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Intersport vor 4 Monaten 23 14
Eau(x) Noire(s) - Mir hat geträumt…
Einen Kommentar zu Eau Noire zu verfassen hätte ich mir nie geträumt, viel Informatives ist zu diesem Dior Neo-Klassiker gesagt worden, noch dazu fristete Eau Noire für Jahre ein regelrechtes Schattendasein: zeitweise nur in Frankreich (besser ganz zentralistisch Paris, genauer gesagt Avenue Montaigne) auf Nachfrage im Geschäft, quasi unter der Ladentheke zu haben, dann zeitweise wieder nur im franz. Onlineshop, usw. - kurz, es war zwar zu finden, aber nicht offensichtlich. Das sollte sich mit der Bestellung von Francis Kurkdjian, dem ehemaligen Eau Noire Schöpfer, als neuer Hausparfümeur chez Dior ändern. Eau Noire ist, wenn auch eher als Marketing Strategie (it's LVMH), wieder da und diesmal auch vorläufig ‘voll' im Programm, en France und everywhere.

Dabei hatte Eau Noire ursprünglich eine äusserst originelle, ja amüsante Raison d'être. Noch bevor Dior zum Rundumschlag mit der Privée Reihe ansetzte und keinen Stein un-umgedreht lies, auf den sich Monsieur Dior irgendwann mal hingesetzt, angelehnt oder ausgeruht hat, einen Duft zu widmen, erschienen mit Einstellung des Modedesigners Hedi Slimane drei Düfte, damals noch ganz Amerikanismus als Cologne gekennzeichnet, von denen das außergewöhnlichste Eau Noire war. Hedi, so wurde dieser zitiert, hatte den Duft bereits in seiner Jugend erträumt, also ihm ist das Parfum im Traum passiert, passiv, so wie Karl Valentin oder den vielen Beispielen von künstlerischer Intuition via Trauminduktion, der Traum als produktiver Bewusstseinszustand, seit frühesten schamanistischen Ritualen bis zur Vermessung der Sinne und Kartierung Unterbewussten im 19.JhD, Hedi, ja kam die Komposition von Eau Noire im Schlaf, Francis musste das ganze dann umsetzten oder besser: deuten.

Die Traumdeutung ist auf alle Fälle gelungen, Eau Noire war Duft mit Charakter, weit markanter als das zeitgleich erschienene Cologne Blanche oder das populäre Bois d'Argent, und es war vor allem der erste Designerduft seit Goutal's Immortelle Ode Sables (1985) der sich derart unverblümt dieser Zutat widmete. Auch vermute ich das letzteres weit mehr Einfluss auf Eau Noire hatte als die Träumerei, waren die Düfte von derartig spezialisierten Autor:Innen-Parfum Häusern, wie Annick Goutal, in der Modebranche mit ihren Wertschätzungen von Kunsthandwerklichem, savon-faire, etc., höher angesehen, als etwa Düfte der Designer-Konkurrenz. Dabei war Eau Noire immer schon mehr facettenreich abgedunkelter Lavendel mit Bouquet Garni Dekor und Lakritz/Immortelle Rahmung als reinrassiges Immortellen Eau.

Dennoch, als das französische Nez Magazin 2022 ein kleines, ganz der Immortelle gewidmetes Heftchen veröffentlichte, war ich besonders auf die Rubrik 'Genealogie' gespannt - eine, je nach Autor:In ordentlich recherchierte chronologische Übersicht einer 'Zutat’. Nun war die Immortellen Genealogie für mich eher lückenhaften, ja beinahe schon schlampig. Dass ausgerechnet Eau Noire darin nicht vorkam, verwunderte obendrein, aber auf Rückfrage bei Kurkdjian wie bei Dior, wurde ein aktives Mitwirken der Immortelle bei Eau Noire angeblich verneint. Ja, richtig gelesen: Eau Noire, Immortelle, mais non! So schnell kann’s gehen.

Natürlich gibt es Möglichkeiten eine Immortelle Note auch ohne natürliche Immortelle Auszüge zu bauen, aber, so kommt es mir vor, wird auch hier mit mit vermeintlichen Notenangaben seitens des Herstellers (nachträglich?) am Narrativ eines Duftes geschliffen. Auch wenn unter LVMH sogar das ehemalige nonchalance Haus Givenchy mit Immortelle Tribal (2015) kurzzeitig einen zur Belanglosigkeit entkernten “Immortelle Duft” im Programm hatte - in die Dior Welt passt die eigenwillige Note wohl z.Z. derart wenig, dass dieser Neo Lavendel Klassiker ganz und gar ohne damit auskommen muss.

Ein paar Monate nach Veröffentlichung des Heftchens erschien dann, erst zusammen in einem Set mit Cologne Blanche und Bois d'Argent, Eau Noire wieder im Dior Portfolio - quasi als Reminiszenz zu Kurkdjian Einstellung. Auch wenn es im Pressetext hiess, gerade Eau Noire sei hier wieder in seiner ursprünglichen Figur zu finden, handelt es sich hier wohl um die am weitesten von der Ursprungsversion entfernte Fassung.

Vorbei ist die Zeit des beigemischten grünen Farbstoffs (kosmetisches greenwashing?) der dem Duft schon rein optisch eine gewisse Dunkelheit verlieh, vorbei sind aber auch die Zeiten einer klaren Immortelle Note. Diese wurde hier abgeschwächt, mehr in Richtung Lakritze oder besser nicht voll verarbeitetes Süßholz verschoben (Ellena’s Brin de Réglisse (2007) lässt grüssen) und der Duft erscheint besonders in den ersten Stunden luftiger, transparenter, aber auch glatter. Eine effektive und leicht künstliche Trockenheitsnote, wie sie mir auch stärker in Le Couvent’s Sperone (2023), oder noch stärker in Ganymede Extrait (2023) begegnet ist, klärt das ehemals dunkle Eau Noire spürbar auf. Freilich, Eau Noire bei Dior ist weder Couvent’sches Landschaftsidyll noch Bisch’sche Effekthascherei, zum Glück verflüchtigt diese Note und mit Zeit nähert sich Eau Noire wieder dem Profil früherer Versionen an, nur insgesamt glatter. Aber vielleicht ist es ja genau das was das Gross der mittelmässigen Umformulierungen ausmacht: der Duft wird in seiner Gesamtheit durchaus erkannt, das ist auch hier der Fall, aber es bleibt dabei: the devil is in the details… Diese sind, dank Dior’s Angabe der ‘Formulierung Nummer’ auch recht einfach zu erkennen - neben der ursprünglichen ‘Cologne’, ironischerweise die kräftigste Variante, kenne ich zumindest zwei Eau de Parfum Fassungen, die sich farblich wie geruchlich leicht unterscheiden, dabei aber immer noch näher am Erstling waren, als der 2023 Jahrgang. Vorerst, so scheint es, bleibt die Gestalt des alten Eau Noire ein Traum.
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Intersport vor 4 Monaten 22 13
Blandness º Fadeur / Tee º Rauch
‘Name ist Schall und Rauch’: bei Parfums ja keine Neuigkeit, auch gut so, fallen doch eine Menge Veröffentlichungen ein, die in Komposition ihrem Titel quasi widersprechen, oder mit dem Namen auf falsche Fährte locken (wollen), je nach Blickwinkel. Arquiste, die vom ehemaligen Architectural Preservation Studenten Carlos Huber gegründete Marke, verschrieb sich dabei ganz auf eine zum Teil ‘belegbare’ Historie, die den jeweiligen Düften als Ausgangspunkt dient. Den Grossteil des Portfolios konnte Huber mit den Givaudan Parfumeuren Rodrigo Flores-Roux und Yann Vasnier umsetzten. Dieser boys-club wurde nun durch Calice Becker erweitert, vielleicht nicht zuletzt wegen Becker’s ‘olfactory preservation’ mit den Neuauflagen (1990) zweier Balmain Klassiker. Vielleicht.

Indigo Smoke, also Indigo Rauch, bzw. indigo-farbener Rauch könnte, auch mit der Nennung einer Lapsang souchong Note und wie immer bei Arquiste, dem historischen Motif zur Genese der Tee-Räucherung, auf einen mehr oder weniger rauchigen Duft schliessen lassen. Doch schon lange hat mich kein Titel mehr derart an der Nase herumgeführt wie dieser, Indigo Smoke.

Ein rauchiger Teeduft, wie Lapsang vermuten lassen könnte ist Indigo Smoke nicht. Ein bläulicher, oder besser indigo-farbener Duft (der Beiname Indigo wird oft und gerne verwendet, allein die Datenbank hier zählt locker über 100 Einträge, eine Trendfarbe…), was auch immer das sein kann, ist Indigo Smoke auch nicht - wie Indigopflanzen duften oder ob diese beim Verbrennen den Rauch tatsächlich Indigo-bläulich färben, bleibt fraglich. Für mich ein Glück, rauchiges per se ist weit von meinen Notenfavoriten entfernt, auch wenn immer wieder scheinbar neue Rekorde was Räucheraromen angeht aufgestellt werden, bei Teedüften konnten mich bisher nur Comme des Garçons’ Tea (2001) mit seiner teer-artigen Pflaster Note, oder Artisan’s exzentrisches Durcheinander in Cœur de Vétiver Sacré (2010) längerfristig begeistern. Dennoch, hier war ich gespannt, Arquiste hatte immer wieder Überdurchschnittliches dabei.

Der heimliche Star, oder die zentrale Nebenrolle bei Indigo Smoke ist ein Aprikosen Akkord, der dabei nie total im Mittelpunkt steht. Zu sehr wird dieser von den anderen Inhaltsstoffen moduliert bzw. moduliert dieser den Rest: der Aprikosen Akkord - bereits in dieser Wortwahl schwingt eine gewisse Ambiguität mit, ist nicht ein-eindeutig einer frischen oder reifen oder unreifen oder getrockneten, usw. Aprikose zuzuordnen, was es umso interessanter macht. Die Aprikose als zentrale Nebenrolle kenne ich in ähnlicher Funktion etwa aus Serge Lutens’ / Christopher Sheldrake’s El Attarine (2008): Aprikose, Cumin, Mandarine, Gewürze; oder aktueller Marc-Antoine Corticchiato’s Immortelle Corse (2019): Aprikose + Immortelle. Der Aprikosen Akkord aus Indigo Smoke ist kühler und dabei bitterer, was anfangs noch von einer Bitterorangen/Mandarinen Note unterstützt wird, und später von einer dezenten Schwarztee Note: trocken, nicht-geräuchert, ja leicht, eher junger Darjeeling als kräftigere Vertreter, und mehr Geruch als Geschmack). Diese (tee)blättrige Trockenheit bietet ein Gegengewicht zur Steinfruchtnote, beides an sich, Frucht und Tee kann ja schnell mal kitschig werden. Hier kommt eine zweite Facette ins Spiel, Heu-artiges, was vermutlich dem verwendeten Coumarin geschuldet bzw. seitens Arquiste - wenn auch geografisch eher ungeeignet - als Mate Tee Note vermerkt ist, die ja wiederum Heu-ähnlich erscheinen können. Die Dosierung und auch die Schattierung ist gut gewählt, so strahlend grün wie etwa in Villoresi’s prudigen Sud Yerbamate (2001) ist Indigo Smoke nie, der Coumarin/Heu/Mate Faktor ist hier stark eingetrocknet und farblich näher zu den grau-braun-schwarz Tönen diverser Teeblätter. Das könnte in dieser Form auch möglicher Teil der Neuen-Europäischen-Bukolischen Düfte sein - doch hier ist alles staubiger. Überhaupt erscheint Textur von Indigo Smoke recht feinkörnig granular - viele der Noten ahne ich nur in spurenelement-grossen Potenzen auszumachen, immer wieder blitzen Facetten kurzzeitig auf, unsüsse Vanille in kleinsten Mengen, Zimtschale, ein Tropfen kühles Vétiver, etwas Guaiac - nur explizit rauchiger Lapsang Tee bleibt bis zum Ende ein Gespenst. Indigo Smoke ist Texturenduft par excellence, dessen konkrete Eckpunkte, Profile und Stimmen immer wieder verschwommen erscheinen.

2004 veröffentlichte der französische Philosoph und Sinologe François Jullien 'Eloge de la fadeur'. Im Vorwort zur englischen Version ‘In Praise of Blandness’, spricht die Übersetzerin von der Schwierigkeit ein angemessenes englisches Equivalent zu 'fadeur' zu finden. Gewählt wurde 'blandness', wobei der deutsche Begriff 'Fadheit' es nicht so recht treffen will. Fadeur und blandness umschreiben einen Zustand der Abwesenheit von spezifischen, definierenden, gestaltgebenden, oder herausstechenden Qualitäten - was wie Jullien zeigt, nicht zwingend fad sein muss. Das Buch beleuchtet die Ursprünge dieser 'Nicht-Qualitäten' u.a. in Daoistischen and Konfuzianischen Traditionen China’s und wie sich diese auf Dichtung, Malerei, Ästhetik, usw. auswirkten. Auch wenn Jullien nicht direkt ins Gustatorische ausschweift, fallen mir spezielle Lebensmittel/Gerichte ein, Teil chinesischer Speisefolgen, die gerade auf Grund ihrer Textur und dem Gefühl das sie im Gaumen erzeugen geschätzt werden, mehr als wegen eines besonderen Geschmacks.

Dass eine Anmerkung zu diesem Thema es nicht in Arquiste’s Bibliografie geschafft hat ist schade, aber in der Parfumindustrie, wo Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale ja stets zelebriert werden, auch verständlich. Natürlich ist Indigo Smoke nicht Parfum-gewordene-blandness, dazu ist die Marke zu amerikanisch und Calice Becker zu französisch, aber es ist ein leiser, feiner Duft der mit seiner stets amorphen Textur mehr Aura ist als raumeinnehmendes Statement. Fast erinnert dieser Stil etwas an Artisan Parfumeur Düfte der frühen 2000’er Jahre, oder erste Ausgaben der Comme des Garçons parfums parfums Serien. Liebhaber*Innen kräftigerer Parfums wie sie immer mehr in Mode gekommen sind könnten mit Indigo Smoke über/unterfordert sein. Manchmal ertappe ich mich auch und wünschte mir hier ein paar deutlichere Farbstriche, bevor alles wieder in ein atmosphärisches, aber schwer zu packendes Nebulöses zerfällt.

Interessanterweise veröffentlichte Olfactive Studio mit Smoky Soul (2023) dieses Jahr zur gleichen Thematik. Auch hier wurde, bei den ersten öffentlichen Präsentationen noch von Lapsang Souchong Tee gesprochen. Ein Foto der ikonographischen Teefelder aus Fujian dient als visuelle Referenz. So demonstrativ rauchig wie getrocknete Lapsang Blätter ist Smoky Soul auch nicht. Hier wurde mittlerweile, eventuell um Unterschiede nochmal zu betonen auf Ceylon Tee, also Tee, der auf der Insel Sri Lanka angebaut wird, umgestellt. Ich will gar nicht wissen was in Frankreich mit einem passiert, wenn ein Wein aus dem Bordeaux auf einmal mit einer Referenz aus dem Burgund zusammengewürfelt wurde - für Céline Verleure sind derartige geografische Flexibilitäten anscheinend weniger problematisch. Das von Marc-Antoine Corticchiato entworfene Smoky Soul ist dabei etwas unmittelbarer, insgesamt dunkler, etwas rauchiger, und Osmanthus-lastiger (siehe auch Osmanthus Interdite (2007)) als Indigo Smoke, vielleicht ist es eher Duft der direkt die mit Osmanthus versehene Tees huldigen möchte? Neben diesem wirkt Indigo Smoke wie ein Dunstschleier vs den kräftigeren Konturen von Smoky Soul. Passt auch besser zu Olfactive Studio, in ein paar Momenten muss ich hier an das ausgezeichnete, exzentrische Chypre Shot, (2018) denken, das ebenfalls mit Tee/Frucht Kombinationen flirtete, eine Veröffentlichung bei der scheinbar, die von Olfactive Studio praktizierten 3-er-Konstellationen Kollegen Duchaufour zu Bestform auflaufen liess.

So unterschiedlich Smoky Soul und Indigo Smoke auch auf den ersten Blick sind, phasenweise nähern sie sich im Verlauf dann doch an, da gibt es zu viele Überschneidungen von Aprikose und Osmanthus, und eben auch in den Tee Profilen - so gänzlich geräuchert erscheint mir weder das eine oder andere. Die feinere und insgesamt offenere Textur bleibt dennoch eine Besonderheit von Indigo Smoke; eine tolle Erweiterung im Arquiste’schen Portfolio. Letztendlich also doch blandness als einprägsame Charakteristik? Fadeur als Name kann ich mir dafür gut vorstellen. Mit besten Dank an Parma für die Unterstützung!
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Intersport vor 5 Monaten 15 11
irresponsible restoration at its best!
"…the small woody chypre nucleus that Vacher had originally sneaked in gave me the opportunity of opposing this almost numbing floral heart to an elegant Parisian chypre chicness. The result could have been a bit uptight. It was then, almost by accident, that I added a marine accord, overdosing a floralozone-cetonal duo, that did the trick. The woody iris like qualities of cetonal, allowed it to replace the traditional role that methyl ionones play in elegant chypre floral structures. Its ambergris qualities also hinted at the opportunity of spotlighting more of the animalic character, so a healthy heap of indol and lactoscatone were added. Lastly, in order to maintain the lush, wet freshness on top, a rather bitter “gardenia leaf” note made its presence, with a touch of grapefruit peel tanginess. I’d call Le Galion Jasmin a bit overreaching and hyper present, “irresponsible” restoration at its BEST. For its fans, it’s like catnip to cats!“.“

– Rodrigo Flores-Roux, cited from: Le Galion Jasmin (Rodrigo Flores-Roux) 2020+ Behind the Bottle with Rodrigo Flores-Roux, ÇaFleureBon, 10 March 2021. https://tinyurl.com/4w2aerc8

Dieses zugegeben lange und zum Teil technische Zitat aus einem noch längeren statement von Rodrigo Flores-Roux, ausgehend von dessen ganz persönlicher, quasi teen-age Beziehung/Begegnung mit Le Galion's ursprünglichen Jasmin (1937) ist es was mich letztendlich auf den Duft sehr neugierig gemacht hat - und hier wird von einer Facette gesprochen die seitens des Hauses mittlerweile nicht mehr so in den Vordergrund gehoben wird, doch die ganz klar die Besonderheiten von Jasmin anspricht.

Der Duft könnte schnell als leicht nostalgischer Weißblütler abgetan werden, ein Jasmin, das sich an einem historischen Jasmin orientiert, noch dazu von Paul Vacher, und obendrein von Le Galion, eine Marke die sich eh gerne mal in Glanz und Gloria vergangener Dekaden schwelgt. Und ja, im Ausklang erscheint Jasmin, gerade auf Stoff am Tag darauf, wunderbar antiquiert, vertraut, eingelebt. Auch ich muss hier an Pullis oder Schals von Tanten vor Jahrzehnten denken die eine floral-chypreartige Aura von grossen ‘Signature scents’ vergangener Dekaden umwehte, die damals noch nicht so hiessen, wo ein durchgehender Winter oder Sommer Duft, der sich dann eben auch in der Garderobe festsetzte, vielleicht häufiger vorkam, als beim mono-signaturlosen Pack (wie mir) von heute… genug geschwelgt, denn Jasmin ist eben mehr als eine makellose aber nostalgische Konstruktion: das besondere, ich stimme Flores-Roux voll zu, ist ein salzig, maritimer Faktor der zusammen mit der grandiosen Mischung aus zweier Jasmin Noten UND Narzissen, die ich ähnlich deutlich wie den namensgebenden Jasmin wahrnehme, etwas modernes, ja kühl akribisches hat, was den Duft in den ersten Stunden jegliche Gestrigkeit nimmt.

Gischt nannte Le Galion zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Detail, ein treffendes Bild, dabei atemberaubend erfrischend wie wirksam. Trotz dieser Bezeichnung, ins Aquatische triftet Jasmin natürlich nie, dazu ist die Verblendung einfach zu fein, und diese Note an sich auch zu dezent, vielmehr arbeitet alles dem Jasmin/Narzissen Gespann zu.

Mit Florabellio (2015) hatte Diptyque bereits einen leicht maritimen Weißblütler im Programm, insgesamt weniger detailliert. Als weit engerer verwandter Vorbote hingegen könnte Arquiste’s Boutonnière N° 7 (2012) dienen, ebenfalls von Flores-Roux, das eine ähnliche Kühle und Klarheit ausstrahlt wie Jasmin - wenn auch in kompakteren Dimensionen und dabei betont herber. Beide, Jasmin und Boutonnière N° 7 machen sich gut als festliche Düfte, serious fun, Protokoll, Sitzordnung, kurz Antidot zu allen Spielarten gourmand’scher Kunst, auf den ersten Eindruck wirken sie derart streng, dass sie leicht als altbacken abgetan werden könnten, nur sind da doch wieder so viele Details am Werk die verdeutlichen, da hat sich jemand viel Mühe gemacht eben nicht nur einen anständigen Retroduft zu entwerfen, oder eine dufthistorisch korrekte Restaurantion zu schaffen, sondern tatsächlich ein Quäntchen Neues - wie in diesem Fall 'Gischt' einzuschleichen, irresponsible, wie der Parfumeur sagt. In der Stimmung sollte man aber dann doch sein, Jasmin ist kein Duft für’s Gym - auch wenn er in Abschnitten ganz dezent menschelnd riecht, Jasmin ist auch nichts beim sundowner am Strand oder auf einer alpinen Klettertour - und dachte ich bisher dass ich meinen Jasmin eher grün/ gestrüppig mag, so war Jasmin mich eine der überraschensten Entdeckungen 2023.
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Intersport vor 5 Monaten 16 12
Mon Schrebergarten Calone©
Nomenclature, ein Ableger der Marke Aedes de Venustas, verschrieb sich zumindest mit den ersten, abgefüllt in Erlenmeyerkolben inspirierte Flakons, und der etwas bemüht technischen Verwendung eines _ Symbols zwischen den Namens_Silben, den häufig eingesetzten und zum Teil von den grossen Riechstoffherstellern entwickelten synthetischen Bauteilen, wie hier, Calone.

Calone, hier sehe ich schon rollende Augen, innere Reaktionen wie 'da bin ich raus', Calone dieses ungewöhnliche und im Grunde ja gänzlich nicht-natürliche, und gerne - sobald in zu exzentrischen Proportionen inszenierte - nervige Material, das zwei Jahrzehnte schlummern musste um erst in den 80'er Jahren als Maiglöckchen-Akzenuator erst langsam aber dann als scheinbar unaufhaltsame Welle von aquatischen Düften geprägt und viele davon auch wohl erst so ermöglicht hat, ja genau dieses Calone soll ganz im Zentrum von fluo_ral stehen.

Auch wenn 'Molekül Düfte' seit Helmut Lang's Velviona (2001) keine Besonderheit sind, und 2015 gewiss kein Novum, so spreche ich den New Yorkern zumindest eine kleine Dosis Chuzpe aus, gerade diesen Riechstoff ins Zentrum zu stellen. Obendrein ist Nathalie Feisthauer eine Autorin, die mit Must de Cartier Pour Homme (2000) zugänglich-raffiniertes und mit Series 6 Synthetic, Tar und Soda (2004) eigenwilliges entworfen hat.

Nun ist die Diskrepanz wie vermeintliche Riechstoffe zu riechen haben (denke hier an etwaige Ambroxan-Derivate, Iso-E oder Cashmeran Meinungen) und in 'real life' also quasi im chemisch-sozialen Zusammenspiel mit anderen Bausteinen, bzw. in Verdünnung und Kontext, durchaus erheblich - und genau das macht sich fluo_ral zu Nutzen, wer hier süssliches, abgestandenes Nass, oder artifiziell-melonenartiges erwartet, wird ordentlich an der Nase herumgeführt - fluo_ral ist von figurativer Aquatik so weit entfernt wie New York vom Mittelmeer, vielmehr scheint mir als wollte Mme Feisthauer vielleicht nochmal die frühesten Einsätze von Calone verweisen, wo mit der Akzentuierung von Maiglöckchen Noten die heimischen Auen, Gärten und Grünflächen im Blick waren. fluo_ral, ist eher ein englischer oder mitteleuropäischer Gemüsegarten, im späten Frühling, alles dreht sich hier um Rhabarber und Tomatenblatt, knackig, transparent, unverwechselbar, mit einem Hauch Cassis Knospen nochmals aufgefrischt und angesäuert.

Das pairing dieses Obst/Gemüse Dreierpack erscheint fast schon selbstverständlich, aber macht fluo_ral vielleicht auch einen Tick leichter und durchsichtiger als andere Rhabarber Düfte. Um mehr oder weniger im Haus zu bleiben, Aedes de Venustas' Signature (2012) von Duchaufour diente sicherlich als Referenz, da Rhabarber schon mal als favorisierte Note der Aedes Gründer erwähnt wurde. Den Neuheits-Bonus des ebenfalls von Duchaufour gestalteten, monothematischen, milchigeren Rhubarb (2003) aus Comme des Garçons Series 5: Sherbet hat fluo_ral sicherlich nicht mehr. Auch kann ich kaum Unterschiede der eigentlichen Rhabarber Note wahrnehmen und weiss nicht ob es nun Riechstoffe gibt die etwa an britischen Rhabarber Variation, deutschsprachigen, oder sonstigen orientiert sind, Rhabarber bleibt aber scheinbar etwas, das neben Duchaufour auch Parfumeure wie Landi (barocker), oder Laudamiel (realistischer bzw. abstrakter) mehrfach ins Zentrum ihrer Arbeiten gerückt haben.

Aber wie steht es nun um das Calone, dem fluo_ral schliesslich gewidmet ist? Auf der Haut, keine Spur davon, Fans könnten sich um den Riechstoff betrogen fühlen, aber am Tag darauf auf dem Papier Blotter zeigt es sich schliesslich doch noch, in Umrissen und auch nur in entsprechend reduzierter Intensität mit all seinen künstlichen Facetten, die ja wiederum ins ursprüngliche Konzept der Reihe passen. Auf das erwähnte _ Symbol verzichtet die Marke zwischenzeitlich, auch scheinen die neueren Veröffentlichungen in konventionelleren Flakons abgefüllt.
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Intersport vor 5 Monaten 16 11
də ʒwa / də bwa (Nachts an der Kreuzung II)
Als Nicht-Muttersprachler tue ich mir leicht zu behaupten dass Fils de Joie [fis də ʒwa] und Miel de Bois [mjɛl də bwa] (2005) zum Teil phonetische Gemeinsamkeiten aufweisen, noch dazu ist 'bois' bzw. 'de bois' Lutens'sches Grundvokalbular seit erster Stunde, aber bei Fils de Joie, kam mir immer wieder das mittlerweile eingestellte Miel de Bois in den Sinn.

Dabei ist auf den ersten Blick alles anders: bei Fils de Joie dreht sich viel um den sog. Nachtblühenden Jasmin (Cestrum nocturnum) engl. auch gerne, wenn auch nicht exklusiv, 'Lady of the Night' bezeichnet (was wiederum anderes anspielen mag was unter Fils de Joie auch verstanden werden könnte), eine Pflanze die aus ein paar Metern Entfernung auch optisch Jasmin Spezies ähnelt, noch dazu einen ähnlich betörenden Duft besitzen, der dann aber doch etwas wuchtiger, süsslicher daherkommt - zumindest so bei den mir vertrauten Stauden.

Mit dieser gefühlten Jasmin Verwandtschaft knüpft Fils de Joie intern an À la nuit (2000) und Sarrasins (2007) an, Lutens arbeitete oft in Dreier-Gruppen (etwa Encens et Lavande (1996), Gris Clair (2006/2019), Fourreau noir (2009) bei Lavendel, oder Santal de Mysore (1997), Santal Blanc (2001), Santal majuscule (2012) bei Sandel sowie v.a.m.). À la nuit's Besonderheit war dessen Jasmin Cuvée: eine Mischung dreier Extrakte unterschiedlicher Sorten, vom marokkanischen, ägyptischen und indischen, plus Grünzeug, Gewürze und leichten Honig: Auch wenn die Firma Lutens seit einiger Zeit - scheinbar um die Dinge zu vereinfachen - hier nur noch von Jasmin spricht; bis vor kurzem waren auch in der hier schon mal zu zwanghaft folgsam und zu kurzsichtig aktualisierten Datenbank diese Details vermerkt.

Bei genauerer Betrachtung scheint Fils de Joie aber mehr eine Kreuzung hausinterner Spezies zu sein als formale Komplettierung einer Trilogie: minimal indolische Jasmin Schattierungen werden hier mit der säuerlich animalischen Honignote aus Miel de Bois konfrontiert. Dem Auftakt könnte ich eine kurzlebige Kampfer-Nelken Nuancen unterstellen, eine weitere Sheldrake Spezialität wie sie z.B. bei Tuberose Criminelle (1998) ausgespielt wurde, doch muss dieses mehr oder weniger unmittelbar einer recht realistischen Nachtblühenden Jasmin Note weichen, welche sich sukzessiv mit einem Honigakkord ringen wird. Die Kombination klingt vielleicht fast schon too much - und ist es wohl auch, dabei aber irgendwie in sich stimmig. Das gute alte Miel de Bois wirkt im Vergleich nahezu zurückhaltend, formal, ja anständig - neuere Honig/Wachs lastige Düfte wie Bois Lumière (2014) oder Bee (2019) haben freilich wesentlich mehr Wumms, dennoch bleibt Miel de Bois ein Duft der mich wegen seiner Dualität von minimal anzüglichen Honig und akkurater, trockener Holznoten angesprochen hat.

Die eigentliche Transformation dieser nocturnen Honig Konstruktion ist in Folge den Moschus Noten geschuldet, die hier maximal funktional sind - bestimmt nicht mehr Waschküche aber auch noch nicht ganz verwegen - die kleinen aber potenten Blüten des Cestrum nocturnum werden kaleidoskopisch multipliziert, es scheint kein Ende in Sicht, die Honignote quellt über, Genussvermehrung oder Übermaß, der Moschus bauscht diese Facetten auf, und selbst wenn sich Fils de Joie nach Stunden in etwas mehr Hautnähe gewandelt hat - wirklich hautnah ist der Duft nie - die Ausdauer ist furchteinflößend - anders gesagt: ich komme mit einem Spritzer s e h r lange aus…

Das gestrüppige À la nuit oder das trocken-süss-säuerliche Miel de Bois bleiben die interessanteren Düfte - vor allem im Kontext/Zeitpunkt der jeweiligen Veröffentlichung; die nächtliche Kreuzung, də ʒw / də bwa ist dennoch eine geglückte Karambolage.
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