Gabrielle Chanel 2017 Eau de Parfum

First
04.02.2021 - 15:46 Uhr
34
Top Rezension
5
Flakon
6
Sillage
5
Haltbarkeit
9.5
Duft

Frau Dr. B.

Im ersten Moment beeindruckend edel, weich, frisch und hell, lässt Gabrielle die Mutter einer Schulfreundin vor meinem inneren Auge erscheinen: Frau Dr. B., eine schöne Frau mit hellbraunen Augen, großer Ruhe und Freundlichkeit. Ihr blondes Haar trug sie oft klassisch mit einem Kamm hochgesteckt, den Hinterkopf betonend. Sie war Anwältin und oft sah ich sie aus der Kanzlei nach Hause kommen, in einem Kostüm, das an Chanel erinnerte, wenn es nicht gar Chanel war. Sie war in der Lage, diese Kleidung und die dazugehörigen Pumps mit einer solchen lockeren Selbstverständlichkeit zu tragen, wie ich es nie wieder gesehen habe. Die Mutter meiner Freundin war mir auf gewisse Weise immer ein Vorbild, was sie vermutlich nie wusste. Sie verkörperte alles, was ich mir als Jugendliche wünschte und vereinigte es auf sich: Bildung, beruflichen Erfolg, Gelassenheit, Natürlichkeit, Schönheit, Herzlichkeit, sowie eine glückliche Ehe mit Kindern. Und sie war ohne jeden Dünkel.
Gabrielle startet als sei dieser Duft ihr auf den Leib geschnitten und ich bin unmittelbar begeistert.

Allerdings geht Gabrielle sehr schnell anders weiter, als ich mir einen Duft für Frau Dr. B. vorstelle: Es kommt etwas leicht Stinkiges hinzu und ein seltsamer Depressionsfaktor. Ersteres wird wieder einmal mein Duo Indolika, Jasmin und Orangenblüte sein, während letzteres mich an Gardenien denken lässt, die hier nicht aufgeführt sind.
Wie schade, sollte Gabrielle nun doch nicht nach langer Zeit wieder der erste Chanel in meine Sammlung werden? Ich habe mein Herz ja an Cristalle EDT verloren, aber dieser Duft ist inzwischen so gut wie gar nicht mehr zu bekommen und so ist meine Sammlung seither chanellos.

Mein persönliches Trio Infernale von Gabrielle, Jasmin, Orangenblüte und Gardenie, wird nun auch noch merkwürdig cremig und ich bin dabei, den Duft innerlich vollends abzuhaken. Ich gehe in die Küche und mache mich daran, die Pfanne abzuwaschen. Plötzlich dringt ein Schwall heller, freundlicher Zitrusfrüchte an meine Nase und ich denke: Oh, woher kommt das denn? Habe ich noch irgendeinen Duftrest an der Kleidung? Aber nein, wird mir dann klar, es ist Gabrielle! Ich denke, das ist der Rest dieser wundervollen, hellen Kopfnote, mache weiter, räume auf und laufe hin und her. Noch mehrfach kommt eine helle Welle des gleichen fröhlich-frischen Hauchs an meine Nase, hebt meine Laune und ich bin zunehmend verwundert: War das nicht längst weg gewesen und von Jasmin, Orangenblüte und vermeintlicher Gardenie in den Hintergrund gedrängt? Seltsam. Dann betrete ich das Wohnzimmer, wo ich vorhin den Duft gesprüht hatte, und merke auf: Oh, hier duftet es ja herrlich frisch! Wieder kann es nur Gabrielle sein. Auf der Haut allerdings, rieche ich immer noch den künstlich cremig-gardeniengeschwängerten, leicht stickigen Depressionsfaktor. In der Projektion hingegen, nehme ich zitrische Frische wahr.
Dies wiederholt sich bei mehreren weiteren Tests an den nächsten Tagen gleichermaßen, wobei ich heute das erste Mal auch deutlich Mandarinen zu riechen glaubte.
Erst nach jeweils zwei bis drei Stunden legt sich der mir unangenehme Geruch auf der Haut und Gabrielle bringt mich auf andere Weise zu meiner Anfangsassoziation zurück: Jetzt passt Gabrielle wieder zu Frau Dr. B.. Nun nehme ich wieder die edle Eleganz, die Zurückhaltung wahr, ohne dass der Duft langweilig ist. Er ist wieder weicher geworden, die Noten haben sich geordnet und das Stickige lässt zunehmend nach. Er ist weiterhin hell und zitrisch-frisch, nun jedoch von mehr Wärme unterlegt, die einen Hauch Würze beinhaltet und auch einen herben Unterton, den ich in Kenntnis der Pyramide Grapefruit und Johannisbeere zuordne.

Die ganze zweite Hälfte der Herznote und bis in die Basis wird Gabrielle nun immer schöner in meiner Nase. Es bleibt zitrisch, aber nicht mehr ganz so frisch, der herbe Faktor dauert an und macht den Duft interessant, während er in winzigen Schritten weiterhin wärmer wird, wobei man immer noch nicht von einem warmen Duft sprechen kann. Er bleibt eher kühl, aber durch die sanfte, weiche Grundlage wirkt er nicht kalt oder unfreundlich, sondern edel. Vollends in der Basis angelangt, ist er dann dezent und transparent cremig und würzig. In der Projektion und Bewegung wirkt Gabrielle jedoch auch dann noch weiterhin zitrisch und hell.
Ob ich ihn letztlich in meine Sammlung bringen möchte, bleibt vorerst offen, aber allein die Erinnerung an Frau Dr. B. hat dieses Dufterlebnis für mich sehr wertvoll gemacht!
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