Habit Rouge L'Instinct 2022

Maxi3000
30.04.2022 - 17:03 Uhr
18
Top Rezension
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
5.5
Duft

Habit Beige

Ohne großes Aufheben, fast schon klammheimlich ist sie veröffentlicht worden, Guerlains neueste Habit Rouge Eau de Toilette -Interpretation. Auf der offiziellen Website wird sie bislang weder beworben noch ist sie bestellbar, und ich war daher sehr überrascht, sie bereits heute bei Müller zum Testen vorzufinden.

Ob man bei Guerlain etwas Bammel vor den Reaktionen beinharter "Habit Rouge"-Ultras hat? Denn in den einschlägigen Social-Media-Hypemaschinen ist die Herrenduft-Ikone der Franzosen mit ihrer herrlich opulent-barocken Zitronenmuffigkeit seit jeher konsequent ignoriert worden - von daher kann man davon ausgehen, dass sich die Stammkundschaft gleichmäßig aus Liebhabern und Traditionalisten zusammensetzt, die vermutlich schon das Gourmand-Sequel Habit Rouge Dress Code nicht mit uneingeschränkter Begeisterung aufnahmen.

Auf gewisse Weise steht die defensive Veröffentlichungspolitik auch sinnbildlich für die neue Kreation, die ich, wenn auch nicht völlig daneben, zumindest als blass und mutlos empfinde. Und noch schlimmer: als Themaverfehlung. So sehr ich eine moderne Neuinterpretation eines in der heutigen Zeit evtl. leicht anachronistisch wirkenden Klassikers begrüße - hier hat sich Delphine Jelk nur notdürftig die Habit Beige übergeschmissen und in der Hanfplantage vergaloppiert.

Doch eins nach dem anderen: Der Duft eröffnet mit einer kräftigen Ladung säuerlich-frischer Grapefruit. Das ist modern, schlank und gefällig wie bei Bleu de Chanel und Konsorten, hat aber 0,00 % mit dem originalen "Habit Rouge" zu tun (früher Spoiler: daran wird sich auch im weiteren Verlauf nichts ändern).

"L'Instinct" nimmt daraufhin recht schnell eine botanisch-grüne Abzweigung mit Mate und Hanf. Allerdings ganz ohne Kiffer-Assoziationen: der Hanf zeigt sich nicht süß-krautig und leicht aasig wie beim Konsum als Rauschmittel, sondern stängelig, trocken und pflanzlich. Eher Hanfseil als Joint. Kein Bombast, sondern recht skinny und puristisch. Hier in der Herznote gefällt mir "L'Instinct" am besten, weil tatsächlich angenehm zu tragen und am eigenständigsten. Ähnlichkeit mit dem Original "Habit Rouge": Null. Hab ich das schon erwähnt?

In der Basis erliegt der der Duft dann leider einer notorischen neumodischen Designerduft-Krankheit und fällt in ein holzig-synthetisches Kuddelmuddel zusammen, das nicht sehr hochwertig riecht und - es tut mir Leid - höchstens Jil-Sander-Niveau erreicht. Das hätte man bei Coty auch so hinbekommen. Ich habe noch eine leichte Bionade-Assoziation (Kräuter oder Holunder), rieche mit ganz ganz viel Wohlwollen evtl. noch eine flache, grün untermalte Vanille raus, für Leder und Patchouli reicht meine Fantasie aber nicht aus. Das hält auf der Haut dann gut und gerne 7-8 Stunden, allerdings nach gut der Hälfte der Zeit mit absoluter Minimal-Sillage. Ach ja: keinerlei Ähnlichkeit in der Basis mit dem Ur-"Habit Rouge"!

Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung erschließen sich mir nicht. Die anvisierte Zielgruppe erst recht nicht: Alteingesessene werden von der demonstrativ unspektakulären Zeitgeistigkeit abgeschreckt sein, und für Neukunden gibt es genügend spannendere Immergeher auf dem Markt, die den Job für weniger als 100 Euro (100 ml) erledigen. Und dafür dann die Marke "Habit Rouge" so mutwillig verwässern?

Apropos Wasser: dass Delphine Jelk hier ein Solo spielt und Guerlain-Maskottchen Thierry Wasser als Parfumeur überhaupt nicht vermerkt ist, gibt natürlich den Gerüchten und Spekulationen neue Nahrung, er wäre mit einigen Entscheidungen des Unternehmens nicht einverstanden gewesen und im Clinch darüber intern in Ungnade gefallen.

Vielleicht war dies eine davon?
11 Antworten