Intersport
06.12.2022 - 05:47 Uhr
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Garrigue / Garrigue Sans

'Garrigue describes discontinuous bushy associations of the Mediterranean calcareous plateaus, often composed of kermes oak, lavender, thyme and white cistus. There may be a few isolated trees. Garrigue is found on a dry, filtering substrate (usually calcareous).' *

Düfte mit Bezug auf Hartlaubvegetation wie die korsische Maquis, die noch knarzigere Garrigue, und sämtlichen Spielarten dieser gehen bei mir fast immer. Diptyque's reduziertes L'Eau Trois (1975) war vielleicht das erste, das an den äußersten Rändern derartiger Flora angesiedelt war, Goutal's eigenwilligste Komposition, Sables (1985) ist immer noch Referenz und mit Veröffentlichungen wie Eau d'Ikar (2011), Terralba (2013), Cala Rossa (2014), Acqua di Scandola (2019) oder Muga (2021) um nur eine Handvoll zu nennen, häuften sich über die Jahre Variationen, die diese Landstrichen als Ganzes oder hoch-spezifische Orte davon zelebrieren, es ist fast schon ein Sub-Genre.

Und, Düfte, die in ersten Jahren bei Jean-François Laporte's Haus Maître Parfumeur et Gantier erschienen sind, faszinieren mich obendrein. Der Parfumeur mit Chemie background, ganz zu Beginn bei Sisley dabei, ebenso bei L'Artisan Parfumeur, zu dessen Werk kaum zitierbares zu finden ist, wollte mit Maître Parfumeur et Gantier an feinstes Parfümeriehandwerk vergangener Jahrhunderte verweisen - Rivegauche's Rezension von Racine (1988) bietet einen exzellenten Blick auf das Haus. Laporte gelang mit Route du Vétiver ein Klassiker der Modulations-Vétivers, mit Jardin Du Nil ein Geranien Maßstab, und bei Santal Noble eine faszinierende Kaffee-Cola-Sandelholz Note, in Iris Bleu Gris (alle 1988), die grünste Iriswurzel. Alles detaillierte Arbeiten mit genau gesetzten twists. Ich kenne kein Parfum aus den Anfangsjahren der Marke, in den 90 ml / 100 ml (bzw. 500ml) Flakons das nicht auf irgendeine Art außergewöhnlich war - auf die neuen 120 ml Undinger gehe hier nicht ein, da ist leider einiges ordentlich verpanscht worden.

Aber was ist Garrigue? Die Noten prophezeien mit Lavendel, Rosmarin, Salbei, Wacholder eine mediterrane Szene; nur Garrigue ist keine abgefüllte romantische Landschaft, kein hyperreales Gestrüpp, hier ist das Hinterland nicht nur von ausgewählten Pflanzen geprägt, der Übergang von Industrialisierung in die Garrigue bringt neue, Non-Naturals auf's Parkett. Die Lavendel- oder Salbeiraffinerien in der Vegetation aus FvSpee's Urbanen Buschland und auch Apicius' chlor-artige Schwimmbadnote: Duschgel Schlieren auf dem Campingplatz, Reinigungsprodukte und angewandte Chemie durchziehen auch für mich diese Garrigue. Ich kann nur spekulieren wie so ein Parfum 1988 aufgenommen wurde.

In den englischsprachigen Foren wird Garrigue schon mal mit Pierre Bourdon's Green Irish Tweed (1985) und dessen Protoaquatik verglichen - sehe ich nicht so, Garrigue ist ein Rohdiamant aus Beton, kantig, ja brutalistisch, gespickt mit möglichen Prophezeiungen. Green Irish Tweed war austarierte Planwirtschaft die grossteils in Erfüllung ging. Ich vermute dass Garrigue auch Laporte's Experiment mit Verbindungen rund um Dihydromyrcenol war, ein Riechstoff mit Wurzeln bis in die späten 1950‘er Jahren, der es aber erst durch Cool Water, auch 1988, zu Weltruhm schaffte, der immer wieder in Duschgel Noten mitspielt, dort vielleicht sogar in entscheidender Rolle, und der sich seit der zweiten Hälfte der 80'er Jahre erstaunlich gut etabliert hat. Dihydromyrcenol blieb jedoch der Ruhm, den das oft im gleichem Atemzug genannte (da gerne zusammen verwendete) Ambroxan erfahren sollte verwehrt. Vermutlich auch ganz einfach wegen den jeweiligen Namen. Ein Riechstoff das sich auf die jahrtausend alte Geschichte von Ambergris bezieht, ist einprägsamer, vermarktbarer und anders besetzt als Material mit einem funktionell-technischen Namen wie Dihydromyrcenol.

Diese ungewöhnlich, entfremdende Note, die von antiseptischen Wacholder und Salbei nochmals verschärft wird, und die scheinbar vielen die Lust an Garrigue vertrübt, übt zumindest ein paar mal im Jahr eine ganz eigene Anziehungskraft an diese Garrigue ohne portraitierer Garrigue-Haftigkeit aus. Wenn die Luft flimmert, und alles Garrigue wird, muss es manchmal dieser Duft sein. Sind es ja oft die Parfums mit einer mächtigen Portion Abstraktion, die erst als Gegenpole zu etwaigen Urlaubslandschaften Sinn machen. Mehr noch als abgefüllte Landschaft, die besser riecht je weiter wir von der Quelle entfernt sind. Garrigue schafft das mit Leichtigkeit, ein-eindeutig künstlich mit inhumanen Zügen.

Wenn Jean François Laporte mit Maître Parfumeur et Gantier auf vor-moderne Zeiten des Parfum Handwerks verweisen wollte - meiner Ansicht nach sind die viele seiner Düfte dazu viel zu originell und 'modern' auf ihre eigene Art - mit Garrigue unterbrach er dieses Vorhaben. Der Duft bleibt ein früher Vertreter von vielem was mit diesen einwilligen aquatisch-aromatischen Noten angestellt wurde - in fine perfumerie und natürlich in vielen Duschgels, Waschmittel und Reinigungsprodukten.

*

Knapp 30 Jahre später sollte mir die von Laporte vorgeschlagene Garrigue-Note, weit entfernt, far off jeglicher Mittelmeer-Gestrüpplandschaften nochmals begegnen: in Hạ Long Bay, im Norden Vietnam's, etwas über 9000 km östlich. Mit Pluie Noire (2017) schlugen die beiden, für Ihre unverhohlene Bekenntnis zu synthetischen Riechstoffen bekannten Parfumeurinnen Amélie Bourgeois und Anne-Sophie Behaghel einen Duft vor, der mir Nahe an Garrigue angesiedelt scheint. Klar, Pluie Noire ist, moderner, feingliedriger, trockener (kalkig?), industrieller, gender-neutraler, aber die zentrale Note, dieses Techno-Duschgel, umrahmt von Salbei und Wacholder übt auf mich eine ähnliche Faszination aus wie Garrigue. Modernes Mittelmeer im Golf von Tonkin? Parfumerie Particuliere zitiert mit einigen ihrer Düfte ganz konkrete Momente der Parfum Geschichte, ob Pluie Noire ein Kopfnicken in Richtung Garrigue war? Laporte's Kultstatus, auch unter Parfumeur*Innen, könnte dazu beigetragen haben.

Für 1988 war Garrigue einer der Vorbote von dem was sich im aromatisch-aquatischen Bereich abzeichnen sollte, Pluie Noire, wie alle Düfte der Parfumerie Particuliere sind feinst kalibrierte und oft auch gekonnte, retrospektive Kommentare auf was sich den den letzten 100+ Jahren getan hat. Auch wenn Garrigue weniger Klassiker als andere von Maître Parfumeur et Gantier wurde, im Kontext gesehen ist der Duft interessant, und wenn unter den vielen und stetigen Quasi-Aquatik Revivals, sowas tolles wie Pluie Noire eine Verästelung dieser Noten darstellt, noch besser!

* Smith, G. and Gillett, H., 2000. European forests and protected areas: gap analysis. Cambridge, UNEP World Conservation Monitoring Centre.
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