Axiomatic

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11 - 15 von 102
Axiomatic vor 3 Monaten 34 53
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Duft
Der gierige Mond
Seht her, bald wird der Zeiger Mitternacht verkünden.
Eure vertrauten Spielsachen, Euer schönes Zimmer, Eure Welt nun in silbrigem Schimmer versunken.

Vor langer Zeit in fernen chinesischen Gewässern eine törichte Dschunke auf die Suche nach des Nachts Silber sich aufmachte.
Gierig und geblendet deren Mannschaft Warnungen überhörte.
Zu sehr vom verheißungsvollen Saft jener Litschifrucht benommen.

Im goldenen Drachen, jener übel beleumundeten Kaschemme der Glückssucher, sie von Reichtum und Macht hörten.
Geschichten des Ylangs so nah zum Greifen bereit.

Weder Familie noch Freund sie aufhalten konnten.
All die Männer keine Träne vergossen beim Stechen auf See.

Und klar war die Nacht!

Am dunkelsten Firmament in Moschusfrische ein gleißender Mond sie lockte.

Betörend sein anfänglicher Jasmin.
Sie alle willig ihre Arme hoben, mit unersättlichen Händen nach ihm griffen.

Doch das blumige Antlitz einer Fratze wich!

Violetter Honig zunächst ihre Lippen verköstigte, auf dass ihr Wille gebrochen.
Geblendet vom kristallinen Kuss sie die grellen Schlingen der silbernen Kreatur übersahen.

Angst kroch ihnen die Knochen hoch.
Doch ihr Schicksal besiegelt.
Und nur ein hilfloser Schrei im Meer der hungrigen Blüten versank.

Bei abnehmendem Mond die geisterhafte Dschunke den heimatlichen Hafen erreichte.
Ihr Holz verfärbt und mit der unwirtlichen Lasur versehen.

Die Liebsten nach ihnen suchten.

Doch nur süße Mondkuchen mit dem Siegel sie fanden.

Und so meiden sie die See an jenen Nächten des Mondes, der ihnen viel versprach und alles nahm.

Denn jenes Siegel nie verköstigt und bis heute verachtet wurde.

So schlafet gut, meine Lieben.
53 Antworten
Axiomatic vor 3 Monaten 38 36
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3
Duft
Neozoon in der Disco
Ein Neozoon wird als eine Tierart definiert, welche in ein Gebiet, wo sie nicht vorkam, eingeführt oder eingeschleppt wurde.
Eine Zoonose hingegen ist eine Infektionskrankheit, die vom Tier auf den Mensch übertragen wird oder andersrum.

So gesehen bietet Hyrax eine interessante Studie im Bereich der Verhaltensforschung nach einer Zoonose eines Neozoons.

Nehmen wir mal an, dass ein putziges Tierchen namens Schliefer aus Afrika in die gute Stube eines Großstadtjüngelchens in Mitteleuropa gefunden hat.
Drollige kleine Äuglein, eine Stupsnase zum Knuddeln!
Fertig ist der leichtfertige Umgang mit dem Schmusemonster und anschließenden zu bereuenden Konsequenzen.

Zisch!

Gut, das Vieh braucht wohl frische Streu, vollgepisst starrt es das Herrchen an.
Wer Elemiharz mit Jasmin zum Strullern bringt, beherrscht sein Metier.
Und der liebe Sven Pritzkoleit ist mir ja nicht unbekannt. Sein "Sea Salt Tar | Parfums Sven Pritzkoleit" eröffnete mir eine ganz neue Sicht auf die Meereswelten.
Nur so am Rande.
Weiter geht’s!

Das Herrchen riecht beim Reinigen des Käfigs eine sehr weitverbreitete Rose an Safran.
„Oh bitte jetzt nicht noch Oud als Ausscheidung!“ denkt er sich.

Zum Glück wird auf dieses fordernde Holz hier verzichtet, schließlich ernährt sich der Schliefer ja kalorienreicher.

Nach dem Ausmisten gönnt sich Herrchen einen narkotisierenden Whiskey, denn unser putziger Fellzwerg hat gerade mal die ganze Wohnung mit brunftigem Hyraceum gefüllt.
Und das nicht gerade wenig.

Für Unbescholtene: man nehme 24 Bauarbeiter nach der Schicht, presse ihnen den sonderbar würzigen Saft aus den Drüsen aus und konzentriere diesen mithilfe von Destillation.
Fertig ist die Sause!

Während Herrchen sich noch an die guten alten Zeiten erinnert, so ganz ungetanzt ist er ja nicht älter geworden, und das Hochprozentige zu wirken beginnt, schleicht sich der Schliefer aus dem Käfig raus.

Und dann passiert es!

Herrchen erwischt den Ausreißer neben der nicht minder narkotisierenden Zimmerhyazinthe.

Für Unwissende: Großmütter schworen auf diese den Winter vertreibende Knolle mit sonderbarer Blüte und deren Witwenmacher-Duft. Die aparten Glasvasen waren eine Augenweide, sahen die doch wie Kelche einer Pentagramm-Gemeinschaft aus.

Gerade wollte Herrchen den ausgeflippten Kumpanen am Kragen packen…
Zack!
Bisswunde!

Um die Leserschaft nicht zu langweilen, spulen wir einfach in Zeitraffer vor.

Ein Virus verbreitet sich rasant im Körper des netten Wirts aus und verursacht etwas Schüttelfrost, Fieberschübe und Übelkeit.
Besagter Wirt rennt ins Bad, um sich zu übergeben, und zerschellt dabe eine uralte "Joop! Homme (Eau de Toilette) | Joop!" Notration, welche gekippt riecht.
Eingedieselt in violetter Plörre, wuscheliges Fell überall am Körper und brunftig wie Bolle, zieht er sich den obligatorischen Hauptstadt-Trainingsanzug an, den mit den komischen Streifen.

Für Sprachfetischisten: Beim Tippen von wuschelig schrieb ich zunächst wuschig. Großes Erstaunen, was ein fehlendes „el“ an Verständnis ändern kann. Bitte selber nachschlagen.

So, Herrchen im Trainer, Duftbäumchen umgehangen und aus dem Munde schäumend.
Was fehlt hier noch?
Herrlich, welch ein Segen doch diese Überwachungslautsprecher für den modernen Neandertaler bedeutet.
Im Nu dröhnt die passende musikalische Untermalung und lässt den zivilisatorischen Georg Friedrich Händel nach England weiterziehen.

Denn die lustige Truppe von Night Club besingt das baldige Ableben des Helden mit „Die in the Disco“, falls nicht schnell gehandelt wird.

Und das Opfer lechzt nach Süßem, genau wie der Virusverbreiter.
Zusammen stellen sie die Küche auf den Kopf, um ihren Heißhunger zu stillen.

Besagte Großmutter hinterließ glücklicherweise Jahresrationen an Vanille-oder-ähnlich-Pudding.
Synapsen werden beruhigt, die Immunabwehr weist den lebensbedrohenden Eindringling in die Schranken, die Reproduktionsorgane laufen heiß.

Joo, wie praktisch doch diese neuen LED Gadgets sind.
Tipp tipp tipp…
Passende Lichteffekte in macker-violett mit Club-Flackern zaubern den perfekten Laufsteg und die kultige Tanzfläche in der Küche.
Da kann man unbesorgt sich die Hermannplatz-Atmosphäre nach Hause zaubern, ohne beim Lieferdienst bestellen zu müssen.

Für Ortsunkundige: Früher stand am erwähnten Berliner Platz ein sehr schönes Kaufhaus von Karstadt im expressionistischen Stil, erbaut von Philipp Schaeffer und 1929 eröffnet.
Heute herrscht ein anderer Wind dort.

Also, am Ende vertragen sich Herrchen und putziges Ungeheuer.
Der eine stinkt netter als der andere.
Beide hüpfen vergnügt zu den komischen Rhythmen.
Und es herrscht kein Futterneid am Vanille-wie-auch-immer-Sandelholztrog.

Für Duftversteher: Diese Kreation eröffnet urinös an Elemiharz und Jasmin, dazu noch eine süßliche Rose.
Bald aber beherrscht die Animalik das Geschehen, und zwar mächtig!
So weit, so gut.
Warum aber nun eine Hyazinthe hinknallen und dabei "Joop! Homme (Eau de Toilette) | Joop!" aus der Gruft rufen, ist leider nicht verständlich an dieser Stelle.
Hinzu kommt eine cremige, äußerst cremige Sandelholz-Tonkanille-Mischung, die den Duft auf den Kopf stellt.

Einsatzmöglichkeiten: Fetisch-Parties oder THW-Übungen.

Man sollte sich nicht immer exotische Tiere nach Hause holen…
36 Antworten
Axiomatic vor 3 Monaten 43 29
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Duft
Der unbeugsame Mann
1987
Dieses magische Jahr spiegelte die Quintessenz der Dekade wider.
Gesetzte Ziele wurden erreicht.

Eine vollkommene Durchdringung modischer Diktate erreichte ihren Zenit.
Etliche gesellschaftliche Gruppen frönten dem Markenfetischismus, das Etikett des Herstellers genoss höhere Achtung als das eigentliche Kleidungsstück. Mitunter trug man bewußt ein solches Zeichen lose genäht am Ärmel des Anzugsjacketts spazieren; sexy deplatziert an der Knopfleiste der Jeans sorgte es für neugierige Blicke in der Hoffnung, die entsprechende Unterhose stünde irgendwo im Hochglanz-Magazin abgelichtet. Ein Garant für modisch konforme Zweisamkeit.

Bis zum Ende der Dekade sollten sich die herrschenden Trends nur marginal ändern, breiter konnten die Schulterpolster und amphorischer die Bundfaltenhosen nicht werden.
Ach ja, der große Absturz der Börse im Oktober jenen Jahres sollte den Beginn verschleppter Finanzkrisen markieren.
Für die gemütliche Ablenkung sorgte die gefällige Plastikpop-Sparte in den Ohren, am besten in kristallklarer Tanzbein-Maxiversion.
So ein Rick Astley ließ die Hüften der Massen schwingen, der würde Dich niemals aufgeben, niemals. Mit Sicherheit!
Alles lief wie geschmiert.

Und dann kam er, der Dritte im Bunde.

Zisch!

Eine ironische Eröffnung von Fougère, die sich gewaschen hat.
Die Bergamotte wird von jener übel beleumundeten Lavendel-Bande geknebelt. Ein Murks und ab übern Jordan!
Das unvergleichliche Erkennungszeichen jener Bande, die gefürchtete Schieberkappe an Beifuß, sorgt für Angstschweiß.
Hier wird es ernst!

Hanseatisch nüchtern fügt sich jene leicht staubig dunkle Wacholderbeere dem herben Grün der Bande.
Etwas Thymian noch dazu und fertig ist der maskuline Kraftakt, recht eiweißhaltig.
Ungemütliche Blicke und nervöses Zucken.

Dass man kein Kind von Traurigkeit ist, bezeugt der recht englische Moschus. Der setzt sich lasziv auf eine Holzbank mit einer einladend bequemen Patchouli-Lasur.
Die sehnsuchtsvolle Rücksitzbank in trällernden, populären Liedern hat hier ausgedient.
Werd’ doch endlich mal erwachsen!

Doch das Herz wird nicht leichtfertig vergeben, schließlich setzt der hedonistische Zeitgeist gewisse Schranken.
Da schlummert eine Rose im mineralisch knackigen Moos, um sich nur bei ernstgemeinten - ergo seltenen - Annäherungen zu öffnen.
Erst mit dem erlaubten Zutritt zur gehüteten Intimität zeigt sie ihre leicht fruchtige Pracht, blendend konterkariert vom Patchouli, leicht weihrauchig. Helle und dunkle Noten, kontrastreich.
Das edle Herz des dritten Mannes.
Schweigsame Blicke sagen oft mehr, als lautes Gehabe.
Denn diese Duftkomposition zeichnet sich durch ein gewisses Understatement aus.

Was von der Farbflüssigkeit her recht frisch anmutet, grüner geht es nun wirklich nicht mehr, entpuppt sich als ein immer dunkler werdendes menschelnde Fougère, welches das klassische Thema Rose-Patchouli im Herzen hexenbrettartig trägt.

Der gute Pierre Bourdon zauberte einen Duft, der den Zeitgeist nicht besser karikieren und schlagen konnte.
Ihr wollt biederen Neokonformismus, bitte sehr, hier habt Ihr was zum Genießen!
Denn jene herben, fast bitteren Kräuter, die eingebaute Körperlichkeit und die geisterhafte Rose werden Euch dieses eingeübte Lächeln - heute dank sozialer Netzwerken wieder aufgefrischt - schön einfrieren und nach Luft schnappen lassen, seifige Moosbasis hin oder her!

Der Erzähler trug den dritten Mann an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit.
Eckte er an, umso bestätigter feierte er die kongenial pochende Interpretation eines Fougère.
Den Stinker gab es in einer weißen Verpackung, recht unscheinbar, zu kaufen.
Und passend dazu erschien auch in Weiß ein musikalisches Gegengift, New Order 1987 Substance.
Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!
Eine der schönsten Einkaufserinnerungen des Schreiberlings.

Und sollte dieses aufmüpfige Wesen mal unverstanden die Tanzfläche verlassen, sich fehl am Platz fühlen, dann gab es ein Quäntchen Trost.

Denn irgendwer verstand auch den Duft und den Wandel von Joy Division zu New Order.
Und Ceremony passte einfach für eine gefühlte Ewigkeit zu Beifuss, Wacholder und Moschus.

So schuf er sich einen Platz am Rande, wo es sich gut aushalten ließ.
Denn sich unterkriegen lassen, das können andere, lehrte der Lavendel.

Und das ist, was zählt.
29 Antworten
Axiomatic vor 4 Monaten 35 32
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Duft
Der aufgebrachte Mann
Können vier gelistete Komponenten einen Gemütszustand, ja eine charakterliche Eigenschaft einfangen?
Und etwa den Drang, eine tiefsitzende Spannung im schäbig kurzen Zeitfenster einer eingeengten Freiheit rauszubrüllen, olfaktorisch nachzeichnen?

Zwei Fragen werden dem zweiten Mann in der Duft-Reihe gestellt, er wird sie überzeugend beantworten.

Hier nun der scheinbare Missklang einer aufgewühlten Zeitspanne.

Zisch!

Harziges Benzoe in der Begrüßung.
Heute in orientalischen Düften ohne weiteres zu finden, bedeutete es 1982 die ultimative Ohrfeige.
Bursche, schön die Augen aufmachen!

Sicherlich, eine gewisse zitrische Untermalung mit spektralen, krautigen Aspekten zeugt von durchdachter Schaffenskunst. Was aber hier zählt, das ist die raue hölzerne Natur.
Siehst Du den Wald vor lauter Bäume nicht?

Dieses Harz wird derart belichtet, dass seine süßliche Seite vollkommen im Schatten verschwindet.
Leicht salzig, eine Schweißperle guten Ambras wird es kämpferisch stimmen.
Jägerzäune wollen übersprungen und ein Hochsitz bestiegen werden.
Der Blick wird geschärft.
Obacht, mein Freund!

Oben angekommen dann die Introspektion.
Gepflegte Animalik kriecht warm die Lederjacke hoch.
Die Natur wurde gezähmt, ist nun mal so.
Helles Eichenmoos mit einem Hauch Sauerampfer befreite die Poren der Haut, um den Drüsen des Körpers jene würzige Männlichkeit natürlich herb abzuzapfen.
Die gediegene Unterstreichung des Körpers.
Der Seilakt der brunftigen Selbstbeherrschung.
Die gesellschaftliche Akzeptanz des Dreitagebarts.

Dass der Duft nicht ins zügellos Brutale abdriftet, verdankt er einer edlen Iris.
Deutsche Schwertlilie?
Durchaus möglich.
Doch nicht ihr liebliches Blütenlila darf hier vermitteln, nein, ihrem Rhizom wird hierfür Kostbares abgewonnen.
Besänftigend, an Zuversicht labend, so begleiten die göttlichen Boten den zweiten Mann.
Leicht pudrig, verhalten blumig und mit einem Hauch goldenem Bernstein.
Die Gefühlslage wird geordnet und besänftigt.

Da steht er nun voller innerer Aufruhr und beherrscht.

Denn so wird der Duft sich einpendeln, die harschen Kontraste ausgleichend.

Mit dem oben erwähnten eingeschränkten Zeitfenster meine ich jene Stimmung der Zeitspanne 1982 bis 1984.
Vieles an Veränderung lag in der Luft.
Nicht nur die Ablösung von Helmut Schmidt und die Bestätigung Helmut Kohls, die atomare Aufrüstung, die anfängliche Digitalisierung und einhergehend der veränderte Produktionsprozess.
Ein gewisser neuromatischer Drang und Freiheitssuche auf waldgesäumten Landstraßen machten sich breit.
Das Motorrad erlangte Kultstatus.
Und in Ledermontur, sei es auch nur eine Lederjacke, ließ sich es entlang des Tannengrüns aushalten, wieder zu sich finden.

Abgesehen von der lieblichen NDW - Neue Deutsche Welle - schaffte Spliff für einen kurzen Augenblick ein anderes und tiefsinnigeres Verständnis des Zeitgeschehens.
Ihr Lied „Herzlichen Glückwunsch“ verdeutlich für mich die innere Seele von Man Two.
Das Video könnte nicht passender sein.

Mit welcher exquisiter Ausstattung an Pflegeprodukten diese Pracht von Duft ausgestattet wurde, beschreibt Lancaster85 bestens in seiner Rezension.
Damals wurden in Wiesbaden alle Düfte von Jil Sander hergestellt.

So modisch die 1980er Dekade war, so kurzlebig blieb der Marktauftritt des zweiten Mannes.

Doch der Drang nach dem Wald wurde zum Glück nicht einer flüchtigen Mode unterworfen.
Und jener Mann könnte heute wieder mit seiner romantischen Ader betören.
32 Antworten
Axiomatic vor 4 Monaten 47 35
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Haltbarkeit
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Duft
Der erdachte Mann
1981
Startschwierigkeiten der Dekade, da gewisse Belastungen der 1970er bewältigt werden müssen.
Der zweite Ölpreisschock, gigantische Zinsanhebung in den USA als wahnwitzige Gegenmaßnahme, Stagnation der deutschen Wirtschaft und Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Neue Technologien erobern den Produktionsprozess, schaffen innovativen Freiraum in der Unterhaltungsindustrie.
Dass bei sinkender Kauflaune gegengesteuert werden musste, zeigen in der Duftsparte die ultimativen Kracher des Jahres.
Duellieren sich in Paris griechische Helden, der schwarze "Antaeus (Eau de Toilette) | Chanel" und der weiße "Kouros (Eau de Toilette) | Yves Saint Laurent" , bleibt man in Hamburg gefasst.
Man beobachtet sehr genau, wie das Individuum sich leise seiner selbst bewusst und das gesellschaftliche Zusammenspiel durcheinander wirbeln wird.
Das Analoge hat sich ausgetanzt.

Einsicht.

Jil Sander bewies Gespür und Weitsicht, als sie Jacques Artarit für zwei ihrer legendären Düfte gewinnen konnte.
Mit an Bord Peter Schmidt als Gestalter der Flakons nach den Vorgaben des Bauhaus-Stils. Er wird mit Bravour zeigen, was Form bedeutet.
Zwei Würfel als Behältnis, ein Zylinder als Kappe.
Die Grundlagen nüchterner Eleganz.

Hier nun der Duft, welcher die Kunst der Gegensätze und deren Durchdringung beherrschen sollte.

Zisch!

Der reine Mann eröffnet grün aromatisch, leicht zitrisch.
Ganz einfach.
Scheinbar.
Denn der Oregano wird eine sehr männliche Würze beitragen, die vom Basilikum besänftigt und vom Salbei herb gezeichnet wird, leicht urinös.
Dazu noch eine zitrische Unterlage, welche fast schon ins Ätherische abdriftet.
Chypre als Filmnegativ.

Gehirn aktiviert.

Weiter.
Machen wir uns nichts vor, das abgeklärte Herz wird die Blüten nüchtern analysieren.
Keine Überreaktion.
Die Rosengeranie bietet keine Schwarzwaldidylle, trocken herb findet sie ohne Schwierigkeiten ihren Weg in die Großstadt.
Keine Liebelei.
Nur das wahre Gefühl zählt.
Das Pudrige der Gartennelke fällt wie feiner Gips von den Betonwänden herab.
Die präzise Ration an Zimt färbt die Wellen des Zen-Kiesels auf Patchouli Böden.

Tadao Andō.

Sinnliches.
Bibergeil und Eichenmoos falsifizieren das Undenkliche.
Mit wärmender Muskatnuss bricht eine neue sexuelle Ästhetik mit alten Gewohnheiten.
Gepflegt, distanziert und gleichzeitig alle Sinne durchdringend.
Die Vollendung körperlicher Begierde.
Schwarzweiße Klarheit.

Robert Mapplethorbe.

Mann - nackt - als sitzende Skulptur auf Chrom und Leder.
Marcel Breuers Wassily Stuhl durchbricht Flächen, schafft Einblicke.
Torso ziseliert.
Labdanum unterstreicht mit schwarzem Leder, bedeckt aber nicht.
Gegenüber die wartende Couch - Modell Cassina von Le Corbusier - auf Holzparkett.
Betrachtung.
Stille.
Handlung.

Zweite sexuelle Revolution.

Jacques Artarit beherrscht die Kunst der sich durchdringenden Gegensätze.
Denn da, wo ein strenger Duftverlauf Abschlüsse markieren sollte, haucht er den pyramidalen Abschnitten ein eigenständiges Aufflackern ein.
Wähnt man sich in der Basis, tauchen die herb grünen Komponenten der Kopfnote plötzlich wieder auf, das blumige Herz pocht leise wie hinter einem Vorhang.

Eisbär von Grauzone bietet den perfekten musikalischen Hintergrund.
Konsequent schafft die Gruppe genau den Bruch mit den 1970ern, der längst überfällig war.
Minimalistisch und markant.
Nicht nur die Polarkälte als Kontrast zum Rückzug ins warme Selbst spiegelt die Gegensätze wieder, die wirre Unterbrechung des Tanzrhythmus verdeutlich die unauflösliche Durchdringung der Duft-Ebenen, um dann punktuell im nächsten Abschnitt den scheinbaren Solitären den Takt angeben zu lassen bis zum nächsten Durchmischen.

Am überzeugendsten ist das Konterkarieren bisheriger Animalik-Vorstellung.
Durch das Eichenmoos erfährt diese eine sonderbare Reinheit.
Das Körperliche ist auszumachen, aber derart gediegen, als wäre es inszeniert. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Dieses Oxymoron hebt das Fleisch beinahe ins Erdachte.

Kongenial die Blüten.
Das klassische Thema Rose-Patchouli wird meisterlich gegen Null gefahren.
Rosengeranie, stets schattige Begleiterin der prächtigen Rose in anderen Düften, darf hier ihre herbe Schönheit ganz alleine wohl dosiert präsentieren.
Trocken und mit subtil wohliger Gefühlsbeherrschung, denn gefühlskalt ist sie mitnichten.
Sie hat lediglich aus den Verletzungen der vorherigen Dekade gelernt.
Und diese werden mit pudriger Gartennelke schonend überdeckt.

Labdanum als Fixativ bleibt ledrig, ohne gleich mit einer ganzen Mackermontur aufzuwarten.
Die Balance zwischen Derbheit und Raffinesse.
Ein kleines Stück Leder, sehr verhalten, sehr intim.

Und hier schließt sich der sich drehende, durchdringende Kreis des neuartigen Leder-Chypre, das Geschichte geschrieben hat.

Die pure Perfektion.

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