Costello

Costello

Rezensionen
Costello vor 4 Jahren 28 9
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Münchner Freiheit
Der Monopteros in München ist ein hübscher, von Leo von Klenze im klassizistischen Stil entworfener und im Auftrag König Ludwig I. 1836 fertiggestellter Rundtempel, der auf einem künstlich angelegten, durchaus steilen Hügel im südlichen Englischen Garten thront. Kaum ein Münchner, der nicht zumindest ab und an die paar Handvoll Stufen erklimmt, um die besonders bei Föhn herzerhebende Aussicht zu genießen. Weit erstreckt sich der Blick von hier aus in Richtung Süden, über die Stadt und die Alpen hinweg, nach Italien, Goethes „Land wo die Zitronen blühn“ und nach Griechenland mit seinen Relikten antiker Kultur, deren ästhetische Harmonie dem kunstsinnigen König zeitlebens besonders am Herzen lag. Frei atmet sich‘s hier oben, frei schweifen hier die Gedanken, alles Einengende verliert hier schnell seine Macht. Vielleicht auch deswegen wurde der Monopteros ab den 1960er Jahren zum Treffpunkt von Alternativen und Freidenkern unterschiedlichster Couleur. Hippies trommelten, was das Zeug hielt, Blumenkinder tanzten dazu, Schwaden von „Ganja“ umwehten den Hügel. Die „Gammler“ und ihr Lieblingsort waren in der damals stockkonservativen bayrischen Landeshauptstadt ein echter Bürgerschreck. Auch, wenn sich die Gegenkultur um den Hügel heute braver geriert und ein auszuufern drohender Strom von Touristen das bunte Biotop und seinen speziellen Charme bedroht, ist jene Aura von Freiheit dennoch jederzeit spürbar geblieben.

Und vielleicht war es jenes Freiheitsgefühl, das den in München lebenden Parfümeur Anselm Skogstad zu seinem gleichnamigen Duft inspiriert hat. Denn der Duft ist vor allem eines: frei von Konventionen. Klassischer Duftverlauf, bekannte Akkorde, eindeutige Genrezuordnung: ganz klar Fehlanzeige. Stattdessen ein wild anmutendes Nebeneinander von Noten, das sich zumindest auf dem Papier als unmöglich sinnstiftend kombinierbar liest. Sich eine Himbeernote beim Tête-à-tête mit einer Gurkennote, eine Kaffeefacette mit einer Kokosnussfacette vorzustellen macht dann – wie schon von meinem geschätzten Vorrezensenten angemerkt - doch etwas schwindelig, speziell, wenn man wie ich eher klassischen Duftkompositionen zugeneigt ist.

Und so war ich beim ersten Testen doch etwas zurückhaltend: erstmal musste ein Duftstreifen herhalten, später erst folgten die Hauttests. Umso erstaunter war ich, dass ich, was mir da entgegenduftete sofort als absolut schlüssig und in sich stimmig empfand. Die oben angeführten Noten umspielen sich, tanzen miteinander, mal mit Abstand, mal eng umschlungen, und formulieren einen für mich ausgesprochen interessanten, sich im Spannungsfeld von würzig-pfeffrig und leicht süß fruchtig bewegenden, innovativen Akkord, der sich schwer in Worte fassen lässt. Noten, denen ich üblicherweise weiträumig aus dem Weg gehe, präsentieren sich hier durch die ungewöhnliche Kombination in völlig neuem Licht. Eine Erfahrung, die mich immer wieder fesselt, wie jüngst beim Testen von Carlos Benaïms/Frédéric Malles wunderbarem „Music for a While“, bei dem eine Ananasnote durch die Kombination mit Lavendel und Patchouli ganz neue Facetten offenbart. Wer also z.B. bei Kokosnuss an billige Sonnencreme oder einen unvergesslichen Piña Colada-Kater denken muss, darf durchatmen. Und auch die wenig schmeichelhaften Assoziationen, die ich ganz persönlich mit dem Duft von Gurken verbinde, lösen sich schnell in Wohlgefallen auf. Vielleicht sind es ja die Aldehyde, die wie einst bei Chanels No. 5 das traditionelle Blütenherz, auch hier die konkreten Noten ins Abstrakte, Unerwartete und Spannende übersetzen. Besonders gut gefallen hat mir zudem die zwischen satt cremig und zart ätherisch changierende Textur des Duftes, die ihn fast schon als – zugegebenermaßen – exotischen „Schmeichler“ qualifizieren.

In meinen Augen ist Monopteros auf jeden Fall die ungewöhnlichste Kreation der sehr feinen Der Duft-Linie. Dass er hier polarisiert und weiter polarisieren wird ist klar, dazu bewegt er sich einfach zu weit abseits des Gewohnten. Hier hat sich ein Parfümeur etwas getraut, Mut bewiesen und einen Duft kreiert, der nie langweilt, immer wieder überrascht und für mich den Spagat zwischen tragbar und im positiven Sinne fordernd mit Bravour bewältigt. Einen Duft, der ganz wunderbar zum namensgebenden Mythos Monopteros passt.
9 Antworten
Costello vor 7 Jahren 20 3
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Patchouli/Iris/Pflaume = Chypre? Momente lustvoller Verwirrung ...
Über MPCpC bin ich im Rahmen meiner Suche nach Iris-Düften - jenseits der Klassiker des Genres - beim Lesen einer Rezension zu diesem Duft auf einem englischsprachigen Blog gestolpert, der den Iris-Aspekt der Komposition in den Vordergrund stellte. In den US und in UK wurde die Goutal-Kreation (im Gegensatz zu hier im Forum) intensiv diskutiert und im Ergebnis mehrheitlich gefeiert. Ganz zu Recht, wie ich finde!

Im Gegensatz zu vielen Goutal-Düften, die man einer Art von mit zarter Hand getupfter, "impressionistischer" Parfümschule zuordnen könnte, gesellt sich MPCpC zu einer Handvoll älterer Goutals (Grand Amour, Passion, Heure Exquise), die sich kurvenreicher präsentieren und fest in der "großen" Parfümtradition verhaftet sind. So wie ich "Heure Exquise" sofort als femininere, im Detail aber ganz eigen gestaltete Variante von "No. 19" empfand, schoss mir beim ersten Aufsprühen von MPCpC sofort und mit der Wucht unerwarteten Wiedererkennens "Rochas Femme (vintage)!" in Kopf und Herz. Ein überaus seltsamer Vorgang, ist doch "Femme" - zusammen mit z.B. Mitsouko - ein ikonisches Chypre mit Fruchtakzent, - der Historie nach - im erstem Fall dem Einsatz von Prunol (Pflaume) im zweiten von Persicol (Pfirsich) geschuldet. Und der Goutal? Nun was? Abgesehen von der Note reifer Pflaumen weit und breit kein Labdanum, kein Eichenmoos, woher also nun diese Chypre-Anmutung, die gefühlte Ähnlichkeit zu "Femme"?

Das Geheimnis scheint mir im sehr spezifischen Einsatz von Patchouli zu liegen (einer Note, mit der ich üblicherweise zu kämpfen habe), das den Duft von der ersten Sekunde an prägt und in allen Phasen des Duftverlaufs präsent bleibt. In einem Chypre sorgt Eichenmoos für jene bitter-süße aber immer trockene "Kante" die das Gestaltungsprinzip trägt, in diesem Falle übernimmt Patchouli diese Rolle. Ein EXTREM trockenes, erdiges Patchouli, das zusammen mit der Note von reifen Pflaumen (und etwas Veilchen, die ich kaum wahrnehme) sowie einer Iriswurzel-Note, die mich an Serge Lutens radikalen, großartigen Iris-Klassiker "Iris Silver Mist" erinnert, in einen Akkord mündet, der dem ein oder anderen sicher als muffig, düster und dunkel (auf englischsprachigen Foren läuft das dann unter "gothic") erscheinen wird.

Ich empfinde diesen Akkord, der sich im Duftverlauf immer einmal wieder zu Gunsten der ein oder anderen Note verschiebt, als schillernd, warm, einladend, innovativ, charaktervoll und ungemein elegant. Und keinesfalls düster oder muffig. Und vor allem und erstaunlicherweise jederzeit tragbar.

Wer immer sich für IrisWURZEL- oder Patchouli-Düfte, für herb-erdige Düfte, für Chypre oder Parfüms der großen alten Schule interessiert, sei MPCpC unbedingt ans Herz gelegt. Für mich ein großer Wurf, in dem sich Geschichtsbewusstsein und Innovation zu einem herzerwärmenden Moment höchst reizvoller Haute Parfumerie fügen. Großartig!
3 Antworten
Costello vor 9 Jahren 24 6
10
Duft
Kühle Chypre-Preziose mit unverwechselbarem Twist
EAU DE TOILETTE (geschätzt aus den 80er-Jahren):

Unmissverständlicher Vintage-Chypre-Auftakt, bitter Aromatisches (ANGELIKA/Koriander), fast schneidend und nur etwas abgemildert von einer Orangenblüten-Note, die aber schnell um sich greift und den fordernden Auftakt in mildere Gefilde gleiten lässt. Dann tauchen florale Noten auf, vordringlich eine sehr feine ROSE, die sich mit den aromatischen und zitrischen Noten und dem bereits zu Beginn spürbaren Patchouli zu einem einen schlicht BEZAUBERNDEN Akkord fügt! Fein, frisch, hell, moderat bitter, würzig-aromatisch, mittleres Volumen: "Coriandre" entwickelt nicht die Wucht der folgenden 80er-Jahre-Klassiker dieses Chypre-Subgenres (z.B. "Knowing" oder "Paloma Picasso"). Auch die Basis hält sich vornehm zurück, ein leises Patchouli bildet zusammen mit einem ebenso subtil-süßen Sandelholz und einem bitteren Eichenmoss-Schleier einen weichen aber charaktervollen Fonds, der leider - zumindest beim Tragen - arg schnell über die Klinge meiner Wahrnehmungsfähigkeit springt, bei näherer Betrachtung aber noch nach lange über 12 Stunden nach dem Auftragen nachklingt.

PARFUM ATOMISEUR (Packung ohne Barcode, daher wohl aus den 70er-Jahren):

Komplett anders: Die ORANGENBLÜTEN-Note zu Beginn ist deutlich ausgeprägter, Patchouli und Angelika halten sich dezenter im Hintergrund. Stattdessen gleitet das Ganze schnell in ausgesprochen elegantes, florales Herz, das für mich mehr nach JASMIN und WEISSEN BLÜTEN duftet, erst in zweiter Linie nach Iris, Geranie und Rose. Die letztgenannten Noten sind allerdings jederzeit spürbar und tragen zur schillernden Komplexität der Herznote bei. Im Verlaufe der Zeit werden das Patchouli und das Eichenmoos deutlicher, die Basisnoten bilden einen dezenten aber stabilen Fonds für das florale Herz. Das Parfum ist viel weicher, femininer, in jedem Moment staubtrocken, komplexer und dezenter als das EdT: Man spürt die hohe Qualität der Ingredienzien und Öle, die offensichtlich für diese Konzentration benutzt wurden. Im Vergleich dazu wirkt das EdT "screechy", es knirscht etwas in den Übergängen, während das Parfum vollkommen selbstverständlich von Duftstadium zu Duftstadium geitet und über den gesamten Duftverlauf jene Dreidimensionalität an den Tag legt, die man von reinem Parfum erwarten darf. Fast unnötig zu erwähnen, dass die Haltbarkeit mühelos die magische 24 Stunden-Marke übersteigt. Für meinen Geschmack etwas leise allerdings: die wunderbare Angelika-Note, die im EdT prominenter zelebriert wird.

FAZIT

Beide Versionen sind in sich vollkommen und absolut wundervolle Großtaten der 70er-Jahre, der Blütezeit der grünen Chypres und Blumendüfte! Die aromatische Kante verleiht "Coriandre" einen unwiderstehlichen und unverwechselbaren Twist. Wer für den kühlen Charme diese Genres schwärmt, sollte sich auf E-Bay nach "Coriandre"-Vintages umsehen, die im Vergleich zu anderen Klassikern, sehr günstig angeboten werden. Ich bin über meine beiden Flakons vor wenigen Wochen in einer unfassbar altmodischen und daher extrem charmanten Profumeria im Szeneviertel Monti in Rom gestolpert. Schon nach dem ersten Sprühstoss war klar, dass hier Besonderes vorgeht. Wenige Wochen später rangiert "Coriandre" unter meinen Top 5. Müsste ich mich unter Zwang (was hoffentlich niemals geschehen wird) für einen Signaturduft entscheiden, würde ich "Coriandre" wählen.

Auch für Männer, die allgemein Aromatisches oder insbesondere die herbe Angelika-Note (die z.B. auch im hier gefeierten Herrenduft "French Lover" von Frederic Malle eine zentrale Rolle spielt) schätzen und sich mal im Bereich "Damenduft" umsehen möchten, ist das Vintage-EdT eine ganz heiße Empfehlung.
6 Antworten
Costello vor 9 Jahren 12 4
8
Duft
Zarte Melodie für aufmerksame Zuhörer
Vintage Extrait:

Verhaltener, weich aldehydischer und leicht unterkühlter Auftakt, Noten von Mandarine und Pfirsich sind erkennbar, schnell zeigt sich eine den Duft durch alle Stadien seiner Entwicklung begleitende pudrige Textur. Bereits nach wenigen Minuten schimmert unverkennbar die subtile, eher getupfte statt mit breitem Pinsel aufgetrage Tonka-/Sandelholz-Basis durch und verschiebt den Duftcharakter von kühl hin zu warm. Sanft, nobel, rund aber nicht rundlich, elegant und zurückhaltend.

Nach einer Weile macht "L' Interdit" etwas auf, eine cleane Jasmin-Note gänzlich ohne indolische Facetten blüht auf, während die Iris weiter ein perfekt bemessenes Maß an Puder streut. Von hier an verändert sich der Duft in meiner Wahrnehmung nicht mehr groß, er wird nur leiser, bis er nach einer langen Weile verstummt.

Erstaunlich die umarmende Wärme, die ich, nach dem, was ich im Vorfeld gelesen hatte, bei "L' Interdit" nicht erwartet hätte und die mich - wohl wegen der prominenten Tonka-Note - deutlich an "Le Dix" erinnert, das aber intensiver und raumgreifender auftritt und einen leichten Einschlag in Richtung oriental hat. "L' Interdit" wirkt auf mich vergleichbar hell, zart, unschuldig schön und einladend wie "L' Air du Temps", dessen florales Herz allerdings abweichend das Nelken-Thema auf Referenz-Niveau zelebriert.

Ebenso wie den letztgenannten Über-Klassiker nehme ich "L' Interdit" dank der moderaten Sillage mehr als eine Aura von Ruhe und Frieden wahr, denn als "Duft" im klassischen Sinne. Einer Ruhe allerdings, die mich beeindruckend nachhaltig begleitet. Viele, viele Stunden nach dem Auftragen summt meine Haut noch immer hörbar: "L' Interdit"

Großmeister Francis Fabron hat eine Handschrift mit hohem Wiedererkennungswert: Subtile, abstrakte Düfte, warm und ätherisch zugleich, zugänglich, ohne simpel zu sein. Bewusst komponierte Kanten oder schwüle Erotik findet man anderswo. Fabrons Düfte hauchen einem sanft "Schönheit" ins Ohr. Düfte für Freunde fragiler, leise vorgetragener aber dennoch charaktervoller Melodien, die sich fast unbemerkt ins Herz schleichen, um dort umso länger nachzuhallen. Ein musikalisches Äquivalent zu "L' Interdit" wären für mich die Klaviermusik von Bill Evans oder die sehnsuchtsvollen Mélodies von Claude Debussy und Gabriel Fauré.

Fabrons Düfte laufen Gefahr, überhört zu werden, was schade ist, stammen sie doch aus einer Zeit, die sich nach den Kriegserfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Frieden sehnte. Diese Sehnsucht merkt man seinen wenigen, aber zeitlosen Kompositionen an.
4 Antworten