Onfray

Onfray

Rezensionen
Onfray vor 3 Jahren 6 7
3
Flakon
6
Duft
Das Opfer meiner Nase oder der vielleicht größte Parfum-Fake der letzten Jahrzehnte
Vorweg: Liquid Karl ist der bisher einzige Duft, dem ich mich über seine Entstehungsgeschichte genähert habe.
Und das bei einem Designer-Duft im Billig-Segment. Wer hätte das gedacht.
Zugegeben, die Zusammenarbeit zwischen Karl Lagerfeld bzw. seinem Label und H&M im Jahr 2004 war schon etwas nicht ganz Alltägliches. Vielleicht ist das bereits der erste Grund, der diesen Duft für mich besonders macht.

Und da ich mich dem Duft so genähert habe, möchte ich auch in der Rezension diesen Weg beschreiten.

Zuerst begegnet ist das Parfum mir noch namenlos und leider nicht mehr völlig rekonstruierbar in einer der zahlreichen Interviews oder Talkshow-Auftritte von Karl Lagerfeld. Ich kann immernoch nicht genau fassen warum, aber irgendwie faszinieren, ja fesseln mich diese Gespräche, insbesondere die ab Anfang der 2000er Jahre, die nach der letzten großen äußerlichen Verwandlung. Viele werden es wohl wissen, aber trotzdem sei nochmal gesagt, dass es sich dabei vorwiegend um eine strikte Diät handelte, mit der sich um die 40 Kilo auflösten und die insgesamt Teil einer Art Metamorphose der Person war.
In einem der Gespräche ging es also – wie häufig – um das Thema Abnehmen, Schlankheit, die von Hedi Slimane bei Dior geprägte schmale, ja dünne, „figurbetonte“ Männermode, durch die „Slim Fit“ und „Skinny Fit“ die Ära der Baggy-Jeans ablösten.
Letztlich kondensierten viele der Gespräche natürlich in den Fragen „wie haben Sie das geschafft?“ und „wie halten Sie Ihr Gewicht?“. Unter verschiedensten Hinweisen auf den Arzt, die Ernährung, die geänderten Gewohnheiten wurde auch einmal gesagt, Karl Lagerfeld habe sich einen Duft kreieren lassen, der ihn satt mache. Als Duft- und nicht wirklich Diät-interessiertem ließ mich das natürlich aufhorchen. Leider war dies nur eine kurze Episode, aber der Gedanke und die Idee waren in meinem Kopf verankert.

Natürlich habe ich dann begonnen zu recherchieren. Ich konnte aber nicht wirklich etwas finden, was es mit diesem „Sättigungs-Duft“ auf sich haben sollte. Wahrscheinlich eine Spezialanfertigung von irgendeinem Parfümeur oder Aromatherapeuten. Zahlungskräftig war der Kunde ja…
Ich hakte das Thema ab, vergaß es aber nie so ganz.

Einige Jahre später fügten sich für mich dann aber ein paar weitere Puzzleteile zusammen, die mich näher an den geheimnisvollen Duft brachten. Die wichtigsten waren ein Buch und ein Interview aus dem Jahre 2004.

Das Interview fand 2004 bei Reinhold Beckmann statt. Es ist auch noch gut auf youtube zu finden. Auch hier geht es um die Diät und auch um die Frage nach dem Einfluss der Gerüche.
Zwei Sätze fallen dort. Zunächst von Beckmann: „Es gibt doch Momente, wo man den Hunger riechen kann“. Später von Lagerfeld: „Vorher war ich das Opfer meiner Nase“.

Hierzu muss man wissen, dass 2004 genau das Jahr war, in dem die Marke Lagerfeld für eine Saison eine Kooperation mit H&M einging. Über diese Kooperation habe ich dann im Buch „Merci Karl“ von Arnaud Maillard gelesen.

Hier heißt es an der entscheidenden Stelle:
„Um die Kollektion zu vervollständigen hat Karl auch einige Accessoires entworfen: Armreife, Ringe und Gürtel. Und dann ist da noch das Parfum. Der Couturier achtet auf kleine Feinheiten – so hat er darum gebeten, dass mit den Entwürfen auch eine Probe des Parfüms nach Stockholm (zu den Verantwortlichen von H&M) geschickt wird. Er hat den Duft vor einigen Monaten kreiert, und sein Codename lautet: „Liquid Karl“. Das Parfüm riecht nach warmem Brot und Schokolade, die Karl „lieber in der Nase als auf den Hüften“ hat. Die Schweden werden bestimmt schwach…und tatsächlich akzeptieren sie alle Accessoires und das Parfüm.“

Nach dem ansonsten zugegebenermaßen eher mäßig geschriebenen Buch war ich natürlich elektrisiert. Sollte es sich bei diesem „Liquid Karl“ etwa um den gesuchten „Sättigungs-Duft“ handeln?
Einen letzten Beweis habe ich dafür natürlich nicht, aber als ich mir das (mittlerweile rare und kaum noch zu bekommende) Parfüm hier bei Parfumo bei dem lieben Easyfish besorgen konnte (vielen Dank nochmal an dieser Stelle für den angenehmen Deal) und es zum ersten mal roch, passte für mich alles zusammen.

Liquid Karl riecht einzigartig. Ich habe bisher nichts vergleichbares gerochen. Ich rieche tatsächlich Brot. Getoastetes, dunkles Brot. Ich habe es direkt verglichen. Getoastetes Vollkornbrot hat einen erdig/modrigen Apekt. Den hat man bei Croissants oder hellem Brot nicht.

Schokolade rieche ich dagegen keine. Also keine süße Schokolade, wie man sie zum Beispi im Benzoe-Harz wahrnimmt. Einen Kakao-Aspekt gibt es schon, aber eher die Kakao-Bohne im puren und eher wenig genießbaren Zustand. Zum „Bäckerei-Geruch“ fehlt hier komplett die süße Fettigkeit. Folglich macht der Duft für mich auch keinen Hunger. Er ist eher eine Erinnerung daran, dass die Befriedigung des Heißhungers auch keine dauerhafte Glückseligkeit bedeutet.

Die Komponenten der Duftpyramide sind aber durchaus wahrnehmbar. Das Frangipani scheint hier für die leicht modrige Süße zu sorgen, die eben keine Zuckersüße ist.
Die Kombination aus Zeder und Eichenmoos in der Basis ist natürlich sehr bekannt und sollte den Duft vielleicht tragbar machen. Kurz gesagt halte ich das allerdings für gescheitert. Ich empfinde den Duft als untragbar. Daher spare ich mir hier auch jegliche Worte zur Performance.

Das Bild, das sich in meinem Kopf fügte, macht diesen Duft für mich jedoch um so spannender und lässt mich jubeln, ihn in meiner Sammlung zu wissen. Es könnte sich hierbei um einen Zweckduft für einen bekannten Modeschöpfer handeln, den er sich zunächst kreieren ließ, um sich ganz persönlich beim Abnehmen zu helfen. Ob er ihn selbst als Parfum oder eher als punktuellen Duftreiz verwendet hat, weiß man nicht, ich würde jedoch auf letzteres Tippen. Das Verblüffendste an der ganzen Geschichte ist aber, dass dieser Duft dann (eventuell mit ein paar kleinen Anpassungen aber im Kern wie gehabt) einem der damals erfolgreichsten Schwergewichte in der niederpreisigen Mode angeboten wurde und dass die Verantwortlichen diesen untragbaren Duft sofort angenommen und als Parfum auf den Markt gebracht haben.

Kommerziell erfolgreich scheint der Duft wie auch die gesamte kurze Saison der Kooperation Lagerfeld und H&M gewesen zu sein. Fortgesetzt wurde er aber wohl zu recht nicht, der vielleicht größte Parfum-Fake der letzten Jahrzehnte.
7 Antworten
Onfray vor 3 Jahren 8 5
2
Flakon
4
Sillage
6
Haltbarkeit
7.5
Duft
Keep It Simple
In den letzten Jahren hat sich ja einiges getan in Sachen (Nischen) Parfums. Vorbei sind die Zeiten, in denen neben den „Standards“ der Modemarken außer in schwer zugänglichen Keller-Boutiken nichts zu finden war. Sogar in Drogerien steht mittlerweile ein breites Sortiment an Marken abseits der Modelabels, manchmal sogar auf Düfte spezialisierte Marken. Diesen Trend möchte ich an dieser Stelle nicht bewerten (Vielfalt, Markenverwirrung großer Kosmetikkonzerne, Einheit in der Nische etc.), das Forum ist da der richtige Platz.

Diese Einleitung war mir aber für die Rezension dieses Colognes besonders wichtig, denn:
Aufgrund oben beschriebener Entwicklung gibt es im gehobenen Preissegment ja mittlerweile ungeahnte Auswahl. Dabei ist von Schrott über künstlerischen Anspruch bis zu wunderschönen Kompositionen alles dabei. Um so spannender finde ich es immer wieder Produkte zu entdecken, die außerhalb dieses „Zirkus“ stehen und trotzdem überzeugen.

Wer das The Ambre Bergamotte online sucht, landet nicht etwa bei ALZD oder bei den großen mittlerweile auch viel Nische führenden Anbietern, sondern bei Carrefour oder der Nouvelle Epicerie.
Bei „Kunden suchten auch“ erscheint nicht das neueste Frapin, Malle, Amouage. Nein, bei mir erscheinen Toilettenpapier, Einmalrasierklingen und das Aftershave in der Preisklasse bis 2€.
Der Fairness halber muss ich an dieser Stelle aber erwähnen, dass ich auf diesen Duft natürlich nur aufmerksam geworden bin, da ihn offiziell Aliénor Massenet kreiert hat. Und da ich mich nicht nur im Supermarkt mit Parfum eindecke, ist sie mir natürlich auch von anderen Düften, wie zum Beispiel Replica - Jazz Club, bereits wohl bekannt.

Das Cologne selbst überzeugt zunächst mal durch seinen Preis. 6 – 10 € für 250 ml ist denke ich in Ordnung. Gerade hier bin ich fast stolz auf diese Flasche vor mir: Wir Deutschen, immer preisbewusst, manche würden sagen geizig. Aber bei Parfum, und dann noch Nische, da gilt doch günstig = billig = schlecht. Wirklich?
Für mich haben wir hier ein hervorragendes Beispiel, dass gute Düfte nicht teuer sein müssen. Und es ist eigentlich so einfach: Keep it simple!

Natürlich haben wir hier kein kompositorisches Wunder vor uns und auch die sogenannte „Performance“ ist nicht atemberaubend (Obwohl ich von der Haltbarkeit für ein Cologne wirklich positiv überrascht bin). Aber in diesem Fall lässt sich ganz einfach sagen: Dann nimm halt mehr. Tut ja nicht weh.
Der Duft selbst ist grundsolide und simpel schön. Er enthält (und ich sage bewusst nicht „startet mit“, denn Entwicklung naja ihr ahnt es schon…) eine Orange, die tatsächlich sehr fruchtig daher kommt, aber nie ins bonbonartige abdriftet. Hier vermute ich bereits die geschulte Hand von Frau Massenet: Mit der Verwendung eines Orange Blossom Absolute ist es hier nicht getan, sondern es steckt eine Komposition dahinter, die die Orange in eine süße Richtung bringt, ohne Säure und nur einer sehr dezenten Bitterkeit. Diese Süße harmoniert für mich sehr schön mit der Teenote. Der Zusatz „roter Tee“ in den Noten ist sehr wichtig. Ich nehme eine mir bisher selten vorgekommene Note war, die in die Rooibusch-Richtung geht. Der manchmal etwas ätherisch an Jasmin erinnernde Einschlag vieler anderer Tee-Düfte fehlt hier völlig. Die Basis ist, wie der Name bereits sagt, eine Amber-Note, die nicht spektakulär aber weich und schmeichelnd ist.

Gerade jetzt wo die Tage (endlich!!) warm werden ist dieser Duft für mich wunderschön um bei einer leichten Briese durch den Tag zu kommen und von Blumen, Früchten und unbeschwerten Urlaubszeiten zu träumen. Er ist absolut unisex-tauglich, auch wenn alle, die noch an der strengen Einteilung hängen, ihn aufgrund der blumigen Aspekte wohl eher Richtung weiblich schieben würden. Und vor allem gibt er mir noch ein anderes, lange nicht mehr gekanntes Gefühl: Es macht echt Spaß, sich morgens ein wenig seines Colognes in die Hand zu schütten (ein Zerstäuber ist nicht dabei) und es sich großzügig überall hinzuklatschen. Also statt dezentem Sprühen quasi ein „sich wälzen“ im Duft.
Für alle, die die Nische abseits der Nischenindustrie suchen, sicher eine Bestellung wert.
5 Antworten
Onfray vor 3 Jahren 13 1
7
Flakon
7
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft
Abstrakte Kokosnuss
Gerade jetzt ist die Zeit diesen Duft zu tragen und gerade jetzt ist auch die Zeit eine Rezension dazu zu schreiben. Denn Jazz Club ist der ultimative Wohlfühlduft für Zeiten, in denen das wechselhafte Wetter dafür sorgt, dass man immer falsch angezogen ist.

Wenn man im Überschwang des Frühlings-Erwartens die schöne, leichte Jacke übergeworfen hat und sich nach langem Zögern sogar für einen leichten Schal entschieden hat, obwohl doch alle Winterklamotten schon in den Schrank wandern sollten. Betritt man dann so bekleidet die Straße, beeilen sich die im Wind dahinrasenden Regenwolken natürlich schnell die Sonne abzuschirmen. Es beginnt zu regnen, an der viel zu dünnen Jacke werden alle Reißverschlüsse und Knöpfe geschlossen, die man finden kann und der Schal wird so oft und so hoch um den Hals gewickelt, dass einem fast die Luft wegbleibt.

Sollte man nun noch nicht zu weit von zuhause weggelaufen sein, dreht man sich um, um doch noch Mütze, Handschuhe und die dicke Winterjacke anzulegen. Oder man hat Glück und findet einen Laden, in den man mal schnell verschwinden kann und beim Stöbern steht dann dort eine Flasche des braunen, Wärme versprechenden Maison Margiela-Duftes.
Sprüh ihn auf und deine Nase sagt dir: Komm rein, setz dich, wärm dich auf, schau dich um, beruhige dich. Sonne und Wärme sind gleich zurück. Freue dich an den leichten Klamotten, die du jetzt schon lange vermisst hast.

Genau auf diese Weise habe ich vor einigen Jahren diesen Duft entdeckt. Und nach mehreren Jahren, in denen ich den Duft häufig verwende, muss ich sagen, dass das wohl der perfekte Moment für das erste Treffen war.

Meine stärkste Assoziation beim Riechen ist - wie in einigen Kommentaren bereits erwähnt - ganz klar Kokos und das auch direkt zu Beginn. Tatsächlich erkenne ich auch kurze Zeit die leichten sauren Noten zu Beginn, allerdings nur auf der Haut (nicht auf dem Teststreifen) und auch wirklich nur kurz. Daher würde ich den Duft tatsächlich in keiner Weise als zitrisch charakterisieren. Für mich ist der Duft holzig-süß. Er tendiert tatsächlich stark in die Gourmand-Richtung, um die Grenze zu einem echten Gourmand allerdings zu überschreiten fehlt ihm zum einen jeglicher Frucht-Bestandteil und hat er zum anderen zu viel Holz und synthetisch-aldehydige Aspekte.

Wie der Kokos-Charakter zustande kommt, ist mir noch nicht ganz klar. Ich denke aber, dass es letztlich die Mischung des holzigen und süßen Charakters ist.

Interessant ist: Wir haben wir es hier in diesem Aspekt mit einem besonders schönen Beispiel für eine abstrakte Duft-Darstellung zu tun. Denn wenn man mal an Kokosmilch oder Kokosraspeln riecht und dann am Jazz Club, merkt man, dass es sich eben um eine reine Abstraktion handelt. Der Geruch der echten Bestandteile der Kokosnuss ist tatsächlich sehr anders, weniger rauchig, weniger aldehydisch. Interessierten, die bisher mit dem Kokos-Düften fremdeln, möchte ich daher mal eine Probe von Jazz Club ans Herz legen. Vielleicht eine Möglichkeit die Duftnote anders zu entdecken.

Tatsächlich ist die Wahrnehmungsspanne für den Träger mit zwei Stunden eher kurz. Allerdings zieht er sich eben wie in den anderen Rezensionen bereits beschrieben auf die nahe Umgebung zurück. Und dabei wird er alles andere als unangenehm. Ich finde Jazz Club ist einer der Düfte, die sich auf eine himmlische Basis zurückziehen, die noch einige Tage wahrnehmbar ist. Bei meinem ersten Test war es dann auch der Duftstreifen, den ich auch nach zwei Tagen noch mit mir herumtrug, um immer mal wieder einen kurzen „Riech-Schluck“ von der angenehmen tiefen Süße zu nippen. Bei der Basis nehme ich große Ähnlichkeit zum Duft „Megalium“ von Carner wahr (auch wenn der „Oberbau“ der beiden Düfte sich stark unterscheidet! – Kein Duftzwilling!). Ich vermute, dass Styrax hier einen großen Beitrag leistet.
1 Antwort
Onfray vor 3 Jahren 2 3
9
Flakon
8
Sillage
5
Haltbarkeit
7.5
Duft
Ist das ein Auge?
Hier nun meine zweite Rezension zu den insgesamt drei Düften vom brasilianischen Kosmetik-Marktführer Natura. Über die Marke habe ich bereits in meiner ersten Renzension zu "Hümor a Dois" geschrieben und kann deshalb gleich zu "Urbano Noite" und meiner ersten Begegnung mit ihm kommen.

Als erstes möchte ich ausnahmsweise mal auf die Verpackung und den Flakon eingehen. Die Flasche ist für mich ein absoluter Eye-Catcher. Allerdings nicht aufgrund seiner Perfektion oder Schönheit, sondern gerade wegen seiner Unvollkommenheit:

Beim ersten Blick auf den bedruckten Flakon blieb ich sofort stehen, denn etwas störte meinen gierigen, aber fließenden Blick, den vielleicht viele von euch auch kennen, wenn sie sich einem Meer von unbekannten Parfums gegenüber sehen und zunächst versuchen, irgendeine visuelle Orientierung herzustellen. Ich schaute mir den Flakon also gleich intensiver an, drehte ihn. Was ist das dort drauf? Ein Auge? Eine Maske? Wo ist überhaupt vorne, wo hinten? Ah, ich verstehe, das Auge soll durchscheinen. Aber dann steht es doch halb über der Schrift. Nein, das ist doch kein Auge! Ok, der Sprüher geht nach da, dann muss da vorne sein. Ist ja nicht drehbar. Ja, das macht Sinn. Aber dann ist das hier eine fehlerhafte Flasche. Der Druck auf der falschen Seite...

Egal, Schluss damit sagte ich mir. Ich möchte doch das Parfum riechen, nicht herausfinden, ob der Flakon hier einen Fehler hat.

Im Vergleich zum Flakon ist der Duft einfacher zu erfassen:

Zu Beginn eröffnete sich eine starke, dichte Mischung aus bekanntem Fougère-Auftakt (zitrisch-aggressiver Lavendel) und einer zunächst noch nicht näher bestimmbaren scharfen Süße. Als auch an Nischen und Parfum-Kunst interessierter Riecher war ich geneigt, den Duft als typischen 0-8-15 Modegeruch für den jungen Mann abzutun, der bald wieder verschwunden sein wird, obwohl er doch nie verschwindet, weil sofort mindestens zwei gleichartige nachkommen.

Ich blieb allerdings dran und da hat der verwirrende Flakon vielleicht sogar einen guten Anteil beigetragen...

Nach kurzer Zeit lichtete sich das Fougère-Dickicht und es blieb eine Note, die mich stark an Cola erinnerte. Eine richtig kräftige, urtypische Coca-Cola mit richtigem Zucker, bei der man schon beim Trinken erahnt, wie klebrig und dick-braun die Masse sein wird, die beim Auskochen übrigbliebe. Ich vermute, dass dieser Eindruck aus der Kombination der Noten Orangenschale und Pfeffer aufgebaut auf einer holzig-milchigen Sandeholz-Tonka Basis entsteht. Normalerweise braucht man für eine gute Cola doch noch Zimtrinde? Die scheint hier zu fehlen. Sie wird aber hervorragend durch die Pfeffernoten ersetzt und somit auf ihre Schärfe reduziert.

Auch nach einigen Runden im Laden kam ich auf den Duft zurück:

Der Duft wurde immer leichter, aber auch immer leckerer. Am Ende blieb eine so dezente Süße zurück, dass ich mich entschloss, diesen Duft auf jeden Fall einpacken zu müssen. Ich verließ den Laden mit einer Packung, auf der ich nun auch das Rätsel des Aufdrucks auf dem Flakon lösen konnte. Es war wirklich ein Auge. Ein Auge aus einem Gesicht oder einer Maske. Ich schnupperte nochmal nach auf meinem Handrücken, roch die scharf-feurige, zitrische Süße und war motiviert für die Nacht in der Stadt.

P.S. Wie ich später erfuhr, spielen sowohl die Duftkomposition als auch das Flakon-Design auf den Nord-Osten Brasiliens und die Mata Atlantica an. Dieser Regenwald ist weit weniger bekannt als der Amazonas, besitzt aber einen enorm hohen Artenreichtum (höher als im Amazonas), obwohl nach bereits in Kolonialzeiten starker Zerstörung nur noch Restflächen vorhanden sind. Im Duft spiegelt sich die Mata Atlantica insbesondere durch die subtilen Pfeffer-Noten wider, welche auf eine dort heimische Pfefferart anspielt. Die Zeichnung auf Verpackung und Flakon sind von der „Literatura de Cordel“ (Schnur-Literatur) inspiriert. Diese Form der einfachen Volksliteratur wurde zu Beginn des 17. Jhd. im Nordosten Brasiliens häufig an kleinen Verkaufsständen und an Schnüren aufgehängt angeboten. In den Heften fanden sich auch viele Zeichnungen in ähnlichem Stil wie auf der Verpackung von Urbano Noite.

3 Antworten
Onfray vor 3 Jahren 5 4
7
Flakon
8
Sillage
4
Haltbarkeit
7
Duft
Witziger spritziger Brasilianer
Hümor a dois ist einer der frischesten und spritzigsten Düfte aus dem Hause Natura. Da die Marke in Deutschland ziemlich unbekannt ist vielleicht kurz zur Info: „Natura“ ist neben zum Beispiel „o Boticario“ eine der großen Duft und Kosmetikmarken in Brasilien. In deren Boutiken findet man neben Seifen und allerhand Cremes auch eine sehr beachtliche Auswahl an Parfums und es kommen ziemlich häufig neue dazu. Kreiert werden viele der Düfte meines Wissens nach mit Symrise über deren Niederlassung in der Nähe von Sao Paulo. Momentan scheine ich tatsächlich noch der einzige in der gesamten Parfumo-Welt zu sein, der diesen Duft besitzt. Allerdings habe ich im vergangen Jahr auch in Paris eine erste Natura-Boutik entdeckt und sollte es so weiter gehen ist es vielleicht nur noch eine Frage der Zeit bis auch bei ein paar anderen Parfumos der ein oder andere Duft landet.

Auf meiner Brasilien-Reise habe ich mich natürlich sehr viel in allen möglichen Parfumerien herumgetrieben. Es ist schon eine Herausforderung in diesem überschäumenden Angebot (Parfums und duftende Produkte genießen in Brasilien generell einen recht hohen Stellenwert im Alltag) eine erste Orientierung zu finden. Sehr vieles entsprach nicht recht meinem Geschmack. Für meine Nase war es meist zu schrill, zu betont jung.
Hümor a dois war aber einer der drei Kandidaten von Natura, die es in einem Flakon in meinen Koffer zurück nach Deutschland geschafft haben.

Nun mal zum Duft:
Hümor a dois macht für mich seinem Namen schon im Auftakt zunächst mal alle Ehre. Es ist ein witziger Duft. Für mich versprüht der erste Eindruck einen spritzigen, leichten Humor. Kein Humor mit allzuviel Tiefe, dafür aber leicht und schnell. Er entwickelt sich dann zu einem recht klassischen Fougere mit dem gewissen süßlichen Wabern auf krautig/holziger Basis. Allerdings wird dies wie bereits beschrieben von einer deutlichen Säure begleitet, die dem Duft eine schöne Spritzigkeit verleiht. Als ähnlicher Duft würde mir am ehesten Fierce von Abercombie und Fitch einfallen.

Die spritzige Säure bleibt bei dem Duft auch eine ganze Weile bestehen ehe sie sich dann auf eine recht schwache holzige tatsächlich an Eichenmoos erinnernde Basis zurückzieht. In diesem Stadium ist der Duft jedoch nur noch sehr schwach wahrnehmbar. Eine eher kurze Haltbarkeit zeichnet den Duft aus. Ich möchte hier bewusst nicht von einem Manko sprechen, denn eine lang ausgedehnte Haltbarkeit würde auch nicht zum Duft passen. Der Duft erzählt keine lange Geschichte, sondern gibt eine knackige, witzige und leicht verdauliche Kurzgeschichte, daher zu Beginn auch mit einer beachtlichen Sillage. Mit diesem Duft kann man sich - jedenfalls in den ersten ein zwei Stunden - nicht verstecken.

Ich persönlich trage diesen Duft am liebsten an warmen Sommernachmittagen, wenn ich nach dem Sport frisch geduscht in lockerer Kleidung noch ein wenig in den Straßen herumlaufe, vielleicht noch ein kühles Bier in der Hand. Für diese Gelegenheit finde ich den Duft perfekt. Denn er gibt mir ein leichtes Gefühl, lässt mich schlendern mit einem Interesse hier und da einen kurzen Plausch zu halten darüber wie angenehm das Wetter ist und mich recht schnell auch wieder mit einem flüchtigen kurzen Lachen zu verabschieden.
4 Antworten