EdithLyri

Ich bin das Mädchen aus dem Märchen der Sternentaler. Ich stehe in der Nacht und blicke in den Himmel und es regnet dutzende, glitzernde Sterne. Die Lichter reflektieren von ihrer Oberfläche und blitzen mir in die Augen. Wie goldene Schneeflocken tanzen sie über den Himmel und erhellen die Dunkelheit um mich herum. Unbeschwert stoben sie mir ins Gesicht, weich wie Daunen, warm wie Katzenpfoten, und kitzeln meine Wimpern, meine Lippen.
Ich lächele. Nichts kann mir passieren, nichts, denke ich und begreife die Wahrheit mit dem Gesamten meiner Existenz. Ich schließe die Augen und vergesse alles, was mich bedrückt, beginne, einfach nur zu existieren, im Hier und Jetzt, wo alles schön und leicht ist, wo ich einfach nur Kind sein kann. Unschuldig eingehüllt in den Zauber des Moments.
Der Duft ist eine cremig-pudrig-vanillige Umarmung, in der nichts kantig oder kompliziert ist. Es katapultiert mich direkt zurück in meine Kindheit. So könnte eine Babycreme aus den 90ern gerochen haben.

Heute ist ein Regentag (eigentlich ist Sommer), aber es fühlt sich an, als wär schon November (und das schon seit Wochen). Draußen ist es grau und trostlos.
Ich merke auch, wie die Kunden im Teeladen, in dem ich arbeite, schon in Herbststimmung sind. Gekauft wird schon Schwarzer Tee Viva Vanilla, Grüner Tee Kashmir-Chai, Schwarzer Tee Tonka-Sahne - quasi die Tee-Äquivalente zu den Gourmands hier.
Und auch ich habe nach einem sich kurz aufbäumenden, aus dem Nichts kommenden, plötzlichen Interesse an fruchtig-aquatischen Düften mit Hallenbad-Feeling, das vielleicht der Wehmut nach dem Sommer geschuldet war, der dieses Jahr nie ganz da war und jetzt schon wieder geht, im Moment eher Lust auf die Kuschelgourmands, die sanften, die süßen, die einen umhüllen wie Winterschals. Als Tee trinke ich im Moment ebenfalls "Gourmand", Grüner Tee Walnuss mit Milch, das passt zum Wetter.
Und dann schaue ich in meiner kleinen Sammlung nach etwas Passendem und diese Probe von Sensual Grace fällt mir ins Auge. Ich hab sie auf einem Flohmarkt geschenkt bekommen von einer Frau, die sicherlich einfach nur froh war, den ganzen Grusch los zu werden. Es war schon spätabends und sie war schon am Schließen und meinte dann "Ach komm, nimm sie einfach mit, passt schon"
Und das passt wirklich, einfach nur ein bisschen süß, ein bisschen pudrig, eine Erinnerung an Schokoladensahne, ein bisschen herbstfruchtig (für mich eher Birne). Diesen Duft habe ich erstaunlich lieb gewonnen. An der richtigen Person in der richtigen Lichtstimmung ist der sicherlich auch sehr sinnlich...
Er ist sehr zahm in der Sillage, selbst ich als jemand, der nur einmal sprüht oder einmal in den gesprühten Duftnebel läuft, hab dreimal gesprüht.
Mir kommt das entgegen, dadurch lässt er sich viel genauer dosieren - und ich mein, dafür ist er ja ein Cheapie.
In meiner Sammlung ist in den Jahren schon viel gekommen und gegangen, aber diese kleine Probe ist noch immer hier, auch das heißt schon was.

... das ist das Gefühl, das dieser Duft vermittelt. Heliotrope ist dicht, sehr dicht. Die Vanilleblume wird ihrem Ruf gerecht und staubt mit jackfruitgleicher Wucht in die Nase.
Etwas Grünliches haftet dem Duft ebenfalls an, das ist der Anker, der ihn in der Realität hält, der ihn trotzdem als Blütenduft ausweist und nicht als Gourmand. Eine riesengroße Portion Coumarin... mmmh... verstehe, wenn manche hier auch Waldmeister riechen.

Er könnte auch ein uralter Vintage sein, am Flohmarkt ergattert, irgendwie in Vergessenheit geraten. Das Werk eines Parfumeurs, das anno 1920 nicht so ganz den Geschmack getroffen hat, weil keine Katze drin war. Damals wär er bestimmt auch als Männerduft ausgewiesen worden, so wie ich die Vintages bisher kennen gelernt habe...

Die sehr dominante Mandel-Macaron-Note hätte man meinetwegen etwas dimmen können, ich glaube, dann hätte Heliotrope sogar noch mehr Charme. Was soll ich sagen, Puder, Perubalsam, Tonkabohne und Vanilleblüten, das ist einfach eine Hammerkombi für meine Nase. Eine Prise Puder-Make-Up, eine Prise Avantgarde, eine Prise Ballett & Glasfiguren - und ich bin ein hypnotisierter Schmetterling am Fliederbusch. Für mich ist er eher mit Düften wie "Teint de Neige (Eau de Toilette) | Lorenzo Villoresi" oder "Les Notes Gourmandes - Héliotrope / Do Ré | Réminiscence" verwandt als mit Amaretto-/Marzipan-Hämmern.
Schon ne Wucht, eher was für den Abend.

Erstmal ein poetischer Kurztext zur Einstimmung.

Wir haben uns auseinander gelebt. Was ist passiert in der Zeit?
Wir haben uns geliebt, bedingungslos, waren blind vor Liebe.
Vielleicht zu blind.
Ich liebe dich, du Lavendel. Aber dein Aftershave ist mir mittlerweile unangenehm.
Dein Aftershave, das noch überall in den Kleidern hängt.
Der Kerzenrauch, den du sanft in die Luft abgibst.
Dein Kerzenhauch.
Verflogen.

So, jetzt haben wir das durch.
Ich hoffe, ihr seid noch nicht ermüdet.

Ab jetzt geht es um Männer-Deos. Der Titel muss ja auch irgendwie Sinn machen.
Immer diese Regularien.

Räusper.

Was ist eigentlich mit Männer-Deos los?
Das frag ich mich.
Wieso ist deren Intensität ca. eine Milliarde mal so hoch wie wenn ich mein Deo auflege?
(okay, es ist so ein Bioladen-Roll-On-Stick mit Ringelblumenextrakt und riecht nicht mal nah an der Nase nach viel), aber trotzdem. Ich nehme Männer-Deo-Geruch als circa fünfmal so stark wahr wie alle meine Parfüms. Ich rieche das buchstäblich drei Räume weiter. Sind Männer-Deos einfach konzentrierter? Frage an euch alle, da würde mich euer Eindruck dazu auch interessieren.

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Vielleicht werden Deos auch häufig überdosiert. Sind ja nur Deos, kann ja gar nicht so stark riechen. Außerdem besser frisch-sauber als schweißig, oder? Oder? ODER -- neue Theorie. Wenn man davon ausgeht, dass man das mehr wahrnimmt, was einen stört, vielleicht kann es sein, dass ich durch die Duftkomponenten in männlichen Deos einfach irritiert bin. Ich muss zugeben, ich bin wirklich echt kein Fan von diesem männlichen frisch-sauber-Zeugs (Vielleicht kam das in dem Kommentar bisher nicht klar genug zum Ausdruck, ich bin jedenfalls froh, dass ich jegliche Verwirrung hiermit aufklären konnte - Anm. des Autors). Deswegen glaube ich, es könnte sein, dass ich diese Düfte so wenig mag und so stark wahrnehme, weil ich sie als sexuell aufdringlich empfinde.
AHA - wieder was gelernt. Parfums wirken sexuell markierend!!! Wooooo Jubel Award Neue Erkenntnis Captain Obvious strikes again

siehst du mal. Soll mir noch einer sagen, ich bin den ganzen Tag nur am Prokrastinieren auf parfumo.

Um den Bogen zurück zu Gris Clair zu spannen - was ich am aller-allerstärksten wahrgenommen habe, war eine Wolke, nennen wir es Aftershave, oder frisch-sauber-Deo, alles andere komplett übertünchend. Geradezu erstickend. Und dazu noch nicht mal ein super Nischiges Deo, wie man es von einem Herrn Serge Lutens erwarten könnte, sondern ein total Generisches.

Achtung,
prepare for the bombshell.

Luft anhalten -

Augen aufreißen -

NIVEA FOR MEN

Da da da damm

Nivea for frickin men

Ich musste den Duft sogar abwaschen, ich kam mir so verkleidet vor.
Und ich nahm den Duft bei meinem diesmaligen Test auch als sehr männlich codiert wahr.
Irgendwie können wir wohl einfach nicht mehr.

Wie sich die Geschmäcker ändern... vor einem Jahr hab ich Gris Clair mit 9.5 Punkten bewertet und war hin und weg.

Und jetzt?
Ja und jetzt schreib ich wohl diesen Kommentar.

Durch einen Tausch hab ich das alte EdP erhalten, das es gar nicht mehr gibt, und durfte so diesen verloren gegangenen Duft testen.
Nach dem Aufsprühen ist kurz ein fruchtiges Wölkchen da, dann nichts mehr.
Ähhh.... ein bisschen mehr hab ich schon erwartet. Okay, nochmal von vorn.
Nach nochmaligem Aufsprühen - diesmal energischer - ist wieder ein fruchtig-saures Wölkchen da. Aha! Aber diesmal kommt mehr! Ich versuche genauer zu erschnüffeln und die sauer-fruchtigen Noten gedanklich beiseite zu schieben, um mich zu den anderen vorzuarbeiten (der "grüne Apfel", wie ich ihn ja liebevoll nenne, ist sehr dominant). Was ich glaube zu erschnüffeln, ist ein bisschen Blümchen-Tagesduft, aber genau lässt es sich nicht sagen, denn gerade als der Apfel verfliegt, verfliegt der ganze Duft gleich mit und ich muss ihn auf meinem Arm suchen gehen.
Okay, das hab ich mir anders vorgestellt.
Für nen Test muss das erstmal reichen. Eventuell ist die Probe schon etwas altersschwach, es geht immerhin um nen nicht mehr verkäuflichen Duft.
Nun zum Fazit.
Also auch unreformuliert ist der Duft irgendwie nicht so besonders, meiner Meinung nach. Irgendwie nicht gut, aber nicht mal so nervig, dass ich es abwaschen muss (was sich sowieso erübrigt, denn es ist weniger Aufwand, einfach ein bisschen zu warten - dann ist der Duft sowieso weg).
Der Duft ... ist einfach. Er existiert so vor sich hin, guckt nach links, guckt nach rechts, fliegt davon.
Er ist vielleicht ein Duft für die Tage, an denen man keinen Kopf für laute Düfte hat. Oder für Düfte allgemein. Für die Tage, an denen jede Wahrnehmung schon zu viel ist.
Genau das richtige Maß an beige, an farblos, an hautfarben. Ja, ich glaub, das ist Sensations' eigentliche Stärke und sein Geheimnis.
Ich kann ihn nicht mögen, denn er ist eher so ... meh.
Aber ich kann ihn nicht mal nicht mögen, denn er ist ganz okay, nur hat er einfach... nicht das gewisse Etwas. Keinen Funken.