Reckoner

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6 - 10 von 19
Reckoner vor 12 Jahren 15 9
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Duft
Absturz und Tod eines Übermütigen für seinen unverschämten Griff nach der Sonne
Eau d'Ikar by Sisley

Um dem Labyrinth des Minotauros auf Kreta zu entfliehen, verpasste Dädalos sich und seinem Sohn, dem Ikarus, Flügel. Dazu befestigte er Federn mit Wachs an einem Gestänge.

Zuerst ging alles gut. Aber Ikarus wurde übermütig und stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, die Federn lösten sich und er stürzte ins Meer.

Soweit die griechischen Mythologie. - - - Diesem Mythos macht Eau d‘Ikar wirklich alle Ehre.

Eau d‘Ikar auf Papier ist geradezu überwältigend. Selten habe ich eine so besondere, so strahlende Kopfnote wahrgenommen. Eine gänzlich Neue, ungahnt kantige Frische. Ich war sehr beeindruckt.
Und ich war mir sicher, eine Perle in den Händen zu halten.

Mastix, das ich bisher nur vom Bärte kleben kannte, scheint verantwortlich für das Geheimnis.
Wunderbar ist das. Und so wundert es mich auch nicht, dass Eau d‘Ikar vor lauter jugendlichem Übermut aufsteigen mag zur Sonne, hin zu gleissendem Licht.
Berauscht und sich in Sicherheit wiegend, auf dass ihm gleich Alles gelinge.

In einem der Kommentare erwähnt jemand den freundlichen Hinweis einer Verkäuferin, diesen Duft unbedingt vor dem Kauf auf der Haut zu testen, „ . . . dies sei besser.“.

Ja, dies ist besser !

Denn was Eau d‘Ikar dort entwickelt ist mir regelrecht zu wider.
Auch mich quält bei diesem Duft, übrigens stundenlang - haltbar ist er - diese billige und seifige aber dennoch klebrige Note.
Ich nehme leider auch die von Apicius angesprochene animalische, ich sage mal, dreckige Note wahr.
So modern die Kopfnote, so altbacken Herz und Basis (sorry, wurde hier nicht neulich mal über Oma-Düfte diskutiert?)
Das sind die Düfte, in deren Nähe mir übel wird. Wo ich in der U-Bahn kurz davor bin, die Notbremse zu ziehen. Düfte, wo ich ich den Theatersaal fluchtartig verlassen muss, ungeachtet dessen, was auf der Bühne stattfindet.

Ich vermute Zibet. Feiglinge!
Okay, okay, wer deklariert schon heute noch freiwillig Katzen-Sekrete aus Analdrüsen, die der Reviermarkierung dienen?

So schrubbe ich mal wieder.

Im Übrigen ließ dieser Kommentar nur so lange auf sich warten, weil ich mich einfach nicht entscheiden konnte, ob ich eine Analogie zur griechischen Mythologie oder zu Dr. Jekyll und Mr. Hyde schreiben soll.
9 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 32 17
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10
Duft
„um so herrlicher ein Leben . . .“ - Eine Vorherbestimmung?
Kyoto by Bertrand Duchaufour



„Kyoto oder die jungen Liebenden“ so heisst der kleine Roman des japanischen Zen Buddhisten Yasunari Kawabata.

Kawabata schrieb meist dünne Bücher, kurze Storys oder handtellergroße Skizzen über Liebe und Tod, über Schnee und Erotik.

Kawabata, der für „Schneeland“, „Tausend Kraniche“ und eben diesem „Kyoto oder die jungen Liebenden“ den LiteraturNobelpreis erhielt, sagte einmal:

„Das Einfache ist das Schöne. Im Herzen geht es um Raum, Reduzierung und Weglassen.“

Es waren wohl diese Worte, die Bertrand Duchaufour wie ein Mantra im Ohr hatte, als er Kyoto schuf. Drucklos. Nicht getrieben. Getragen.

„Das Einfache ist das Schöne.“
Kyoto ist ein einfach schöner Duft.

Es scheint mir, als sei Kyoto eine dieser Schöpfungen, wo alles zusammen kommt und ineinandergreift, wo der Äther sich auftut und wie von Zauberhand plötzlich alles zusammenpasst, um schließlich das „Perfekte Ganze“ zu offenbaren.

Für mich, immer ein Wunder.

Kyoto ist der absolut vollendete Duft in der sogenannten Weihrauchserie und dies obwohl der Weihrauch hier gar nicht im Vordergrund steht. Nichts von Avignon, von Encens Flamboyant. Kein Sycomore, kein Full Incense. Nicht Heeleys Cardinal oder wie sie alle heissen.

Ein gänzlich unheilig schöner Weihrauch.

Alles greift ineinander. Zufall oder Fügung?
Warum frage ich das?

Wundert es, dass gerade Kyoto so herausragt, wo das international erfolgreiche Modelabel Comme des Garçons, im Jahre 1969 von einer japanischen Designerin Rei Kawakubo in Tokio gegründet wurde?

Kyoto ist eine der geschichtlich bedeutendsten Städte Japans.
Wundert es, dass Kyoto definitiv einer der bedeutendsten Düfte zum Thema Weihrauch ist?

Kyoto heißt im Japanischen wörtlich „kaiserliche Residenz“.
Wundert es, dass Kyoto ein wahrlich fürstlicher Duft ist.

Kyoto hat den Stellenwert des kulturellen Zentrums von Japan.
Wen wundert es noch, dass dieser Duft das Potential einer olfaktorischen Benchmark in sich trägt?

Die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs haben fast jede Großstadt in Japan zerstört, nur Kyoto wurde aus Respekt verschont.

Alles „nur“ ein perfektes Konzept oder Vorherbestimmung?


Turandot beschreibt Kyoto als unnahbar, aber nicht unfreundlich. Sie spricht von herb, kristallig-kalt und dabei strahlend hell.

Ergoproxy spricht über Kyoto von ungewöhnlich und doch angenehm zu tragen, von intensiv, ohne aufdringlich oder künstlich zu wirken, von Tradition trifft auf Moderne, von einem Spaziergang durchs winterliche Kyoto.

Das haben sie beide schön gesagt.

Abschliessend noch einmal zu Yasunari Kawabata.
Sein wunderbarer Roman „Kyoto oder die jungen Liebenden“ weckt Gefühle, die kaum zu beschreiben aber schön zu erleben sind.

So geht es mir mit Kyoto.

Vier Jahre nach dem Erhalt des Literaturnobelpreises nahm sich Kawabata das Leben.
Er starb in seinem Arbeitszimmer an einer Gasvergiftung.
Er hinterließ keinen Abschiedsbrief.
Auf seinem Schreibtisch lag ein Gedicht:

„Wuchs auch tiefer, Jahr um Jahr, die Trauer noch, war es doch um so herrlicher ein Leben?…“
17 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 16 7
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3
Duft
"Vorschau in die Vergangenheit" oder ". . . dann nennt mich eben Schwein"
Futur by "Viele Köche" im Hause Piguet

An dieser Stelle möchte ich ROBERT GERNHARDT zitieren:

Wasser ist zum Waschen da.
Doch was sollen Seifen?
Wer nicht ganz vernagelt ist,
wird das rasch begreifen.

Seife ist handlich.
Seife riecht gut.
Nur Katzen meinen,
daß sie`s nicht tut.

Seife ist eckig.
Seife wird rund.
Ein Mensch ohne Seife
kommt auf den Hund.

Seife braucht Wasser.
Seife ist glatt.
Schlecht dran, wer drauftritt,
gut, wer sie hat.

Seife will schäumen.
Seife macht rein.
Wer sich nicht einseift,
endet als Schwe…r
zu ertragender Zeitgenosse.

Der Rest ist Schweigen
Euer Schwein.
7 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 16 4
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6
Duft
„Wiederbelebung mit Folgeschäden“ oder „Sinn und ethische Fragen eines Reanimationsversuches“.
Scent 79 by Mark Buxton

Gestern war es so weit. Ich bekam meine Duftpost ins Haus. Ein kleiner Probentausch.
Wie schon so oft, hat mir der freundliche Tauschpartner der Sendung noch eine kleine Überraschung beigelegt: Ein weiterer Duft.

Ich schätze diese kleinen Aufmerksamkeiten dieser Community sehr und lese, "Scent 79 von Jil Sander".

Hm. Interessiert mich das heute? Habe ich Lust das zu testen? Hm.
Ach, egal. Rauf aufs Handgelenk damit.

Doch was ist das?

Es erwischte mich eiskalt und brennend heiß zugleich. Wie ein reissender Strudel greift mich die Vergangenheit, reisst mich hinab und projiziert Bilder und Empfindungen dieser irren Zeit in mein Bewusstsein.

Nicht etwa weil dieses Scent 79 ein so typisches Duftgewächs der Achtziger ist. Durchaus nicht. Der vorliegende Duft gehört voll und ganz ins Hier und Jetzt. Ich trudel und schwelge, weil dieser Duft augenscheinlich der Versuch sein will, DEN Duft meiner Jugend wieder zu beleben.

Man Pur by Jacques Artarit.

Man Pur war damals eine echte Sensation. Eine Offenbarung von Duft. So besonders, so herausragend. Dieser Duft war einfach eine Klasse für sich. In dieser Zeit genoss das Duftlabel Sander noch einen Ruf ungeheurer Güte. Die heutigen Düfte dieses Hause hingegen empfinde ich als eher durchschnittlich, ja fast langweilig.

Ich bin sehr irritiert. Was soll das? Ein Relaunch? Eine Neuauflage? Eine Reformulierung? Nichts mag so recht darauf zutreffen. Eine Neuinterpretation? Was es auch sein will. Das vorliegende Ergebnis ist eine Enttäuschung. Zumindest für die nicht mehr ganz taufrischen unter uns, denen Man Pur noch gut in Erinnerung ist.

Man Pur war viel zu perfekt, als dass man es wagen sollte, dieses Thema für heute neu aufzubereiten. Was hat sich Mark Buxton dabei nur gedacht?

Ich bin mir sicher, man hätte Man Pur in der alten Rezeptur, eins zu eins, wieder auf den Markt bringen können, sollen. Mit Erfolg. Mit wahrscheinlich sogar großem Erfolg.

So aber stellt sich mir die Frage nach Sinn und ethischer Vertretbarkeit eines solchen Reanimationsversuches. (Okay, wollen wir einräumen, dass diejenigen, die das alte Man Pur nicht kennen, in Anlehnung an selbiges, mit Scent 79 einmal diesen einzigartigen und wunderbar, typischen Akkord erleben dürfen. Alle anderen aber wird mit Scent79 unweigerlich Trauer, Enttäuschung und Wehmut überkommen.)

Egal woran es liegt, ob am Unvermögen des Parfumers, den Auflagen eines verblendeten Marketings,
neuen Qualitätsanforderungen an Inhaltsstoffe, gesetzliche Regelungen, hier wird einmal mehr deutlich, dass manchmal "Sterben lassen" weniger schmerzhaft ist, als der verzweifelte Versuch einer Reanimation.

Man Pur. Bitte ganz oder gar nicht!
Daher mein unnachgiebiges Urteil:

Operation gelungen - Patient tot.
4 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 38 12
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10
Duft
Chapeau Chanel Chapeau - ein genderfreies Märchen
Sycomore by Jacques Polge

Chapeau.
Nicht nur für diesen so wunderbar ausbalancierten Duft. Sondern auch für diese kluge Entscheidung eben diesen Duft als Damenduft zu deklarieren.
Dem zolle ich in Zeiten des bedingungslosen Kommerzes höchsten Respekt.

Denn machen wir uns nichts vor, natürlich ist Sycomore ein durchaus männlicher Duft.
Solch ein Duft ist nicht jeder Fraus Sache.

Unterstellt man einem Unternehmen wie Chanel einmal per se enormes Marketingverständnis und Marketingwissen, hätte Chanel diesen Duft ohne weiteres, wenn nicht als Herrenduft, dann zumindest als Unisexduft, was er meiner Meinung nach in Perfektion ist, herausbringen müssen.

Warum verzichtet Chanel wissentlich auf ein derartig großes Marktpotential? Mit diesem ausnehmend schönen Duft hätte Chanel viel, viel Geld machen können. Ohne Zweifel.

Schaut man sich hier rechts die Liste derer an, die Sycomore besitzen, so sind es mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen.
21 : 9 zähle ich (Stand: 17. 02. 20011)
Und das in einer Community, wo die Frauen deutlich stärker vertreten sind.
Das ist verwunderlich und phänomenal.

Noch beachtlicher ist solch ein Verhältnis, wenn man bedenkt, wie schwer sich der durchschnittliche Mann im Lande tut, sich freiwillig einen Damenduft neben den Rasierschaum zu stellen. Das Rumgedruckse in der Parfumerie will ich mir gar nicht vorstellen. 21 : 9 !

Warum?

Weil Sycomore eine echte Offenbarung ist. Solche derart perfekt schönen Düfte haben echten Seltenheitswert.

Die Nähe zu Laliques Encre Noire ist in der Tat groß. Auch mein erster Gedanke ging zu diesem Duft. Dennoch stellt sich mir hier nicht die Entweder/Oder-Frage.

Sycomore ist deutlich weniger laut, viel feiner gewebt und ausbalanciert. Es ist weniger grimmig, nicht gar so schwarz. Sycomore will viel weniger auffallen als der Duft von Lalique. Das gelingt gut, ohne dabei blass zu wirken. Encre Noire hingegen ist ein eher moderner, urbaner Duft. Sycomore hat eine elegante, fast klassische Anmutung.

Ein feiner Duft.

Das Feine erklärt auch den größeren Erfolg bei Frauen. Ich kenne nur wenige Damen, die sich freiwillig Encre Noire für den Herren antun würden. (Und wie wir wissen, hat das im Gegenteil zu uns Herren, nichts mit der Deklaration als Herrenduft zu tun. Frauen nehmen sich diesbezüglich deutlich mehr Genderfreiheit heraus.)

Aber noch einmal zurück zu meinem gezogenen Hut.
Warum meine ich, dass es eine kluge Entscheidung war Sycomore für Damen zu deklarieren?

Weil Sycomore an einem Mann sicher perfekt, rund und schön duftet. Klasse hat. Da gibt es nichts dran zu drehen. An einer Frau aber, ist dieser Duft eine Sensation.

Gerade dieser leichte Widerspruch hat einen solchen Charme, einen Reiz, der mich schwindeln macht. Stilvoll ist das und erotisch. Ich, könnte keiner widerstehen. Deshalb war es eine kluge Entscheidung. Und so hat Chanel mit Sycomore den Herren doch noch ein wahrlich göttliches Geschenk gemacht.

So, und nun arbeite ich mal gegen Chanels kluge Strategie und übe mich in mehr Genderfreiheit indem ich mir einen Damenduft in die Butze stelle. (hm . . . vielleicht ist subversiv ja doch das Chanels wahres Anliegen)

Ab morgen dann also
22 : 9
12 Antworten
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