Archetype

The Witch 2016 Perfume Extrait

Marieposa
01.03.2024 - 15:09 Uhr
36
Top Rezension
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Breo Saighead

Als du mich gefunden hast, waren die Tage kurz und die Nächte finster. Du wusstest auf einen Blick, wie verloren ich war und du kanntest die Dunkelheit, aber du sagtest kein Wort. Deine Hand schloss sich um meine Finger, sie war stark und warm, und ich folgte dir zu deiner schlichten Hütte. Selbst im Winter trägt die Rosenranke dort an den Wänden vereinzelte Blüten und die Wölkchen über dem Kamin künden vom Feuer, das nie erlischt.
Du heißt mich eintreten, legst eine Decke um meine Schulten, damit mich ihre Wärme wie Balsam umhüllt. Langsam kehrt die Farbe in meine Wangen und Lippen zurück und du lächelst, zeigst mir die getrockneten Kräuter und seltenen Gewürze in deiner Küche, die winzigen goldenen Blüten und den kräftigen Tee. Du weist mich an, das Feuer im Herd zu schüren, die Glut zu hüten und Wasser zu schöpfen aus dem Brunnen vor dem Haus. Und so bleibe ich an deiner Seite, bis der zweite Mond das Licht zurückkehren lässt.
Mit nackten Füßen auf dem lehmigen Boden flüstern wir Gedichte in den Rauch, wenn das Wasser im Kessel unter den Flammen des Herdfeuers aufwallt. Wir rühren den Sud aus schwarzem Tee und Blüten und Geheimnissen, filtern ihn durch feinstes Leder, bis ich spüre, wie die Rauchfäden die kleinen Risse in meinem Innersten versilbern, die dunklen Stellen aufhellen.

Tag und Nacht wird das Feuer in deiner Hütte prasseln. Niemals darf es verlöschen.

***

Breo Saighead, später auch Brigid genannt, ist eine besonders vielseitige, zum Teil auch widersprüchliche Göttin aus dem keltisch geprägten vorchristlichen Irland. Sie gilt unter anderem als die Hüterin des Feuers, als Lichtbringerin, Muttergöttin und Heilerin, ist aber zugleich auch als Schmiedin und Kriegerin bekannt und als Schutzheilige der Poeten – vielleicht weil Geschichten am besten am Feuer erzählt werden? Wer weiß …
Das Fest zu ihren Ehren ist Imbolc, das Mondfest am zweiten Vollmond nach der Wintersonnwende, wenn die Tage im Februar merklich länger werden und der Frühling sich unaufhaltsam gegen den Winter durchzusetzen beginnt. Und genau das könnte mehr oder weniger bewusst der Grund sein, warum ausgerechnet Breo Saighead mir in den wintermüden Sinn kam, als ich Ananda Wilsons The Witch das erste Mal roch.
Mit seinen dunkel ambrierten Harzen, der balsamischen Wärme und den Noten von rauchigem Tee, Gewürzen, ledrigem Osmanthus und ein paar versprengten Rosenblättern hätte ich den Duft zweifellos herbstlich, winterlich eingeordnet, und doch ist er jetzt im Vorfrühling scheinbar genau das, was ich gebraucht habe.
Seit einer Weile bin ich hin- und hergerissen zwischen meiner Sehnsucht nach frischem Grün und dem Bedürfnis, mich einzukuscheln. Habe keine Lust auf meine schwereren Winterdüfte, finde die kühleren Frühlingsdüfte aber zu fordernd. Ein wenig unerwartet füllt The Witch genau diese Lücke dazwischen.
Vielleicht liegt es an der etwas überraschenden ätherischen kampferartigen Frische, die circa fünfzehn Minuten lang über dem Duft glitzert – ich kann beim besten Willen nicht identifizieren, welche der Noten für diesen Effekt verantwortlich sein könnte, aber er sorgt dafür, dass diese konfuse Dichte ausbleibt, die mich oft an Naturdüften irritiert. Dann arbeitet sich Amberbalsam mit ausgeprägter Osmanthusnote in den Vordergrund, legt sich wie Sonnenstrahlen auf die frühlingshungrige Seele, und wird von einer dunklen, rauchigen Teenote und Gewürzen ausbalanciert, als hätte mir jemand einen heilsamen Trank gereicht, gebraut im Kessel über Breo Saigheads ewigem Feuer. Langsam lichtet sich der Rauch und schafft Platz für die leicht animalischen Ledernoten von Osmathus, der Duft wird weicher und beginnt, geheimnisvoll zu glühen wie der letzte Wintervollmond, bevor er immer leiser wird, ein würziges Amberglimmen, und schließlich entschwindet.

Liebe Brida, wie kann ich dir nur danken, dass du diese Kostbarkeit mit mir geteilt hast?
34 Antworten