Antoine
Top Rezension
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Flüchtiger Orientale
Indigo ist ein schöner, sicher mit viel Bedacht komponierter Duft, der im besten Sinn unisex ist: Es handelt sich nicht um eine betont agrumige oder gewürzige Komposition (bei denen eine Unisex-Einordnung ja immer naheliegt), sondern um eine für Mann wie Frau gleichermaßen tragbare Interpretation des Themas Rose - unsüß, grünlich, gewürzig, leicht. Indigo ist dabei keineswegs eindimensional; der Duft bietet eine vielschichtige, dicht gewebte Komposition. Die Art und Weise der Darbietung ist kein Kammerspiel, eher eine leise, verhalten interpretierte kleine Sinfonie, die ohne Paukenschläge und ohne Fortissimo auskommt.
Indigo eröffnet mit grünen, fast herben Noten, die mich an rohes Gemüse erinnern. Das klingt jetzt vielleicht wenig attraktiv, aber der Duft der Kopfnote ist angenehm und bei aller Fremdheit eingängig. Er hebt sich wohltuend ab von den betont einschmeichelnden Kopfnoten, wie sie im Mainstreambereich üblich sind.
Schon nach relativ kurzer Zeit entfaltet sich das Leitthema des Duftes, die Rose. Sie ist hier nicht prächtig, nicht schwer, nicht betörend und auch nicht majestätisch, sondern verhalten und in sich ruhend, umgeben von begleitenden Noten, ohne dass außer der Rose einzelne Komponenten als solche für mich identifizierbar wären. Der Duft erinnert mich in dieser Phase – nicht vom Geruchseindruck her, aber hinsichtlich Machart und Wirkungsweise – an Hiris von Hermès. Durchdachtes Understatement hier wie dort, mit dem Unterschied, dass bei Hiris die Iris das Leitmotiv liefert.
Auch im Ausklang bleibt der Duft leicht, verhalten und transparent, mit einer warmen, amberbetonten Anmutung. Holz und Weihrauch nehme ich kaum wahr. Die Beschreibung des Herstellers als orientalischen Duft kann ich weder dem Verlauf nach, noch anhand der Basis nachvollziehen. Wenn überhaupt, ist das ein nahezu schwereloser Orientale.
Doch was zweifellos ein wesentliches Charakteristikum von Indigo ausmacht, wurde vom Parfumeur vielleicht doch zu sehr auf die Spitze getrieben, und ist für mich im Alltagstest letztlich ein großes Manko: Die Haltbarkeit lässt sehr viel zu wünschen übrig. Bei der Entscheidung für einen Duft ist für mich das, was Luca Turin „Best bang for the buck“ nennt (frei übersetzt etwa: Viel Wumms für möglichst wenig Geld) wirklich kein Hauptkriterium. Aber die Freude über die Schönheit von Indigo wird für mich doch nachhaltig dadurch getrübt, dass der Duft bereits nach zwei, drei Stunden weitgehend verflogen ist. Dabei habe ich den Duft mehrfach ausgiebig erprobt und auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ich ihn nach relativ kurzer Zeit, obwohl noch vorhanden, vielleicht nur nicht mehr wahrnehme, weil ich ihn als sehr angenehm empfinde. Von meinem Umfeld wurde mir aber bestätigt, dass ca. drei Stunden nach dem Auftragen nur noch äußerst schwache Dufteindrücke wahrnehmbar sind. Bei einem Preis von über 100 Euro für 50 ml für einen Duft, der sich nicht als Cologne, sondern als ausgewachsenes Parfum präsentiert, ist mir das eindeutig zu wenig Dufterlebnis. Auf meiner Wunschliste bleibt Indigo aber trotzdem noch, weil er einfach außerordentlich schön ist.