Aava

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6 - 10 von 50
Aava vor 11 Jahren 23 19
10
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5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Diary of a robot
Liebes Tagebuch,

heureka, heute war ein guter Tag! Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist! Heute habe ich meinen signature scent gefunden. Meinen Duft, mein Parfum und ich bin ganz und gar aufgeregt.

Kennst du diese kleine Isländerin, die in Kunst und Düfte macht? Andrea Maack. Haste bestimmt schon mal gehört. Auf jeden Fall hat die schon vor einer ganzen Zeit ein Parfum raus gebracht, das ist wie für mich gemacht: Craft. Craft, wie die schwedische Blackmetalband. Craft, wie Krafto, Bischof im frühen Mittelalter. Craft wie im Englischen das Handwerk. Und Craft ganz einfach wie Kraft. Jedenfalls klingt´s nach Kraft. Und ich sag dir, liebes Tagebuch, das steckt da alles drin. Ich schwör's dir!

Craft wie Blackmetal - ja, der erinnert mich an meine düsteren Tage als Cylon in der Cyber Combat Unit auf dem Battlestar Galactica. Eisiges Weltall, echt kalt war´s da und meine metallische Haut hat damals noch dunkel böse geglänzt und alles Licht absorbiert, was sich mir in den Weg gestellt hat. Irgendwie bin ich jetzt im Alter auch geschrumpft. Damals als Cylon war ich noch riesig, massig, furchteinflößend. Ein Block aus Stahl und Metall und Leuchtdioden. Craft erinnert mich daran. Das waren Zeiten!

Craft wie Krafto, laut Wikipedia, hab ich extra nachgesehen. Krafto, ein Bischof im Frühmittelalter. Daran erinnert Craft mich auch. Ich bin nämlich sicher, auch wenn es oben in der Duftpyramide nicht angegeben ist, dass da eine ganze Ladung voll Weihrauch drin sein muss. Zumindest am Anfang. Und zwar der von der sakralen, kühlen Sorte. Weißt du, der, der so nach Kirchengemäuer und dunklen Gängen riecht. Also Patchouli ja, das auch, das gibt diese schöne dunkle Funkelfarbe. Und auch Holz, ich rieche nämlich auch die Kirchenbänke und das alte Gebälk. Mein Schöpfer hat mich nämlich nach meiner Zeit auf dem Battlestar in die Kirche geschickt, zur Läuterung. Aber, kann auch sein, dass das einfach die Kombi aus dem dunkel-erdigen Patchouli, der holzig-ätherischen Zeder und dem würzig-zitrischen Elemiharz ist, was so weihrauchig riecht. Elemi haben sie da oben übrigens auch vergessen. Klar ist jedenfalls, dass in Craft mehr drin ist als drauf steht!

Craft wie im Englischen das Handwerk. Mir gefällt mein neuer Signaturduft nämlich auch deshalb so gut, weil er richtig gut gemacht ist. Da hat sich mal jemand ordentlich Mühe gegeben. Hält gut, strahlt ab aber auch nicht so, dass man mich schon riechen würde, bevor ich um die Ecke gekommen bin. Und irgendwie hat er sogar neben all dem dunkel-düster Metallisch-Kaltem auch eine frische, ganz und gar helle, sehr funkelnde Seite. Wie gerade der Badewanne entstiegen und total porentief rein geworden. Desinfiziert. Meine düsteren Tage sind ja auch vorbei. Inzwischen steh ich auf alles hell-glänzend und sauber Metallische.

Craft, ganz einfach wie Kraft. Craft ist mächtig und man bekommt wirklich richtig viel für sein Geld: Metall, Kälte, irgendwas, was sich wie dunkel schimmerndes Carbon anfühlt, Kirchengemäuer, Frische, Sauberkeit, ätherisch-hellwürzige Holzigkeit. Ist alles da und macht Craft insgesamt so ganz und gar einzigartig. Es gibt eigentlich kein anderes Parfum, was für einen Roboter vorstellbar wäre, außer eben Craft. Und wenn du dich jetzt fragst, ob der auch für Warmblütler geeignet ist, dann sei versichert, ja, auch das geht.

Ich werd jetzt auf jeden Fall nochmal nachsprühen, mir meinen Lieblingssong von Kraftwerk laut aufdrehen: We are the robots, und dann nochmal eben recherchieren, warum die Maack den Craft eigentlich für ihr Couture-Kleid aus Papier haben wollte. Ich glaube, sie hat das Papierkleid damals in einem Museum ausgestellt und wollte einen Duft haben, der seine Einzigartigkeit unterstreicht. Ja, ich glaube, so war´s. Naja, passt ja. Ich bin ja auch einzigartig.

Also, liebes Tagebuch, heute war ein guter Tag!
19 Antworten
Aava vor 11 Jahren 15 9
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Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
6
Duft
Die DNA von Zeichenkohle
Andrea Maacks Zeichnungen gleichen Skulpturen. DNA-Strängen, die sich als seltsam verwobene Muster über Papier und Wände dahin schlängen und wundersam lebendig wirken. Mal formen sie sich zu wabenartigen Strukturnetzen, mal zu hartkantigen Bollwerken aus Strichen, Linien und Kurven. In klaren Formen dominieren klare Farben: Weiß und Schwarz und Magenta. Ein bißchen Grün und Blau und Gelb. Ihre Kunst ist eigen und kantig. Und doch wirkt jedes ihrer Kunstwerke auch eigenartig fragil. Mit ruhiger Hand und Geduld gefertigt, strahlen ihre Werke in aller scharfkantigen Eckigkeit auch Ruhe, Kraft und eine selbstbewusste Gelassenheit aus.

Kennt man Andrea Maacks Kunst und ihre Parfums, geht man also mit einer gewissen Erwartungshaltung an einen neuen Duft ihrer Linie heran. Man erwartet Avantgarde, Ausdruck, gleichmütig und kraftvoll Charakterstarkes – ein typisches Andrea Maack Statement. Man erwartet Coal, die DNA von Zeichenkohle, aufgeschlüsselt in einem Parfum. Ein Duft, der sowohl Andrea Maacks Kunst als auch haptisches Erleben in olfaktorischen Ausdruck übersetzen soll: Die spröde Staubigkeit und Bröseligkeit von Zeichenkohle, wenn sie auf Papier trifft, feiner Kohlestaub in die Luft aromatisiert, schmierige Fingerkuppen und scharfkantige, gebrochene Linien auf Papier. Mit Spannung habe ich also ungeduldig auf Coal und darauf gewartet, wie all das wohl in ein Parfum übersetzt wurde. Umso enttäuschter war ich, als ich Coal dann endlich testen konnte.

Seltsam flach und ausdruckslos präsentiert sich Coal im tatsächlichen Dufterlebnis, sowohl auf dem Teststreifen als auch auf der Haut. Ein Duft, der entfernt in der Tat an ein so trocken-poröses Material wie Kohle erinnert, aber dem es von Beginn an und über die gesamte Dauer seines Verlaufes an Tiefe fehlt. Der Auftakt ist deutlich würzig und ein wenig ätherisch. Pfeffrige Noten sowie vor allem der Wachholder sind tonangebend. Schön finde ich den Gegensatz, der sich nach den ersten Minuten einstellt: Die trocken-bröseliger Haptik der Zeichenkohle einerseits und die für die Arbeit mit Zeichenkohle so typischen schwarzen, leicht schmierigen Fingerkuppen andererseits. Diesen Ausdruck hätte ich mir so scharfkantig wie den eckigen Zeichenstrich der Kohle gewünscht und finde ihn in Coal aber nur in Anklängen wieder. Angekratzt aber nicht zu Ende gedacht wirkt das.

Letztlich erdet sich Coal dann ein wenig mit Einsetzen der Herznote und dunkelt etwas nach. Er wird runder, noch etwas trockener aber auch etwas wärmer. Der Papyrus und die holzigen Aspekte geben Struktur, das Patchouli und das Leder ein wenig Wärme. Alles verpackt in einen leicht herben Unterton, der immer noch dem Wachholder oder auch dem angeblich enthaltenen Shiso geschuldet sein kann.

In diesem Gegensatz zwischen dunkel-warmen und frisch-lebendigen Duftnoten wollte Richard Ibanez laut Pressetext zu Coal, den warm/kalten Kontrast einfangen, den Kohle haben kann und Andrea Maack hat ihm dabei freie Hand gelassen. Der Entwicklungsprozess eines neuen Duftes soll nach ihrem Ansatz genauso frei und ungezwungen verlaufen, wie die Schaffung eines ihrer Kunstwerke. Während ihre Kunst dabei aber in der Entstehung immer mehr an Kontur gewinnt, ebnet sich Coal dagegen für meine Nase in einer zwar schönen aber doch eher kantenfreien Belanglosigkeit ein und vergeht in einem trocken-herben und eher zurückhaltenden Lederakkord. In der gesamten Komposition fehlt mir so das Konturierte oder doch zumindest das Charakterstarke. So zurückhaltend ist Coal, dass man schon ordentlich sprühen muss, um dem Ganzen ein wenig Tiefe zu verleihen. Es muss nicht immer die raumgreifende Sillage oder tagefüllende Haltbarkeit sein, auch Zurückhaltendes kann Charakter haben, wie z.B. Smart, einer ihrer ersten Düfte, beweist. Smart ist ebenso keine olfaktorische Nasenkeule aber doch insgesamt so ausdrucksstark, dass er mit einer gewissen selbstbewussten Eleganz durch den Tag zu begleiten vermag. Das fehlt Coal.

Coal tippt nur an, deutet und weist auf etwas hin aber steht nicht für sich selbst. Coal verweist auf Andrea Maacks Kunst mehr als auf sich selbst und funktioniert für mich deshalb auch eher als Kunstduft, als Konzeptduft und nicht als Parfum im herkömmlichen Sinne. Andrea Maacks Kunst eignet sich dafür ganz hervorragend, da sie Duft und Kunst zu vereinen versucht und den Betrachter dazu einlädt, Teil des Kunstwerkes zu werden: Beduftete und von Hand bemalte Zelte gehören genauso zu ihren Kunst-Duft-Installationen wie wandfüllende Strukturzeichnungen aus einzelnen Papierstreifen, die mit Parfum besprüht und vom Besucher mitgenommen werden können. In diesem Rahmen stelle ich mir Coal vor und in diesen Rahmen gehört Coal für mich. Und wenn man Coal unter diesem Aspekt sieht, dann kann man sogar sagen: Mission accomplished. Ja, das ist ein Duft zur Kunst. Ein Duft, der Kunst trägt und unterstreicht.

Coal ist für mich also vor allem Mittel künstlerischen Ausdrucks und weniger ein Parfum, das mich durch den Tag zu begleiten vermag. Und auch wenn unsere DNA so nicht kompatibel erscheint, freue ich mich dennoch darauf, Coal hoffentlich irgendwann einmal in einer von Andrea Maacks Installationen erleben zu können.
9 Antworten
Aava vor 11 Jahren 27 15
7.5
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7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft
La Bohème auf der Bohrinsel
Wär ich ein Mann, dann wär ich Geheimagent, Taschendieb oder Pokerspieler. Vielleicht auch Fremdenlegionär, Wallstreet-Broker oder Lonesome Cowboy. Oder sogar Maschinist auf einer Bohrinsel, irgendwo auf weiter See. Ich würde im Maschinenraum an Maschinen rumschrauben, mit einem ölverschmierten Tuch in der hinteren Hosentasche, derben Boots, freiem Oberkörper, bepackt mit furchtbar vielen Muskeln. Und ich würde dann mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach Patchouli Bohème riechen.

Der Auftakt von Patchouly Bohème ist fies, biestig und ölig. Schmierig, tiefschwarz, dunkel, böse und gemein. Der Duft kriecht über meine Haut, setzt sich in die Poren, umschließt und verklebt die feinen Häarchen auf meinem Arm, lebt wie eine mikroskopisch kleine Alienspinne auf mir drauf und saugt sich fest. Was ist das, was sofort diesen ölig schmierigen und tiefschwarzen Eindruck erzeugt, dieses Amorphe und Zähflüssige? Geraniumblätter und Hölzer? Aber dann bitte in Teer getränkt. Und mit kleingehäckselten Schrauben, Motoröl, Krötenbeinen und Spucke dazu. Erklären kann ich mir diese explosiv dunkelölige Kopfnote eigentlich nur darüber, dass die Geraniumblätter und Hölzer, dezent rauchig und süßlich akzentuiert, in meiner Nase einen leicht kampherartigen Dufteindruck ergeben, der zähflüssig, metallisch und sehr dunkel anmutet. Ich schätze, dass hier also schon einzelne Noten durchblitzen, die im späteren Duftverlauf noch präsenter werden: Der rauchig herbe Tabak und die Süße des harzigen Tolubalsam bzw. der Tonkabohne. Völlig faszinierend ist die Kopfnote von Patchouly Bohème also in jedem Fall und das Kopfkino kurbelt sie auch direkt an: Der Typ auf der Bohrinsel, Brad Pitt in seiner ersten Levis Werbung, der Automechaniker, der auf gar keinen Fall reden aber weiter rumschrauben soll… Sexed-Up ist diese ziemlich langlebige Kopfnote und überhaupt der ganze Duft.

Deutlich wird auch schon gleich, dass der Duft ein echtes Statement ist. Patchouly Bohème ist ein klares Wort und eine deutliche Aussage. Sowas riecht und trägt man nicht alle Tage. Wer ist also dieser Laurent Mazzone, der so ungewöhnliche und dunkle Düfte kreiert und der mit solchen Parfumeursgrößen wie Mona di Orio, Richard Ibanez, Jerome Epinette oder Olivia Giacobetti zusammen arbeitet? Viel erfährt man über ihn nicht, außer dass er mal in Mode gemacht und zuerst Duftkerzen hergestellt hat, dann erst zum Parfum kam, obwohl schon immer von Düften fasziniert. Dunkel-düster in Schwarz und Rot aber auch flashanimiert und irgendwie funkelnd verspielt präsentiert sich seine Webseite und die schwarzen Flakons seiner Parfumlinie in einem schlichten, eher zurückhaltenden Design. Da gibt es ansonsten nicht viel mehr über ihn zu erfahren, außer vielleicht, dass seine Düfte also ein ähnliches Statement nach Außen darstellen sollen wie Mode und Accessoires. Ein Duftaccessoire, um das Außergewöhnliche, Individuelle, die Dark Side einer jeden Persönlichkeit zu unterstreichen.

Balsamisch, sich zäh dahin ziehend und harzig, mit einem leicht metallischen Twist, einer rauchigen Komponente und einer ledrig-erdig wärmenden Tiefe entwickelt sich Patchouly Bohème weiter. Zibetartig wirkt diese ungewöhnliche Mélange, die je nachdem, ob einmal die warme, ledrig-erdige Tiefe oder die harzig-rauchige Süße im Vordergrund steht, mal an Jicky, mal an Shalimar und ja, auch an Ciste 18 von Le Labo erinnert. Nach dem ganzen Nasenflimmern und Wimpernklimpern der eher testosteronlastigen Kopfnote wird Patchouly Bohème hier auch deutlich unisex. Es wird süßer, noch harziger, wärmer, erdiger. Und es wird bohémien, elegant. Der Typ von der Bohrinsel hat plötzlich einen schicken Anzug an, wenn auch immer noch einen Drei-Tage-Bart, und an seinem Arm begleitet ihn eine mysteriöse, dunkelhaarige Frau. Beide sind gemeinsam wie auch jeder für sich ungewöhnlich, beide ziehen Blicke auf sich. Ein aufregender Duft für eine ungewöhnliche Nacht, den besonderen Moment, die Intimität und die Extrovertiertheit gleichzeitig.

Patchouly Bohème ist für einen ausgewiesenen Patchouliduft relativ ungewöhnlich, da das Patchouli für mich über eine recht lange Strecke des Duftes erst einmal nicht eindeutig als Hauptakteur zu erkennen ist. Erstaunlich für ein Parfum, das in seinem Namen sogar schon auf die Hauptkomponente verweist, welche dann aber im tatsächlichen Dufteindruck erst mal nur eine gut eingebundene Nebensache darstellt. Und auch im weiteren Verlauf ist das Patchouli zwar deutlich erkennbar aber so eng mit dem Harz, der leicht vanilligen Süße der Tonkabohne und der Wärme des Leders verbunden, dass Patchouli Bohème alles andere als ein weiterer Patchkracher ist. Patchouly Bohème ist eher ein sehr gut haltbarer, deutlich präsenter Unisexduft, der trotz der gewöhnungsbedürftigen Kopfnote einem sehr harmonischen Duftverlauf folgt und eine sinnliche Tiefe entwickelt, die man so nicht allzu oft findet. Ein großes Parfum, nicht unbedingt für jeden Tag, aber für besondere, etwas außergewöhnliche Tage und Nächte.

Ich muss also gar kein Mann sein, um im Maschinenraum einer Bohrinsel an irgendwelchen Maschinen rumschrauben zu können. Mit Patchouly Bohème kann ich das auch als Frau, sogar im Abendkleid…
15 Antworten
Aava vor 11 Jahren 50 35
10
Flakon
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Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Die Stille - ein besonderer Ort
Wenn die Welt so trocken wäre, dass sie kurz vor einem Buschbrand stünde, würde ich sie mir sehr still vorstellen. So still, dass der Wind Geräusche herüber wehen würde. Knisternde, klackende, kullernde und klickende Geräusche von holzigen Pflanzen, die sich in ihrer Trockenheit in einem kargen Lebensraum weiter zu behaupten versuchen. Trockene Geräusche, die so leise lodernd vor sich hin knistern, wie Feuer leise knistert, bevor es voll ausbricht. Eine glühende, schwirrende, trockene Trockenheit. Eine geräuschvolle Stille.

Lys du Desert ist ebenso still und trocken. Staubtrocken. Während diese Trockenheit in den ersten Minuten aber noch wunderbar sanft blumig und sogar leicht grün vor sich hin klackert, wird Lys du Desert kurz danach und für eine weite, sehr weite Strecke von allumfassender Wasserarmut bestimmt. Von Kargheit, Reduktion und einem Oberton, der knochentrocken über den Dingen schwirrt. So eine Trockenheit könnte ängstigen, essenziell anstrengend und unnachgiebig vereinnahmend sein. Ist sie aber nicht. Es schwingt darunter eine große und wunderschöne, fast erhabene Sanftmut mit. Eine Lebendigkeit, ein unbedingter Wille zum Leben, der in aller Stille und Sanftmut der Kargheit der Welt und der Feindlichkeit der Umwelt trotzt. Eine leicht schillernde, silbrig eingefärbte grüne Note. Ein metallischer Unterklang, der hier dem trockenen Oberton entegegengesetzt wird und zusammen ergeben sie eine zartsüße Lebensmelodie. Ein hoch faszinierender Gegensatz von Trockenheit und metallischer Klarheit. Eine metallische Klarheit, die fast wie der destillierte, metallische Geschmack von Blut, von purer Lebenskraft anmutet.

Andy Tauer setzt hier meisterhaft und in ausgefeilter Reduktion nur wenige aber äußerst präsente Noten nebeneinander: Die Iriswurzel, die uns eine karge Trockenheit beschert und ihr gegenüber eine grüne, leicht zitrische, Note, die zuerst etwas roh anmutet und nach und nach dann in die lebendige Pracht einer voll in Blüte stehenden grünen Lilie übergeht. Ambra und holzige Aspekte sorgen für Erdung, für festen Grund ebenso wie für Weichheit, Plastizität, Schönheit. Pflanzensame schält sich aus karger Erde, Stengel und Säfte werden, Leben bricht durch wüsten Boden und erwächst inmitten von Trockenheit zu einer erhabenen, sich still im Wind wiegenden Lilie. Grünes Leben mitten in der Wüste.

Lys du Desert ist eine von vier Jubiläumskreationen, die unter der hauseigenen Marke „Decennial“ von Luckyscent anlässlich seines zehnjährigen Bestehens herausgegeben wurden und auch nur dort erhältlich sind. Alle vier Düfte haben in irgendeiner Weise etwas mit der 'Hometown' Luckscents, mit Los Angeles zu tun. So auch Lys du Desert. Die Quelle und Inspiration für Lys du Desert fand Andy Tauer in der kargen Landschaft des Joshua Tree National Parks, ca. 250km von LA entfernt. Einige wenige Wochen im Jahr erblüht dort die Desert Lily, die Wüstenlilie und ihr Duft ümspült die reduzierte Landschaft, tränkt das von der Sonne ausgedörrte Holz der Bäume, schwirrt durch die trockene Luft und den flirrenden Sand. Blüht auf in Hitze und Trockenheit und vergeht wieder. Diese Inspiration versuchte Andy Tauer für Luckyscent in Lys du Desert einzufangen und das Maß, wie weit ihm das gelungen ist, ist beeindruckend. Was er mit Lys du Desert in einen Flakon bringen wollte - Gefühl zu und Bilder von der wunderschönen reduzierten und doch zart lebendigen Landschaft des Joshua Tree Parks - das ist wundersam geglückt und begegnet mir vom ersten Öffnen der Probe bis zum letzten Dufthauch, der erst nach vielen, vielen Stunden auf meinem Arm vergeht. Die Haltbarkeit ist wie bei allen Tauerdüften also überdurchschnittlich, die Sillage einnehmend aber nicht vereinnahmend. Wunderschön zu tragen ist Lys du Desert insgesamt.

Immer wieder wird Tauers Desert Lily auch verglichen mit seinem ersten Wüstenduft „L’Air du Désert Marocain“. Ein sehr treffender Vergleich wie ich finde und doch sind beide auch deutlich unterschiedlich. Beide thematisieren zwar den Klang und das Gefühl der Wüste, die Hitze, das Karge. Und beide tragen sie auch Gegensätzlichkeiten zwischen eckigen und weichen Anklängen in sich. Und doch sind sie anders, sind sie unterschiedlich. Lys du Desert spielt mit der großen Trockenheit, ihrem Hauptthema, indem sie ihr eine metallisch-lebendige Seite entgegensetzt. L’Air du Désert Marocain mutet dagegen viel roher und viel kantiger an. Hier herrscht weniger ein metallischer Unterton denn vielmehr die typisch Tauersche Teernote vor, die einen großen Teil der Besonderheit L’Air du Désert Marocains ausmacht. Weniger geht es hier um Trockenheit, denn um große Hitze und Schmelze. Unter der Sonne und der heißen marokkanischen Wüstenluft schmilzt alles dahin, ebnet sich ein, zerläuft. L’Air du Désert Marocain ist hochgelobt, zurecht. Ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht und doch wirkt es gegenüber Lys du Desert ungehobelt und ein wenig laut. Lys du Desert ist leiser und viel sanfter. So würde ich an Tagen, an denen ich selbst ein wenig lauter durch´s Leben schreiten möchte, immer gerne zu L’Air du Désert Marocain greifen. An den anderen Tagen, an den etwas stilleren Tagen aber würde ich Lys du Desert bervorzugen. Die sanfte Schwester des großen, selbstbewussten Meisterwerks.

Selbst ist sie ein kleines Meisterstück, das eine sanftmütige Lebendigkeit in einer stillen, trockenen, klickenden und klackenden Welt verheißt.

Ich kaufe mir einen Strauß Lilien – morgen!
35 Antworten
Aava vor 11 Jahren 45 37
7.5
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Der glühende Eigensinn
Lasst uns tanzen! Lasst uns Felle und Pelze überwerfen - und tanzen! Im Schnee, draußen vor den Toren des Waldes. Um ein Lagerfeuer, hoch und hell und lodernd. Lasst uns tanzen durch die Nacht! Bis das Feuer herunter geglimmt ist, nur ein Glühen noch durch den Schnee weht und wir im Morgengrauen und mit rauchgeschwängertem Haar zurück in unsere Hütten wandern. Lasst und tanzen!

Bois d'Ascèse ist ein wilde, geradezu unbändige Komposition und ich komme nicht umhin, sie so untragbar wir wunderbar zu finden. So etwas hat die Parfumwelt selten gesehen und ich bewundere sowohl den Parfumeur Julien Rasquinet für sein außerordentliches Können wie auch Naomi Goodsir für den Mut, ein solch polarisierendes Parfumkunststück auf den Markt zu werfen. Auch für Julien Rasquinet erscheint mir Bois d'Ascèse mutig. Mit "Silk" und "Dark" für Andrea Maack sind ihm bereits große Nischenwürfe gelungen, Bois d'Ascèse ist in meinen Augen aber seine bislang eigenwilligste und gewagteste Kreation. Nischenduftkunst par excellence.

Ich sprühe mir Bois d'Ascèse auf meinen Arm und bin eingehüllt in Rauch und Feuer. Verglimmende Glut, heruntergebrannte Holzscheite und in den Geruch, den Rauch in der Kleidung hinterlässt, wenn man viele Tage in der freien Natur war, in Zelten oder unter offenem Himmel geschlafen und sich an dem hellen Schein des Lagerfeuers gewärmt hat, das glühend im Schnee vor sich hinkokelt. Rauchdurchtriebene Kleidung, herunter gebranntes Holz, aromatische Waldräuchereich - so riecht Bois d'Ascèse vom ersten Moment über weitere zwei bis drei Stunden. Eine unglaublich authentische Note für alle Nasen, die wissen, wie kalter Lagerfeuerrauch in Kleidung riecht. Eine ebenso mächtige wie unbändige Note, die sowohl den Träger als auch seine Umwelt einhüllt und Bilder von soeben gelöschten Großbränden herauf beschwört. Erzeugt wird dieser für mich bis dato noch nie in irgendeinem anderen Parfum angetroffene Dufteindruck in meiner Nase durch die sehr ausgefeilte Kombination aus Zeder, sehr präsentem Wachholder und Tabak. Holz, Rauch, Geräuchertes, Aromatisches, Kaltes, Heruntergebranntes. Das riecht ausladend aber irgendwie auch einnehmend. Faszinierend und polarisierend. Hier rennt man entweder schreiend davon oder kann sich ein bewunderndes "Wow" und die Neugierde darauf, was noch folgen mag, nicht verkneifen.

Und diese Neugierde wird befriedigt! Unter all der rohen Ungehobeltheit entwickelt Bois d'Ascèse nach ungefähr drei Stunden auch langsam eine kultivierte und spielerische Seite, die mich schmunzeln lässt. Süße tritt hinzu, unterstreicht die aromatische Seite des Duftes, nimmt dem Rauch den scharfen Wachholderbiss und treibt das holzig Gemütliche deutlicher an die Oberfläche. Rauchig bleibt das Ganze bis zum Schluss aber es wird durch Zimt und Labdanum weicher, einladender - eben gemütlicher. Das Lagerfeuer, um das vor ein paar Stunden noch mit Fellen bekleidete, betrunkene Orks oder Morks oder was auch immer laut gröhlend ihr Unwesen getrieben haben, glimmt nun runter zu einem anheimelnden und wärmenden Kaminfeuer. Irgendwo in einer tief eingeschneiten Berghütte. Und das Ganze wird sexy und anziehend. Das "Wow" und die Neugierde wird zu "Hmm" und "Bitte bleib so!". Wäre ich in der Berghütte nicht alleine, würde ich mir wünschen, dass mein Date morgens Bois d'Ascèse aufgetragen hat und ich abends vor dem Kamin meine Nase in seine nackte warme Haut vergraben darf. Genau diese warm-aromatische und rauchig-gemütliche Note hält sich über Stunden und Stunden. Ein langes und schönes Liebesspiel. Große Kunst!

Ganz allmählich und nachsichtig verglimmt dann Bois d'Ascèse. Wie ein mächtiges Feuer, das langsam und nur widerwillig herunter brennt, dann noch lange in kraftvoller Glut vor sich hin wallt und zum Schluss in einem weichen Amber-und-Eichemoos-Glimmen langsam erlischt. Zart und ganz wunderschön ist das. Die Haltbarkeit enorm. Auch 24 Stunden nach dem ersten Auftragen entdecke ich auf meinem Arm noch immer ab und an mal dieses kleine Glimmen, das in meinem Augenwinkel aufflackert und langsam wieder vergeht.

Im Vergleich zu Cuir Velours, dem zweiten von Naomi Goodsir lancierten Duft, schneidet für mich Bois d'Ascèse um Längen besser ab. Es ist der mutigere und interessantere aber auch polarisierendere Duft. Cuir Velours ist save, gut gemacht und sehr schön. Ein enorm runder und gut tragbarer Lederduft. Aber Cuir Velours ist eben auch deutlich langweiliger. Zu den eigenwilligen, extrovertierten und wunderschönen Hutkreationen von Naomi Goodsir passt ein so charakterstarker und eckiger Duft wie Bois d'Ascèse für mich besser. Zum Schluss macht das Faszinosum für mich aber genau dieser gegenpolige Vergleich beider Parfums aus: Elegante Tragbarkeit versus mutige Eigenwilligkeit. Irgendwo in diesem Spannungsbogen wird sich die Welt Naomi Goodsirs bewegen und sie ist mit Cuir Velours und Bois d'Ascèse wunderbar zu Duft gebracht worden!

Ich tanze also weiter um ein hell leuchtendes Feuer, lobe Eigensinn und Charakter und stecke mir das gut Tragbare an den Hut!
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