Brunello Cucinelli - wer in der Modebranche ein bisschen bewandert ist, ist zumindest schin einmal über den Namen gestolpert. Und weiß dann gegebenenfalls, dass hier ein Cashmere Pullover gern mal 2.000 Euro kostet, für einen Cardigan auch 3.500 Euro aufgerufen werden und für einen Mantel durchaus bis zu 8.000 Euro über die Ladentheke wandern müssen, soll das edle Stück seinen Besitzer wechseln. Unabhängig davon stellt sich natürlich immer die Frage, ob ein Anzug 5.000 Euro wert ist, aber das liegt ja immer im Auge des Betrachters und dessen finanzieller Möglichkeiten. Klar wird bei diesen Preisschildern aber, dass es bei dieser Marke für viele von uns wahrscheinlich beim Schaufenster-Shopping bleiben wird.
Umso hellhöriger bin ich geworden, als ich letztlich einen Flakon gesehen habe. Sollte es mir plötzlich ermöglicht werden, wenigstens einen minimalen Teil des Designers zuhause zu haben? Und wenn ja, zu welchem Preispunkt und wie würde sich die Qualität darstellen?
Brunello Cucinelli steht für Extreme in jeder Hinsicht. Die verarbeiteten Stoffe sind von höchster Qualität, die Verarbeitung selbst auf allerhöchstem Niveau, der Preispunkt leider auch. Insofern war ich von den veranschlagten 130 Steinen für 50ml nicht geschockt. Selbstverständlich ist aber natürlich die Erwartungshaltung an jedes Cucinelli-Produkt, entsprechend dem ganzen Marken-Firlefanz, maximal hoch. Denn wer ansagt im Leben, muss auch liefern, ansonsten geht das nicht lange gut.
Man kann einen Blindkauf in diesem Preissegment für vollkommen gestört erachten, ich habe es dennoch getan. Zum einen, weil sich in einer ganzen Reihe meiner Flakons nur noch wenige ml befinden, zum anderen, weil ich mir wieder mal einen neuen Duft gönnen wollte, einen, der nicht an jeder Ecke getragen wird und schließlich auch, weil mir angesichts des doch exzellenten Namens der Marke das Risiko eines Fehlkaufs vertretbar erschien.
Wie gesagt, die Erwartungshaltung war immens. Zurecht?
Der gelbe Versanddienstleister lieferte zuverlässig das Päckchen. Unboxing. Ein taupe-farbener Karton umschließt einen optisch wie haptisch sehr hochwertigen Flakon. Dieser liegt satt und schwer in der Hand, im Vergleich zu vielen anderen 50ml Gefäßen. Vermutlich haben sie bei Brunello Cucinelli etwas Stahl in den Sockel einfließen lassen, um das Teil schwer zu machen. Schöne Rillen ziehen sich um das viereckige Fläschchen mit abgerundeten Ecken. Ein wirklicher Handschmeichler, das ist meiner Meinung nach sehr gelungen. Hoffentlich fühlen sich die Nerven meines Gewürzprüfers genauso geschmeichelt wie meine Hände. Kappe (mit dem Markenemblem) abziehen und - Moment, sogar auf dem Sprühknopf befindet sich das Markenemblem oben aufgebracht. Viel Liebe zum Detail also, das gefällt. Der Sprühkopf selbst entlässt den Inhalt mit Nachhaltigkeit, will sagen, einem ordentlich Druck. Ich hatte hier eine feine Zerstäubung wie bei den Roja-Flakons üblich, erwartet. Schlecht ist das dennoch nicht, weil umso exakter plazierbar.
Sodann sie Nase an die besprühte Stelle geführt. Und im Vergleich zu den meisten Parfums kein scharfer Auftakt, der sich erst mal legen muss, sondern von Anfang an, ja, ein Nasenschmeichler. Erster Impuls: Passt perfekt zur Marke. Weil kein Schreihals und kein Lautsprecher, sondern ein Vertreter der leiseren Töne, vollkommen Gentleman-like. In einer Zeit, wo einen oft eine Ambroxan-Bombe in die nächste Ecke donnert, wohltuende Zurückhaltung.
Ich rieche Bergamotte und, was ich später der Duftpyramide entnehme, aber so nicht direkt erkannt hätte, Zypresse. Dazu eine feine Schärfe, wobei ich nicht zu unterscheiden mag, ob diese dem Pfeffer oder dem Ingwer geschuldet ist. Ein sehr edles Arrangement, so viel ist mal klar. Definitiv in der grünen Ecke, aber wenn ich meinen so geliebten Bottega Veneta Parco Palladiano V Lauro daneben setze, dann ist letzterer, obwohl per se ähnlich fantastisch gemacht, geradezu grob grün, fairerweise gesagt aber auch etwas holziger. Ja länger, je besser entwickelt sich Brunello Cucinelli bei mir, die am Anfang minimal vorhandene Frische zieht sich zurück und gibt den grünen Elementen mehr Raum. Wacholder gesellt sich zur Zypresse, während die Bergamotte langsam aber sicher in den Hintergrund tritt. Die laut Duftpyramide verbauten Ambrox-Elemente nehme ich nur am Rande war, hingegen aber das nicht so oft verwendete Clearwood, welches dem Duft eine gewisse Leichtigkeit und „Sauberkeit“ verleiht. Und in dieser Konstellation geht dem Duft dann irgendwann die Luft aus.
Kommen wir zur Bewertung.
Duft: Ich habe da nichts zu meckern. Erwartungen voll erfüllt, der perfekte Duft zu business- und smart casual-outfits, ein sehr guter Büroduft, ein compliment catcher, m.E. ab 30+, aber eher nix für die generations Y and Z, sorry. Aufgrund des Preispunkts wird die Verbreitung sich in überschaubaren Grenzen halten, die Wahrscheinlichkeit, dass der Kollege morgen genauso duftet, ist eher gering. Will ich so riechen? Ein klares JA. Ich sehe den Duft vor allem im Herbst und Frühjahr performen, im Winter zu wenig kräftig und für den Sommer zu wenig frisch.
Flakon: Da hab ich mich entsprechend zu ausgelassen, sehr liebevoll und wertig gemacht.
Sillage: Für mich enttäuschend. Am Anfang noch gut, genauso aber gut nachlassend. Nach zwei Stunden ist da nicht mehr viel Sillage. Ich hatte oben erwähnt, der Duft ist kein Lautsprecher, aber eine bessere Performance sollte schon drin sein.
Haltbarkeit: Auf einem ordentlichen Niveau. Bringt dich auf Hautlevel durch einen 8-Stunden-Tag.
Preis-Leistung: Geht in Anbetracht des Gebotenen (speziell im Hinblick auf die Sillage) gerade noch okay. Die Parco Palladiano Reihe von Bottega Veneta liegt noch einmal aggressiv gepreist darüber, vielleicht wollte sich Cucinelli bewusst einen Tick darunter einsortieren.
Fazit: Ein mehr als nur beachtliche Neuerscheinung. Fällt man auf, dann nur positiv, denn er ist ein Schmeichler für Nase und Sinne. Er wird wahrgenommen, ohne zu provozieren. Das alleine ist schon eine Kunst. Klare Testempfehlung.