Intersport

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Intersport vor 3 Jahren 7 3
Vetiver a la Romana
Vetiver ist eine zutieft französische Sache: Proust spricht schon gefuehlt auf Seite 3 davon, die komplexe koloniale Vergangenheit Frankreichs in Haiti und La Reunion (Bourbon-Vetiver) und die Anektode dass Guerlain bereits im 19 Jdh Vetiver Wässerchen nach Mexico als Mosquitoschutz verschifft hat, ebenso. Später dann die Klassiker von Givenchy und Guerlain. Jacques Flori hat es mit seiner Version fuer Etro geschafft das ganze in einen Italo Kontext zu verschieben, zu einem Zeitpunkt als Vetiver noch nicht zurück auf dem Spielfeld war, wie seit den 00'er Jahren. Vielleicht durch die Kombination mit Salbei und anderen aromatischen Kraeutern, einer möglichen Referenz zu medizinischen Gärten der Renaissance. Als ich vor ein paar Jahren Paolo Rumiz' empfehlenswertes Buch zur Via Appia gelesen habe, musste ich, neben Eduard Flechier's superben Vendetta pour Homme immer wieder auch zu Etro's Vetiver greifen. Ich beziehe mich auf die Eau de Cologne Version, die im Vergleich zum aktuellen Eau de Toilette weniger zitrisch startet. Vielleicht das 'römischte' aller Vetiver's.
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Intersport vor 3 Jahren 13 4
L'Innommable, Beckett, 1953
Kreuzkümmel, Bockshornklee, und Immortelle werden wohl für immer dazu verdammt sein in 'westlichen' Foren auf Curry, ‘Indisches’ Kochen und subkontinentale Lebensmittelgeschäfte simplifiziert zu werden. Ich frage mich ob in entsprechenden Foren in Indien/Bangladesh, etc. Jicky et al. auch in einem Atemzug mit Coq Au Vin und Rosmarinkartoffel erwähnt werden?!

L'Innommable - nach einem Beckett Stück benannt (?!), warum nicht - und eindeutiger Ableger von Bourreau des Fleurs (2017), ist einer von Lutens ausgeprägtesten Immortelle / Helichrysum / Strohblumen Parfums, das mit seinen Kreuzkümmel, Benzoe, Nelken und Sandelholz Anteilen tatsächlich Erinnerungen an Gewürzmischungen hervorruft - spezifisch, an die Komplexität des japanischen 'Indira' Curry Powder: vordergründig vertraut anmutend doch, auf Grund zahlreicher Zutaten, inklusive unerwarteter, wie Orangenzeste, komplexer, exotisch und opulent.

L'Innommable funktioniert ähnlich, auch hier ist mehr am werken als angegeben. Als Sables (1985) Fan werde ich immer, wenn jemand von 'Curry' bei Parfums spricht, hellhörig, es könnte sich ja um eine versteckte Immortelle handeln. Wer dieser Note nichts abgewinnen kann wird bei L'Innommable schnell das Weite suchen, auch hat Lutens mit Arabie (2000), Chêne (2004) oder Le Participe Passé (2018) bereits Düfte mit einer spektral breiter eingebundenen Immortelle Note vorgestellt, hier wird diese umso reduzierter ins Licht gesetzt. Bockshornklee-artiges und Kreuzkümmel, eine zu benennende dunkel-florale Note mit Nelken-wuerzigen-Aspekten stehen im Vordergrund, und unterhalb der Benzoe Note schlummert eine leicht süsse und verhalten bittere Note eines Immortelle Absolut, und ich ganz spät im Ausklang vermute ich auch die von Sheldrake erst kürzlich mit Rauque (2023) verwendete Ambrarome Basis - das ganze erinnert leicht an einen der ganz frühen Lutens’ Santal de Mysore (1991), wenngleich hier balsamischer. Warum so ein special interest Duft als Auftakt des ‘gratte ciel’ repackaging gewählt wurde und der damit verbundenen Preisentwicklung, die wie ein retirement plan für Lutens anmutet - ist merkwürdig, dennoch, L’Innommable ist einer der schönsten neueren Lutens.

(edit 02/2024)
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Intersport vor 3 Jahren 13 7
Vétiver détourné
Als ich im Frühjahr 2007 auf einem dieser speziellen Metallsessel, die halb Stuhl, halb abstrahierter Lounge Chair vor dem Brunnen im Palais Royal an meinem Handdrücken wie Plotter gerochen habe wunderte ich mich: wo ist das Vetiver - weiter habe ich dem Duft nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, die Vetiver Note erschien mir einfach zu obskur. Ich habe das Jahr zuvor mit 'systematischen' Vétiver Tests verbracht - meine Favoriten bis zu diesem Zeitpunkt, die üblichen Verdächtigen: Route Du Vétiver, Goutal's Vetiver Eau de Toilette, Etro aber auch Sycomore Eau de Toilette und Vétiver Extraordinaire - allesamt mit einer sehr deutlichen und direkten Vetiver Note.

Ein paar Jahre später wollte ich es nochmal wissen, da inzwischen einige dieser eingestellt oder verformuliert wurden (Sycomore EDT -> EDP, Goutal Vetiver EDT -> EDC, Maitre in das 120-ml-Dilemma…) und mir die 00'er Jahre als „goldenen Ära" erschienen, in der - vielleicht ausgehend von Vétiver Extraordinaire, das die Hardcore-Veröffentlichungen der 80er Jahre wie Route de Vétiver oder Goutal's Vetiver aufgriff, diese zutiefst klassische Zutat neu verhandelte; Vétiver Oriental wurde 2002 veröffentlicht, sein einzigartiges Merkmal ist, dass das Vetiver die meiste Zeit verborgen ist und immer wieder in die Wahrnehmung hinein- und herausschwingt. Wahrscheinlich das beste (und einzige?) indirekte Vetiver-Parfüm. Fast so, als ob alle anderen Komponenten mit einem halbtransparenten Vetiverfilm überzogen wären, der einen ausreichenden osmotischen Austausch erlaubt aber letztendlich einen oszillierenden, nie recht zu fassenden Vetiver Filter darstellt. Hat eine Weile gedauert bis ich das so verstanden habe aber sobald dies passiert ist, ist es durch und durch und durch Vetiver.

Der Duft ist auch eine interessante Lutens Veröffentlichung aus einer Zeit, als SL vermehrt auf weichere Einzelkomponenten setzte; Chêne oder Borneo 1834 befinden sich in einer gewissen Nähe zu Vétiver Oriental, die Patchouli-Kakao & Grünzeug Kombination wurde ein paar Jahre später in L'Instant pour Homme EDP und Coromandel EDT an die grosse Glocke gehängt, und es ist auch nicht ganz ohne Vorgänger: hin und wieder muss ich an Maitre's Santal Noble denken.

Vétiver Oriental funktioniert in kalten Jahreszeiten bestens, und vielleicht ist die Balance, Vetiver vs. Rest, auch auf Stoff einen Tick ausgewogener. Bis jetzt konnte ich auch keine nennenswerten Unterschiede (bis auf die Farbe) zwischen meiner Palais Royal Logo 50 ml Flasche und der aktuellen Version feststellen.
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Intersport vor 3 Jahren 26 7
Out of time
Héritage ist eines der drei Parfums, neben Égoïste und Féminité du bois deren 1) Markteinführung ich als Teenager mitbekommen habe, 2) die immer noch produziert werden und die 3) ich seitdem in verwende. Héritage hatte ich '92/'93 zum ersten Mal und es erschien mir bereits damals als etwas komplett aus der Zeit gefallenes, aus einer anderen Dekade ja Epoche. Diese konsequente Un-Zeitgenössigkeit beeindruckt mich immer noch. Die Verbindungen zu Jicky, Habit Rouge und Samsara, aber auch der mögliche Einfluss den Héritage auf L'Instant pour l'homme ein Jahrzehnt später hatte ist jetzt vielleicht offensichtlicher - genauso, wie die stocksteife Werbefotografie (Mann im Ballon der durch einen privat Louvre mit Salonhängung fährt) vielleicht nicht zum erwuenschten Erfolg geführt hat - ein paar Jahre danach hat sich Jean-Paul Guerlain mit Coriolan zeitlich genauer festgelegt: 5. Jahrhundert vor Christus… Ich greife immer noch gerne zu Héritage, es ist feinstrukturiert, facettenreich im Detail und unglaublich komfortabel, nur Helmut Lang's erstes Eau de Cologne kommt dem nahe. Mit seinen um die 25 Zutaten auch ein perfektes Antidot zu der umgreifenden Sparsamkeit von Inhalten und Interpretationen von 'less is more'. Ein Freund hat den Duft vor ein paar Monaten als 'Garam Masala' kommentiert, ich war überrascht, hatte ich die Verbindung von Héritage zu subkontinentaler Kulinarik nicht so gesehen, aber das Bild funktioniert. Aromatik, Ausgewogenheit, Tiefe, Liebe zum Detail und Referenzen zu einer umfangreichen Historie. Jean-Paul Guerlain's letztes grosses Herrenparfum, absolut top!
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Intersport vor 4 Jahren 25 5
Lutens' Labdanum*

La Couche du Diable ist Lutens' bemerkenswerte Interpretation von Labdanum*. Man könnte sich durchaus fragen, warum erst jetzt, passt die Cistrose, von der dieser komplexe Riechstoff stammt, doch gut in das SL Beuteschema. Eine Pflanze mit harzig duftenden, klebrigen Blättern, und langer kulturhistorischer Bedeutung, bis in die Pharaonenzeit; ein Gewächs das auf kargsten Böden gedeiht, und dabei Hitze, wie tiefsten Temperaturen bei Nacht, und heftigsten Regenschauern trotzt. Das extrem harzige, trockene, leicht gummi artige, wie in den anderen Kommentaren treffend erwähnt, spiegelt sich vielleicht auch im Namen wieder. Couche kann, neben allen anderen Wortspielen, wie oft bei Lutens, auch ganz einfach der 'Anstrich' oder 'Schicht' gelesen werden.

Die Kombination von trockener Harzigkeit, Hitze und Fruchtigkeit erweckt vague Erinnerungen an andere Lutens': Arabie oder Fille en Anguille. Diese Assoziation mit älteren Lutens Parfums wirft fuer mich Fragen auf: Seit gut fast 30 Jahren produziert Lutens mit Sheldrake eine Anzahl von polarisierenden und immer noch viel diskutierten Parfums wie kaum andere. Vielleicht ist es auch gerade deshalb, dass Diskussionen von neueren Lutens' oft Bemerkungen wie 'Lutens von früher', 'old style Serge', etc. erwähnen. Das ist bemerkenswert, eine Sichtweise ist, die bei Diskussionen um andere Häusern kaum vorkommt. Ich habe zumindest noch nie von Guerlain von früher, oder dergleichen gelesen. Und welches 'früher' ist gemeint? Richtungswechsel gab es bei Lutens immer wieder. Angefangen von den vielen 'Bois' Variationen, weiter zu deziediert nordafrikanischen, ortientalischen Kulturraeumen, oder ausgeprochen französischen Themen, wie Eiche, Vetiver, Lavdendel und Thymian, etc. Bei neueren Parfums wie L'Innomnable, Le participe passé sowie eben auch La Couche du Diable, musste ich, bei aller Vorsicht mit solchen Nostalgien aber dann doch gleich ein ein paar Serge Features denken, ich mir bekannt sind.

La Couche präsentiert die Vorstufe von Labdanum ähnlich wie 'Fille' Pinie - eine Inszenierung der harzigen Qualitäten die nur in den heißesten Klimata zur Geltung kommen. Alle die schon mal Cistrosen 'in natura' erlebt haben, werden schnell daran erinnert. Bei aller Harzigkeit und der Erwähnung von 'Fille' ist La Couche du Diable kein suesser Duft. Das Opening ist sogar regelrecht sauer und erinnert mich wie Bergamotte zum Teil eingesetzt werden kann - z.B. wie in Comme des Garçons 'Tar' oder auch in Helmut Lang's 'Cuiron'. Bei 'La Couche' wird diese gewöhnungsbedürftige Säure jedoch intensiviert und in ein eher geschmackliches Feld verschoben, mehr Vitamin C auf der Zunge als was Zitrisches in der Nase. Ist man erstmal durch diese Phase, in der ich auch einen Tick von etwas Immortelleartigen vermute (eine Zutat die in letzter Zeit bei Lutens, wenn auch nicht offiziell, oft verwendet wird), entwickelt sich der Duft in einen der schönsten Labdanum drydowns die ich kenne: Gewuerze, noch mehr Harziges, die besagten trockenden Früchte; eine gewisse ähnlich zu Comme des Garçons SKAI schimmert durch, wobei 'La Couche' verzerrter und tiefschichtiger wirkt. Alles in allem ein sehr tolles, eigenwilliges Parfum, das durchaus das Zeug dazu hat, in ein paar Jahren genau so alleinstehend und außergewöhnlich darzustehen, wie ein paar der intensiven 'Lutens von früher'…

* es müsste Lutens' Zistrose heissen: der Duft portraitiert die umprozessierten Sektionen der Pflanze und nicht das daraus gewonnene Labdanum. Lutens' Labdanum, ist, wenn auch komplexer, Ambre Sultan.
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