Fougère - eine Gender-Angelegenheit
vor 11 Jahren
Drseid veröffentlichte kürzlich einen Review zu Penhaligon's "English Fern" auf Parfumo International unter dem Titel: "This can't be the original formula". Zu diesem Schluss kommt er weil das, was er roch, ihm amateurhaft vorkam und seinen Erwartungen an einen klassischen Duft von 1910 widersprach.
Die Vermutung ist naheliegend, dass ein klassischer Akkord, der die Zeiten überdauerte, einfach genial zu sein hat, eine hochgradig verfeinerte Komposition von herausragender Schönheit und Eleganz. "Wenn Gott Farnen einen Geruch mitgegeben hätte, so würden sie nach Fougère Royal duften" - dieser berümte Ausspruch, den man Paul Parquet zuschreibt, mag ebenfalls solche Erwartungen stützen.
Nur wenige Menschen können uns Auskunft darüber geben, wie Paul Parquet's "Fougère Royale" von 1882 gerochen haben könnte. Überreste verwahrt die Osmothéque in ihren geheimen Verliesen in Versailles. Man lud Luca Turin ein, Fougère Royale kennen zu lernen, und in "The Secret of Scent" berichtet er seine Eindrücke. Ihn erinnerte es an Badezimmer: geschrubbte schwarzweiße Fliesen, feuchte Handtücher und fäkale Aromen - "somebody else's shit". Auch wenn das Effekthascherei sein sollte – in gewisser Weise kann ich diese Eindrücke mit meinen eigenen Fougère-Erfahrungen in Übereinstimmung bringen.
Ich hatte Gelegenheit, die eingestellten "Buckingham" und "Crown Fougère" von Crown Perfumery zu testen, ebenso das noch erhältliche "Fougère" von Harry Lehmann. Diese drei Düfte gaben mir eine Idee davon, wie der klassische Fougère-Akkord typischerweise gerochen haben müsste.
Die Bezeichnung Fougère ist weit verbreitet. Im weitesten Sinne kann man alles mögliche damit bezeichnen, was krautige Noten hat und nicht komplett orientalisch riecht. Von dieser Bedeutung, nach der sogar das vanillige Jicky von Guerlain ein Fougère ist, soll hier nicht die Rede sein. Es geht um jenen Akkord, der im Kern aus Lavendel, Eichenmoos und Cumarin bestehen soll.
Ich nahm in den klassischen Fougères vor allem eine krautige Würze wahr, in der geruchlichen Nachbarschaft von Aromen wie Fenchel, Sellerie, Anis und Eukalyptus. Es gibt eine Verbindung zur Vorstellung von staubigen Stoffballen, von Appretur und der Idee des Herrensakkos – in der Tat ein Hinweis auf maskuline Eleganz.
Aber schön ist der klassische Fougère-Akkord nicht, er hat auch etwas abstoßendes. Zuviel davon, und es kann einem blümerant werden, vielleicht bedingt durch einen exzessiven Einsatz von Cumarin. Die Schärfe, die in ihm auch enthalten ist, kann richtig weh tun. Meine Vermutung: Fougère sollte auch wehtun!
An irgendeinem Punkt der Vergangenheit wurde der Gebrauch von Parfum immer mehr zu einer Sache der Damen. Sich mit schönen Düften zu umgeben, galt plötzlich als feminin, und männliche Parfumliebhaber erweckten Verdacht. Noch heute werden die lieblichsten Blumendüfte als Damendüfte verkauft. Machos in vielen Gesellschaften lehnen den Gebrauch von Parfum sowieso kategorisch ab, es gilt ihnen als unmännlich. Und auf Sex-Parties der Gay Communities überall auf diesem Planeten wird denen der Einlass verwehrt, die noch nach etwas anderem riechen als Männerschweiß.
Ich sehe Fougère als eine Erscheinung in der Geschichte der Geschlechtsidentitäten- und Rollen. Wenn die schönen Düfte nur was für Frauen sind, für effiminierte Männer und verzärtelte Jungs, dann muss Duft weh tun um überhaupt als Parfum akzeptiert zu werden. Das ist reiner Masochismus: Männer bestrafen sich für den Gebrauch von Parfum. Duft zu genießen geht in diesem Fall nur, wenn man gleichzeitig zeigt, dass man Schmerz aushalten kann. Aus diesem Grund haben wir After Shave.
Das Aufbringen einer scharfen alkoholischen Chemikalie auf frisch rasierte Haut kann ziemlich brennen. Und was ist aus medizinischer Sicht tatsächlich von der Rechtfertigung zu halten, man müsse die Läsionen der Rasur desinfizieren? Ist es so gesehen nicht schon etwas peinlich, wenn jemand nur ein After Shave benutzt, aber kein Eau de Toilette?
Zählen wir 2 und 2 zusammen: masochistischer Duftgebrauch plus Turins Eindruck, dass Fougère Royale etwas mit Toiletten zu tun hat – konnte da der Erfolg ausbleiben?
Wollte man eine Geschichte der Parfumkunst unter dem Aspekt der Entwicklung von Gender schreiben – mit Paul Parquets Fougère Royale müsste sie wohl beginnen. Es ist eine gute Sache dass die heute so populären orientalischen Herrendüfte im Stil von Le Mâle oder One Million diesen Masochismus nicht mehr bedienen.
Ich bin noch lange nicht durch mit dem Fougère-Akkord. Ist sein Gebrauch reaktionär? Oder gibt es eine Möglichkeit, den Masochismus der Vergangenheit in etwas anderes zu verwandeln?
Eine ganze Reihe von Neuerscheinungen der letzten Jahre beinhalteten den klassischen Fougère-Akkord. Diese neuen Fougères sind anders. Gemeinsam ist ihnen der Versuch, den Schmerz zu verbergen, was mal mehr, mal weniger gut gelingt. Geblieben ist eine gewisse Abgeklärtheit, die entspannte Einsicht, dass ein Akkord sich nicht unmittelbar der Idee der Schönheit unterwerfen muss um Eleganz hervorrufen zu können.
Findet es selber heraus, hier ist eine Übersicht:
#1 "Tina Farina Charme - Stier for Men"
Auf der frischen Seite, mit erbärmlicher Haltbarkeit. Meine Nummer 1, denn dieser Duft verblasst, bevor der Schmerz kommt.
#2 "Fougère" von Harry Lehmann
Vermutlich recht nahe am historischen Fougère-Gebrauch und noch erhältlich.
#3 "MPH" von Washington Tremlett
Nettes Fougère mit Betonung des Lavendels, der als solcher wahrnehmbar ist.
#4 "Sartorial" von Penhaligon's
Betont den textilen Aspekt des Fougère-Akkords und trägt den Bezug zur Schneiderwerkstatt daher schon im Namen.
#5 "Jaques Zolty"
Vielleicht ein wenig opulent aber sehr fougère.
#6 "Fougère Royale" von Houbigant
Vermutlich komplett reformulierte Wiederauflage des historischen Dufts von Paul Parquet. Sehr stylisher Flakon, ein modernisiertes und verfeinertes Fougère. Die leichte, elegante Aura betrügt uns – diese Cumarin-Bombe macht irgendwann blümerant. Die Eau de Parfum Stärke ist zuviel des Guten.
#7 "Vétiver de Frédéric" von Frédéric Haldiman
Großartiges klassisches Vetiver mit einem wahrnehmbaren Touch klassischem Fougère. Leider eingestellt.
#8 "Buckingham" und "Crown Fougère" von Crown Perfumery
Eine authentische Erfahrung – wenn man sie denn noch findet.
Leider habe ich English Fern noch nicht getestet – und kann daher Drseids Einduck weder bestätigen noch widersprechen.
Die Vermutung ist naheliegend, dass ein klassischer Akkord, der die Zeiten überdauerte, einfach genial zu sein hat, eine hochgradig verfeinerte Komposition von herausragender Schönheit und Eleganz. "Wenn Gott Farnen einen Geruch mitgegeben hätte, so würden sie nach Fougère Royal duften" - dieser berümte Ausspruch, den man Paul Parquet zuschreibt, mag ebenfalls solche Erwartungen stützen.
Nur wenige Menschen können uns Auskunft darüber geben, wie Paul Parquet's "Fougère Royale" von 1882 gerochen haben könnte. Überreste verwahrt die Osmothéque in ihren geheimen Verliesen in Versailles. Man lud Luca Turin ein, Fougère Royale kennen zu lernen, und in "The Secret of Scent" berichtet er seine Eindrücke. Ihn erinnerte es an Badezimmer: geschrubbte schwarzweiße Fliesen, feuchte Handtücher und fäkale Aromen - "somebody else's shit". Auch wenn das Effekthascherei sein sollte – in gewisser Weise kann ich diese Eindrücke mit meinen eigenen Fougère-Erfahrungen in Übereinstimmung bringen.
Ich hatte Gelegenheit, die eingestellten "Buckingham" und "Crown Fougère" von Crown Perfumery zu testen, ebenso das noch erhältliche "Fougère" von Harry Lehmann. Diese drei Düfte gaben mir eine Idee davon, wie der klassische Fougère-Akkord typischerweise gerochen haben müsste.
Die Bezeichnung Fougère ist weit verbreitet. Im weitesten Sinne kann man alles mögliche damit bezeichnen, was krautige Noten hat und nicht komplett orientalisch riecht. Von dieser Bedeutung, nach der sogar das vanillige Jicky von Guerlain ein Fougère ist, soll hier nicht die Rede sein. Es geht um jenen Akkord, der im Kern aus Lavendel, Eichenmoos und Cumarin bestehen soll.
Ich nahm in den klassischen Fougères vor allem eine krautige Würze wahr, in der geruchlichen Nachbarschaft von Aromen wie Fenchel, Sellerie, Anis und Eukalyptus. Es gibt eine Verbindung zur Vorstellung von staubigen Stoffballen, von Appretur und der Idee des Herrensakkos – in der Tat ein Hinweis auf maskuline Eleganz.
Aber schön ist der klassische Fougère-Akkord nicht, er hat auch etwas abstoßendes. Zuviel davon, und es kann einem blümerant werden, vielleicht bedingt durch einen exzessiven Einsatz von Cumarin. Die Schärfe, die in ihm auch enthalten ist, kann richtig weh tun. Meine Vermutung: Fougère sollte auch wehtun!
An irgendeinem Punkt der Vergangenheit wurde der Gebrauch von Parfum immer mehr zu einer Sache der Damen. Sich mit schönen Düften zu umgeben, galt plötzlich als feminin, und männliche Parfumliebhaber erweckten Verdacht. Noch heute werden die lieblichsten Blumendüfte als Damendüfte verkauft. Machos in vielen Gesellschaften lehnen den Gebrauch von Parfum sowieso kategorisch ab, es gilt ihnen als unmännlich. Und auf Sex-Parties der Gay Communities überall auf diesem Planeten wird denen der Einlass verwehrt, die noch nach etwas anderem riechen als Männerschweiß.
Ich sehe Fougère als eine Erscheinung in der Geschichte der Geschlechtsidentitäten- und Rollen. Wenn die schönen Düfte nur was für Frauen sind, für effiminierte Männer und verzärtelte Jungs, dann muss Duft weh tun um überhaupt als Parfum akzeptiert zu werden. Das ist reiner Masochismus: Männer bestrafen sich für den Gebrauch von Parfum. Duft zu genießen geht in diesem Fall nur, wenn man gleichzeitig zeigt, dass man Schmerz aushalten kann. Aus diesem Grund haben wir After Shave.
Das Aufbringen einer scharfen alkoholischen Chemikalie auf frisch rasierte Haut kann ziemlich brennen. Und was ist aus medizinischer Sicht tatsächlich von der Rechtfertigung zu halten, man müsse die Läsionen der Rasur desinfizieren? Ist es so gesehen nicht schon etwas peinlich, wenn jemand nur ein After Shave benutzt, aber kein Eau de Toilette?
Zählen wir 2 und 2 zusammen: masochistischer Duftgebrauch plus Turins Eindruck, dass Fougère Royale etwas mit Toiletten zu tun hat – konnte da der Erfolg ausbleiben?
Wollte man eine Geschichte der Parfumkunst unter dem Aspekt der Entwicklung von Gender schreiben – mit Paul Parquets Fougère Royale müsste sie wohl beginnen. Es ist eine gute Sache dass die heute so populären orientalischen Herrendüfte im Stil von Le Mâle oder One Million diesen Masochismus nicht mehr bedienen.
Ich bin noch lange nicht durch mit dem Fougère-Akkord. Ist sein Gebrauch reaktionär? Oder gibt es eine Möglichkeit, den Masochismus der Vergangenheit in etwas anderes zu verwandeln?
Eine ganze Reihe von Neuerscheinungen der letzten Jahre beinhalteten den klassischen Fougère-Akkord. Diese neuen Fougères sind anders. Gemeinsam ist ihnen der Versuch, den Schmerz zu verbergen, was mal mehr, mal weniger gut gelingt. Geblieben ist eine gewisse Abgeklärtheit, die entspannte Einsicht, dass ein Akkord sich nicht unmittelbar der Idee der Schönheit unterwerfen muss um Eleganz hervorrufen zu können.
Findet es selber heraus, hier ist eine Übersicht:
#1 "Tina Farina Charme - Stier for Men"
Auf der frischen Seite, mit erbärmlicher Haltbarkeit. Meine Nummer 1, denn dieser Duft verblasst, bevor der Schmerz kommt.
#2 "Fougère" von Harry Lehmann
Vermutlich recht nahe am historischen Fougère-Gebrauch und noch erhältlich.
#3 "MPH" von Washington Tremlett
Nettes Fougère mit Betonung des Lavendels, der als solcher wahrnehmbar ist.
#4 "Sartorial" von Penhaligon's
Betont den textilen Aspekt des Fougère-Akkords und trägt den Bezug zur Schneiderwerkstatt daher schon im Namen.
#5 "Jaques Zolty"
Vielleicht ein wenig opulent aber sehr fougère.
#6 "Fougère Royale" von Houbigant
Vermutlich komplett reformulierte Wiederauflage des historischen Dufts von Paul Parquet. Sehr stylisher Flakon, ein modernisiertes und verfeinertes Fougère. Die leichte, elegante Aura betrügt uns – diese Cumarin-Bombe macht irgendwann blümerant. Die Eau de Parfum Stärke ist zuviel des Guten.
#7 "Vétiver de Frédéric" von Frédéric Haldiman
Großartiges klassisches Vetiver mit einem wahrnehmbaren Touch klassischem Fougère. Leider eingestellt.
#8 "Buckingham" und "Crown Fougère" von Crown Perfumery
Eine authentische Erfahrung – wenn man sie denn noch findet.
Leider habe ich English Fern noch nicht getestet – und kann daher Drseids Einduck weder bestätigen noch widersprechen.