Flaconesse
duftende Gedanken
vor 4 Jahren - 11.06.2020
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Das Kritik-Dilemma Teil 2

Herzlichen Dank für den regen Austausch und die ganzen Denkanstösse, die nach meinem ersten Teil zu diesem Thema aufgekommen sind und somit unweigerlich zu einer Fortsetzung führen:

Ich möchte wieder mit einem Beispiel starten und hierzu erneut meinen Freund auf die Bühne zerren, der sagt „Ich hasse Oliven!! Wah geh weg mit dem Zeug!“, als ich ihm eine unter die Nase halte, die sogleich auf meiner selbst belegten Pizza landet. Ich liebe sie. Oliven. Klein, möglichst schwarz, leicht bitter, salzig und durch und durch köstlich. Und auch gerade sitze ich hier, während ich diese Zeilen tippe, knabbere mit voller Wonne ein paar dieser leckeren Ölfrüchten. Ich kann mich noch genau an mein erstes Mal erinnern:

Es war im Spätsommer 2000, Toskana, Abschlussfahrt. Ich saß am Meer mit einer großen, dampfenden Pizza belegt mit Mozzarella und OLIVEN. Unser Blicke trafen sich und es war um mich geschehen. Ich verschlang sie heiß, während im Hintergrund die Sonne unterging und mir war klar, dass ich nie wieder ohne sie leben wollte. Seitdem bin ich verliebt in Oliven.

Und doch bin ich nicht beleidigt, wenn mein Freund sie hasst, jeden Kontakt mit ihnen konsequent verweigert.

Dies leitet zur Frage über: Warum fühlen sich manche angegriffen, wenn ihr Lieblingsduft nicht von allen gemocht wird?

Hierzu meine These: Der Lieblings- oder womöglich Signatureduft ist nach mehreren Jahren des Tragens und der emotionalen Erlebnisse damit scheinbar so mit der Persönlichkeit verwoben, das man hier keine klare Grenze mehr ziehen kann zwischen der Sache an sich und dem Träger.

Hat es etwas mit mangelndem Selbstbewusstsein oder Harmoniebedürfniss zutun, wenn wir uns wünschen, dass alle unseren Duft genauso lieben wie wir? Mit Akzeptanz oder gar einem Gefühl dazu zu gehören? Wollen wir so unbedingt gemocht werden, mit allen, was auch wir mögen?

Ich selbst habe Düfte in meiner Sammlung, die ich liebe, ob der emotionalen und schönen Momente, die ich mit ihnen verbinde, die aber allgemein eher schlecht bewertet oder gar belächelt werden. Zusammengefasst in meiner Sammlung „Guilty Pleasure“. Ich trage sie für mich, allein in meinem Zimmer. Und wenn mein Freund sagen würde: „Das stinkt!“ müsste er solange woanders hin gehen.

Und auch meine Lieblingskollegin, die einen meiner Lieblingsdüfte, Chanel N°5, nicht leiden kann, habe ich dadurch nicht weniger lieb.

Tatsächlich finde ich dass selbst Verrisse zu Düften, die man mag, dazu beitragen können, ein rundes Bild eben jenes Duftes zu Formen, mit allen seinen Stärken und Schwächen. Oft verlieben wir uns spontan in ein Parfum, so ging es zumindest mir sehr oft und wissen nur über die schönen Aspekte, weil wir zunächst total euphorisch die rosarote Brille aufgesetzt haben. Dann aber setzten wir uns stärker mit dem Duft auseinander und komplettieren unser Bild. Und hierbei hilft uns die ganze Bandbreite an vielfältigen, positiven, wie auch negativen Kritiken.

Eure Flaconesse

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