Hilli

Mitte der Neunzigerjahre bin ich als Teenager das erste mal mit Guerlains Herrendüften in Berührung gekommen. Heritage und Vetiver waren damals meine Favoriten, aber für mich damaligen Teenie fand ich Gucci Envy einfach passender, wenn auch vielleicht etwas unüblich -zumindest in der ostfriesischen Provinz. 2000 musste ich dann feststellen, dass Vetiver nicht nur einen neuen Flakon bekommen hatte, sondern auch anders roch. Die Wärme des Vorgängers war einer scharfen eisigen Kälte gewichen, die sich schon im geeisten Glas des neuen Flakons zeigte und über die der übrige Duft nicht hinwegtrösten konnte. Immer wieder versuchte ich mich ohne Erfolg mit dem neuen Vetiver anzufreunden bis ca. 2012 das Parfum meines damaligen Chefs unsere Anzugabteilung füllte und er mir mitteilte, dass es sich bei dem Wohlgeruch um Guerlains Vetiver handle. Im benachbarten Douglas durfte ich dann feststellen, dass sich nicht nur der Flakon wieder geändert hatte, sondern auch die Wärme zurückgekommen war. Meine Erinnerungen an den Neunzigerjahre-Vetiver sind nicht mehr sehr detailliert, aber ich habe das Gefühl, dass die Re-Reformulierung ihm sehr nahe kommt. Seit Jahren ist Guerlains Vetiver mein „Fastimmergeher“ und neben Equipage und Gomma mein Signatureduft.

Heute bin ich entgegen meiner Prinzipien das Risiko eines Blindkaufs eingegangen und habe festgestellt, dass es sich lohnen kann, Prinzipien auch mal zu brechen: Miller Harris finde ich schon seit längerem interessant, aber mangels lokaler Bezugsquellen (dabei lebe ich in München!), konnte ich nur wenige der Düfte testen. Da Vetiverdüfte bei mir meistens ganz gut funktionieren, habe ich heute die Gelegenheit genutzt, mir mit Vetiver Insolent meinen ersten Duft von Miller Harris zuzulegen. Da ich Düfte als Gesamtkunstwerk betrachte, finde ich es schön, wenn auch Flakon, Verpackung und Name meinem Geschmack entsprechen. Die klassisch edlen Verpackungen und Flakons mit stilisierten Blüten- und Pflanzenabbildungen von Miller Harris sprechen mich sehr an. Der Name “Vetiver Insolent“ lässt mich hingegen etwas ratlos zurück: Was an diesem Vetiver frech sein soll, erschließt sich mir ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Das Vetiver hat eine wunderbare buttrige und nussige Weichheit, wie ich sie auch schon bei Givenchys Vetyver gerochen habe. Frech ist höchstens das Kardamom, das immer wieder hervorblitzt und einem die Zunge rausstreckt, wenn man nicht hinsieht. Diese Frechheit ist aber definitiv von der sympathischen Sorte. Ich meine auch einen Hauch Anis und Fenchel riechen zu können, weshalb mich der Duft auch an Lakritz erinnert, aber definitiv keiner von der gourmandigen Sorte. Diese Gewürze sind es auch, die mich an das tolle Yohji Homme erinnern, dem leider nur ein kurzes Dasein vergönnt war. Ich bin gespannt, wie sich Vetiver Insolent im Alltag bewährt, aber mein erster Eindruck stimmt mich sehr optimistisch.

Nachtrag: Nun hatte ich die Gelegenheit, Vetiver Insolent im Alltag zu testen und bin nach wie vor von dessen Qualität überzeugt. Sillage und Haltbarkeit sind allerdings eher mittelmäßig, was wohl typisch für Miller Harris-Düfte sei, wie mir eine Mitarbeiterin der Parfümerie Brückner Bublitz erklärte. Eine Kollegin, die ich gegen Abend nach Münchner Art gebusselt habe, hat mich gleich auf meinen tollen Duft angesprochen.

Vor einigen Jahren habe ich mir Theseus bei Lorenzo Villoresi in Florenz gekauft und habe das erste Mal bedauert, einen Duft nicht lange genug getestet zu haben. Der Auftakt ist wunderbar, aber der Drydown erinnert mich unweigerlich an Jil Sander Sun Men, das wohl einzige Parfum auf dieser Welt, bei dem mir übel wird. Düfte,
deren Name und Thema an die Antike angelehnt sind, finde ich grundsätzlich interessant und nur sehr selten werde ich enttäuscht. Bei Theseus ist dies leider so, auch wenn ich mir wünschte, ich würde ihn mögen. Theseus ist komplexer, elaborierter und hochwertiger als Jil Sanders Wässerchen für Heranwachsende, was mich leider nicht über die olfaktorische Verwandtschaft in dieser einen Note hinwegtrösten kann. Beide verfügen über eine für mich unangenehme Süße, die ich allerdings nicht auf eine konkrete Duftnote zurückführen kann. Für den fast vollen Flakon hatte ich einen zunächst dankbaren Abnehmer gefunden, der aber mittlerweile ebenfalls genervt ist. Nach der Theseus-Enttäuschung habe ich mich mit Villoresis Piper Nigrum und Spezie eingedeckt, die ich schon Jahre auf dem Radar hatte und mich wieder meinen Frieden mit Villoresi schließen ließen.

Anfang der 2000er Jahre habe ich dieses Meisterwerk entweder in der 2017 leider geschlossenen Parfümerie Ostendorf oder in der Stadtparfümerie Pieper in Münster entdeckt. Ja, Gomma erinnert definitiv an Gummi und eine Autowerkstatt, aber an eine, die sich auf die Wartung und Pflege wertvoller Oldtimer spezialisiert hat. Neben dem Gummi riecht man das hochwertige Leder von Autositzen, wahrscheinlich die eines Cabrios, deren Duft sich im Laufe vieler Jahre auf eine angenehme Dezenz reduziert hat. Klasse, Hochwertigkeit und eine subtile Tiefe zeichnen Gomma aus, daher ist Gomma einer meiner Allrounder. Nichts für den Hochsommer, aber hervorragend für alle anderen Jahreszeiten. Nach Etros Duftphilosophie soll Gomma stärkend wirken. Auch wenn diese Philosophie vielleicht eher dem Marketing als wissenschaftlichen Studien entspringt, so nehme ich diesen Duft immer gerne, wenn ich weiß, dass ein Termin mit einem anspruchsvollen Kunden ansteht. Geschadet hat mir Gomma zumindest noch nicht. Gomma ist leider nur sehr selten in den Etroregalen der Parfümerien zu finden, aber wer Knize Ten und Co. schätzt, sollte sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.