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Terras Blog
vor 7 Jahren - 29.09.2017
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Cybersex

kürzlich stand ich unter der Dusche und mir ist aufgefallen, dass ich kein einziges Duschgel habe, was vordergründig für Männer konzipiert ist. Wieso eigentlich? Die meisten Pflegeprodukte für Männer riechen in meiner Nase unheimlich synthetisch und steril. Während Männer olfaktorisch scheinbar die Sinnlichkeit eines von Dieter Rams designten Braun-Rasierers der 70er ausstrahlen sollen, dürfen Frauen noch verspielt und verführerisch riechen. Nun finde ich auch viele Frauenpflegepprodukte zu synthetisch oder für mich schließlich zu weiblich. Aber für sie gibt es Blumen, es gibt orientalisches, es gibt Süße – und teilweise sogar halbwegs naturnahe Düfte, wonach man bei den ganzen Sportduschgels für Männer lange suchen kann.

Woher kommt diese Entwicklung? Hat das in den 80ern mit Cool Water begonnen? Waren es schon zuvor Pflegeprodukte für Männer? Hat es in Bleu de Chanel und Sauvage den Höhepunkt erreicht?

Wo bleibt dabei die Sinnlichkeit für Männer? Sinnlichkeit heißt ja nicht, dass Männer nach Milch&Honig oder Orchidee&Mandel riechen sollen. Genauso muss es auch nicht Motoröl und Schweiß sein. Aber was spricht gegen einen modernen und zeitgemäßen Leder-, Vetiver- oder Holzduft? Wieso nicht ein klein wenig Zibet und Castoreum? Oder wenigstens ein Sauber- und Gepflegtduft, der ein wenig was hautartiges mit sich bringt (Prada und Helmut Lang zeigen wie es geht). Dabei soll kein Knize Ten oder Guerlain Vetiver rauskommen; klar muss es auch was geben, was dem 20-Jährigem und dem Anzugträger steht. Aber wieso muss es so steril und aufgesetzt sein? Wieso ein derart unkörperlicher Geruch, der nicht mal versucht, sich mit dem eigenen Odeur zu verbinden, sondern einfach wie eine chemische Schutzwand darüber liegt? Ein Geruch der so viel mit etwas menschlichem zu tun hat wie Cybersex mit der Vereinigung zweier Körper.

Nun geht es mir gar nicht darum, den Geschmack der Träger dieser Düfte zu kritisieren oder gar zu beleidigen. Erst recht möchte ich nicht melancholisch auf die Vergangenheit zurückblicken. Ich bin 30 Jahre alt, freue mich über zeitgemäße Düfte und Entwicklungen, auch wenn ich so manche kritisch betrachte. Es ist eher ein persönliches Hinterfragen dieses Trends und mich interessiert, woher das alles kommt. Ist es eine Prägung durch diese Pflegeprodukte? Oder kann man das ganze noch weiter spinnen? Ist es unsere Gesellschaft, die auch rationaler, kühler und weniger „sinnlich“ wird? Wo wir uns beim Onlinedating schon vorher die potentiellen Partner nach Haarfarbe, Gewicht, Größe, sexuellen Vorlieben, Bildungsstand usw. aussortieren, und uns so am Ende einsam machen oder zumindest die Chance erhöhen, das, was „Liebe“ bzw. „Sinnlichkeit“ ist, zu verpassen? Wo Computer anhand der Stimme entscheiden, ob man für einen Job geeignet ist, oder nicht? Wo die Mehrheit aller unter 25-Jährigen ihre Emotionen besser über Emoticons als über Sprache ausdrücken können?

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