Profumo
17.02.2012 - 08:47 Uhr
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Top Rezension
8Duft 7.5Haltbarkeit 5Sillage 10Flakon

Ein großartiges würzig-frisches Chypre!

Man muss sie mögen, diese frischen, zitrischen Chypres, muss einen Hang zu klassischen, mitunter altmodisch anmutenden Düften haben, denn sie stammen fast ausnahmslos aus der Zeit zwischen 1950 und 1970.
Lubins „L’Eau Neuve“ war dabei einer der späteren.

Es war mal wieder der große Edmond Roudnitska, der – eine ältere Idee von François Coty aufgreifend – Ende der vierziger Jahre das Konzept eines frischen Chypres zu formulieren begann. Zunächst aber näherte er sich diesem auf Umwege: war „Moustache“ von 1949 noch eher ein frisch-aromatisches Fougère, trug es dennoch schon eine Kernidee in sich, nämlich die, ein klassisches Cologne-Gerüst, und hier vor allem dessen wenig substanzielle Basis mit Eichenmoos und Pachouli zu verstärken. Das Resultat sollte zwar kein wirkliches frisches Chypre sein, aber der Weg der bis hin zu „Eau Sauvage“ und letztlich „Diorella“ führen sollte, war eingeschlagen. Mit „Eau d’Hermès“ ging Roudnistka einen Schritt weiter, zunächst in eine ledrig-animalische Richtung, aber schon zwei Jahre später, 1953, schuf er den Duft, der das Genre definieren sollte: „Eau Fraîche“ von Dior.
Alle ihm folgenden, sei es Chanels „Pour Monsieur“, Givenchys „Monsieur“, die schon genannten „Eau Sauvage“ und „Diorella“, aber auch „Ô de Lancôme“, Chanels „Cristalle“, Sisleys „Eau de Campagne“ und eben auch „L’ Eau Neuve“ von Lubin, waren stark von diesem frühen Dior-Duft beeinflusst.

Wenn Lubin nun für sein Werk, das 1968 lancierte „L’ Eau Neuve“, besonders das hauseigene 1798 entstanden „Eau de Lubin“ als Grundlage und Ausgangspunkt nennt, so stimmt das zwar insofern, als der Uraltduft ein klassisches Eau-de-Cologne war, und dieses im neuen „Eau“ als Rückgrat wieder auftaucht, aber das eigentliche Charakteristikum des Duftes ist ohne „Eau Fraîche“ und dessen direkte Nachkommen nicht denkbar.
Doch letztlich war es nicht der frühe Dior-Duft mit dem sich „L’ Eau Neuve“ zu messen hatte, auch nicht die beiden „Monsieurs“, sondern das immens erfolg- und einflussreiche „Eau Sauvage“, der Roudnitska-Klassiker schlechthin. Doch anders als heute, wo erfolgreiche Düfte regelrecht zu Tode geklont werden, fühlte man sich vor einem halben Jahrhundert noch dazu aufgerufen einen Erfolg übertrumpfen zu wollen. Das ging nicht immer gut, aber die Ergebnisse ließen sich in aller Regel sehen: gut gemachte Düfte die sich bemühten ein Niveau zu halten, wenn nicht gar zu heben – „Ô de Lancôme“ ist für ein solches Bemühen ein ausgezeichnetes Beispiel.

Aber auch Roger Broudoux, der „Nase“ hinter Lubins neuem „Eau“, gelingt das ganz bravourös. Mit diesem schuf er ein besonders aromatisches, herb-würziges, frisches Chypre, das sich neben den klassischen Eau-de-Cologne Zutataten (zitrisch-blumig-holzig) und der Bewehrung des Fonds mit Chypre-Noten wie Eichenmoos und Patchouli, vor allem durch ein kräftiges Kräuterbouquet aus Thymian, Majoran und Koriander auszeichnet. Diese klar strukturierte Würze wird weder durch leicht indolischem Jasmin kontrastiert, oder mit etwas Hedion durchlüftet („Eau Sauvage“), noch durch pudrige und florale Nuancen gemildert („Ô de Lancôme“). Ganz im Gegenteil: sie bleibt klar erkennbar und bildet – wie gesagt – das eigentliche Charakteristikum dieses Duftes. Hier tut sich nach meinem Empfinden vor allem der Majoran hervor, gefolgt von einer klar erkennbaren Prise Thymian, ein paar Korianderblättern und dem leisen Hauch aromatischer Kamille. Eingebettet ist diese Kräutertee-Anmutung (daran erinnert mich das Herz des Duftes wirklich!) in einen ausgesprochen frischen Hesperiden-Auftakt mit Zitrone, Orange und Bergamotte einerseits, und einen holzig-trockenen Chypre-Ausklang mit Zedernholz, Pachouli und Eichenmoos andererseits.
Das für viele Chypres so typische bitter-süße, balsamische Labdanum scheint hier vollkommen zu fehlen, denn der Duft entwickelt, vom fruchtigen Auftakt abgesehen, so gut wie keine Süße. So klingt zwar im würzigen Herz noch einiges an zitrischer, leicht bitterer Restsüße nach, doch spätestens zum Fond hin wird „L’ Eau Neuve“ immer trockener und herber. Die vom Hersteller erwähnten, angeblich im Hintergrund agierenden Rosenblätter sowie den Jasmin, vermag ich nicht zu entdecken. Allenfalls eine leichte animalische Anmutung, die eventuell tatsächlich von den indolischen Facetten des Jasmins stammen könnte, ebenso gut aber auch von der Beimischung von etwas Zibet – wer weiß. Jedenfalls durchweht das kräftig würzige Herz ein leiser animalischer Hauch, der in keinem Moment à la „Eau d’ Hermès“ vordergründig wird und auch sonst den Duft nicht sonderlich charakterisiert, höchstens noch eine Spur interessanter macht.

Zum Ende der Duftentwicklung hin bleibt ein erstaunlich ausdauernder moosig-holziger Pachouli-Akkord erhalten, den das Haus Lubin heute als Reminiszenz an die Generation der Flower-Power-Bewegten feiert.
Mir scheint das etwas weit hergeholt und auch ein wenig bemüht, aber sei´s drum. Immerhin wurde der Duft im heute legendärem Jahr 1968 - dem Ausgang- und Sehnsuchtspunkt alternativer Utopien und Lebensentwürfe - lanciert. Und suchte man nach einer olfaktorischen Begleiterscheinung dieser so aufbruchsfrohen und diskursreichen Zeit, es bliebe tatsächlich nur das seinerzeit gerade als natürliches Öl so beliebte Patchouli übrig.
So mag die 68er-Rebellion- und Flower-Power-Verlinkung zwar eine gewisse Berechtigung haben, aber sie wirkt doch arg konstruiert, da die Generation der damals Aufbegehrenden – ich weiß es noch ansatzweise aus eigener Erfahrung – anderes zu tun hatte als sich zu beduften. Ganz im Gegenteil: das Tragen von Parfum galt gemeinhin viel eher als Ausdruck verhasster bourgeoiser Lebensart. Geduldet waren allein die Anwendung knarziger Patchouli-Öle, oder vielleicht der ein oder andere Wachs-Brocken der aus Marokko stammend intensiv nach Moschus duftete.

Heute aber, im Zeitalter der Retro-Moden, mag es angehen diesen Duft als für seine Zeit typisch und als Ausdruck selbiger zu vermarkten – ganz korrekt ist es nicht.
Immerhin leitete dieser Duft aber 2008 die Wiederbelebung einer kleinen, aber umso exquisiteren Reihe an klassischen Lubin-Düften ein, die sich mit dem Relaunch von „Le Vetiver“, „Gin Fizz“ und „Nuit de Longchamps“ fortsetzte.
Reorchestriert wurde er von Lucien Ferrero, der auch für die Neuformulierung von „Le Vetiver“ zeichnete (angeblich ebenso wie „L’ Eau Neuve“ sehr nahe am Original) und darüber hinaus das neue, nicht minder fabelhafte „Le Vetiver – Itasca“ komponierte. Drei Düfte, die ich für überaus gelungen halte, die Sinn für klassische Proportionen und Größe vermitteln, aber auch von stilsicherem Geschmack künden.

Schön, dass es „L’ Eau Neuve“, dieses Wunderwerk von einem trocken-würzigen Chypre wieder gibt!
Und wenn ein Duft dieses Genres neumodisch gesagt „unisex“ ist, dann sicherlich dieser.
7 Antworten
BassWurstBassWurst vor 14 Jahren
Einfach ein toller Kommentar zu einem tollen Duft!
MonsieurMonsieur vor 14 Jahren
Ich muss den also wohl doch mal testen...
JensemannJensemann vor 14 Jahren
Nicht ein Wort gelesen, aber trotzdem Pokal und ab auf die Merkliste, wenn's ein Chypre ist... :)
DieNaseDieNase vor 14 Jahren
Klingt interessant. Hast mich angefixt ;)
ErgoproxyErgoproxy vor 14 Jahren
Genau! Ich freu mich schon auf den Sommer, dann kommt er wieder zum Einsatz.
Medusa00Medusa00 vor 14 Jahren
Ganz große Augen mach!
EloiseEloise vor 14 Jahren
Uiiiii! Ein Kaufkandidat - wo ich doch mal eine Kaufpause machen wollte. Morgen wird getestet. Danke !