Noir (Eau de Parfum) von Tom Ford

Noir 2012 Eau de Parfum

Profumo
18.10.2012 - 10:16 Uhr
32
Top Rezension
8Duft 7.5Haltbarkeit 5Sillage 7.5Flakon

Demütige Verbeugung, oder doch schamloser Diebstahl?

Dass Tom Ford nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet, dürfte allgemein bekannt sein, und dass er gerne auch mal das ganz große Rad dreht, ebenso.
Aber es war eben auch Tom Ford, der schon vor Jahren – man denke an ‚Rive Gauche pour Homme´, oder an ‚M7’, beide für Yves-Saint Laurent – die Duftwelt nicht unerheblich bereicherte, sie ein gutes Stück bunter machte. Freilich mit der Attitüde des großen Zampano, er kann nicht anders.
Auch seine ersten, unter eigenem Namen lancierten Düfte vermittelten diese überhaus hohe Einschätzung seiner eigenen Person – und wenn Tom der Große einen neuen Duft einführt, dann ist das nicht irgendein Ereignis, dann hat das etwas Weltbewegendes, dann ist kein Rahmen groß genug.

Die Einführung seiner ‚Private Blend’-Reihe geriet schließlich vollends zum bombastischen Ego-Trip, und als ich zum ersten Mal vor einer dieser dunklen, Tom Ford-Wände stand, in deren Altar-ähnlichen Nischen wie heilige Grale inszeniert diese riesigen Apotheker-Flakons standen, darüber in gigantischen Lettern TOM FORD zu lesen war, als wollte er seine eigenen Produkte unter seinem übergroßen ICH begraben, da musste ich innerlich grinsen. Soviel Prunk und Protz, soviel neureiches Gewese amüsierte mich, obwohl es mich hätte gruseln sollen – aber unwillkürlich kam mir da Kurt Tucholskys Graf Koks, oder der berühmte Graf Rotz von der Popelsburg in den Sinn: Hauptsache ‚auf dicke Hose machen’.
Doch wäre Tom Ford nicht Tom Ford, würde er uns trotz allem zweifelhaften Glanz und Gloria nicht auch Qualität liefern – und das tut er! Seine Düfte sind wahrlich nicht die schlechtesten, und mancher, beispielsweise ‚Tuscan Leather’, aber auch ‚Noir de Noir’, richtig gut.
Man spürt förmlich seine Begeisterung für die großen Werke der Parfumgeschichte.

Auch seine Herrenlinie, die er auf dem ‚Massenmarkt’ etablierte, vermittelt etwas von dieser Begeisterung, auch wenn sie mich nicht restlos überzeugt. Doch eines muss man ihr auf jeden Fall lassen: sie hat mit einem hohen Qualitätsstandart einen Maßstab gesetzt, der lange verloren war. Statt mit irgendeinem x-beliebigen Aquatic- oder Gourmand-Klon hat er die Herrenwelt mit zwei komplexen, anspruchsvollen Düften bedacht, die Statur und vor allem Stil haben.
Mag man zu ihnen stehen wie man will: ‚Tom Ford For Men’ und ‚Tom Ford Extreme’ sind sicherlich nicht nur gut gemachte, sondern auch qualitativ hochwertige Düfte.

So auch sein neuester Duft ‚Tom Ford Noir’.

Was schon für sein ‚Extreme’ galt, gilt ebenso hier: Klotzen statt Kleckern. Doch diesmal ist alles feiner gewebt, glänzender poliert. Und es ist auch nicht die eigene ‚Private Blend’-Reihe, die hier ihr unüberhörbares Echo findet, sondern zwei Guerlain-Heroen: ‚Habit Rouge’ und ‚Shalimar’. Ihnen erweist der große Zampano die Referenz.

Doch zum Duft: ‚Noir’ ist ein opulenter Orientale, der mit einem frisch-würzigen, leicht metallischen Akkord startet, einem Akkord der an manche Tom Ford-Kreation erinnert (z.B. ‚Bois Rouge’, aber auch die Herrenlinie) und so etwas wie ein duftender Fingerprint zu sein scheint.
Die obligatorischen Blüten, ebenso wie ein kleines, herbes ‚Bouquet Garni’ prägen den Mittelteil, während die üblichen Verdächtigen wie Pachouli, Labdanum, Vanille und diverse Hölzer dem Fond ihren Stempel aufdrücken.
So weit, so gut – und nichts Besonderes.
Überhaupt ist dieser Duft nicht Besonderes – alles schon mal dagewesen (und wahrscheinlich besser). Und doch hat er was.
Etwas, dass sich vielleicht nur einem Liebhaber von ‚Habit Rouge’ und ‚Shalimar’ erschließt: der Duft spricht denselben Slang, oder anders gesagt: ‚Tom Ford Noir’ ist eine Variation auf ein altbekanntes Thema. Doch es dockt nicht dort an wo sich ‚Habit Rouge’ und ‚Shalimar’ treffen, wo sie beinahe deckungsgleich werden: bei ‚Habit Rouge Eau de Parfum’ und ‚Shalimar Eau Légère’. Nein, es schlägt die Brücke waghalsiger: von der hellen, strahlenden Brillanz ‚Habit Rouges’ mit seinen typischen, pudrigen Facetten, bis hinunter zu den dunklen, schwül-animalischen Tiefen ‚Shalimars’.

Dieser Ritt über den Bodensee gelingt einigermaßen, aber nicht ohne Verluste, denn mag der Duft sich noch so sehr vor den zwei Großtaten aus dem Hause Guerlain verneigen – er erreicht weder deren Raffinesse, noch deren ausgeprägten Charakter.
Genau hier wird ‚Noir’ problematisch.
Vor lauter Bezugnahme, vor lauter Zitaten entwickelt er kein eigenes Gesicht und bleibt seltsam formlos. Dabei versucht der Parfumeur, wer immer es sein mag (es würde mich interessieren!) durchaus dem Duft ein eigenes Profil zu verleihen, indem er zwar aus nächster Nähe die zwei genannten orientalischen Referenz-Düfte anklingen lässt, sich zugleich aber darum müht, ein modischeres Outfit zu finden.
Und dieser neue Look verfolgt zwei Linien: die erste rekrutiert sich aus einem Fundus momentan überaus beliebter Duftnuancen wie hellem Holz, weichem Velours-Leder und sogenanntem weißen Moschus; die zweite wiederum aus dem Arsenal aktueller Herrenparfümerie: grüne Akzente (ganz beliebt momentan: das Veilchenblatt), pfeffrige Noten, Zedernholz und Vetiver.
Dieses moderne Gesicht ist einer Schablone ähnlich über die Reminiszenzen an ‚Habit Rouge’ und ‚Shalimar’ gelegt und sogar einigermaßen organisch mit diesen verbunden.

Allein, es stellt sich kein einheitliches Erscheinungsbild dar – der Duft bleibt amorph.
So geschieht es, dass manche ihn als gewöhnlich bezeichnen, andere wiederum die Geburt eines neuen ‚Shalimar’, eines ‚Shalimar pour Homme’ feiern.
Ich selbst sehe mich irgendwo dazwischen.
Es gibt Phasen, da finde auch ich ihn billig und abgeschmackt, aber dann ist da wieder dieses tiefe, wunderbare Aroma ‚Shalimars’, oder die helle, zarte Pudrigkeit ‚Habit Rouges’, und ich bin hin und weg.
Jedenfalls bewundere ich die Chuzpe von Tom Ford, einen Duft zu lancieren der so schamlos klaut.
Man könnte es aber auch als eine Verbeugung sehen, eine Geste der Demut vor den geliebten Originalen.

Aber Tom Ford und Demut – ist das nicht wie Feuer und Wasser?
Hm.

Ein letztes Wort zum Duft: ‚Noir’ hat eine angenehme, fast zurückhaltende Abstrahlung, die sich eher an ‚Habit Rouge’ orientiert, als an ‚Shalimar’. Auf der Haut bleibt sein zwischen warm, weich und grün, holzig schillerndes Aroma lange erhalten.
Manche mögen den großen Tom Ford-Impetus, die raumgreifende Präsenz vermissen, für mich aber hat er ausreichend Potenz und ist perfekt kalibriert.
10 Antworten
DuftstickDuftstick vor 13 Jahren
Toll zu lesen. Grosse Klasse dein Kommi, mit viel Hintergrundinfo über Tom.!! Chapeau.
LucullLucull vor 13 Jahren
Sehr treffend beschrieben. Und grandios wie immer. Chapeau!
JustmeJustme vor 13 Jahren
Wie gewohnt ein grandioser Kommentar, der sich von so manchen schnell dahin geklatschten Kommis wohltuend unterscheidet. Aber, jedem das, was ihm gefällt. Ich bevorzuge die Klasse statt die Masse und warte ungeduldig auf den nächsten Kommentar.
MediocreMediocre vor 13 Jahren
Ich möchte mich Rivegauche & Chypienne unbedingt anschließen. Erstaunlich, daß hier Kritik von Usern kommt, die selbst keine Komentare schreiben. Es gilt: Feel free to do better! Q.E.D. LG von einem FAN deiner interessanten Kommentare
ChypienneChypienne vor 13 Jahren
Deine Kommentare sind Nie anstrengend oder zuviel für mich. Immer hilfreich, mit vielen Hintergrundinformationen zu Firmen und Parfumeuren, immer lehrreich und immer unterhaltsam. Bitte mach genauso weiter!
ProfumoProfumo vor 13 Jahren
@RumpelBumpel - ich weiß, dass ich manchmal, oder sagen wir lieber: meistens ausschweife. Aber mir fällt halt in der Regel viel zu einem Duft ein. Daher: einfach meinen Kommentar überspringen wenn´s zu anstrengend wird.
ProfumoProfumo vor 13 Jahren
@Jella - ja, der Ego-Trip ist schon anstrengend. Aber wenigstens kommen hin und wieder ganz schöne Sachen dabei heraus!
ProfumoProfumo vor 13 Jahren
@Rivegauche - Danke für die Blumen!
ExUserExUser vor 13 Jahren
Deine Beschreibung ist so detailliert, dass ich den Duft schon fast riechen kann.
Nur auf den Ford´schen Egotrip kann ich gut verzichten.
RivegaucheRivegauche vor 13 Jahren
Witzig, habe ich gerade vorhin getestet und mich erst gewundert, wer in meiner Umgebung so nach 'Habit Rouge' riecht. Deinen Stil, Düfte zu beschreiben, finde ich immer herausragend. Danke.