12.09.2020 - 12:33 Uhr
FvSpee
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FvSpee
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Colonialwaren IX: Zum Glück noch nicht verboten
In der langen und bewegten Geschichte der indogermanischen Sprachen kam es zu den verschiedensten Lautverschiebungen bei den Konsonanten, von denen eine der markantesten die Divergenz von H (z.B. im Griechischen) zu S (z.B. im Lateinischen) ist. Daher heißt sechs auf Griechisch auch hex, auf Lateinisch sex (die Griechen hatten aber weder mit Knaben noch mit Hetären Hex, soweit bekannt). Außerdem würzten die Römer ihre Suppen mit sal, die Griechen (und ähnlich wohl auch die Kelten) hingegen mit hals. Angenommen wird daher, dass auch die ganzen deutschen Ortsnamen mit "Hall" dadurch entstanden sind, dass dort Salz abgebaut wurde, was (etwa bei Bad Reichenhall) auch einleuchtet.
Auch in Hall in Tirol, etwa 10 Kilometer von der Landeshauptstadt Innsbruck entfernt, wurde über die Jahrhunderte hin Salz gewonnen, bis (wohl erst nach dem Zweiten Weltkrieg) die Saline geschlossen wurde. Etwa gleichzeitig, vielleicht sogar weil der Gründer sich nach dem Salz-Aus einen neuen Job suchen musste, eröffnete 1953 im Zentrum der Stadt als kleiner Familienbetrieb für bodenständige Kosmetika (etwa Fußbalsame für die angestrengte Hausfrau und den erschöpften Bergsteiger) "Kosmetik R. Neuner 66-60". Wofür die merkwürdige Zahlenkombi steht, habe ich nicht herausgefunden, es geht aber wohl nicht um Hatanismus. Diese Firma bot vom ersten Jahr an zwei Herrendüfte an, nämlich "Alt-Innsbruck" (wird auch im normalen Flakon ohne Pümpel angeboten) und "Strawanza Wiener Schurken", die hier auf Parfumo allerdings als zu zwei verschiedenen Marken zugehörig erfasst sind (warum auch immer - die Marke "Proderma", die wohl irgendwann einmal eine interne Unter-Marke von R. Neuner gewesen ist, gibt es meiner Meinung nach nicht mehr). Wer also wahre Nische sucht, Manufakturarbeit mit Tradition, ist hier genau richtig. R. Neuner wirbt auf seiner Internetseite außerdem damit, dass die Produkte seit 50 Jahren ohne Tierversuche auskommen, weil sie schon immer direkt am Menschen erprobt werden. Selbst ist der Tiroler.
Eigentlich wollte ich Alt-Innsbruck 7,5 Punkte geben, weil es bloß eine sehr einfache Rezeptur aufweist. Es ist kein komplexer Duft, und ich wollte genug Luft nach oben lassen für die großen Kunstwerke deutscher Gewürzcolognialistik wie "Tabac Original" von Mäurer und Wirtz. Aber warum zum Geier eigentlich? Colognes müssen doch, naja jedenfalls dürfen sie, einfach gestrickt sein. Daher gebe ich doch 8 Punkte, und davon ist nichts aus Sympathie geschenkt, denn auch noch nach drei, vier, Stunden weht mir immer wieder ein Wölkchen davon um die Nase, und es gefällt mir jedesmal besser. Fast wäre sogar noch mehr drin gewesen.
Das Cologne (und sicher auch das Rasierwasser, das gibt es auch) riecht genau nach dem, was als Duftnoten angegeben ist: Menthol und Virginiatabak. Zu meinen Zeiten als (Zigaretten-) Raucher habe ich sowohl gelegentlich gerne filterlose Virginiazigaretten (z.B. Sweet Afton) als auch ab und zu Mentholzigaretten (z.B. Kool) geraucht; die letztere Erfahrung können die Jüngeren heute gar nicht mehr machen, weil das Zeug inzwischen verboten ist. Von daher kann ich bestätigen, dass der Duft ausgesprochen authentisch nach hellbraunem (fast blondem), frischen, feuchten Virginiatabak und nach kräftig dosiertem, aber ebenfalls hellem, unaufdringlichen, Menthol riecht. Trotzdem drängen sich für mich keine vorrangigen Zigarettenassoziationen auf (an gerauchte sowieso nicht, aber nicht mal an ungerauchte). Das ist weder aggressive Mentholkälte (anders als in ICE von 4711, der mir zu schräg ist) noch kaminfeuermäßige Krautigkeit. Der kühle, eher harte Duft von Menthol geht mit dem warmen, weichen Tabakduft eine kongeniale Synthese ein, aus der etwas ganz Eigenes entsteht, ein hochgradig charaktervoller, zugleich ganz heller, leichter und eigentümlich frischer Duft, der es schafft, auf der Haut zugleich kühlend und wärmend (auch minimal süß) rüberzukommen. Also eine Art olfaktorische Thermokleidung. Dazu begegnet er als enorm sauber und gepflegt (oder pflegend) - fast eher cremig (im allerbesten Sinne) als barbershopartig; und damit vermittelt er dem Träger Sicherheit und Klarheit.
Ich finde Alt-Innsbruck damit hochgradig gelungen, ein extrem simples Rezept, an dem hoffentlich nie etwas verändert wird. Für meine Überzeugung, dass "Tabac Original" auch von jungen Männern tragbar ist, bin ich hier ja schon mehrfach ausgelacht worden. Ich setze einen drauf und sage, dass ich mir Alt-Innsbruck sogar besonders gut an jungen Männern und (wegen seiner heiteren Leichtigkeit) darüber hinaus an jungen Frauen vorstellen kann. Das ist absolut kein Altherrenduft, so wahr ich ein alter Herr bin. Und wenn R. Neuner auf seiner Internetseite für den Duft mit dem Bild eines Mannes wirbt, dem sich eine Frau in Lockenwicklern verführerisch lächelnd nähert, halte ich das für gelungene Ironie.
Darüber, dass ich dieses Wässerchen zum Zwecke des Testens und Kommentierens in dieser Reihe als Abfüllung bestellt habe, freue ich mich sehr und werde die 10 ml mit Begeisterung aufbrauchen; sogar eine Nachbestellung in Hall in Tirol (allerdings ohne den Pümpel, der ist sogar mir zu heftig) würde ich erwägen.
Auch in Hall in Tirol, etwa 10 Kilometer von der Landeshauptstadt Innsbruck entfernt, wurde über die Jahrhunderte hin Salz gewonnen, bis (wohl erst nach dem Zweiten Weltkrieg) die Saline geschlossen wurde. Etwa gleichzeitig, vielleicht sogar weil der Gründer sich nach dem Salz-Aus einen neuen Job suchen musste, eröffnete 1953 im Zentrum der Stadt als kleiner Familienbetrieb für bodenständige Kosmetika (etwa Fußbalsame für die angestrengte Hausfrau und den erschöpften Bergsteiger) "Kosmetik R. Neuner 66-60". Wofür die merkwürdige Zahlenkombi steht, habe ich nicht herausgefunden, es geht aber wohl nicht um Hatanismus. Diese Firma bot vom ersten Jahr an zwei Herrendüfte an, nämlich "Alt-Innsbruck" (wird auch im normalen Flakon ohne Pümpel angeboten) und "Strawanza Wiener Schurken", die hier auf Parfumo allerdings als zu zwei verschiedenen Marken zugehörig erfasst sind (warum auch immer - die Marke "Proderma", die wohl irgendwann einmal eine interne Unter-Marke von R. Neuner gewesen ist, gibt es meiner Meinung nach nicht mehr). Wer also wahre Nische sucht, Manufakturarbeit mit Tradition, ist hier genau richtig. R. Neuner wirbt auf seiner Internetseite außerdem damit, dass die Produkte seit 50 Jahren ohne Tierversuche auskommen, weil sie schon immer direkt am Menschen erprobt werden. Selbst ist der Tiroler.
Eigentlich wollte ich Alt-Innsbruck 7,5 Punkte geben, weil es bloß eine sehr einfache Rezeptur aufweist. Es ist kein komplexer Duft, und ich wollte genug Luft nach oben lassen für die großen Kunstwerke deutscher Gewürzcolognialistik wie "Tabac Original" von Mäurer und Wirtz. Aber warum zum Geier eigentlich? Colognes müssen doch, naja jedenfalls dürfen sie, einfach gestrickt sein. Daher gebe ich doch 8 Punkte, und davon ist nichts aus Sympathie geschenkt, denn auch noch nach drei, vier, Stunden weht mir immer wieder ein Wölkchen davon um die Nase, und es gefällt mir jedesmal besser. Fast wäre sogar noch mehr drin gewesen.
Das Cologne (und sicher auch das Rasierwasser, das gibt es auch) riecht genau nach dem, was als Duftnoten angegeben ist: Menthol und Virginiatabak. Zu meinen Zeiten als (Zigaretten-) Raucher habe ich sowohl gelegentlich gerne filterlose Virginiazigaretten (z.B. Sweet Afton) als auch ab und zu Mentholzigaretten (z.B. Kool) geraucht; die letztere Erfahrung können die Jüngeren heute gar nicht mehr machen, weil das Zeug inzwischen verboten ist. Von daher kann ich bestätigen, dass der Duft ausgesprochen authentisch nach hellbraunem (fast blondem), frischen, feuchten Virginiatabak und nach kräftig dosiertem, aber ebenfalls hellem, unaufdringlichen, Menthol riecht. Trotzdem drängen sich für mich keine vorrangigen Zigarettenassoziationen auf (an gerauchte sowieso nicht, aber nicht mal an ungerauchte). Das ist weder aggressive Mentholkälte (anders als in ICE von 4711, der mir zu schräg ist) noch kaminfeuermäßige Krautigkeit. Der kühle, eher harte Duft von Menthol geht mit dem warmen, weichen Tabakduft eine kongeniale Synthese ein, aus der etwas ganz Eigenes entsteht, ein hochgradig charaktervoller, zugleich ganz heller, leichter und eigentümlich frischer Duft, der es schafft, auf der Haut zugleich kühlend und wärmend (auch minimal süß) rüberzukommen. Also eine Art olfaktorische Thermokleidung. Dazu begegnet er als enorm sauber und gepflegt (oder pflegend) - fast eher cremig (im allerbesten Sinne) als barbershopartig; und damit vermittelt er dem Träger Sicherheit und Klarheit.
Ich finde Alt-Innsbruck damit hochgradig gelungen, ein extrem simples Rezept, an dem hoffentlich nie etwas verändert wird. Für meine Überzeugung, dass "Tabac Original" auch von jungen Männern tragbar ist, bin ich hier ja schon mehrfach ausgelacht worden. Ich setze einen drauf und sage, dass ich mir Alt-Innsbruck sogar besonders gut an jungen Männern und (wegen seiner heiteren Leichtigkeit) darüber hinaus an jungen Frauen vorstellen kann. Das ist absolut kein Altherrenduft, so wahr ich ein alter Herr bin. Und wenn R. Neuner auf seiner Internetseite für den Duft mit dem Bild eines Mannes wirbt, dem sich eine Frau in Lockenwicklern verführerisch lächelnd nähert, halte ich das für gelungene Ironie.
Darüber, dass ich dieses Wässerchen zum Zwecke des Testens und Kommentierens in dieser Reihe als Abfüllung bestellt habe, freue ich mich sehr und werde die 10 ml mit Begeisterung aufbrauchen; sogar eine Nachbestellung in Hall in Tirol (allerdings ohne den Pümpel, der ist sogar mir zu heftig) würde ich erwägen.
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