Maxi3000

Maxi3000

Rezensionen
Filtern & sortieren
1 - 5 von 19
Maxi3000 vor 1 Monat 14 7
8
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
7
Duft
Dress Code: Privé!
… und damit ist die Katze eigentlich schon aus dem Sack, denn: wem die bisherigen Habit Rouge-Variationen von Thierry Wasser und Delphine Jelk geläufig sind, weiß anhand der Überschrift natürlich jetzt schon an welche beiden Düfte mich die neue Parfum-Version von HR erinnert.

War jetzt spannungstechnisch nicht sehr brilliant von mir - aber gut, wir leben in les temps du tempo und die Leute wollen ihre News-to-use am liebsten im Eilmeldungsformat, von daher habe ich in diesem Sinne meine Schuldigkeit getan. Für alle, die jetzt noch Zeit übrig haben folgt nun trotzdem eine ausführlichere Beschreibung meines Dufteindrucks – it’s complimentary!

Ich bin vermutlich einer der wenigen Millennials (a.k.a. „Generation Goldbarren“), der sich selbst zu den Habit Rouge-Ultras zählt und das Original mit Hingabe und Entzücken trägt – nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Exzentrik.

Dennoch bin ich für moderne Neuinterpretationen des Themas immer zu haben;
jedoch … habe nun, ach! "Habit Rouge Dress Code | Guerlain" und "Habit Rouge Rouge Privé | Guerlain", und leider auch "Habit Rouge L'Instinct | Guerlain" (urks!), durchaus studiert mit heißem Bemühn – und da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!

Auf Neudeutsch: die bisherigen Remixe haben es für mich nicht gebracht; aber Ehrensache, dass ich die neue Parfum-Version gleich am Erscheinungstag auf der Guerlain-Website auf gut Glück bestellen musste … und sie vermutlich nicht übermäßig lange in meiner Sammlung verweilen wird.

Doch erst der Reihe nach: die auf der Guerlain-Website pompös angepriesene Rum/Bourbon-Note empfinde ich eher als netten Marketing-Gag; gut, mit etwas Fantasie kann man in der Kopfnote etwas Hochprozentig-Liköriges erahnen, ansonsten erinnert der Start mit Bergamotte an "Habit Rouge Rouge Privé | Guerlain" nur bereits deutlich kandierter und sehr rasch von den übrigen Duftnoten eingerahmt.

Im Vergleich zu anderen HRs fährt Delphine Jelk den Regler mit den Hesperiden und dem Leder deutlich runter und zündet den Gourmand-Turbo – laut Guerlainscher PR-Duftpyramide sind das Patchouli und Vanille, doch da ist definitiv noch etwas anderes am Werk, dass den Duft ab der Herznote in eine recht pralinige Richtung lenkt.

Und beim Stichwort Praline ist eigentlich alles klar: im Grunde ist das Parfum die Dress Code-Interpretation von "Habit Rouge Rouge Privé | Guerlain": Bergamotte und Leder aus Letzterem, Tonka und Praline aus Ersterem. Besonders in der Basis ist die Ähnlichkeit zu "Habit Rouge Dress Code | Guerlain" frappierend.

Ebendiese hält übrigens – auch wenn die Chose nach einiger Zeit relativ hautnah wird – sehr sehr lange, was dem Duft aber Meinung nach etwas zum Nachteil gerät, da gerade diese Duftphase für mich zwar d’accord geht, aber mich nicht wirklich zu Beigeisterungsstürmen hinreißt.

Es ist halt Geschmackssache: für einige wird es den Duft moderner, tragbarer und universeller machen, für mich persönlich banalisiert die satte bergamott-unterlegte I-Love-Milka-Süße den Duft etwas. Beim Original begeistert mich, wie transparent und „gestochen scharf“ die einzelnen Basisnoten trotz der süßen und pudrigen Noten erkennbar sind – in der Parfum-Version legen sich die süßen Noten hingegen wie ein Weichzeichner über den Duft und lassen ihn phasenweise etwas flach und dumpf erscheinen.

Aber genug gemeckert: wer Dress Code toll fand und/oder sich eine modernere, etwas unkompliziertere HR-Variante wünscht sollte unbedingt mal einen Test riskieren. Für mich persönlich scheitert die Veröffentlichung wie alle anderen Remakes vielleicht an der Tatsache, dass das Original in seinem faszinierenden Kontrastprogramm aus zackig-zitrischer Kopfnote, Dandy-Blumenherz und der tiefen Vanille-Leder-Patch-Basis unerreicht ist und schlichtweg nicht verbessert werden kann.

Das Nonplusultra bleibt für mich die heilige Dreifaltigkeit aus "Habit Rouge (Eau de Toilette) | Guerlain", "Habit Rouge (Eau de Parfum) | Guerlain" und "Habit Rouge (Extrait) | Guerlain" (Wo bist du? Schluchz!)
7 Antworten
Maxi3000 vor 2 Jahren 18 11
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
5.5
Duft
Habit Beige
Ohne großes Aufheben, fast schon klammheimlich ist sie veröffentlicht worden, Guerlains neueste "Habit Rouge (Eau de Toilette) | Guerlain" -Interpretation. Auf der offiziellen Website wird sie bislang weder beworben noch ist sie bestellbar, und ich war daher sehr überrascht, sie bereits heute bei Müller zum Testen vorzufinden.

Ob man bei Guerlain etwas Bammel vor den Reaktionen beinharter "Habit Rouge"-Ultras hat? Denn in den einschlägigen Social-Media-Hypemaschinen ist die Herrenduft-Ikone der Franzosen mit ihrer herrlich opulent-barocken Zitronenmuffigkeit seit jeher konsequent ignoriert worden - von daher kann man davon ausgehen, dass sich die Stammkundschaft gleichmäßig aus Liebhabern und Traditionalisten zusammensetzt, die vermutlich schon das Gourmand-Sequel "Habit Rouge Dress Code | Guerlain" nicht mit uneingeschränkter Begeisterung aufnahmen.

Auf gewisse Weise steht die defensive Veröffentlichungspolitik auch sinnbildlich für die neue Kreation, die ich, wenn auch nicht völlig daneben, zumindest als blass und mutlos empfinde. Und noch schlimmer: als Themaverfehlung. So sehr ich eine moderne Neuinterpretation eines in der heutigen Zeit evtl. leicht anachronistisch wirkenden Klassikers begrüße - hier hat sich Delphine Jelk nur notdürftig die Habit Beige übergeschmissen und in der Hanfplantage vergaloppiert.

Doch eins nach dem anderen: Der Duft eröffnet mit einer kräftigen Ladung säuerlich-frischer Grapefruit. Das ist modern, schlank und gefällig wie bei Bleu de Chanel und Konsorten, hat aber 0,00 % mit dem originalen "Habit Rouge" zu tun (früher Spoiler: daran wird sich auch im weiteren Verlauf nichts ändern).

"L'Instinct" nimmt daraufhin recht schnell eine botanisch-grüne Abzweigung mit Mate und Hanf. Allerdings ganz ohne Kiffer-Assoziationen: der Hanf zeigt sich nicht süß-krautig und leicht aasig wie beim Konsum als Rauschmittel, sondern stängelig, trocken und pflanzlich. Eher Hanfseil als Joint. Kein Bombast, sondern recht skinny und puristisch. Hier in der Herznote gefällt mir "L'Instinct" am besten, weil tatsächlich angenehm zu tragen und am eigenständigsten. Ähnlichkeit mit dem Original "Habit Rouge": Null. Hab ich das schon erwähnt?

In der Basis erliegt der der Duft dann leider einer notorischen neumodischen Designerduft-Krankheit und fällt in ein holzig-synthetisches Kuddelmuddel zusammen, das nicht sehr hochwertig riecht und - es tut mir Leid - höchstens Jil-Sander-Niveau erreicht. Das hätte man bei Coty auch so hinbekommen. Ich habe noch eine leichte Bionade-Assoziation (Kräuter oder Holunder), rieche mit ganz ganz viel Wohlwollen evtl. noch eine flache, grün untermalte Vanille raus, für Leder und Patchouli reicht meine Fantasie aber nicht aus. Das hält auf der Haut dann gut und gerne 7-8 Stunden, allerdings nach gut der Hälfte der Zeit mit absoluter Minimal-Sillage. Ach ja: keinerlei Ähnlichkeit in der Basis mit dem Ur-"Habit Rouge"!

Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung erschließen sich mir nicht. Die anvisierte Zielgruppe erst recht nicht: Alteingesessene werden von der demonstrativ unspektakulären Zeitgeistigkeit abgeschreckt sein, und für Neukunden gibt es genügend spannendere Immergeher auf dem Markt, die den Job für weniger als 100 Euro (100 ml) erledigen. Und dafür dann die Marke "Habit Rouge" so mutwillig verwässern?

Apropos Wasser: dass Delphine Jelk hier ein Solo spielt und Guerlain-Maskottchen Thierry Wasser als Parfumeur überhaupt nicht vermerkt ist, gibt natürlich den Gerüchten und Spekulationen neue Nahrung, er wäre mit einigen Entscheidungen des Unternehmens nicht einverstanden gewesen und im Clinch darüber intern in Ungnade gefallen.

Vielleicht war dies eine davon?
11 Antworten
Maxi3000 vor 4 Jahren 30 9
10
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Goldkettchen erfolgreich abgelegt!
Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß.
Und manchmal hat es auch Vorteile, nicht jede Ecke und jeden Kommentar von Parfumo schon auswendig zu kennen. Wie in vorliegendem Fall, in dem es um den neuesten Flanker des "Pasha de Carter" geht - dem "Pasha de Cartier Parfum", zu dem ich nach dem ersten Test nur ein kurzes Statement schreiben wollte, der mir aber mitterweile so außerordentlich gut gefällt, dass ich ihn nun doch mit einem ausführlicheren Kommentar lobpreisen wollte.

Ich habe den Original "Pasha" von 1992 nie getestet bzw. gerochen. Und ihn auch nie auf Parfumo gesucht. Und das war vielleicht besser so: wäre ich nämlich die zum Duft abgegebenen Reviews durchgegangen, hätte ich die neu erschienene Parfum-Version aus dem Hause Cartier vermutlich nie getestet: man liest von einem würzig-seifigen Altherren-, sorry, Oldschool-Duft, der wunderliche Assoziationen an verschwitzte Rentner in Thailand und lüsternde alte Quartalssäufer mit Goldkettchen weckt.

Soviel sei vorweg verraten: auch die neue Parfum-Variane ist nichts für keimfrei riechen wollende Prada-Puristen, auch im 2020er-Update echot eine leicht kräuterig-schwitzige Cumin-Nuance, allerdings nur sehr moderat "menschelnd" und eingepackt in viele andere leckere Noten. Dabei hat Hausparfumeurin Mathilde Laurent beim Feintuning der Komposition scheinbar immer mal wieder nach links und rechts geschaut: hier ein kleines Likörchen mit "Dior Homme Intense" getrunken, dort ein Tonkaböhnchen von Guerlain stibitzt - und das ganze dann dezent eingarbeitet, so dass ein Herrenduft mit klassisch-maskuliner DNA, aber keineswegs verstaubten Charakter entstanden ist (was nicht heißen soll, dass die Damen ihn nicht auch mal testen sollten!). Unser Pasha gönnt sich quasi ein Makeover: weg mit dem Goldkettchen, dem Busfahrer-Hemd und weg mit dem Herrengedeck!

Der neue Pasha gönnt sich zum Auftakt lieber erstmal eine Kaffee: tatsächlich nehme ich zu Beginn eine erdig-dunkle Note wahr, die mich - obwohl nicht in der Duftpyramide angegeben - an schwarzen Kaffee erinnert. Dazu fruchtige Untertöne (es gab also Fruchtlikör), ganz leicht angeschwipst (um den Anglizismus "boozy" zu vermeiden).

Vollkommen Hin und Weg bin dann aber erst nach ca. einer halben Stunde: Patchouli, Amber und Labdanum schieben den Duft in warm-würziges, etwas gold-karamelliges Terrain und geben dem Ganzen diese leicht verschlafen wirkende, ambriert-benebelte Anmutung, die sich auch einer meiner All-Time-Favourites - "Opium pour Homme" in der Eau de Parfum-Version - zu Eigen macht und die von einigen Parfumos als zu schwülstig und zu wuchtig, von mir aber einfach nur anziehend, sinnlich, ja auf eine erotische Weise körperlich wahrgenommen wird. Auch die Basis, die armbriert-balsamisch und mit viel Sandelholz ausklingt, ist handwerklich vielleicht nicht zwangsläufig top-modern, aber für mein Empfinden stimmig und angenehm.

Ein großer Trumpf ist die Haltbarkeit - auf der Haut hält der Duft bei mir locker 10 Stunden durch, auf die Jacke gesprüht habe ich ihn sogar nach 48 Stunden immer noch wahrgenommen - man merkt, dass es sich hier nicht um ein Eau de Parfum, sondern tatsächlich um ein richtiges Parfum (!) handelt. Die Sillage ist ebenfalls sehr stark, von daher für den bestmöglichen Genuss sparsam oder zumindest mit etwas Bedacht dosieren! Sonst wirkt der Duftschleier schon sehr penetrant.

Der wunderhübsche Art Deco-Flakon ist nahezu identisch mit dem Original- sieht schick und zeitlos edel aus und liegt auch haptisch gut in der Hand; bei Schmuckhäusern wie Cartier oder Lalique merkt man, dass auch immer ein spezielles Augenmerk auf das Design gelegt wird.

Eine sehr respektable Veröffentlichung von Cartier! Dieser Pasha ist nicht unbedingt ein Trendsetter, kein "Performer" und treibt sich auch nicht in den hippsten Clubs herum - vielmehr ist er ein stilsicherer, eleganter und warmherziger Typ, von dem sich so manche Dame (und auch den ein oder andere Herr!) angezogen fühlen wird. Nachdem ich Cartier gedanklich jahrelang in der Protz-Schnösel-Ecke abgelegt hatte (sorry!), muss ich nun doch schön langsam Abbitte leisten: nachdem sich die letzten Erscheinungen im Herren-Segment - "L'Envol", und das "Declaration Parfum" - schon als moderne, erwachsene Düfte, die sich nicht zu sehr an kurzlebige Trends anbiedern, entpuppt haben, ist das "Pasha"-Parfum für mich die bisher gelungenste Neuveröffentlichung.

Und bei allen weiteren Neuveröffentlichungen werde ich demnächst mal öfters erst testen und DANN auf Parfumo nachschauen... ;)
9 Antworten
Maxi3000 vor 4 Jahren 50 21
8
Flakon
5
Sillage
8
Haltbarkeit
5.5
Duft
Der Zeitgeist will es so
Zunächst eine wichtige Info vorweg: ich habe letzten Sommer meinen 30. Geburtstag gefeiert.
Ist deshalb relevant, da der folgende Kommentar vermutlich den Eindruck erweckt, ich wäre mindestens doppelt so alt. Oder dreifach. Wollte ich nochmal schnell loswerden.

Und nun gleich zum Outing: Ja, ich gehöre zu den Heulsusen, dich sich von Dior ans Bein gepisst fühlen, jetzt da die Franzosen einen ihrer modernen Meilensteine der Herrenparfumerie völlig entkernen und als quasi komplett neuen Duft auf den Markt bringen. Dass es die ursprüngliche Version zumindest noch vorläufig als "Dior Homme Original" gibt und die Intense und Parfum-Version des Duftes allen Anschein nach unangetastet bleiben, lässt darauf schließen, dass die Entscheidung auch im eigenen Hause umstritten gewesen sein könnte. Das letztere beiden Versionen (EdP und Parfum) früher oder später auch umgebaut werden halte ich nur für eine Frage der Zeit - eine Linie, in der das Eau de Toilette und Eau de Parfum überhaupt nicht zusammenpassen, wird auf Dauer schwer zu vermarkten sein. Scheint ja in einigen Parfumerien angesichts Diors Geschäftpolitik jetzt schon ein heilloses Durcheinander zu geben.

Der originale "Dior Homme" ist eine von mir nach wie vor heißgeliebte Parfum-Großtat: edel, opulent, etwas dandyhaft, und durch den von Iris gertragenen, legendär-pudrigen "Lippenstift-Akkord" auch immer ein Statement, vielleicht sogar eine kleine Provokation: gegen starre Definitionen, wie Männlichkeit auszusehen (und zu riechen) hat, gegen die Durchschnittlichkeit. Hier wurde kein verschämtes Versteckspiel mit Duschgel-, Deo-, oder Rasierschaum-Assoziationen gespielt - hier bekannte man sich als Mann eindeutig zum "Parfümiert-Sein". Bis heute finde ich das Konzept unglaublich cool und progressiv.

Wäre der neue "Homme" nun unter komplett neuem Namen erschienen, hätte ich über den Duft gar nicht viele Worte verloren. Aber auch so fällt die Zusammenfassung meines Dufteindrucks recht knapp aus: zitrisch-gepfeffert im Auftakt, ein paar sparsam maskulin-holzige Noten im Herz, umspielt mit etwas Iso E Super und Veitver, recht gute Haltbarkeit, sehr schnell abflachende Sillage.

Nicht schlecht gemacht, nicht zum Davonlaufen, sondern viel schlimmer: belanglos. Unscheinbar. Einfach nicht der Rede wert.

Es ärgert mich schon immer etwas, wie so eine Langeweile dann als "Immergeher", "Crowdpleaser" oder "versatile" (schlimmer Ausdruck) schöngeredet wird. (Oder besonders schlimm: "Büroduft" - als müsse man im Büro immer aalglatt sein und das Stromlinienförmig-Devote olfaktorisch auch noch unterstreichen.)
Das soll jetzt grundsätzlich nicht gegen diese Art von Düften gehen, die ja auch ihre Daseinberechtigung haben. Aber: möchte ich so ein Parfum haben, suche ich mich etwas in der Drogerie aus oder lege einen Zwanziger für einen Jil Sander oder Joop auf den Tisch. Für den Preis, den ein Premium-Hersteller wie Dior aufruft - 100ml von "Dior Homme" bekommt man auf der Dior-Website für 96 Euro - finde ich das Gebotene schlichtweg eine Unverschämtheit. Da hilft auch kein "Crowdpleaser" und kein "Immergeher" mehr. (Monsieur Demachy trifft unfreiwillig ins Schwarze, wenn er diese fade Banalität als "offene, absolute Einfachheit" beschönigt.)

Aber was rede ich - den meisten Leuten scheint es ohnehin entweder wurscht zu sein oder sogar gelegen zu kommen. Jedes Parfum ist auch ein Kind seiner Zeit. Dass Dior-Kreationen wie "Fahrenheit" oder eben das Ur-"Dior Homme" trotz aller Extravaganz Kassenschlager wurden, ist ja auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet. "Dior Homme 2020" passt sehr gut in eine Zeit, in der jeder sein Leben "performen" will/muss, aber ja bitte im vorgegebenen Rahmen. Bloß nicht zu sehr aus der Reihe tanzen. Geht man durch die Einkaufsmeilen der Großstädte, sieht man superindividuelle Menschen die wie ein Ei dem Anderen gleichen. Markenklamotten sind wichtig, aber bitte nicht Unkonventionelles oder Ausgefallenes. Unscheinbare Sweatshirts, Basic-T-Shirts, Hosen im Jogging-Look, alles schluffig sitzend und ohne jeden Pfiff geschnitten, aber Hauptsache eines der Brand-Logos von Calvin Klein bis Gucci ist drauf.

Also Schluss mit dem Metro-Fummel und der ganzen neumodischen Exhaltiertheit! Das 2020er-Remake von "Dior Homme" fängt den aktuellen, politisch-gesellschaftlich wieder eher konventionell konnotierten Zeitgeist gekonnt ein und wird sich daher sehr sehr gut verkaufen. Riecht okay, fällt nicht unangenehm auf, ist von Dior - Safe, Bro.
Das kann man jetzt doof finden (wie ich), muss aber so zur Kenntnis genommen werden.

Dazu fällt mir als Musikinteressierter noch eine Dokumentation über Hi-NRG ein, die ich kürzlich im Fernsehen gesehen habe - jener synthiegetriebene Dance-Sound, der in den 80ern aus den Trümmern der irrelevant gewordenen Disco-Musik auferstand und zu Ende des gleichnamigen Jahrzehnts wieder in der Versenkung verschwand: plötzlich wollten alle Acid und House und die alten Epigonen verstanden die neue Sprache der Clubs und Diskotheken nicht mehr.
Peter Watermann (von Stock Aitken Watermann), der mit seinen Fließbandproduktionen zum kommerziellen Ausverkauf der Hi-NRG beitrug, dazu etwas ratlos im Interview über den damals neuen Sound: "Die haben nur noch einen Beat - keine Songs mehr, keine guten Melodien! Aber die treffen sich zu Zehntausenden auf einer Wiese und haben einen Riesenspaß. Die machen es richtig - und ich liege falsch."

Und auch ich liege vermutlich falsch. Der Zeitgeist will es so.
21 Antworten
Maxi3000 vor 6 Jahren 47 19
8
Flakon
6
Sillage
9
Haltbarkeit
7.5
Duft
Mama hat 'nen Neuen
Zunächst einmal eine eher unerfreuliche Nachricht: meine Parfumsucht hat ein neues, ungeahntes Level erreicht. Habe ich bisher noch immer brav darauf gewartet bis ein neuer Duft in deutschen Parfumerien angeboten wurde, befiel mich die Sehnsucht nach dem ersten komplett neuen Herren-Mugler seit 22 Jahren so stark, dass ich meine Fühler erstmals ins EU-Ausland ausstreckte und mir das Objekt der Begierde noch vor dem Deutschlandrelease importieren musste. Einen dicken Schmatzer auf die Wange an dieser Stelle an die Parfumos GlamourAngel und Exhale, die im Forum heiße Tipps geliefert haben, wo man ihn schon bekommen könnte. Dankeschön!

Aber warum dieser ganze Leidensdruck? Erstens ist „A*Men“, Muglers erster für Herren, einer meiner absoluten Lieblingsdüfte aller Zeiten: Teer, Gummi, Zuckerwatte, feuchte Erde, ein Tropfen Raubkatzenpipi und noch viel viel mehr - unfassbar genial, sehr gewagt, polarisierend, ein großer Duft, ein moderner Klassiker, der nie ganz die Anerkennung erhalten hat, die er verdient hätte. Zweitens war ich schon immer ein heimlicher „Alien“-Bewunderer – das Original für die Damen ist eine divenhafte Jasmin-Sirene, manchmal schrill, manchmal nervig, aber nie egal. Dass ihn zu viele Damen in zu hoher Dosis tragen, dafür kann der Duft (analog zum Gaultier-Matrosen für Herren) nichts, trägt aber zu seinem allgemeinen Verruf bei. Und das jetzt auch für uns Herren? Ein Traum!

Jedenfalls: Mama Alien hat endlich einen Neuen! Musste sie sich bisher alleine um ihre zahlreichen Abkömmlinge kümmern, die mit ihr im Regal stehen, hat man sich endlich erbarmt und ihr einen männlichen Begleiter an die Seite gestellt. Der neue Macker macht rein optisch einen soliden Eindruck: breite Schultern, schweres, getöntes Glas, klare Linien, kaum Verzierungen oder sonstiger Klimbim. Ist ok so, liegt auch ganz gut in der Hand, ist aber für einen Mugler ein erstaunlich schmuckloser und reduzierter Flakon und sorgt beim Auspacken für eine kurze Schrecksekunde: die werden uns doch nicht einen olfaktorischen Bausparer untergejubelt haben? Ausgerechnet Mugler, die Meister des Üppig-Überladenen und Provokativen?

Die Kopfnote nach dem Aufsprühen sorgt für erste Erleichterung: keine faden zitrischen Kinkerlitzchen, keine Duschgel-Aquatik, sondern ein interessanter grün-blumiger Auftakt. Osmanthus und Dill? Ich werde beim nächsten Marktbesuch mal am frischen Dill riechen und schauen, ob dass die grüne Note ist, die ich zu Beginn zu erschnuppern vermag.

Nach einigen Minuten fängt „Alien Man“ an, sehr bekannt zu riechen – und zwar wie sein reicher Onkel „Cuir Impertinent“ aus der „Les Exceptions“-Reihe, mit der Mugler auch die zahlungskräftige Kundschaft im Premium-Bereich erreichen will: viel weiches Leder, dazu eine Sternanis-Note und auch hier werden noch ein paar grün-pflanzliche Tupfer spendiert. Stellenweise ist die Ähnlichkeit extrem frappant ... scheint der Nischen-Mugler wohl doch keine so große „Exception“ mehr zu sein?

Bevor man sich rechtzeitig darüber echauffieren kann („Alter Wein in neuen Schläuchen“ und so...) nimmt das Leder des Männer-Aliens nach einer Stunde eine Abzweigung Richtung lakritzig-likörig, auch eine rauchige Nuance funkt immer mal wieder rein. Allerdings für mein Empfinden kein Holzrauch (schon gar kein Buchenholz) – eher ein wenig dieses verdampfte Nebelfluid, dass in Diskotheken und Clubs auf dem Dancefloor bzw. in trashigen Filmen eingesetzt wird, wenn das Alien-Raumschiff landet. Wer empfindlich gegenüber Synthetik ist, wird wohl spätestens jetzt wie in selbigen Filmen schreiend das Weite suchen. Ich persönlich finde es schick, es gibt dem Duft einen spacigen, wabernden Touch, der ja zum „Gesamtkunstwerk“ passt. Am Schluss klingt der Mugler mit Holz und Rauch, leicht ambriert, aus.

Wem „A*Men“ immer zu zahnwehsüß, zu divenhaft und ausladend war, darf hier ruhig einen Test riskieren: „Alien Man“ ist deutlich zahmer, unsüßer und maskuliner angelegt – das bedeutet nicht, dass er kein Unisex-Potential hätte, ich kann mir sogar vorstellen, dass er auch einer Frau super stehen könnte. Die Haltbarkeit ist überdurchschnittlich (auf meiner Haut sind 9-10 Stunden drin), die Sillage – vor allem für einen Mugler – aber überraschend gering. Wer auf eine Sillage-Bombe wie „A*Men“ gehofft hat, wird eventuell etwas enttäuscht sein. Könnte aber auch am Zerstäuber liegen, der nicht unbedingt Fontänen versprüht, sondern eher einen kurzen, dünnen Strahl. Vorteil: man kann den Duft punktgenau auftragen. Nachteil: der Duft verteilt sich nicht so gut auf der Haut, und m.E. geht damit ein Stuck weit die Projektion flöten.

Gemessen an meinen riesigen Erwartungen bin ich nicht völlig von den Socken, aber von „Alien Man“ sehr angetan. Zum Einen weil ich „Cuir Impertinent“ immer super fand, er mir aber zu teuer war und ich happy bin, eine günstigere Alternative gefunden zu haben. Zum Anderen: der Junge hat durchaus Charakter. Nun ist er zwar keine bahnbrechende Innovation und wird nicht wie „A*Men“ das Herrenparfum revolutionieren, hat aber definitiv Wiedererkennungswert und begibt sich mit seinem sanft ledrig-rauchigen Typus auf einen Pfad, der im Mainstream-Segment aktuell noch nicht allzu ausgelatscht ist.

Deutlich weniger gefallsüchtig als viele andere aktuelle Neuerscheinungen im Herrensegment - keine Tonkabohne/Vanille, keine Organgenblüte, kein „frisch-würziges“ Gedöns – kein zu plumper und offensichtlicher „crowdpleaser“ und „compliment getter“ (furchtbare Begriffe!), sondern einfach ein sinnlich-schöner, ledriger, schwebender Orientale.

Mama Aliens Neuer is' ein Guter!
19 Antworten
1 - 5 von 19