Lilue

Ich bin in einem Garten, ein wenig verwildert, aber immer noch schön, einfach ästhetisch seinem natürlichen Wuchs überlassen. Ich genieße kurz den atemberaubenden Anblick von violettem Zauber und erahne nur flüchtig ein sanftes Geplätscher hinter mir, als ich unsanft - nicht brutal, aber doch sehr bestimmt und ein wenig gegen meinen Willen - kopfüber in den Fliederbusch gedrückt werde. Kurz fühle ich mich der Natur angenehm nah, so authentisch und echt riecht die Blume vor mir, fast ein wenig Frida Kahlo-esk erstreckt sich der Flieder zu allen Seiten um meinen Kopf herum. Aber ebenso wie Frida Kahlos Blick bei genauem Hinsehen streng auf einen sinkt, so gewinnt auch der wunderschöne Flieder eine beißende Strenge und nach nur kurzer Zeit kitzeln die kleinen Fliederblüten unangenehm in meiner Nase und ich fühle die Pollen förmlich meinen Hals hinunterkrätzeln.
Vergessen sind die schönen Orangenbäume und Rosensträucher, kurzzeitig weht vielleicht ein Hauch des Jasmins zu mir und viel zu weit weg ist das wunderschöne Geplätscher der weichen Mandelmilchquelle.

Schade. Der Besuch im Garten hätte definitiv mehr Freude gemacht, hätte ich in der Mitte stehen, die gesamte Blütenpracht betrachten und mich zwischendurch an der Mandelmilch laben dürfen, denn dann hätte ich den flüchtigen Flieder bei jeder Brise lächelnd und fasziniert wahrgenommen und hätte mich in Glückselig geträumt. So bleibt das ganze leider bei einem einmaligen Besuch.

Dieser Duft ist Liebe, Wärme, Heimat, Trost. Der Duft sind Wurzeln und Flügel.
Dieser Duft ist ihn zu kaufen und in den Schrank zu stellen, wenn man weg ist von zu Hause und Mama vermisst.
Der Duft riecht nicht nur nach Rose, er riecht auch nach ihren Blättern und der Erde aus der sie wächst. Sie riecht sogar ein wenig nach ihren Dornen.
Ich kann aus diesem Parfum beim besten Willen keine Nuancen heraus riechen, meine Wahrnehmung ist viel zu sehr beeinträchtigt durch Erinnerungen, Emotionen, eine gesamte Kindheit. Egal wie gut er für mich riechen mag, ich werde ihn nie selbst tragen können und ich weiß und fürchte, es wird der Tag kommen, an dem mir der Anblick dieses Flakons und eine vorbeiwehende Brise einer Dame im besten Alter, chic gekleidet, rundliches Gesicht, freundliches Lächeln, aber eben nicht Mama einen unfassbaren Schmerz bereiten wird, dessen Angst ich schon jetzt immer Mal wieder an Tagen nah am Wasser verspüre, wenn Mama ihn trägt.

Monatelang bin ich um diese Reihe herumschwadroniert in jedem Geschäft, das auch nur annähernd Düfte geboten hat und habe jedes Mal eine andere Frucht und ein anderes Kräuter aus dem unerschöpflichen Garten Guerlains getestet und war so fasziniert von diesen einfachen, reinen, dennoch intensiven und natürlichen Düften.
Wenig später durfte ich als Geschenk das Limon Verde in meinen Händen halten und habe es im Sommer sehr sehr gerne genutzt - vorerst. Mit der Zeit hat sich der Limettenduft für mich aber zu einer unliebsamen Hausreiniger-Erfahrung verwandelt, ob es an der Kombination des Parfums und meiner Haut lag oder einfach an meiner Nase, ich weiß es nicht, aber ich nutze ihn überhaupt nicht mehr gerne und wünschte ich hätte zu einer bitteren Grapefruit oder Mandarinen mit Basilikum oder ähnlichen Freuden gegriffen, die nicht ganz so zitrisch daher kommen.

Der Flakon macht sich allerdings noch immer wunderschön auf der Kommode und ist ein echter Hingucker und wer weiß, vielleicht wird er irgendwann von einem mit einer dezent anderen Farbe abgelöst.

Das Erlebnis, dass ein Parfum auf der eigenen Haut nicht ganz so gut riecht und sich unschöner entwickelt als auf dem Papierstreifen oder noch gestern an der Freundin ist uns vermutlich allen sehr gut bekannt - und jedes Mal einfach nur traurig.

Hier durfte ich exakt das Gegenteil erfahren. So gesprüht roch es mir zu süß, zu schwer, zu vanillig, gleichzeitig nach Teenager und alter Oma. Nachdem ich es aber auf meine Haut gesprüht habe, war ich wirklich verzaubert. Als hätte ich mit Kleopatra persönlich ein Milchbad genommen, angereichert mit schönsten Blüten und goldenen Ölen. In einem Moment habe ich die Umarmung meiner Mutter gespürt und gleichzeitig die Mutter in mir erwachen, die ihren Kindern warme Milch mit Honig bereitet und keine zwei Sekunden später hatte ich das Gefühl seit meiner Geburt nicht so rein und sauber gewesen zu sein.

Ich muss gestehen, auch wenn es eher ein Duft für kalte Tage ist, ich hab ihn auch bei 35 Grad im Sommerurlaub in der Türkei getragen, wenn es passt, passt es einfach und was soll ich sagen, ich war verliebt. Mittlerweile darf er mich eher von Herbst bis kalten Frühling beglücken und von außen nach innen wärmen und ich kann ihn für alle wahren Parfumverrückten, die sich auch beim Zubettgehen mit Düften kleiden, nach einer warmen Dusche eine gute Stunde vor der Schlafenszeit empfehlen, egal ob man sich das Bett mit der besseren Hälfte oder dem eigenen Ganzen teilt.