Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
vor 11 Monaten - 17.06.2023
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Duft formt Denken

Duft formt Denken

Seit Langem gibt es in der Philosophie resp. Sprachphilosophie einen Diskurs darüber, in welchem Maße nicht nur das Denken die Sprache, sondern Sprache das Denken forme: Herder, Humboldt, Wittgenstein, Sapir und Whorf sind die wichtigsten Philosophen / Linguisten, die diese Hypothese in Abstufungen diskutierten - und während in den letzten beiden Jahrzehnten die Idee der Prägung menschlichen Denkens durch Sprache umstritten war, wird sie aktuell wieder nachdrücklich beachtet, weil Forschung differenzierter zeigen konnte, dass einige Gesellschaften über kulturelle oder soziale Kompetenzen verfügen, da ihr Denken durch spezifische sprachliche Ausdrucksformen geprägt ist, über die andere Kulturen nicht verfügen. So orientieren sich etwa Aborigines vergleichsweise besser im Raum, weil sie sprachlich permanent Himmelsrichtungen benennen (und mitdenken), während z.B. in europäischen Kulturen von den räumlichen Kategorien vorne, hinten, links oder rechts gesprochen und entsprechend gedacht wird, was eine komplexe Orientierung deutlich erschwert. 

Könnte das auch etwas mit Duft zu tun haben? Wähle ich einen Duft, weil ich Vorlieben habe, die in meiner Auswahl zum Ausdruck kommen (...ich mag Lavendel und deshalb wähle ich bevorzugt Düfte mit der Komponente Lavendel) oder bestimmen Düfte und das Benennen oder Nichtbenennen von Duftkomponenten mein Denken? Lerne ich also über die Kenntnis zahlreicher (und immer wieder neuer) Düfte, deren Komponenten ich teils nicht kannte und bis dato nicht benennen konnte, etwas über meine eigenen Vorlieben? 

Als ich vor etwas über 40 Jahren anfing, mich mit Duft zu beschäftigen, also Düfte zu sammeln und zu vergleichen, hatte ich zunächst große Probleme mit Patchouli. Es mag sein, dass ich als Kind der späten 60er (Jahrgang 1967) damit zu viel traktiert wurde oder dass es mich aus anderen Gründen nicht ansprach. Geradezu schockiert war ich über einen wuchtigen Patchouli-Duft, der hier vor ca. zehn Jahren einen kleinen Hype auslöste, Patchouli Noir von Il Profvmo. Nach dem Test von weit mehr als 10.000 Düften, worunter viele Düfte waren, die mir aus anderen Gründen gefielen, die aber AUCH Patchouli enthielten, lernte ich die "Sprache" dieser Komponente zu sprechen und damit mitzudenken und ich verstand die Botschaft von Patchouli. Inzwischen mag ich Patchouli und suche auch gezielt seit einigen Jahren nach Düften, die diese Komponente (dosiert) enthalten. Was anfangs nicht bewusst wahrgenommen oder gar eine Störnote war, wurde in mein Duftwissen integriert und "verstanden". Auslöser war übrigens vielleicht meine starke Beschäftigung mit Guerlains Héritage und seinen Inhaltsstoffen.

Was mich daran interessiert, ist die fast absichtslose, von Zeit zu Zeit stattfindende Erweiterung olfaktorischer Kenntnisse und Vorlieben durch das anfangs unbewusste, später absichtsvolle Integrieren von Duftkomponenten ins individuelle Duftgedächtnis, jüngst wieder so geschehen mit Heliotrop, den ich noch vor wenigen Jahren weder gekannt noch beachtet hätte, nun aber sehr deutlich wahrnehme und mag: quasi der Blick von innen nach außen, durch Form auf Welt.

Aktualisiert am 18.06.2023 - 10:56 Uhr
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