DuftDoktor

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DuftDoktor vor 5 Jahren 13 4
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Duft
Der perfekte Lederduft
Na ja, was ist schon perfekt?! Alles ist zumindest teilweise Geschmackssache. Und ja, der geniale Leder-Auftakt hält nicht ewig.

Vielleicht ist das gut so, weil man sich sonst leicht sattriechen könnte. Eine Gefahr, die uns Parfumfans ohnehin die ganze Zeit umlauert. Daher schonen wir ja unsere Lieblingsdüfte, um ihrer nicht überdrüssig zu werden.

Leder ist ein spannendes Duftthema. Erstens aufgrund der Assoziationen. Viel mehr als alle anderen Duftthemen ist Leder mit Gedankenbildern und Versprechungen aufgeladen – von maskuliner Lonesome-Rider-Attitüde bis zu leidenschaftlichem Sex. Hier liegen also nicht nur aufgrund des physiologischen Dufteindrucks starke Zuneigung und vehemente Ablehnung dicht beisammen. Es schwingen so viele Konfliktthemen mit, dass der Zugang zu Lederdüften fast immer voreingenommen ist.

Zweitens aufgrund des Dufts selbst. Generell polarisieren alle von einem Teil der Menschen als toll angesehene Düfte. Es gibt Düfte, die jedermann nett findet, aber es gibt keine unumstrittenen tollen Düfte. Bei Leder gilt dies in besonderem Maße. Denn ein Lederduft ist parfumtechnisch offenbar sehr schwer herzustellen, ohne an Nachteilen zu ersticken.

Es gibt ja durchaus schöne Düfte mit Leder. Entweder ist dort das Leder kaum wahrzunehmen (und zu erahnen, wie man ohnehin häufig riecht, was man über den Duft zu wissen glaubt) oder wird von anderen Duftnoten überlagert. Düfte mit Leder an zweiter oder dritter Stelle können ja durchaus sehr schön sein (siehe z.B. „Aoud Night“ von Montale), aber es handelt sich dann einfach nicht um einen echten Lederduft. – So gleiten für meinen Geschmack viele Möchtegern-Lederdüfte ins Süße oder Iris-Lastige (was dann als Wildleder schöngeredet wird) ab. Auch das süße Leder kann schön sein, etwa mit Rum wie bei „Bentley for Men Intense“.

Bislang dachte ich, es sei unmöglich, einen guten echten Lederduft (d.h. einen guten Duft mit Leder als dominanter Duftnote) herzustellen. Das war keine prinzipielle Ablehnung, sondern eine These aufgrund vieler Leder-Dufterfahrungen.

Beispiele: Bei „Derby“ von Guerlain nervt mich die Gartennelke. Bei „Knize Ten“ ist mir der Bibergeil-Anteil zu hoch (was aber durchaus ein cooler Duft ist, aber eben nur selten tragbar). Bei „Bel Ami“ stört mich die stechende Bitterkeit.

Nun hat Alberto Morillas mit „Dark Lord“ bewiesen, dass ein schöner, ja sehr schöner echter Lederduft möglich ist!

Bislang habe ich ihn nicht für einen der großen Parfümeure gehalten, da er schon viele Duftverbrechen begangen hat. Dafür hat er nun Absolution empfangen und ist in den Parfümeurs-Olymp aufgestiegen.

Bei seinem vorliegenden Opus Magnus ist er vielen Versuchungen nicht erlegen. So driftet der dunkle Lord nicht ins Süße, Speckige, Dreckige oder (Allzu-)Synthetische ab. Dass der Duft mit einem Eindruck von Schuhcreme und Holzigkeit ausklingt, ist für mich akzeptabel. Da haben alle anderen Lederdüfte noch ganz andere Nachteile. Irgendeine Kröte muss man immer schlucken, denn es gibt, wie eingangs erwähnt, nichts in jeder Hinsicht Perfektes.

Der Signaturduft von Darth Vader hat immerhin eine perfekte Leder-Note im Kopf und Herz. Er riecht nach Lederjacke, Leder-Schulranzen und verzichtet auf eine zweite Geige. Erst an dritter Stelle erscheint ein edles, würziges Duftbett. Davana und Rum sind hier noch am ehesten zu nennen.

Den Dufteindruck kann man sich am besten vorstellen, indem man sich „Epic Man“ von Amouage ohne das orientalische Gedöns (Myrrhe, Weihrauch, Gewürze) vorstellt. („Epic Man“ hat weiterhin seine Berechtigung als Würz-Leder-Orientale, nur ist es eben kein echter Lederduft.)

Ein Kunstwerk in Leder ist dieser dunkle Lord, der sich von Herbst bis Frühjahr tragen lässt.

Sein Anwendungsbereich ist jedoch noch viel größer. Denn endlich gibt es einen „reinen“ Lederduft, mit dem man andere Düfte aufpeppen kann. Inzwischen bin ich ein großer Freund des Layerns von Düften geworden, weil mir fast alle Düfte nicht optimal austariert oder lückenhaft erscheinen. Die Parfümschmiede des kleinen Mannes ist dann eben das Layern. So kann man selbst Einstellungen an den Duftreglern vornehmen, sozusagen als Parfüm-DJ!

Voller Spannung erwarte ich meine anstehenden Layering-Experimente. In der Parfümerie hat mich bereits begeistert, wie „Dark Lord“ dem (zypressen)holzig-krautigen „Patchouly“ von Etro eine böse Seite hinzufügen kann. Eigentlich waren hierbei der Parfümverkäufer und ich nur auf der Suche nach einem Parfüm, mit dem der Lord NICHT zusammenpasst. Denn selbst mit frischen (zitrischen und grünen) Düften harmoniert der Lederschulranzen. Das klingt unglaubwürdig, ich weiß.

Seine Kombinationsstärke liegt darin begründet, dass der Lord seine Wucht immer noch zügelt. Durch diese Contenance macht er andere Akteure nicht platt, sondern lässt sie stehen und zur Geltung kommen. Er weiß, dass er der Coolste ist, aber er muss es nicht permanent zeigen. „Dark Lord“ ist kein angeberischer Schreihals, sondern ein eleganter, würdevoller Gentleman.

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Nachtrag (05.12.2018):

Heute habe ich "Guilty Absolute pour Homme" (GApH) von Gucci getestet. Die beiden Düfte sind auf den ersten und zweiten Schnupperer durchaus zum Verwechseln ähnlich. Dann zeigen sich gewisse Unterschiede.

GApH ist Designerduft-mäßiger und würziger. Der Kern des Kopfs und Herzens ist wohl derselbe, evtl. das ominöse "Woodleather". Bei Dark Lord hält sich der (fast reine) Ledereindruck länger, bei GApH lässt er mit der Zeit schneller nach und geht in eine cremige Holz-Würz-Beliebigkeit über.

Für meine beiden Anwendungsfelder - 1. reiner Lederduft und 2. reiner Lederduft zum Layern - ist Dark Lord etwas besser geeignet. Dafür allerdings das Fünffache auszugeben, lohnt sich kaum. Für mich hat es sich gelohnt, weil der dunkle Lord einfach stärker reinhaut und für mich der "Leather Exit Scent" ist.
Nun kann ich noch besser verstehen, warum in Düften Leder fast immer mit anderen Duftnoten kombiniert wird. Für sich genommen riecht Leder eigentlich nicht schön - aber toll, also "leider geil". Das musste jetzt 'mal sein. Meine Suche nach einem tollen reinen Lederduft ist beendet. Nun kann ich mich wieder "schönen" Düften zuwenden.

=> Fazit/Empfehlung: Wer GApH bereits besitzt, braucht keinen dunklen Lord. Für die meisten Anwender, die 'mal einen Lederkracher tragen wollen, reicht GApH bei Weitem. Wer nach einem absoluten Leder-Wahnsinnsduft sucht (und angesichts des einen einzigen Flakons zu diesem Thema der Preis keine große Rolle spielt), sollte zumindest 'mal am dunklen Lord schnuppern.
Denn er kann mehr, kostet jedoch auch ein Vielfaches. Fans des dunklen Lords, wie ich, werden natürlich auf diesen Mehrwert pochen und behaupten: "Als Alberto Morillas GApH schuf, übte er nur!"
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DuftDoktor vor 9 Jahren 11 5
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7.5
Haltbarkeit
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Duft
Perfekte Balance
Das Dickicht der Montale-Düfte ist schwer zu durchdringen. Händeringend suche ich daher häufig entsprechende Parfumo-Kommentare. Bei diesem hier habe ich angesichts der hervorragend klingenden Duftpyramide und der guten Bewertungen einen Blindkauf gewagt. Und hatte großes Glück. Nun ist es an mir, einen Kommentar nachzuschieben.

Endlich habe ich einen ledrigen Oud-Duft gefunden, der mir gefällt. Das liegt an seiner perfekten Ausgewogenheit und seinem Facettenreichtum. Der Duftverlauf ist einigermaßen linear, von hier ist also keine Spannung zu erwarten. Jedoch die sich wunderbar vertragenden drei Säulen den Duftes machen ihn für mich großartig.
(Übrigens gefallen mir der animalische Leder-Oud-Kracher „Cuir d'Arabie“ und sein schwächerer Bruder „Aoud Leather“ nicht. Ersterer ist mir zu dreckig, Zweiterer ist zwar schöner, mir aber zu süß.)

Die dominante Säule ist ein Rosen-Oud-Duft. Das ist schön, das kennt man allerdings zur Genüge. Mein Favorit in dieser Richtung ist „Aoud Flowers“, welches noch rosiger als das noch bekanntere „Black Aoud“ ist. Die Rose in „Aoud Night“ ist sehr zurückhaltend und viel schwächer als das eingesetzte Oud. Jenes ist trocken, rauchig, morbid und zugleich nobel.

Die zweite Säule ist ein ambriertes Leder. Herrlich, denn auch hier sind die Reglereinstellungen virtuos vorgenommen worden. Leder ist ein schwieriges und doch so wunderschönes Thema. Mir gefallen ledrige Düfte, aber dominantes Leder ist mir meist zu stechend und grob. So mag ich etwa „Bel Ami“ nicht. Leder muss immer die zweite oder dritte Geige spielen, finde ich.
Und genau so ist es hier. Das Leder belegt nach Oud und Rose Rang drei. Für Unkundige ist es wahrscheinlich gar nicht wahrzunehmen. Dieses Intensitätsniveau bewirkt, dass das Leder seine maskuline Aura verbreiten und dem Duft Substanz und Durchschlagskraft geben darf, sich jedoch nicht aufdrängt.
Amber mag ich meistens nicht, weil es mir oft zu schwül, schwülstig und schweißig wird. Jedoch kann gerade ambriertes Leder eine hocherotische Angelegenheit sein. So ist das eingestellte „Boss Spirit“ (ein grün-ledriges Chypre) mein zweitliebster Duft. In „Aoud Night“ stört mich der Amber überhaupt nicht, sondern führt zu einem ähnlich knisternden Unterton.

Die dritte Säule stellen „gepatchte“ Hölzer dar. Patchouli sowie Sandelholz und Guajakholz lieferen einen weichen, harmonischen, orientalischen holzigen Hintergrund. Alle diese drei Ingredienzen sind für meinen Geschmack ebenfalls schwierig (Patch oft zu schleimig oder krautig, Sandel oft zu lieblich-süß, Guajak meistens zu speckig-pappig-süß). Aber in „Aoud Night“ sind sie genau richtig dosiert. Isoliert kann ich sie kaum wahrnehmen, für mich wirken sie jeweils gleich stark enthalten und dadurch sehr miteinander verwoben. Süße ist in „Aoud Night“ kaum vorhanden, was ich prima finde.

Die Haltbarkeit ist für Montale-Verhältnisse gerade noch in Ordnung. Der Duft zieht sich nach wenigen Stunden auf die Haut zurück. Das ist aber für die Tragbarkeit unerlässlich, weil man die Anfangsintensität nicht stundenlang aushalten könnte. Gerade die schwächelnde Rose lässt die übrigen Bestandteile noch ausreichend zur Geltung kommen. Egal, ich sprühe gerne nach.

Als Anwendungsbereich sehe ich für „Aoud Night“ das Ausgehen von Herbst bis Frühjahr. Da der Duft nie atemberaubend ist, ginge auch noch eine Sommernacht, aber dann ganz vorsichtig dosiert. Freizeit- und sonstige Abend-Aktivitäten gehen natürlich auch. Ob der Duft Sport überlebt (oder ob das Leder dann wie so oft säuerlich und stechend wird), bleibt zu testen, aber ich bin zuversichtlich.

Insgesamt halte ich „Aoud Night“ für eine Bereicherung der Duftlandschaft. Im Gegensatz zu vielen Montale-Düften ist er nicht überflüssig oder redundant. Das Thema eines ledrigen und holzigen Oud-Duftes ist für mich perfekt umgesetzt worden. Wenn ich an die Duft-Regler gelangen könnte, würde ich nichts ändern – was denn auch? Insofern sind das für mich 100 %, auch wenn das Thema sicherlich nicht Jedermanns Geschmack trifft. Ich freue mich, in meiner Sammlung die Lücke eines schönen ledrigen Oud-Duftes geschlossen zu haben. Puh, geschafft.

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Nachtrag (vom 01.04.2015):
Inzwischen habe ich den Duft seinem Härtetest unterzogen, dem Einsatz beim Sport. Und er hat mit Bravour bestanden!
5 Antworten
DuftDoktor vor 10 Jahren 14 9
7.5
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5
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7.5
Haltbarkeit
10
Duft
Der Heilige Gral der Zitrusdüfte
Die Suche nach dem ultimativen Zitrusduft ist für mich zu Ende. „Citrus Bigarrade“ ist aus meiner Sicht perfekt. Dieser Duft trifft genau die richtige Balance aus Säure (Zitrone), Fruchtigkeit und Bitterkeit (Bitterorange), Kälte (Bergamotte) und nicht ins Süße abgleitender Lieblichkeit (Neroli).

Die Creed-Klarheit ist eindeutig zu spüren. Mir gefällt das. Zwar bin ich (aufgrund ihres aristokratischen Marketing-Gesabbels) kein Creed-Fan, aber Fan vieler Creed-Düfte.

Ein Zitrusduft ist generell ein schwieriges Thema für einen Parfümeur. Allzu flüchtig sind die erfrischenden Moleküle. Oder die Stabilisatoren schreien ihre Herkunft aus einem Chemielabor in die Welt hinaus. Allzu häufig drängt sich bei solch einem Duft die Assoziation zu Spülmittel oder Klostein auf.
Bei keinem anderen Dufttyp liegen Gefallen und starkes Missfallen so dicht beieinander, finde ich. So ist wohl zu erklären, dass einige Parfumo-Aktive Zitrusdüfte (und v.a. Zitrus-Kopfnoten) grundsätzlich (d.h. bis auf Ausnahmen) ablehnen.

Durchaus gibt es einige weitere schöne Zitrusdüfte. Da ist z.B. „Monsieur Balmain“, die aufgeschnittene Zitrone, welche allerdings nicht hundertprozentig natürlich riecht und über die Säure hinaus etwas Stechendes hat. Oder „Eau de Fleurs de Cédrat“, was einem 90 wundervolle Sekunden mit Zitronatzitrone beschert. Oder das Bergamotte-Konzentrat „Bergamotto di Calabria“ von Acqua di Parma, was auch nicht länger als fünf Minuten hält. Und dann wird die Luft dünn, meistens geht's dann ins Kölnisch-Wasser-Thema oder in die zitrisch-krautige Richtung.

Als Vergleichsduft zu „Citrus Bigarrade“ ist „Agrumi Amari di Sicilia“ zu nennen. Ihn finde ich ebenfalls exzellent. Allerdings ist seine Bitterkeit schon etwas stark betont und der Duft dadurch etwas grob. Ab 35 Grad ist das in Ordnung, aber darunter wünsche ich mir mehr Feinsinn und Gentlemantum.
Daher ist „Citrus Bigarrade“ für mich insgesamt führend. Auch bei ganz hohen Temperaturen ist er noch tragbar, aber liefert dann nicht ganz die erhoffte Erfrischung. Egal, ab 35 Grad kommt ohnehin „Pamplelune“ zum Einsatz, dessen Grapefruit einen eine halbe Stunde lang in einem Eisfach einlagert.

Der Name „Citrus Bigarrade“ ist seltsam. Das erste Wort soll wohl lateinisch sein, denn französisch ist es jedenfalls nicht. Das zweite Wort ist eine ungewöhnliche (oder antiquierte?) Schreibweise von „Bigarade“, dem französischen Wort für Pomeranze, d.h. Bitterorange. Jedenfalls suggeriert der Name korrekt, um was es bei dem Duft geht.
Dass hier Bitterorange und nicht Grapefruit eingesetzt wird, verhilft dem Duft zum olfaktorischen Durchbruch. Hier herrscht eine sanfte Bitterkeit und keine stechend-grelle.

Die Haltbarkeit ist mit ein bis anderthalb Stunden für einen nicht synthetisch anmutenden Zitrusduft überragend und fast übernatürlich (wie es sich für einen Gral eben auch gehört). Hier ist meiner Ansicht nach Moschus am Werk. Angegeben ist Amber, aber ich tippe auf Moschus. Na ja, synthetisch ist das Zeug so oder so, jedenfalls riecht an diesem Duft überhaupt nichts synthetisch.

Nicht endgültig klären konnte ich bislang, wie bei „Citrus Bigarrade“ das Mischungsverhältnis von Bitterorange und Bitterorangenblüte (Neroli) ausfällt. Ich wette, dass Beides vorhanden ist. Es kann meines Erachtens weder nur das Eine noch nur das Andere sein. Denn die Kopfnote enthält etwas mehr Bitterkeit als das Neroli-Herz, es ist aber ziemlich sicher keine Grapefruit im Spiel. Also denke ich, dass die Kopfnote von Bitterorange (und Bergamotte) und das Herz von Neroli dominiert wird. Was meint Ihr?
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DuftDoktor vor 10 Jahren 6 4
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2.5
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Duft
Tannenbalsam mit Frucht-Auftakt und Asche-Basis
Die Herren Apicius und Leimbacher haben ganz Recht mit ihrer Einordnung dieses Dufts. Nur eine kleine Ergänzung darf ich beitragen: Die zentrale Duftnote von „Vintage“ ist Tannenbalsam!

1.) Die herb-fruchtige Kopfnote:
Zu Beginn wird der (bereits jetzt vorherrschende) Tannenbalsam von einer herben, säuerlichen Fruchtigkeit unterstützt. Ob das nun Wacholder, Ananas, Apfel Absinth oder sonst was ist, kann wohl keiner von uns mit Sicherheit sagen.
Wenn ich raten müsste, würde ich auf eine synthetische Note tippen, die eben in diesem Gebiet des Duftraumes in Erscheinung tritt. So ließen sich auch die Änderungen in den verlautbarten Duftangaben erklären. Und außerdem finde ich sie stechend-stark wie es eigentlich nur synthetische Noten schaffen.

Ein wenig Krautigkeit ist wahrscheinlich auch noch vorhanden. Wie weißer Lavendel und Heiligenkraut riechen, entzieht sich meiner Kenntnis. Entweder sie sind drin oder sollen auch als Dummy-Ingredienzen herhalten. Egal, das ist höchstens ein kleiner Twist in der stechend-fruchtigen Tannenbalsam-Kopfnote.

2.) Das pure Tannenbalsam-Herz:
Nach einer Stunde ist der Tannenbalsam fast unverstellt zu riechen. Ja, "Vintage" ist in erster Linie ein Tannen-Duft!
"Vintage" ähnelt in diesem Zeitfenster sehr stark "Oud" von Robert Piguet. "Oud" ist allerdings noch viel harziger, intensiver und langlebiger - und trotz des Namens (so gut wie) frei von Oud. "Vintage" ist cremiger.

3.) Die Asche-Basis:
Nach insgesamt zwei Stunden ist die Basis erreicht, d.h. der Tannenbalsam ist abgeklungen. Nun bleibt die bereits von Apicius identifizierte bittere Basis übrig. Sie kann als Tabak (oder Asche...) gedeutet werden, evtl. in Verbindung mit einem Hauch von Wildleder. Das riecht so ähnlich wie "Havana" von Aramis.

Hier stimme ich Apicius zu, den diese Note auch „nur sehr bedingt an Wildleder erinnert“. Tanne und Tabak spielen jedenfalls eine viel, viele größere Rolle als das höchsten homöopathisch verabreichte Wildleder. Ich glaube, dass es gar nicht enthalten ist. Denn Tanne und Tabak/Asche erzeugen einen ähnlichen dunklen, rauen und dreckigen Eindruck wie Leder. Der Duftabstand hiervon zu Leder ist gering. Oder anders ausgedrückt, wenn man so krasses Zeug wie Tannen-Tabakasche in der Nase hat, ist dieser Sensor für die benachbarte Duftnote Leder unbrauchbar.

Der momentan mit 23 % führende Dufttyp „ledrig“ führt in meinen Augen in die Irre, wenn man's wörtlich nimmt und nicht auf die Duftaura bezieht. Es gibt viel stärker nach Wildleder duftende Düfte (z.B. „Cuir Pleine Fleur“, „Tuscan Leather“, „Calypso“, „One“ von Nejma, „V.I.P. Bijan - Bijan Men“ und „Peony & Blush Suede“). Wer also einen Wildlederduft sucht, wird woanders mehr Freude finden. Wen ein un- bis außergewöhnlicher, maskuliner, dreckiger und um Tannenbalsam herum aufgebauter Duft interessieren könnte, dem sei dieser Gewürz-Varvatos ans Herz gelegt. Bei seinem Preis eignet er sich als Blindkauf-Kandidat für diejenigen, die herbe Fruchtigkeit, Wald-Düfte und „Havana“ von Aramis mögen.

4.) Bewertung:
„Vintage“ mag ich. Aber nur alle paar Monate. Tannenbalsam ist eine interessante, aber auch anstrengende Duftnote. „Oud“ von Robert Piguet darf deshalb auch nur alle paar Monate in meine Nähe. Tja, das ist das Schicksal gewagter Duftkonzepte. Wer einen fast täglich tragbaren Duft sucht, dem sei abgeraten.

5.) Ein typischer Varvatos-Duft:
Auch bei diesem Duft ist die John-Varvatos-DNA erkennbar. Wie bei allen anderen Düften dieser Marke – außer den beiden Cologne-artigen Artisan-Flechtkörben – entsteht auch hier ein maskuliner, prägnanter und zugleich zurückhaltender, außeralltäglicher Dufteindruck. „Vintage“ ist in meinen Augen der maskulinste Varvatos-Duft, während die anderen Patchouli- oder Amber-lastiger sind und damit weicher (und leider auch etwas schwülstiger).

Insgesamt bietet John Varvatos interessante Düfte jenseits des Einheitsbreis – und das zu anständigen Preisen. Da strahlt das Parfümfan-Herz. Ich kann mir jedoch auch vorstellen, dass die Düfte nicht bei jedermann Gefallen finden werden.

6.) Nostalgie und Zwangsneurose:
An meine Heimfahrt nach dem Kauf dieses Dufts vor zweieinhalb Jahren erinnere ich mich noch gut. Der für mich damals neu- und einzigartige Dufteindruck hat mich von den Socken gehauen, so wie es sein muss. Alle paar Sekunden hielt ich mir das Handgelenk unter die Nase. Einordnen konnte ich ihn damals überhaupt nicht, weil ich Parfumo noch nicht kannte. Frucht-Tannenbalsam-Tabak/Asche ist auch schwer zu erkennen.

Zum Glück war es dunkel und kein Mensch hat gesehen, wie zwengsneurotisch ich nach Hause fahre. Geht's Euch auch so, dass Ihr bei Tageslicht den Drang, das parfümierte Handgelenk an die Nase zu halten, etwas unterdrückt, damit Ihr nicht für bescheuert, unästhetisch (Ärmel als Taschentuch-Ersatz – iiiih!) oder schlicht fahruntüchtig gehalten werdet?
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DuftDoktor vor 10 Jahren 11 5
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7.5
Haltbarkeit
3
Duft
Diesen Hagebuttentee musste ich soeben abschrubben
Grundsätzlich schreibe ich Kommentare über mich begeisternde Düfte. An dieser Stelle halte ich jedoch ein Wort der Warnung für angebracht.

Die Duftpyramide liest sich spannend. Die meisten Vorredner und Bewerter (der Durchschnitt liegt momentan bei 78 %) sind von dem Duft überzeugt. Die Bewertungsverteilung deutet allerdings darauf hin, dass es eine stabile Minderheit von Parfümfans gibt, welche den Duft ganz und gar nicht mag. So auch ich.

Schlecht ist der Duft nicht, aber anstrengend und für mich im wahrsten Sinn des Wortes untragbar. Denn nach den schönen Agrumen der 90-Sekunden-Kopfnote bleibt auf meiner Haut nur noch Hagebuttentee mit Weihrauch übrig. Wer das mag, bitte sehr. Bei mir verfängt dieses (zugegebenermaßen Amouage-typisch gut umgesetzte) Duftkonzept nicht.

Der Hagebuttentee erinnert an „Regio“ von XerJoff, wo nach einer spektakulären prickelnden Kopfnote nur noch Malventee (Ambrettesamen) übrig bleibt. Das ist einfach anstrengend und geht nur an wenigen Tagen im Jahr, finde ich. Und Malventee riecht als Parfüm für mich immer noch etwas besser als Hagebuttentee. Außerdem ist die Kopfnote bei „Regio“ etwas ganz Außerordentliches, während bei „Opus IV“ die ultrakurze Kopfnote zwar schön ist, aber nichts Einzigartiges oder Überraschendes darstellt. Also bleibt „Regio“ in meiner Sammlung, während „Opus IV“ dort nie aufgenommen werden wird.

Also testet bitte ausgiebig, bevor Ihr Euer Portemonnaie zückt! Und überlegt, wie oft Ihr diesen Duft tatsächlich tragen werdet. Ich bezweifle, dass die meisten Käufer dieses Duftes nach, sagen wir, einem Jahr ihre Kaufentscheidung nicht bereuen. (Über Erfahrungsberichte würde ich mich freuen.)

Bislang hat mich kein Duft der Opus-Linie überzeugt. Dabei halte ich von Amouage durchaus etwas, aber nur rund ein Fünftel der Düfte finde ich toll. Beispielsweise ist „Jubilation 25 Woman“ mein zehntliebster Duft. Bei Amouage muss man wohl genau hinschauen und sollte die Düfte der Marke nicht über einen Kamm scheren.

So ist es zwar bei den allermeisten Marken, aber bei so hochpreisigen Düften wirkt sich ein Fehlkauf eben am schmerzhaftesten aus: Neben dem Selbsteingeständnis des Versagens, der Inkompetenz, des Dem-Kaufrausch-erlegen-Seins kommt noch der Verdacht hinzu, man sei der suggerierten Korrelation zwischen Preis und Qualität/Spektakularität auf den Leim gegangen. Wie viele Leute hat Amouage dadurch schon in Depressionen gestürzt?

Na ja, zum Glück gibt es noch die Möglichkeit, sich einen Duft schönzureden. Man muss sich halt zwingen. (Ihr kennt sicherlich den schwäbischen Scherz mit dem Nahrungsmittel-Bettler: „Was, se hen seit drei Dage nix g'ässa?! – Ha, se misset sich halt zwenge!“)

Damit Ihr zuverlässig nicht zwischen Depression und Selbstbetrug wählen müsst, wiederhole ich nochmals die Empfehlung, den Duft vor einem Kauf auf Herz und Basis, äh, Nieren zu untersuchen.
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