Aava
24.03.2013 - 17:10 Uhr
15
Sehr hilfreiche Rezension
6Duft 7.5Haltbarkeit 5Sillage 10Flakon

Die DNA von Zeichenkohle

Andrea Maacks Zeichnungen gleichen Skulpturen. DNA-Strängen, die sich als seltsam verwobene Muster über Papier und Wände dahin schlängen und wundersam lebendig wirken. Mal formen sie sich zu wabenartigen Strukturnetzen, mal zu hartkantigen Bollwerken aus Strichen, Linien und Kurven. In klaren Formen dominieren klare Farben: Weiß und Schwarz und Magenta. Ein bißchen Grün und Blau und Gelb. Ihre Kunst ist eigen und kantig. Und doch wirkt jedes ihrer Kunstwerke auch eigenartig fragil. Mit ruhiger Hand und Geduld gefertigt, strahlen ihre Werke in aller scharfkantigen Eckigkeit auch Ruhe, Kraft und eine selbstbewusste Gelassenheit aus.

Kennt man Andrea Maacks Kunst und ihre Parfums, geht man also mit einer gewissen Erwartungshaltung an einen neuen Duft ihrer Linie heran. Man erwartet Avantgarde, Ausdruck, gleichmütig und kraftvoll Charakterstarkes – ein typisches Andrea Maack Statement. Man erwartet Coal, die DNA von Zeichenkohle, aufgeschlüsselt in einem Parfum. Ein Duft, der sowohl Andrea Maacks Kunst als auch haptisches Erleben in olfaktorischen Ausdruck übersetzen soll: Die spröde Staubigkeit und Bröseligkeit von Zeichenkohle, wenn sie auf Papier trifft, feiner Kohlestaub in die Luft aromatisiert, schmierige Fingerkuppen und scharfkantige, gebrochene Linien auf Papier. Mit Spannung habe ich also ungeduldig auf Coal und darauf gewartet, wie all das wohl in ein Parfum übersetzt wurde. Umso enttäuschter war ich, als ich Coal dann endlich testen konnte.

Seltsam flach und ausdruckslos präsentiert sich Coal im tatsächlichen Dufterlebnis, sowohl auf dem Teststreifen als auch auf der Haut. Ein Duft, der entfernt in der Tat an ein so trocken-poröses Material wie Kohle erinnert, aber dem es von Beginn an und über die gesamte Dauer seines Verlaufes an Tiefe fehlt. Der Auftakt ist deutlich würzig und ein wenig ätherisch. Pfeffrige Noten sowie vor allem der Wachholder sind tonangebend. Schön finde ich den Gegensatz, der sich nach den ersten Minuten einstellt: Die trocken-bröseliger Haptik der Zeichenkohle einerseits und die für die Arbeit mit Zeichenkohle so typischen schwarzen, leicht schmierigen Fingerkuppen andererseits. Diesen Ausdruck hätte ich mir so scharfkantig wie den eckigen Zeichenstrich der Kohle gewünscht und finde ihn in Coal aber nur in Anklängen wieder. Angekratzt aber nicht zu Ende gedacht wirkt das.

Letztlich erdet sich Coal dann ein wenig mit Einsetzen der Herznote und dunkelt etwas nach. Er wird runder, noch etwas trockener aber auch etwas wärmer. Der Papyrus und die holzigen Aspekte geben Struktur, das Patchouli und das Leder ein wenig Wärme. Alles verpackt in einen leicht herben Unterton, der immer noch dem Wachholder oder auch dem angeblich enthaltenen Shiso geschuldet sein kann.

In diesem Gegensatz zwischen dunkel-warmen und frisch-lebendigen Duftnoten wollte Richard Ibanez laut Pressetext zu Coal, den warm/kalten Kontrast einfangen, den Kohle haben kann und Andrea Maack hat ihm dabei freie Hand gelassen. Der Entwicklungsprozess eines neuen Duftes soll nach ihrem Ansatz genauso frei und ungezwungen verlaufen, wie die Schaffung eines ihrer Kunstwerke. Während ihre Kunst dabei aber in der Entstehung immer mehr an Kontur gewinnt, ebnet sich Coal dagegen für meine Nase in einer zwar schönen aber doch eher kantenfreien Belanglosigkeit ein und vergeht in einem trocken-herben und eher zurückhaltenden Lederakkord. In der gesamten Komposition fehlt mir so das Konturierte oder doch zumindest das Charakterstarke. So zurückhaltend ist Coal, dass man schon ordentlich sprühen muss, um dem Ganzen ein wenig Tiefe zu verleihen. Es muss nicht immer die raumgreifende Sillage oder tagefüllende Haltbarkeit sein, auch Zurückhaltendes kann Charakter haben, wie z.B. Smart, einer ihrer ersten Düfte, beweist. Smart ist ebenso keine olfaktorische Nasenkeule aber doch insgesamt so ausdrucksstark, dass er mit einer gewissen selbstbewussten Eleganz durch den Tag zu begleiten vermag. Das fehlt Coal.

Coal tippt nur an, deutet und weist auf etwas hin aber steht nicht für sich selbst. Coal verweist auf Andrea Maacks Kunst mehr als auf sich selbst und funktioniert für mich deshalb auch eher als Kunstduft, als Konzeptduft und nicht als Parfum im herkömmlichen Sinne. Andrea Maacks Kunst eignet sich dafür ganz hervorragend, da sie Duft und Kunst zu vereinen versucht und den Betrachter dazu einlädt, Teil des Kunstwerkes zu werden: Beduftete und von Hand bemalte Zelte gehören genauso zu ihren Kunst-Duft-Installationen wie wandfüllende Strukturzeichnungen aus einzelnen Papierstreifen, die mit Parfum besprüht und vom Besucher mitgenommen werden können. In diesem Rahmen stelle ich mir Coal vor und in diesen Rahmen gehört Coal für mich. Und wenn man Coal unter diesem Aspekt sieht, dann kann man sogar sagen: Mission accomplished. Ja, das ist ein Duft zur Kunst. Ein Duft, der Kunst trägt und unterstreicht.

Coal ist für mich also vor allem Mittel künstlerischen Ausdrucks und weniger ein Parfum, das mich durch den Tag zu begleiten vermag. Und auch wenn unsere DNA so nicht kompatibel erscheint, freue ich mich dennoch darauf, Coal hoffentlich irgendwann einmal in einer von Andrea Maacks Installationen erleben zu können.
9 Antworten
ErgoproxyErgoproxy vor 13 Jahren
Ich finde den richtig gut und er kommt ebenfalls auf meine Wunschliste.
PaloneraPalonera vor 13 Jahren
Trotz aller Enttäuschung hast Du den Duft doch sehr würdig und raumgebend zur Geltung gebracht und mich neugierig gemacht. Ich mag die Maack-Düfte bisher samt und sonders sehr, Coal harrt noch des Kennenlernens. Kohleschäufelchen, ;-)!
AuraAura vor 13 Jahren
Wow, das hast Du super beschrieben und analysiert, ich tue mich mit den Maakschen Metall-kalt-Kohle-Kunstdüften (auch Craft) ebenfalls schwer. An Männern sind die tragbarer.
DuftstickDuftstick vor 13 Jahren
Perfekter Kommi, grosses Lob.
ErgoproxyErgoproxy vor 13 Jahren
Hm, die Bilder sind mir ein Begriff, die Düfte kenne ich bisher noch nicht. Danke für den tollem Kommentar.
AavaAava vor 13 Jahren
Herr Imperator, is nur Zufall :)
AavaAava vor 13 Jahren
@Showdown: Gar keine schlechte Idee. Vielleicht sollte man Coal einfach mit einem der dreien layern ;)
DannyboyDannyboy vor 13 Jahren
Hach... Frau Aava verwöhnt uns dieses Wochenende aber... hach... *nachLuftschnapp*
YataganYatagan vor 13 Jahren
Auch dein Kommentar ist: große Kunst! Danke!