1972

1972

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1 - 5 von 9
1972 vor 5 Jahren 12 7
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Flakon
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Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Archaische Riten
Orchestrieren wir das Eröffnungsfeuerwerk zur Feier des ganzheitlichen Mannes mit Strawinskys „Le sacre du printemps“ (Das Frühlingsopfer). Vergessen Sie das lyrische Vorspiel. Setzen Sie gleich bei den rhythmisch hämmernden, wild-aggressiven „Augures printaniers“, den Vorboten des Frühlings, ein:

Animalisches Zitrus-Leder trifft mit herber Blütenwürze auf die Haut.

Strawinsky sprach über sein Frühlingsopfer vom „alles umfassenden panischen Erwachen der universellen Kraft“. Es sind keine lieblichen, sondern martialisch gehämmerte „Vorboten“ zur Opferung der Jungfrau.

Kreiert wurde Quorum von einem gewissen Sebastian Gomez, der auf parfumo.de mit zwei Parfums vertreten und im übrigen unauffindbar ist. Seine beiden Kreationen stammen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Gehen wir davon aus, dass dieser Mann der Vergangenheit spanischen Ursprungs war und schlagen wir den Bogen vom wilden Russen zum stolzen Spanier. Für mich hat dieses Quorum in der Tat und ganz klischeehaft etwas vom stolzen Spanier, ohne ihn - liegt es an Artemisia und Kreuzkümmel? - kann ich diesen Duft nicht denken.

Aristoteles klassifizierte den Menschen als zóon politikón oder latinisiert homo politicus. Der Mensch als soziales, politisches Wesen diszipliniert seine animalischen Aspekte in der Polisgemeinschaft, die Demokratie entsteht, archaische Riten werden zurückdrängt. Aus solchem antiken Menschenbild geht der moderne Mensch hervor, dessen Zivilisation durch demokratische Verfahren geregelt ist, wie etwa dem „Quorum“. Sein Zweck besteht darin, durch eine Anzahl abgegebener Stimmen die Bildung einer nicht repräsentativen Mehrheit zu verhindern. Eine angestrebte Änderung des Status quo wird nur umgesetzt, wenn das erforderliche Quorum erreicht wurde.

Einen gegen die Postmoderne archaisch auftrumpfenden Duft so sachlich zu betiteln mag befremden. In den frühen 80ern war ein männlicher Duft eben eine Selbstverständlichkeit, eine dramatische Überschrift kam daher niemandem in den Sinn. Seither hat man viele philosophisch-anthropologischen Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt, wurden gekippt und sind bereits Geschichte. Ich möchte mir vorstellen, Sebastian Gomez und die Namensgeber des Quorum legten einen letzten reaktionären Einspruch für den archaischen Mann ein. Wie wir heute wissen, wurde das erforderliche Quorum nicht erreicht. Man proklamierte den homo sociologicus, das soziologische Wesen. Keine Opferung wird anberaumt, die Jungfrau lebt, der Stier wurde nicht aufgespießt, sondern gebändigt und eingeseift.

Folgen wir ein letztes Mal Strawinskys Frühlingsopfer mit den „Rondes printanières“ (Frühlingsreigen) in die Herznote und Basis. Dunkel, gar düster und getragen schreiten sie einher. Es ist ein männlicher Reigen. Mögen im Ballett die Jungfrauen tanzen, der Mann tanzt nicht. Mit Rilke lässt sich das Bild abrunden: Es ist „ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.“ Auch Rilke wusste, dem zivilisierten Wesen ist das Schicksal des homo inermis beschieden. Der wehrlose Mensch, ein Mängelwesen, schutzlos, instinktverlassen.

Der große Wille des ganzheitlichen Mannes ist weitgehend Geschichte, die uns mit Gomez' Quorum aus wilden Augen anblickt. Noch animalisch, obschon kultiviert, gebändigt, aber nicht gezähmt. Die Basis des Quorum klingt warm mit Amber, Leder, Moos sowie Tabak und feierlich mit einer Spur von Weihrauch aus.
7 Antworten
1972 vor 5 Jahren 7 2
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Tante Rosa
Karl Lagerfeld war allemal ein markanter Grandseigneur mit dezidierten Ansichten. Was also hat es mit "Tante Rosa" auf sich? Dazu später mehr.

Kommen wir zunächst ohne Umschweife zum Duft, den ich erstaunlicherweise erstmalig verkoste:

Alkoholisierter Salbei mit Spuren von Estragon, keine Zitrone, sparsames Grün zum Auftakt und erste pudrige Anklänge. Die Herznote lässt nicht lange auf sich warten: Süßlich-cremige Rosen, die an eine Dame in ihrer kleinen, eleganten Villa aus fernen Zeiten erinnern. Bezeichnenderweise hieß diese Dame für mich Tante Rosa. Feminine Reminiszenzen solcher Art lasse ich mir gefallen. Und wer mag nicht angenehme Assoziationen aus der Vergangenheit?
Wie bereits einigen Vorgängern stellt sich auch mir der Anschein eigentlich abwesenden Lavendels ein. Recht blumig-cremig geht es weiter. Etwas Feinherbes tritt ganz leise hinzu, auch Patchouli, alles eng verbunden. Kann ein Raucher den Tabak-Anteil wahrnehmen? Ich kann es jedenfalls nicht. Im Übergang zur Basis nimmt die Blütensüße noch einmal zu, um in balsamischer Weichheit auf moosigem Grund aufzugehen.

Offensichtlich ist der Lagerfeld Classic für mich kein klassisch männlicher Duft. Würziges, Krautiges, Markantes nehme ich nicht wahr. Ich möchte ihn tragen, wenn ich weich und verträumt gestimmt bin, falls nicht letzthin jene 'Crème De Rose' in den Armen einer Amber-Patchouli-Träumerei diese Gestimmtheit bei mir erzeugt.

P.S. Obwohl sich der geringe Anteil an Sandelholz im Verlauf nicht durchsetzt, tritt am nächsten Morgen dennoch jener fahle Nachgeschmack ein, der mir noch jeden Sandelholz-Duft verleidet hat, denn so endet der Genuss solcher Parfums mit einer Art Duft-Kater.
2 Antworten
1972 vor 5 Jahren 12
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Niemals schwer, immer freundlich, licht und leicht
Ohne danach gesucht zu haben, finde ich in diesem Pröbchen von L'Eau Boisée ein für mich erträgliches Terre d'Hermès. Freunde des letzteren mag mein Vergnügen befremden. Ich muss dazu anmerken, Terre d'Hermès seinerzeit in die engere Wahl genommen zu haben, bis eine traumatische Erfahrung dem ein Ende machte. Nur so viel: Liebe Freunde von Terre d'Hermès, bitte badet nicht vor dem Theaterbesuch darin. Ich glaube, bis heute muss ich Nachts zuweilen davon träumen. Wo ich es wittere, kämpfen Anziehung und Missfallen in mir.

Über Guerlains L'Eau Boisée findet man hier nicht wenige kritische Stimmen. L'Eau Boisée sei uninspiriert, langweilig, schwach. Mich inspiriert es allerdings zu diesem Kommentar – nicht zuletzt deshalb, weil hier so viele unterschiedliche, oft widersprüchliche Meinungen aufscheinen. Von „in seiner Gesamtwirkung zu harmlos“ bis „sehr stechend ... und Kopfschmerzen verursachen[d]“. Mit Driver kann ich dagegen sagen: „Yatagan hat recht. Dieser Guerlain ist sehr gefällig.“ Leimbacher entdeckt eine familiäre Nähe zum Guerlain Homme, die ich nicht sehe. Der Homme kommt für mich weitaus moderner, beinahe synthetisch und androgyn daher. Kuriose Erfahrung von Tom14: „Selten habe ich einen Duft probiert, der mich von der ersten bis zur letzten Sekunde mit solch scharfer Aggressivität in die Ecke treibt, dass ich völlig wehrlos bin.“ Ein krasser Fall hautchemischer Unverträglichkeit, wie er einräumt.

Um dem Leser eine Einordnung meiner Beschreibung des Verlaufs zu ermöglichen, schicke ich voraus, die traditionell männlichen, kraftvollen Vertreter nicht zu verschmähen. Aber auch klassische Eleganz sowie einen zitrischen Start liebe ich.

Entgegenkommenderweise startet L'Eau Boisée intensiv zitrisch-frisch. In der Kopfnote wird es herber, mit einer lichten Holzigkeit. Dann regiert vorübergehend das Vetiver. Schließlich setzt sich eine Basis aus holziger Moschus-Wärme durch, während sich darüber Vetiver und zitrische Noten die Waage halten. Das alles niemals schwer, sondern hell und leicht. Der Rum bleibt vom Start weg abwesend und mag die Alchemie unbemerkt unterstützen. Vielleicht erzeugt die Gemeinsamkeit der Ingredienzien von Zitrus, Rosengeranie, Vetiver und Hölzern diesen Terre d'Hermès-Effekt. Wo mich allerdings die nahezu toxische Zudringlichkeit des Terre d'Hermès im Theaterparkett einst traumatisierte, zieht mich das lichte, freundliche Boisée an.

Haltbarkeit und Intensität werfen zunächst Fragezeichen auf. Mit diesem Eindruck von Understatement mag sich daher Tom14s kurioses Erlebnis „Hartnäckig ist gar kein Ausdruck“ so gar nicht verbinden. Beim ersten vorabendlichen Test trat vielmehr wiederholt die Sorge auf, der Guerlain könnte schlappmachen. Doch weit gefehlt, beim Einschlafen bleibt ein schwebender Akkord aus Vetiver, Zitrus und Hölzern präsent; am folgenden Morgen nehme ich ihn noch immer wahr. Hat man im Umgang mit L'Eau Boisée Vertrauen gefasst, kann man sich auf seine dezente Präsenz verlassen.
Ein angenehm unaufgeregtes, lichteres Terre d'Hermès, das dessen Getöse durch freundliche Eleganz ersetzt.
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1972 vor 5 Jahren 8 2
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft
King for the Day
Der Flakon sieht im Original etwas hochwertiger aus als auf den Abbildungen. Dann soll der „K“ mal zeigen, ob er mehr kann, denn die bisherigen Bewertungen fallen ja durchaus bescheiden aus.

Der frisch-fruchtige Beginn empfiehlt ihn vom Start weg als täglichen Begleiter. Das Krönchen steht nämlich mitnichten für festliche Anlässe, sondern empfiehlt ihn als „King for the Day“. Interessanterweise geht die Reise dann für mein Empfinden ins Ledrige. Die Basis bildet ein modernes, männlich-holziges Fundament, wobei neben der Frische der dezent-ledrige Charakter durchweg erhalten bleibt. Paradoxerweise handelt es sich um einen frischen, holzigen Lederduft ohne die für zeitgenössisch orientierte Nasen schwere Fülle klassischer Leder-Düfte.

Unaufdringlich, dennoch stets präsent, umgibt den Träger eine dezent-solide Alltagsmännlichkeit. Der „K“ ist im übrigen auch ein saisonaler Allrounder, denn mir fällt keine Jahreszeit ein, mit der er nicht harmonieren würde. Die Haltbarkeit liegt bei mir durchaus bei bis zu neun Stunden, auch wenn der Projektion die Puste freilich früher ausgeht.

In diesem Modernisten findet so mancher vielleicht genau den hellwachen Begleiter, den er gesucht hat und so wird mich der „K“ gelegentlich in aufgeräumt-unaufgeregter Manier durch den Arbeitstag begleiten.
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1972 vor 10 Jahren 9 3
10
Duft
Der Aufgang einer besseren Welt
Herrlich frisch zu Beginn, zum reinlegen. Ich möchte mich in diesem Duft baden und in den vergangenen Zeiten planschen, die Windsor evoziert.
Zionist hat die erfahrbaren Nuancen bereits exakt beschrieben und ich kann dem nur hinzufügen: Auf der Titanic hätte ich diesen Duft an jedem vierten Mitreisenden wahrgenommen, was enorm ist, wurde der Duft doch in den 2000ern in die Wirklichkeit entlassen. So roch das Jahr 1912 jenseits der Hochöfen und Hinterhöfe. Darin liegt der Impetus zur Kreation von Windsor, der mein olfaktorisches System überwältigt. Die Ferne katastrophaler Ereignisse, die reichhaltige, warme Distinktion, die Jungfernfahrt einer Titanic aus einem Hafen, in dessen Hinterland ausgedehnte, verrusste Arbeitersiedlungen zurückbleiben, aus deren harter Hände Arbeit der gewaltige Metallsarg in die Zeit entschwindet.
Windsor riecht nicht nach dem abwesenden Schweiß der Arbeiter. Windsor riecht weich und wunderschön. Der Traum einer Welt, die sich über das Elend erhebt und im Äther zwischen den Zeiten entschwebt.
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