08.06.2014 - 09:46 Uhr

DuftDoktor
19 Rezensionen

DuftDoktor
Top Rezension
14
Der Heilige Gral der Zitrusdüfte
Die Suche nach dem ultimativen Zitrusduft ist für mich zu Ende. „Citrus Bigarrade“ ist aus meiner Sicht perfekt. Dieser Duft trifft genau die richtige Balance aus Säure (Zitrone), Fruchtigkeit und Bitterkeit (Bitterorange), Kälte (Bergamotte) und nicht ins Süße abgleitender Lieblichkeit (Neroli).
Die Creed-Klarheit ist eindeutig zu spüren. Mir gefällt das. Zwar bin ich (aufgrund ihres aristokratischen Marketing-Gesabbels) kein Creed-Fan, aber Fan vieler Creed-Düfte.
Ein Zitrusduft ist generell ein schwieriges Thema für einen Parfümeur. Allzu flüchtig sind die erfrischenden Moleküle. Oder die Stabilisatoren schreien ihre Herkunft aus einem Chemielabor in die Welt hinaus. Allzu häufig drängt sich bei solch einem Duft die Assoziation zu Spülmittel oder Klostein auf.
Bei keinem anderen Dufttyp liegen Gefallen und starkes Missfallen so dicht beieinander, finde ich. So ist wohl zu erklären, dass einige Parfumo-Aktive Zitrusdüfte (und v.a. Zitrus-Kopfnoten) grundsätzlich (d.h. bis auf Ausnahmen) ablehnen.
Durchaus gibt es einige weitere schöne Zitrusdüfte. Da ist z.B. „Monsieur Balmain“, die aufgeschnittene Zitrone, welche allerdings nicht hundertprozentig natürlich riecht und über die Säure hinaus etwas Stechendes hat. Oder „Eau de Fleurs de Cédrat“, was einem 90 wundervolle Sekunden mit Zitronatzitrone beschert. Oder das Bergamotte-Konzentrat „Bergamotto di Calabria“ von Acqua di Parma, was auch nicht länger als fünf Minuten hält. Und dann wird die Luft dünn, meistens geht's dann ins Kölnisch-Wasser-Thema oder in die zitrisch-krautige Richtung.
Als Vergleichsduft zu „Citrus Bigarrade“ ist „Agrumi Amari di Sicilia“ zu nennen. Ihn finde ich ebenfalls exzellent. Allerdings ist seine Bitterkeit schon etwas stark betont und der Duft dadurch etwas grob. Ab 35 Grad ist das in Ordnung, aber darunter wünsche ich mir mehr Feinsinn und Gentlemantum.
Daher ist „Citrus Bigarrade“ für mich insgesamt führend. Auch bei ganz hohen Temperaturen ist er noch tragbar, aber liefert dann nicht ganz die erhoffte Erfrischung. Egal, ab 35 Grad kommt ohnehin „Pamplelune“ zum Einsatz, dessen Grapefruit einen eine halbe Stunde lang in einem Eisfach einlagert.
Der Name „Citrus Bigarrade“ ist seltsam. Das erste Wort soll wohl lateinisch sein, denn französisch ist es jedenfalls nicht. Das zweite Wort ist eine ungewöhnliche (oder antiquierte?) Schreibweise von „Bigarade“, dem französischen Wort für Pomeranze, d.h. Bitterorange. Jedenfalls suggeriert der Name korrekt, um was es bei dem Duft geht.
Dass hier Bitterorange und nicht Grapefruit eingesetzt wird, verhilft dem Duft zum olfaktorischen Durchbruch. Hier herrscht eine sanfte Bitterkeit und keine stechend-grelle.
Die Haltbarkeit ist mit ein bis anderthalb Stunden für einen nicht synthetisch anmutenden Zitrusduft überragend und fast übernatürlich (wie es sich für einen Gral eben auch gehört). Hier ist meiner Ansicht nach Moschus am Werk. Angegeben ist Amber, aber ich tippe auf Moschus. Na ja, synthetisch ist das Zeug so oder so, jedenfalls riecht an diesem Duft überhaupt nichts synthetisch.
Nicht endgültig klären konnte ich bislang, wie bei „Citrus Bigarrade“ das Mischungsverhältnis von Bitterorange und Bitterorangenblüte (Neroli) ausfällt. Ich wette, dass Beides vorhanden ist. Es kann meines Erachtens weder nur das Eine noch nur das Andere sein. Denn die Kopfnote enthält etwas mehr Bitterkeit als das Neroli-Herz, es ist aber ziemlich sicher keine Grapefruit im Spiel. Also denke ich, dass die Kopfnote von Bitterorange (und Bergamotte) und das Herz von Neroli dominiert wird. Was meint Ihr?
---------------------------------------
Nachtrag (20.07.2024):
10 Jahre später...
...ist "Citrus Bigarrade" weiterhin mein Heiliger Gral der Zitrusdüfte.
Allerdings sehe ihn heute ziemlich anders als damals. Das liegt eben an zehn Jahren Dufterfahrung, Nasentraining und hilfreichen passenden Informationen. Vielen Dank an "ExUser" für die wertvollen Infos in den Antworten zu dieser Rezension!
Ja, auf die Einschätzung von "ExUser" schwenke ich heute ein! - In der Tat erkenne auch ich nun hauptsächlich Bergamotte, Zitronatzitrone und Zitronen-Petitgrain in diesem Duft. Inzwischen habe ich genügend Düfte mit diesen Duftnoten gerochen, um diese Ansicht - auch vor mir selbst - vertreten zu können.
Von der namensgebenden Bitterorange (Pomeranze, citrus bigarrade) und dem angegebenen Neroli ist wenig zu erkennen. Es ist plausibel, dass sie enthalten sind, aber gegenüber den o.g. drei wesentlichen Duftnoten treten sie zumindest stark in den Hintergrund.
Bei Neroli finde ich das überraschend, da ich mich genau an mein damaliges Dufterleben vor zehn Jahre erinnere und Stein und Bein geschworen hätte, dass Neroli einer Weile nach dem Ausprühen klar zu erkennen ist. Vielleicht liegt es auch an der Alterung dieses Zitrusduftes, zumal diese Parfümkategorie für ihr rasches Altern bekannt ist. Also gehe ich davon aus, dass Neroli ursprünglich markanter war als jetzt. - Vielliecht ist auch die Bitterorange in dem Flakon gealtert und hat Platz gemacht für die zitrisch-grünen Duftbestandteile.
"Citrus Bigarrade" kann man sich als Kombination von Giallo Riviera und Le Petit Grain vorstellen. Aber es sich gewiss viel eleganter als das doch etwas rustikale Petitgrain von Miller Harris.
Meinem Geschmack entsprechen bei Zitrusdüften sehr saure, recht unsüße, leicht grüne, jedoch nicht zu minzige oder krautige oder waldige, nicht zu bittere, höchstens leicht Pfeffer- oder Ingwer-scharfe, evtl. leicht holzige und nicht zu seifige Düfte. Damit fällt "Citrus Bigarrade" exakt in mein Beuteschema zu Zitrusdüften!
Gegenüber den beiden exzellenten o.g. Vergleichsdüften ist dieser Duft breiter und vollständig. Die Vergleichsdüfte liefern jeweils nur eine der Hauptsäulen Zitronat und Petitgrain, aber erst zusammen - und ergänzt um die eiskalt wirkende Bergamotte - wird ein voller und perfekter Duft daraus. Also bleibt er mein "Heiliger Gral" der Zitrusdüfte.
Hoffentlich altert mein Flakon weiter in Würde. Seine derzeitigen Alterungsspuren haben ihm ja nicht geschadet, eher im Gegenteil. Die namensgleiche Neuauflage von 2020 macht mir wenig Hoffnung. Die angegebenen Duftnoten Minze, Pfeffer und Ingwer werfen meine Stirn in Runzeln. Vielleicht ist der Duft ja besser als ich befürchte. Gerochen habe ich ihn noch nicht. Mal schauen, ob sich das in den nächsten zehn Jahren bewerkstelligen lassen wird...
Die Creed-Klarheit ist eindeutig zu spüren. Mir gefällt das. Zwar bin ich (aufgrund ihres aristokratischen Marketing-Gesabbels) kein Creed-Fan, aber Fan vieler Creed-Düfte.
Ein Zitrusduft ist generell ein schwieriges Thema für einen Parfümeur. Allzu flüchtig sind die erfrischenden Moleküle. Oder die Stabilisatoren schreien ihre Herkunft aus einem Chemielabor in die Welt hinaus. Allzu häufig drängt sich bei solch einem Duft die Assoziation zu Spülmittel oder Klostein auf.
Bei keinem anderen Dufttyp liegen Gefallen und starkes Missfallen so dicht beieinander, finde ich. So ist wohl zu erklären, dass einige Parfumo-Aktive Zitrusdüfte (und v.a. Zitrus-Kopfnoten) grundsätzlich (d.h. bis auf Ausnahmen) ablehnen.
Durchaus gibt es einige weitere schöne Zitrusdüfte. Da ist z.B. „Monsieur Balmain“, die aufgeschnittene Zitrone, welche allerdings nicht hundertprozentig natürlich riecht und über die Säure hinaus etwas Stechendes hat. Oder „Eau de Fleurs de Cédrat“, was einem 90 wundervolle Sekunden mit Zitronatzitrone beschert. Oder das Bergamotte-Konzentrat „Bergamotto di Calabria“ von Acqua di Parma, was auch nicht länger als fünf Minuten hält. Und dann wird die Luft dünn, meistens geht's dann ins Kölnisch-Wasser-Thema oder in die zitrisch-krautige Richtung.
Als Vergleichsduft zu „Citrus Bigarrade“ ist „Agrumi Amari di Sicilia“ zu nennen. Ihn finde ich ebenfalls exzellent. Allerdings ist seine Bitterkeit schon etwas stark betont und der Duft dadurch etwas grob. Ab 35 Grad ist das in Ordnung, aber darunter wünsche ich mir mehr Feinsinn und Gentlemantum.
Daher ist „Citrus Bigarrade“ für mich insgesamt führend. Auch bei ganz hohen Temperaturen ist er noch tragbar, aber liefert dann nicht ganz die erhoffte Erfrischung. Egal, ab 35 Grad kommt ohnehin „Pamplelune“ zum Einsatz, dessen Grapefruit einen eine halbe Stunde lang in einem Eisfach einlagert.
Der Name „Citrus Bigarrade“ ist seltsam. Das erste Wort soll wohl lateinisch sein, denn französisch ist es jedenfalls nicht. Das zweite Wort ist eine ungewöhnliche (oder antiquierte?) Schreibweise von „Bigarade“, dem französischen Wort für Pomeranze, d.h. Bitterorange. Jedenfalls suggeriert der Name korrekt, um was es bei dem Duft geht.
Dass hier Bitterorange und nicht Grapefruit eingesetzt wird, verhilft dem Duft zum olfaktorischen Durchbruch. Hier herrscht eine sanfte Bitterkeit und keine stechend-grelle.
Die Haltbarkeit ist mit ein bis anderthalb Stunden für einen nicht synthetisch anmutenden Zitrusduft überragend und fast übernatürlich (wie es sich für einen Gral eben auch gehört). Hier ist meiner Ansicht nach Moschus am Werk. Angegeben ist Amber, aber ich tippe auf Moschus. Na ja, synthetisch ist das Zeug so oder so, jedenfalls riecht an diesem Duft überhaupt nichts synthetisch.
Nicht endgültig klären konnte ich bislang, wie bei „Citrus Bigarrade“ das Mischungsverhältnis von Bitterorange und Bitterorangenblüte (Neroli) ausfällt. Ich wette, dass Beides vorhanden ist. Es kann meines Erachtens weder nur das Eine noch nur das Andere sein. Denn die Kopfnote enthält etwas mehr Bitterkeit als das Neroli-Herz, es ist aber ziemlich sicher keine Grapefruit im Spiel. Also denke ich, dass die Kopfnote von Bitterorange (und Bergamotte) und das Herz von Neroli dominiert wird. Was meint Ihr?
---------------------------------------
Nachtrag (20.07.2024):
10 Jahre später...
...ist "Citrus Bigarrade" weiterhin mein Heiliger Gral der Zitrusdüfte.
Allerdings sehe ihn heute ziemlich anders als damals. Das liegt eben an zehn Jahren Dufterfahrung, Nasentraining und hilfreichen passenden Informationen. Vielen Dank an "ExUser" für die wertvollen Infos in den Antworten zu dieser Rezension!
Ja, auf die Einschätzung von "ExUser" schwenke ich heute ein! - In der Tat erkenne auch ich nun hauptsächlich Bergamotte, Zitronatzitrone und Zitronen-Petitgrain in diesem Duft. Inzwischen habe ich genügend Düfte mit diesen Duftnoten gerochen, um diese Ansicht - auch vor mir selbst - vertreten zu können.
Von der namensgebenden Bitterorange (Pomeranze, citrus bigarrade) und dem angegebenen Neroli ist wenig zu erkennen. Es ist plausibel, dass sie enthalten sind, aber gegenüber den o.g. drei wesentlichen Duftnoten treten sie zumindest stark in den Hintergrund.
Bei Neroli finde ich das überraschend, da ich mich genau an mein damaliges Dufterleben vor zehn Jahre erinnere und Stein und Bein geschworen hätte, dass Neroli einer Weile nach dem Ausprühen klar zu erkennen ist. Vielleicht liegt es auch an der Alterung dieses Zitrusduftes, zumal diese Parfümkategorie für ihr rasches Altern bekannt ist. Also gehe ich davon aus, dass Neroli ursprünglich markanter war als jetzt. - Vielliecht ist auch die Bitterorange in dem Flakon gealtert und hat Platz gemacht für die zitrisch-grünen Duftbestandteile.
"Citrus Bigarrade" kann man sich als Kombination von Giallo Riviera und Le Petit Grain vorstellen. Aber es sich gewiss viel eleganter als das doch etwas rustikale Petitgrain von Miller Harris.
Meinem Geschmack entsprechen bei Zitrusdüften sehr saure, recht unsüße, leicht grüne, jedoch nicht zu minzige oder krautige oder waldige, nicht zu bittere, höchstens leicht Pfeffer- oder Ingwer-scharfe, evtl. leicht holzige und nicht zu seifige Düfte. Damit fällt "Citrus Bigarrade" exakt in mein Beuteschema zu Zitrusdüften!
Gegenüber den beiden exzellenten o.g. Vergleichsdüften ist dieser Duft breiter und vollständig. Die Vergleichsdüfte liefern jeweils nur eine der Hauptsäulen Zitronat und Petitgrain, aber erst zusammen - und ergänzt um die eiskalt wirkende Bergamotte - wird ein voller und perfekter Duft daraus. Also bleibt er mein "Heiliger Gral" der Zitrusdüfte.
Hoffentlich altert mein Flakon weiter in Würde. Seine derzeitigen Alterungsspuren haben ihm ja nicht geschadet, eher im Gegenteil. Die namensgleiche Neuauflage von 2020 macht mir wenig Hoffnung. Die angegebenen Duftnoten Minze, Pfeffer und Ingwer werfen meine Stirn in Runzeln. Vielleicht ist der Duft ja besser als ich befürchte. Gerochen habe ich ihn noch nicht. Mal schauen, ob sich das in den nächsten zehn Jahren bewerkstelligen lassen wird...
9 Antworten