Louce

Louce

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11 - 15 von 132
Louce vor 11 Jahren 4
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft
Ein guter Anfang
Wenn man Ellenas „L´Eau d´Hiver“ schon ein Weilchen trägt, sich die Hände mit einer zitronigen Seife wäscht und sie danach mit einem Tupfer Nivea eincremt… dann dürfte man nach „Absolue Pour le Matin“ riechen. Ein sauberer, charmanter und softer Duft, der ein Gefühl von Gepflegtheit, Aufgeräumtheit und Ausgeglichenheit gibt. Reinheit ohne seifige Quietschsauberkeit und Cremigkeit ohne Schmierigkeit. Dazu ein freundlicher, süßlicher Hauch von hellen Blüten. Sehr körpernah und hautschmeichelnd.
Da diese Prozedur zeitaufwendig, kostspielig und nur sehr kurzfristig wirkend ist, war Francis Kurkdjian so nett, APlM zu machen.

Den häufig in Meinungen zu APlM erwähnten Nivea-Duft kann ich gut ausmachen, bereits zu Beginn, kurz nachdem Nerolifrische und eine schlanke Zitronenzestenbitterkeit dominieren.
Er kommt gemeinsam mit etwas fahlgrünem Kräuterigen auf. Getrockneter, nicht frischer Thymian mit einer leicht salzigen, Estragon-artigen Säure beschreibt dieses hellbräunliche Kräutergrün ganz gut.
Das „Nivea-Modul“ aufrufende Cremige geht ab der Duftmitte einen Schritt Richtung Pudrigkeit, kommt dort aber nie an. Der Irisakkord bleibt genau in der Mitte von Creme und Puder, unentscheidbar das eine oder andere und gleichzeitig beides, jeweils nicht ausgeprägt.
Die Blumigkeit vermag ich nicht in einzelne Blumenaspekte aufzuspalten: Es ist eine leicht erwärmte weißliche, mehr in der Nähe von Freesie mit entgrüntem Maiglöckchen; das aufgezählte Veilchen erkenne ich nur mit Mühe.
Die Nähe zu „L´Eau d´Hiver“ wird nicht ersichtlich durch den Vergleich der beiden Duftpyramiden. Außer zwei Noten, Bergamotte und Iris, scheinen die zwei Parfums keine Gemeinsamkeit zu haben. Und doch riecht da etwas nah verwandt. Es ist diese Art von Cremigkeit, die verhaltene Blütigkeit und das enorm Weiche, das beide verbindet, wobei APlM etwas kühler bleibt und weniger naturalistisch wirkt.

APlM rüttelt nicht wach – es erfrischt nicht schockartig und gibt kein Geduscht-Gefühl mit Zitro-Splash und kalter Klarheit, aber es bleibt lange frisch und vermittelt ein junges, munteres Morgengefühl, das - sehr mit dem Namen übereinstimmend - fit macht für einen neu angebrochenen Tag.
Dabei ist das Parfum aber nicht so blutleer und energiearm, wie das oft einhergeht mit sanften Sauberdüftchen. Der schmale Krautkick, eine leiser Anklang von etwas Rauchig-Salzigem und ein wärmer werdend ambrierter, lang anhaltender Schlusston machen aus ihm einen komplexen Duft, der stundenlang begleitet ohne dabei zu langweilen. Dieses Morgengefühl hat Kraft und ein wenig Temperament unter all der gepflegten Sortiertheit.
Der Amber am Ende ist nicht besonders amberig, eher eine der vielen Ambrox-Varianten für die Basis, die ein leicht dunstig wirkendes Abflauen bis zur Ununterscheidbarkeit mit hautigem Körpergeruch bringt.

Ein schmiegsamer, weicher aber mit seiner Weichheit nicht belastender und Schwere bringender Duft. Ein klarer Unisex-Fall, gut haltbar und mit bemerkbarer, aber nie aufdringlicher Sillage.
Leicht, frisch, beweglich, cremepudrig und hell. Anregung ohne Aufregung, Komplexität ohne Kompliziertheit.
Sehr morgendlich und wach.
4 Antworten
Louce vor 11 Jahren 15
5
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft
"Reizend..." und "Reizend!"
Man stelle sich eine gnadenlos sexy von Hals bis Fuß in Leder gekleidete Frau vor: Stiefel mit Extremabsatz, Ledermini und eng geschnürtes Korsett, lange Handschuhe. Alles schwarz. Komplett kinky und extrafrivol. Unter ihren dunkel geschminkten Lidern mit langen, dichten Wimpern heraus blickt sie halb fordernd, halb fragend und der eine Mundwinkel der knallroten Lippen deutet leicht zuckend ein Grinsen an.
So.
Leser und Leserin haben diese Fetischtraumfrau vor Augen?
Gut.
Jetzt wird dieser Text zur Duftrezension von Chambre Noire:
Diese aufregende, atemraubende, anstandslos viel verheißende Lederfrau packt nun nämlich nicht Peitsche, Seil und Gurte aus…
… sie lässt stattdessen eine gehaltlos-nette Kuschelrock-CD laufen, muckelt sich in ein warmes, weiches Bettchen mit hell-lila Bettwäsche, schmiegt sich lächelnd in die Kissen und streckt ihre behandschuhten Arme einladend zum Knuddeln entgegen. Mit ihr wird es jetzt den schönsten, zärtlichsten, innigsten und sanftesten Blümchensex geben.

So ist dieser Duft: Ein ungeheuer attraktives Leder, weich und verlockend, mit dunkler Tiefe zur Berührung verführend. Ein Versprechen von Lust, Spannung und Grenzgang. Und gleichzeitig ein ungemein kuscheliges, veilchenbeseeltes Pflaumenfrüchtchen und drumherum süße Unbedarftheit, Lächellaune und warme Aufgehobenheit.

Der Kopfnotenpfeffer bringt keine aufregende Schärfe, sondern ist mehr wie schwarzer Pfeffer wird, wenn er gemahlen sehr lange herum steht. Das, was in Restaurants manchmal aus dem Tischstreuer kommt: gedämpft, grau, matt-pfeffrig, nicht sehr klar und kantig.
Die Ledernote entwickelt sich nicht in langsamen, kleinen Schrittchen, sondern ist gleich da: Am Anfang frischer und heller wirkend und dann bis zum Drydown stark nachdunkelnd. Sie ist exzeptionell fein, weich, anschmiegsam – die Poren dieses Leders scheinen noch zu atmen. Es gibt begleitende Noten, die das Leder noch ein wenig erotischer machen: Jasmin, der überhaupt nicht blumig zum Tragen kommt, sondern einen hauchfeinen indolischen Akzent gibt und ein hintergründiger Weihrauch der rötlich-braunen warm-orientalischen Sorte.
Jedoch diese Sexy-Leder-Linie bestimmt nicht allein den Duft von CN… schon nach kurzer Zeit gesellt sich zum edel-samtigen Lustleder eine so dermaßen liebe, hübsche und herzige Pflaume, dass aus dem packend-verführerisch-magnetischen Reiz ein entzückend-freundlicher, ja geradezu niedlicher wird. Sie hat einen unschuldig-blumig-pudrigen Veilchen-Aspekt und ist kein bisschen likörig. Diese Pflaume hat auch kein Potenzial zur Frucht-Rauchigkeit, ist nicht sehr dunkel, aber auch nicht obst-fruchtig oder natürlich anmutend. Vielmehr erinnert sie an Pflaumenkonfekt. Die kandierte Pflaumenidee passt immer besser, während der Duft sich weiter entwickelt: Er wird süßer und ab der späten Mitte kommt ein charmantes, warmsandiges Sandelholz auf, in das sich die Pflaumennote nahtlos einfügt. Die Balance wird aber (zum Glück!) gehalten denn CN driftet nicht in gourmandige Süße und Klebrigkeit ab. Das Leder bleibt vollledrig und über den ganzen Verlauf wird eine Trockenheit entgegengesetzt, die Formfestigkeit und Geradlinigkeit gibt, die dem Duft sehr gut tun. Und das sehr lange, denn CN hat Ausdauer.

Ein spannendes und reizvolles Parfum – allerdings sind Spannung und Reiz nicht prickelig erotisch umgesetzt, sondern entstehen aus dem Gleichgewicht von Leder und Pflaume.
Sinnlich ist das, aber gleichwohl sittsam.
Viel Gefühl.
Es passt zu gut gelaunten Tagen ohne Stress und gut gelaunten Nächten mit Kuschelsex.
15 Antworten
Louce vor 11 Jahren 8
5
Flakon
2.5
Sillage
2.5
Haltbarkeit
8
Duft
Schutz und Heilung
Das Fazit des Aël-Mat-Kommentars gleich zu Beginn: Das ist ein schützender, heilsamer Duft. Sein Name (bretonisch: „Schutzengel“) passt genau.
Er bewahrt vor Unbill und lässt gesund werden.
Er gibt körpernahe Aura und ein Gefühl von Aufgehobenheit, ohne zu beengen oder überfürsorglich duftend abzuschotten und einzulullen. Die Luft wird nicht dicht gemacht, es entsteht keine Schutz bietende Rüstung, vielmehr ist Aël-Mat luftdurchlässig offen und quasi von innen schützend.
Freier Atem und Aufrichtung.

Wie macht er das?
Wodurch entsteht dieses Gefühl von Schutz und Heilung?
Klar wirkt erstmal die präsente Kamille sehr gesund. Kamille wird nicht umsonst mit Linderung verbunden, wir kennen sie alle als Tee und Inhalationsessenz. Das Heilmittel kommt aber hier nicht unbedingt als Erkältungstherapeutikum. Der Kamillentee bleibt im Schrank; das, was hier duftet, ist die natürliche Pflanze, die in einer Dünenlandschaft im Wind steht. Die krautige, relativ niedrige Kamille, die nicht von alleine duftet, sondern deren Blütenstempel man zwischen den Fingern verreiben muss, um einen intensiven Duftflash zu bekommen.
Hier wächst sie in einem kühlen, frisch-lebendigem Küstenklima. Begleitet wird sie, betont am Anfang und später schwächer, aber immer noch deutlich, von Zitrischem, das den Duft leicht und hell wirken lässt. Keine volle Frucht, nirgends eine echte Zitrone, vielleicht Bergamotte mit einem Kölnisch-Wasser-Neroli und ein wenig Eisenkraut? Kühl, aber nicht kalt oder gar fröstelnd machend, sondern mild und leicht besonnt.
Die Idee des Küstenspaziergangs an einem dünigen Atlantikstrand ist verblüffend naturalistisch umgesetzt: Dünenkraut, leicht salziger Wind, Meeresbrise (ohne den minimalsten Hauch Aquatik) und Sonnenstrahlen, die etwas Wärme, aber keine Hitze bringen.
Hierfür hat die Kamillennote Unterstützung. Jasmin ist deutlich auszumachen als warmer, blumiger Anklang ohne jeden indolischen Aspekt, getrocknet und ruhig wirkend. Hintergründig lassen sich noch ein paar andere Aromen riechen: Ein ganzes Küstenfaunabouquet duftet mit der bestimmenden Kamille, ohne in der Pyramide genannt zu werden. Ginster? Calendula? Rosmarin? Strandhafer? Keine Ahnung, was da zusammen gemischt wurde… es riecht wie die Gesamtheit der tapfer wurzelnden Pflanzen auf locker-trockenem Sandboden, bevor der eigentliche Strand anfängt und der Wind Algen- und Tang-Luft bringt.
Der Sand selbst kommt auch auf in diesem Duft. Ganz verhalten lässt sich da etwas Trocken-Erdiges, leicht Staubig-Körniges ausmachen... der matte Basismoschus könnte daran mitwirken. Dieser Moschus hat vor allem die Aufgabe, das Ganze zu halten, ohne einen neuen, prägnanten eigenen Duft hinzu zu bringen. Aël-Mat bleibt hell, kräuterig, natürlich, ohne sich im Verlauf noch mal bedeutend zu ändern, wenn die Herznote sich voll entwickelt hat. Dementsprechend ist das auch ein leichter Duft mit dünner Projektion und geringer Haltbarkeit. Jede schwerere, intensivere Zutat würde den Eindruck gravierend verändern, stattdessen bleibt das Parfum bei seinem jasminig-kamilligen, lindernden und heilsamen Charakter für nur wenige Stunden (zwei bis vier) und bemüht nichts Holziges oder Harziges.

Ein schöner Duft für freies Atmen.
Für Schutz und eine natürlich wirkende Aufgehobenheit.
Wenn man ein wenig erkältet ist.
Wenn man völlig gesund ist.
Wenn man spazieren geht.
In der Stadt.
Im Wald.
Am Strand.
8 Antworten
Louce vor 11 Jahren 6
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
6
Duft
Edel-Bikini
Wurde ich in den Neunzigern und Anfangszweitausendern abgestumpft und überversorgt oder bin ich generell unempfänglich für das ganze Aquatik-Spektrum? Wenn ein Parfum „maritime Noten“ enthält, „Ozon“, „Ozeanfrische“ oder die Calone-Spielart „Melone“, ist es ganz sicher eines, das mir nicht gefällt. Meist ist es auch eines, das ich irgendwie „billig“ finde - jetzt nicht finanziell gedacht, sondern im Sinne von „beliebig“, „oberflächlich“, „einfach“.
„Aurore Nomade“ gefällt mir (erwartungsgemäß) nicht.
Aber es rangiert nicht unter der Rubrik „billig“, weder finanziell noch von der Machart her. Ganz und gar nicht billig… und ich denke, dass es für Leute, die mit Aquatik mehr anfangen können als ich, eine sehr reizvolle Duftalternative sein könnte für die häufig nichts sagenden und fahrlässig lieblosen Wässerchen, die sich ihnen, gerade im kommenden Sommer wieder aufdrängen wollen.

Der unmittelbare Start ist höchst charmant! Tropisch-fruchtig-frisch und mit ganz blasser Softsüße kommt da eine mir unbekannte Note - das, was sich in der Pyramide „Bananenblüte“ nennt, kann ich gut erkennen. Tatsächlich bananig. Allerdings nicht dicht, dick, mehlig, kohlenhydratig ultrasüß wie eine Bananenfrucht, sondern schwungvoll leicht und angenehm luftig hell-bananig. Dazu kommt etwas mit Organgensirup bekleckertes Säuerlich-Exotisches. Das dürfte wohl die Karambole (Sternfrucht) sein. Diese beiden reizenden Starter werden bereits nach kürzester Zeit um den Akquatikakkord ergänzt, der diesen Duft im weiteren Verlauf dominieren wird.
Es entwickelt sich ein Tropic-Cocktail mit deutlichem Calone-Touch (Calone aus der Melone-Gurken-Richtung). Dann kommen die Blumen hinzu.
Im hellen Gelb voller Blütensüße kann ich höchsten Ylang Ylang ausmachen, aber der Blumenakkord ist viel treffender als Gemisch von sonnigen Inselblumen zu beschreiben, ohne darin nach einzelnen typischen Aspekten zu forschen.
Hinter oder unter dem ganzen Gute-Laune-Urlaubs-Karibik-Feeling, das dieser Duft aufruft, ist ein leichter, aber typischer Duchaufour-Hauch zu riechen. Schon ab dem Anfang (da als schwache Ahnung), über die Mitte (als subtiler Impulsgeber) und bis zum Ende (da dann etwas deutlicher), ist da eine würzige, in eine gewisse Tiefe reichende, etwas schattig und trocken wirkende Linie, die ich mag und schmunzelnd „duchaufouresk“ nennen möchte. Rum, Zimt und Nelke ergeben wohl diesen hintergründig aufschimmernden Stempelabdruck des Parfumeurs.
In der Basis verklingt dann das Blumige, das Maritime dagegen hat weiterhin ordentlich Puste und wird gebettet in einem lange andauernden Schlusston, nur leicht dunkler als der bisherige Duft, etwas breiter und süßer mit einer schönen trockenen Betonung.

Dieses Parfum passt für mich nicht so recht in die „Collection Excessive“ und auch nicht zur „Different Company“. Und es ist viel zu calonig, um mir so richtig gut gefallen zu können.
Aber unzweifelhaft ist das ein wohl balancierter, gut gemachter Duft, der die heitere Unbeschwertheit der Stilrichtung fruchtig-exotisch-blumig-aquatisch auf eine anregende und (für die, die´s mögen) richtig vergnügliche Weise ausführt, die kein bisschen beliebig oder billig daher kommt. Deutlich eher weiblich als unisex, aber nicht für Mädchen auf Malle, sondern mehr für Luxus genießende, erwachsene Südsee-Insel-Urlauberinnen mit sorgloser, blendender Laune und einem aufwändig verzierten Cocktail am weißen Strand.
Wer also den Aquatik-Düften mehr zugeneigt ist als ich, sollte den auf jeden Fall mal testen.
6 Antworten
Louce vor 11 Jahren 10
8
Duft
Opoponaxpuder
Die „Italienische Nase“ nennt man sie. Laura Tonatto gilt als Italiens Star-Parfumeurin. Sie arbeitet bei diversen großen Häusern (L´Oreal, Armani,…), hat mit Rekreationen von angeblich aus dem 18. JH stammenden Klosterformeln maßgeblich zum Profil des Nischenlabels Carthusia beigetragen und unter eigenem Namen eine Kollektion mit einigen bemerkenswerten Düften auf dem Markt.
Chandler Burr vergleicht ihre Parfums mit Bildern von Rothko, Klee und Kandinsky und ich bin mir sicher, dass sie, sollte sie mal mit Jean-Claude Ellena bei irgendeinem Kongress eine gemeinsame Kaffeepause einlegen, sich blendend mit ihm verstehen würde. Die beiden würden leidenschaftlich fachsimpeln über den puristischen, aufs Minimum beschränkten Einsatz von Duftnoten, die am schönsten und wirkungsvollsten „nebeneinander stehen“ sollten, um in ihrer nur sacht vermittelten Bindung Bezug auf- und zueinander zu entwickeln. So einig sie sich wären, was Transparenz und größtmögliche Freiheit der Akkorde angeht, so unterschiedlich sind jedoch ihre Ausgangspositionen. Die Italienerin Tonatto und der „Grassois“ Ellena… ihre Parfumkunst kommt vom „typisch Italienischen“ her und seine vom „typisch Französischen“ - und beide haben sich ausgehend von ihren Wurzeln sehr weit und selbständig weg bewegt.

Einer von Laura Tonattos Düften für Carthusia ist „Ligea“.
Ligea, „die Helltönende“, eine der Sirenen, halb menschlich und zur anderen Hälfte, je nach Quelle, entweder Vogel oder Fisch, saß mit ihren Schwestern auf einem Meeresfelsen (eine Quelle nennt die Carthusia-Heimatinsel Capri) und trieb mit ihrem überirdisch schönen Gesang die vorbei schippernden Seeleute in Wahnsinn und Tod. Ein in vielen Kulturen immer wieder auftauchender Mythos (vgl. Lorelei), wo ein weibliches Naturwesen kulturell transzendent aktive (nämlich das Wasser befahrende) Männer vom Weg abbringt und an der Natur tödlich scheitern lässt. Klar ist das, was da verlocken und vom Weg der Kultur abbringen soll, eine Mischung aus Schönheit, Begierde und unwillkürlich, direkt wirkender Kunst.
Parfumerie und Musik sind sich sehr ähnlich in ihrer unvermittelten Wirkung… die Assoziationssphäre der Sirene Ligea für einen Duft aufzurufen ist also nicht nur wegen des Capri-Bezuges einleuchtend. Ich erwarte einen verführerischen, weiblichen, helltönenden und mystisch angehauchten Duft, der unmittelbar wirkt und eine abstrakte wie absolute Idee von Schönheit transportiert.
Ich erwarte nicht unbedingt Puder.

Tatsächlich ist Ligea aber ein ausgesprochener Puderduft.
Er ist auch gebührend verführerisch, weiblich, helltönend und mystisch angehaucht - aber das mit ganz viel Puder.
Neben dem dichten Puderstaub ist die stark ausgeprägte Linie von ordentlich viel Opoponax auffällig: Ligea ist ein Opoponax-Puder-Duft.
Opoponax wird in der Pyramide nicht aufgezählt, dennoch bin ich mir eigentlich recht sicher. Vielleicht verbirgt sich die Opoponaxnote hinter "somalischen Weihrauch"... natürlicher Opoponax kommt fast ausschließlich aus Somalia und entweder der Akkord wurde einfach mal "Weihrauch" genannt oder der somalische Weihrauch (Boswelia sacra), dem nachgesagt wird, er habe nicht den leisestesten zitrischen Hauch und keine Quasi-Schärfe, wie anderer Weihrauch, riecht sehr, sehr typisch opoponaxig. Auf jeden Fall finde ich meine Opoponaxvermutung so passend, dass ich bei dem Wort bleibe, denn egal, was verwendet wurde... es riecht einfach nach Opoponax.

Die Mandarine am Start ist, in den 10 Minuten, in denen sie vordergründig duftet, ausnehmend mandarinig. Hell-zitrisch, heiter und dabei süß und saftig, ohne die Herbheit und Säure von zitronigen Agrumennoten. Bald schon kommt der den Duft dominierende Opoponax.
Opoponax ist ein Harz, das auf eine sehr helle Art rauchig anmutet, ziemlich süß, ein wenig pudrig und würzig, ausnehmend naturhaft, sehr breit und sich ausdehnend anmutend. Er wird auch „die süße Myhrre“ genannt und hat neben dem Warm-Süßen und Harzigen eine ganz leichte florale Beinote, die oft mit Lavendel verglichen wird. In diesem Parfum wird das unmissverständlich betont, denn in der ersten Hälfte des Herz-Verlaufs ist dem Opoponax mit ziemlicher Sicherheit Lavendel zur Seite gestellt. Ganz überraschend bin ich in dieser Phase heftig an Jicky erinnert. Mandarine plus Lavendel scheint der Grund.
Diese Jicky-ähnliche Phase wird nach wenigen Minuten so stark bepudert, dass die Erinnerung immer undeutlicher wird, bis der nun lange andauernde Hauptcharakter von Ligea entwickelt ist: Opoponax und Puder.
Die in der Duftpyramide erwähnte Rose gesellt sich zum Lavendel und ergibt eine helle, florale Melodie, die den Puderopoponax während des weiteren Duftverlaufs begleitet. Sie ist nicht besonders rosig. Frisch, jung, hell, zartpink und nur halb aufgeblüht, eher heckenrosig, hat sie keinen typisch vollen oder gar reifen Rosencharakter.

Der Opoponaxakkord wird nun immer weiter reichend differenziert und auf allen in ihm steckenden Ebenen ausgeführt. Der Duft wirkt hell und darunter dunkel, ungemein klar und darunter opak, durchlässig und darunter dicht, leicht und darunter schwer, weich und gleichzeitig rau, süß und gleichzeitig leichtherb.
Wenn man Opoponax nachspüren und erfahren will, ist dies (auch wenn oben nicht aufgezählt) die ultimative Opoponaxlust. Schillernd, changierend, auslotend und die Vielfalt und Breite dieser Note auskostend, ohne dadurch jemals beliebig oder breit zu werden.
So wichtig der Puder hierbei ist, übernimmt er jedoch zu keiner Zeit das Zepter, sondern dient beflissen der Opoponaxlinie. Es ist kein Irispuder, sondern ein unbestimmter Dunst aus synthetischer Iriswurzel, Moschus und der leichten opoponaxeigenen Pudigkeit.

Sehr verführerisch, ohne eigentlich sexy zu sein. Sehr eigen, ohne mit Eigenheit herausfordernd zu sein. Sehr weiblich, sanftmütig, anmutig, ohne dadurch spannungslos und blutleer hold zu sein.
Ein schönes Lied singt sie da, die Sirene auf Capri.
Nicht wirklich ein Grund für die Riechenden, sich in die Wellen zu stürzen und zu ihren Füßen an den Felsen zerschmettert zu werden.
Eher ein Grund, sich von einem wunderschönen, bepuderten Opoponax gute Laune machen zu lassen und in diese reiche und softsinnliche Duftnote tief einzutauchen.
Eher sich versenken als versinken.
10 Antworten
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