vertrautem und Behaglichem einerseits und Neuem, mitunter Forderndem anderseits gibt.

Ausgehend von Vanilledüften, gefolgt von süßen Rosendüften habe ich mich nach und nach in durchaus für mich experimentelle Duftbereiche vorgewagt. So haben auch Düfte in meine Sammlung gefunden, die nicht jeden Tag passen, für die ich in einer speziellen Laune sein muss und die ein Stück weit anhaltend meine Aufmerksamkeit fordern.

Vermutlich ist das auch mit eine Erklärung dafür, dass ich nach einiger zufriedener Zeit mit meiner feinen Sammlung auch immer wieder die Nase nach Neuem ausstrecke. Auf die Spitze getrieben kann dieses Streben nach Unbekannten mitunter sogar in einem Blindkauf münden.
Es gibt also Düfte, die mich in gewisser Weise (positiv) fordern und solche, die mich eher ganz zu mir selbst bringen.

„My Muse“ erfüllt für mich, ihr ahnt es schon, ganz klar die Kriterien eines „sicheren Duft-Hafens“.
Er wurde in den durchaus wohlwollenden Statements als „unaufgeregt, farb- und spannungslos und bereits bekannt“ beschrieben. JAAA, genau so ist er und das ist in dem Fall genau richtig so.
Nichts Fremdes irritiert hier meine Nase, kein Spannungsfeld zwischen konkurrierenden Komponenten fordert meine Aufmerksamkeit und es gibt keine Störung, die umschifft werden will, bevor ich zum Wohlgeruch vorstoße.
Der Duft wirft den Anker direkt in der Bucht meiner inneren Ruhe und Muse, führt zum Ankommen bei mir selber, zum einfach nur Dasein und Sich-Wohlfühlen.
Obwohl auch ich sofort das Gefühl des Vertrauten hatte, fällt mir kein direkter Duftzwilling ein. Es ist wahrscheinlich also eher eine Ahnung eines vertrauten Gefühls als die Gewissheit, es mit Bekanntem zu tun zu haben.

„My Muse“ startet mit einer minimalen Dosis an Aldehyden, gerade so viel, dass er mir eine Orientierung gibt im Sinne von „huhu, hier bin ich“.
Unmittelbar darauf folgend legt sich ein einhüllender Kokon aus Wohlgeruch um mich. Feinst verwoben sind darin dezente Blüten aus leicht süß-fruchtigen Rosen. Veilchen und Jasmin, die in der Pyramide angeführt sind, hätte ich nicht benannt, werden aber schon im Duftgewebe vorhanden sein. Das Veilchen ist auf keinen Fall trocken-staubig oder nostalgisch und der Jasmin absolut nicht indolisch oder stinkig. Ich hätte eher auf Iris und ein kleines Maiglöckchen getippt. Was genau auch immer noch an Blüten mit dabei ist, es bewirkt, dass es kein eindeutiger Rosenduft und auch kein opulenter Blumenduft ist.

Ein Hauch von pudrigem Zimt, Mandeln und eine feine Harznote geben ein dezent würziges orientalisches Topping. Unterlegt ist das Ganze von einer cremigen Vanille- und Moschusdecke.

Dieser wunderbare Duft entfaltet sofort sein volles Aroma und ändert sich im Verlauf auch nicht sehr stark. Dennoch ist er mir nie langweilig, was vielleicht daran liegt, dass ‘mal die eine, ‘mal die andere Note etwas stärker in den Vordergrund kommt, ohne vorlaut zu sein.
In diesen Duft kann ich mich einfach hinein fallen und meine Seele baumeln lassen. Dabei ist es aber kein Kuschelduft im klassischen Sinne, den man besser für sich alleine daheim am Sofa genießt. Für mich ist es ein cremig-eleganter Duft, den ich gut ausführen und so ein Stück „sicheren Hafen“ mit mir mitnehmen kann, wenn ich mich den Anforderungen des Alltags stelle.

Haltbarkeit und Sillage sind für mich sehr ok. Ich kann den Duft selber stundenlang gut wahrnehmen.
Der Flakon ist wertig mit fein dosierbarem Sprüher. Er ist leicht gold-irisierend und semiopak und gar nicht so eigen khaki-grün wie es die Bilder vermuten lassen.

Ich bekam „My Muse“ vor einiger Zeit in Form einer Probe von einer lieben Parfuma zu testen. Seit damals habe ich meine Fühler nach ihm ausgestreckt, aber er scheint in Europa nicht so leicht beziehbar zu sein.
Dank eines Parfumos hier, der offensichtlich auch andere Amadodüfte zu einem sehr fairen Preis im Souk anbietet, bin ich endlich fündig geworden und nun freudige Besitzerin eines Flakons samt "mobilem sicheren Dufthafen".
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