First
26.11.2017 - 04:08 Uhr
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8.5Duft 10Haltbarkeit 8Sillage

Jenseits von Eden


Nein, nein, ich meine nicht das Lied. Nicht den Schlager und auch nicht die Version von den Ärzten. Ich meine auch nicht den Film. Und nicht die Vorlage für den Film von John Steinbeck. Ich meine Eden von Cacharel.
Ja, Ihr könnt entsetzt sein, empört, verständnislos ob dieses Frevels, aber es ist so. Bracken erinnert mich intensiv und über Stunden an Eden von Cacharel. Und zwar an Eden wie es in der Version von 1994 duftete, also der Urversion.

Aber ich greife vor. Bracken beginnt zunächst anders.
Bracken beginnt grün. Wow! Das ist Grün, grüner geht es nicht. Das ist irgendwie Tanne und Moos zugleich, Blaugrün, Maigrün, Lindgrün, alles auf einmal, frisch, saftig, würzig, wundervoll, natürlich. Eine Mischung zwischen: Ich schneide Buschwerk im Garten und ich kämpfe mich durch einen mitteleuropäischen Urwald, muss hier und da Blätter und Zweige abreißen, um durchzukommen. Natürlich ist auch Herbes dabei, denn durch die Halme und Stängel, Kräuter, Büsche, beeindruckenden Schlingpflanzen und Baumriesen fließen die verschiedensten Säfte, alle intensiv und lebendig. Manche eßbar, manche heilsam, manche auch giftig.

Ich selbst nehme in Bracken keine Früchte wahr, aber in der Kopfnote etwas Zitrisches und eventuell auch einen Hauch Lavendel. Zusammen mit dem intensiven, grünen Eindruck mutet Bracken für mich im allerersten Moment ein wenig wie ein klassisches, mit grünen Pflanzensäften versetztes, 4711-frisches Eau de Cologne an. Unisex.

Und dann, dann kommt es schon. Etwas Pudriges. Etwas Dichtes. Etwas in Kombination mit den Pflanzensäften, etwas, das vielleicht Kamille sein soll, sich mir aber nicht eindeutig als solche darstellt. Langsam schleicht es sich ein. Und es erinnert mich plötzlich an Eden.

Von Eden hatte ich ab Mitte der 90er einen Flakon. Ich fand diesen Duft faszinierend. Er war anders als alle anderen Parfums, die ich kannte und ich musste ihn haben, auch wenn diese dichte, pudrige, leicht besänftigende Note bei mir eine seltsame Ambivalenz hervorrief: Irgendwie war das toll, nie dagewesen, heimelig, zart umhüllend, aber dann doch auch etwas störend künstlich als lege sich ein Film über die Lungenbläschen. Es war wie in einem grün-goldenen Puder-Käfig, den ich bestenfalls halbherzig verlassen wollte, aber es war doch auch so schön fluffig und bequem in ihm. Ich brauchte Eden nach und nach auf, ohne je diese Ambivalenz verloren zu haben, ich musste ihn immer wieder mal benutzen, allein schon um zu sehen, ob dieser seltsame Effekt immer noch auftrat.

Und genau diese Note hat Bracken auch, nur dass sie nicht so sehr im Vordergrund ist wie damals in Eden. Ich habe sie zwischenzeitlich in keinem Duft wieder gerochen und ich weiß nicht einmal, ob sie im heutigen Eden, das in 23 Jahren bestimmt reformuliert wurde, noch enthalten ist.
Ich habe mir die Pyramiden angeschaut, um eine Idee zu bekommen, um welchen Inhaltsstoff es sich dabei handeln könnte, aber das war eine Sackgasse.
Die Pyramiden überschneiden sich genau in einer Angabe: Patchouli.
O.K., damit war wohl kein Blumentopf der Erkenntnis zu gewinnen. Patchouli ist es ganz bestimmt nicht, das diesen Eindruck verursacht.
Da der gesuchte Bestandteil die Herznote von Bracken bestimmt und weder Ähnlichkeit mit Lilie noch mit Narzisse hat, habe ich "Kamille" in Verdacht. Oder ist es mal wieder eine Variante von Moschus, die diese künstliche Dichte erzeugt, die sich mir so auf die Lunge legt?

Ich empfinde Bracken trotz des kamilleverdächtigen Fluffy-Faktors nicht als besonders romantisch. Es zeigt über weite Strecken eben nicht die in nebligen Weichzeichner gehüllte, unversehrte Natur. Um so einen Duft wie Bracken zu erzeugen, muss man die Blätter schon mindestens zerreiben, abreißen, schlicht die Pflanzen kaputtmachen. Ja. Unromantisch. Jenseits von Eden.
Das irritiert mich etwas und erzeugt ebenfalls eine gewisse Ambivalenz. Ich mag diesen grünen Geruch sehr, aber es riecht doch schon arg gerupft, auch wenn sich dies in Herz und Basis etwas abmildert.

Dafür kommt nach etwa 4-5 Stunden ein Waschmittelanklang auf, ein wenig scharf, so als hielte ich meine Nase zu nah an den Waschpulverkarton. Und nun wird der Duft zum Kippbild: Je nachdem, woran ich denke, kann ich entweder schnödes, künstlich beduftetes Waschpulver riechen oder Pflanzensaft mit Puder und ein paar Blüten unterlegt. Ich wähle den Pflanzensaft und versuche vom Waschmittel wegzudenken. Aber der Waschpulveranklang wird stärker und einmal daran gedacht, kommt der Eindruck hartnäckig immer wieder auf.

Ich rieche im ganzen Verlauf weder Narzisse noch Leder heraus. Eine etwas verfremdete Lilie erkenne ich, vielleicht aber nur, weil sie in der Pyramide aufgeführt ist.

Auch Patchouli kommt in meiner Wahrnehmung kaum durch. Nun liebe ich Patchouli. Und ich habe festgestellt, dass wir von den Bestandteilen, die wir lieben, gern viel abkönnen, während das, was wir nicht riechen mögen, uns schon in kleinster Menge stört. So kann es sein, dass für andere doch mehr Patchouli zu riechen ist als für mich.
Vorgestern holte ich einen Freund von der Bahn ab. Er umarmte mich zur Begrüßung und sagte: "Oh, Du riechst gut!" Ich fragte natürlich gleich, was genau er denn da röche. Er sagte: "Das erinnert mich an früher, Patchouli, oder so." Ich fragte, ob er auch was Grünes röche. Er meinte: "Ja, jetzt, wo Du es sagst." Allerdings muss ich erwähnen, dass ich zu dem Zeitpunkt Bracken schon acht Stunden drauf hatte. Auch in der Basis bleibt Bracken unisex und ein wenig herb-grün (Vetiver) mit einem Rest von Eden und einem deutlichen Anklang von Waschmittel.

In Sachen Haltbarkeit ist Bracken ein typischer Amouage. Es hält über 16 Stunden. Und das auf der Haut! Zwei Tage später nehme ich auf meiner Kleidung ein wundervolles, würzig-warm-erdiges, aber nicht gruftiges Patchouli wahr, leicht mit Gras unterlegt, ohne Waschmittel, ohne Eden. Eine Zeitreise in die Hippiewelt.

Für mich persönlich wird Bracken wohl nicht in die heiligen Hallen von Myths Woman, Sunshine Woman und Memoir Woman aufsteigen. Aber meine Abfüllung von Sweetsmell75 (danke!) werde ich mit der gleichen Faszination aufbrauchen wie damals meinen Flakon von Eden. Bracken gefällt mir mit diesem vielschichtigen Grün und seinen Hippie-Hinterlassenschaften noch deutlich besser als jener. Ein Paradies ist er mir mit seinen auch Ambivalenz auslösenden Anteilen dann doch nicht.

Somit ist er wirklich jenseits von Eden. Aber nur knapp.
10 Antworten
HallodriHallodri vor 2 Jahren
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EDEN als Referenz heranzuziehen ist beileibe kein Frevel: er ist doch klar ein Meisterwerk, das seiner Zeit voraus war und es irgendwie auch immer sein wird.
FirstFirst vor 2 Jahren
Danke! Vielleicht sollte ich den mal wieder tragen....
MoppiMoppi vor 8 Jahren
Ich habe, als ich das Parfum testete, überlegt, an was mich der Duft erinnert und jetzt, wo ich das lese, genau, Eden. Den habe ich damals auch gerne getragen.

Viele Grüße,
Moppi
JumiJumi vor 8 Jahren
Toll zusammengefasst! So gerne ich dir auf dem Waldspaziergang folgen würde - ich werde von Bracken immer zurück zum Waschsalon geholt :/ Eden wollte ich aber schon immer mal kennenlernen :)
ExUserExUser vor 8 Jahren
Schön und gut erklärt geschrieben. Aber Eden war und ist für mich einfach modrig gruselig. Ziehe die Steinbeck-Version vor - aber auch da lieber die Straße der Ölsardinen.
Sweetsmell75Sweetsmell75 vor 8 Jahren
ich hab jetzt auch nen Ohrwurm ... Eden kenn ich nicht weder das Alte noch das von jetzt. Dieser Duft verwirrt mich weil er so gar net in mein Beuteschema fällt ich ihm aber völlig verfallen bin :)
ZoraZora vor 8 Jahren
Toller Kommentar und ich habe jetzt trotzdem den Ohrwurm:).
MeggiMeggi vor 8 Jahren
Ich hatte jetzt tatsächlich gleich dieses alberne Lied im Kopf.
ValerianaValeriana vor 8 Jahren
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Auf den bin ich schon sehr gespannt! Dienstags-Pokal von mir :-)
LilaLinchenLilaLinchen vor 8 Jahren
Deine Kommentare lese ich immer sehr gerne, sogar wenn mich der Duft garnicht interessiert :-) Einfach weil es immer so toll geschrieben ist.