
Quantität, Qualität oder beides?
Anlässlich meiner aktuellen Rezension zu #Ambre Tibet kam mir wieder einmal der Gedanke, wie rasant sich die Parfum-Industrie in den letzten Jahren entwickelt hat. Während berühmte Traditionsmarken wie Guerlain, Caron, Dior, Chanel, die englischen Marken Harris, Trumper oder Floris, die deutschen Traditionsunternehmen 4711 oder Farina in früheren Jahren (bis in die 90er) in aller Regel allenfalls (!) einen wohlkomponierten Duft pro Jahr veröffentlichten, - bei Herrendüfte musste man schon froh sein, wenn alle fünf Jahre ein neuer erschien -, lancieren v.a. einige Nischenmarken heutzutage Unmengen von neuen Düften, so dass selbst Experten und Fans eines solchen Anbieters schnell den Überblick verlieren können. Ein Beispiel: Die beliebte Nischenmarke Xerjoff veröffentlichte dieses Jahr bis Mitte Mai 17 neue Düfte (einige scheinen auf das Konto der ehemaligen Firma Al Kimiya zu gehen), im vergangenen Jahr immerhin noch 13 Düfte (also genau alle vier Wochen einen neuen). Da es sich hier ja nicht um billige Deos, sondern um exorbitant teuere Nischenprodukte handelt, dürften die wenigstens von uns in der Lage sein, bei dieser schieren Menge den Überblick zu behalten, geschweige denn die Düfte alle besitzen zu können (von Sharings oder Wanderpaketen als Möglichkeit eines Tests mal abgesehen).
Dabei steht der Anspruch vieler Nischenmarken ein exklusives Produkt bieten zu wollen in merkwürdigem Gegensatz zu einer solchen geradezu inflationären Flut von Düften. Damit ist nicht gesagt, dass die Qualität automatisch sinkt. Gerade durch die modernen Methoden der Aromachemie lässt sich einfacher Neues schaffen als in Zeiten, in denen Parfums von einer Elite sogenannter "Nasen" komponiert wurden. Aber auch hier zeigt sich m.E. ein Widerspruch: Während viele Nischenmarken auf ihren Sites und in Hochglanzprospekten von "Inspiration", "Kunst" und "Manufaktur" sprechen, gelegentlich sogar von Arkanwissen und besonderer Leidenschaft seit Kindheitstagen schwadronieren, nutzen sie selbstverständlich die selben Techniken oder Supporter wie große Designermarken, die ihre Düfte ohnehin nicht selbst komponieren und produzieren, sondern z.B. in den grauen, aber effizienten Fabrikhallen moderner Hersteller - wie z.B. dem deutschen Duftfriesen Symrise in Holzminden (deren ehrlicher Anspruch u.a. neben teuren Düften auch olfaktorische Massenware für Deos, Klosteine oder Aromasprays zu produzieren mir in diesem Kontext geradezu sympathisch, weil ehrlich(er) ist).
Was heißt das nun für die Frage von Quantität und Qualität? Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass Marken, die eine eher restriktive Veröffentlichungspolitik bevorzugen und eher selten Düfte lancieren, in aller Regel auch die bessere Qualität bieten: so z.B. Maitre Parfumeur et Gantier aus meiner aktuellen Rezension zu Ambre Tibet. Ob das im Falle der o.g. Xerjoff auch so ist, lasse ich mal offen, weil ich die meisten ihrer Neuerscheinungen noch nicht testen konnte (s. meine Ausführungen oben). Sie dienten mir somit nur als Beispiel für eine große Zahl von Neuveröffentlichungen. Zahllose andere Marken ließen sich nennen.
Auch kleine und kleinste sog. Manufakturen offerieren öfters eine derart große Menge von Düften, dass ich das nicht mehr ernst nehmen kann. Wenn ich feststelle, dass eine neue Marke gleich mit mehr als 20 Düften an den Start geht, sinkt mein Interesse in alle Regel auf Null. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass hier durchweg Qualität geboten wird und etliche Testserien mit solchen Herstellern bestätigen meine Vermutungen. Das mag in vielen Fällen auch ein Vorurteil sein, hat aber etwas mit meiner Erfahrung beim Testen von fast 12.000 Düften zu tun.
Ich bitte um Verständnis, dass ich Antworten zu diesem Blog nicht kommentieren werde, weil ich mich nicht auf kontroverse Diskussionen einlassen möchte. Gerne lese ich aber alles, was ihr zu diesem Thema denkt und schreibt - mit großem Interesse!
Mein Interesse ab Marken sinkt deutlich, wenn ich förmlich riechen kann, dass ein Duft nur mit dem Hintergrund komponiert wurde, als Prestige Objekt verkauft zu werden (*hust* Imagination *hust*).
Zweckkompositionen sind ein bisschen wie die Antworten einer KI. Sie beruhen auf Statistik, klingen in den meisten Fällen wie echte Antworten, spiegeln aber letzten Endes nur bereits vorhandene Daten wieder und bringen kein Eigenleben mit sich. Es ist nur die Antwort, die für die größte Anzahl an Menschen als optimale Antwort gewertet werden würde. In der Wissenschaft meist präzise, in der Kunst meist langweilig ;)
Pokal von mir an der Stelle!
Plus die Tendenz, eine Grund-DNA zu schaffen, aus der sich dann die s.g. Flanker generieren.
Ergebnis: wenig Aufwand, viel Ertrag.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht perfekt.
Darüber hinaus leider nicht, was viele sich hier wünschen.
Egal ob Massenmarkt oder Nische, gefühlt überall zitiert man sich nur noch selbst und Duftreihen werden ausgeschlachtet bis zum geht nicht mehr. Ich würde mir auch eher Klasse statt Masse wünschen.
Aber solang die Verbraucher mitmachen...
Und ich bin sehr angenehm überrascht, daß die typischen Meckerpötte mal hübsch ruhig sind ;-)
Ich frage mich, wer die Henne ist und wer das Ei: Hat die Flut an Veröffentlichungen eine bestimmte Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten "erzogen"? Oder haben die Wünsche des Publikums die Veröffentlichungs-Gewohnheiten der Hersteller geprägt?
Dieselbe Frage stelle ich mir auch in Bezug auf dieses - für mich - wahnsinnig unerfreuliche Bombardement mit chemischen Verstärkern. Die Beastmode-Pantydropper-Partydödel-Fraktion, der es nie stark, krass und weit genug sein kann, völlig egal, ob ein Duft zum Individuum passt. Hauptsache: ballert. Und in Bezug auf manche Marken: Hauptsache, von denen. (Statussymbol, nehme ich an.)
Ich finde das alles wahnsinnig ermüdend und unoriginell.
Es führt auch dazu, dass ich von bestimmten Marken (unter anderem XerJoff) einfach gar nichts mehr teste. Ich bin nicht gemeint - das habe ich verstanden.
Einfach nur ungesund.
Ein altes Zitat heisst so schön:
"Wer bist DU, wenn du am Abgrund stehst?"
Was ist in dir, das dich ausmacht und du in der Wirklichkeit bist? Das Aussen oder das Innen?
Und was BRAUCHST du in deinem Leben hier?
Was das Herdenverhalten angeht, so trat dieses Phänomen vermehrt Ende der 80er auf, obgleich hier eine Tiefe Kluft zwischen Lämmern und Wachsame sich auftat.
Aber im Vergleich zur algorithmischen Beeinflussung von heute waren die 80er doch recht vielfältig, ohne jetzt alles verklären zu wollen.
DICHOTOMIE !
Es ist ja alles im Ursprung durch Dichotomie entstanden.
Doch der Mensch handelt in zwanghafter Dichotomie völlig übertrieben.. und das ist dann die Zerstörung.
Augen auf.. Aufwachen.. und Aufstehen !
Darum ist es wichtig, ein Gegenzeichen zu setzen.
Witzig find ich ja immer, dass allen eingetrichtert wird, etwas sei meeega individuell. Wenn man dann auf der Strasse so guckt, sieht man dann diese ganzen Individualisten mit völlig geklonten Sachen, völlig durchgeklont beim Barber, und parfumgeklont mit irgend was gerade Angesagtem, von dem es dann heisst "ich will doch nicht riechen wie jeder!" :-D
Mich interessieren Releases bewährter Häuser. Und auch nur solcher, bei denen ich durch Rückblick davon ausgehen kann, dass der Duft nicht nächstes Jahr vom Markt genommen wurde, weil acht weitere erschienen sind.
Es ist doch schon alles da, was wir brauchen.
Wenn man diesen Anspruch hat, wird's natürlich schwierig.
Ich denke, dass junge und ältere Parfumas und Parfumos eine unterschiedliche Meinung dazu haben könnten, die Jüngeren kennen das vielleicht gar nicht anders.
Ich bin froh, noch viele Parfüms der frühen Jahre kennen und schätzen gelernt zu haben. Aber auch von neueren Marken gefällt mir einiges, leider alles im hochpreisigen Segment, also ich meine nicht Xerjoff, sondern hochpreisige Parfüms, die meine Schmerzgrenze übersteigen (leider), die ich aber trotzdem mit Leidenschaft getestet habe - dank Parfumo konnte ich das. Aber es sind Ausnahmen - für die allermeisten neu auf den Markt kommenden Parfüms trifft genau das zu, was du schreibst.
Interessant finde ich den Hinweis von M3000, dass Händler die neuen Marken nicht aufnehmen, wenn sie zu wenige Düfte als Erstauflage raus bringen, das ist schade.
Influenzergetrieben? Ich weiß es nicht, aber mir scheint es zumindest möglich, denn: Warum auch selbst nachdenken und abwägen, warum eine eigene Meinung bilden, wenn Herr P. oder F. oder wer auch immer da schon vorgelegt hat (die Frage, ob des Influenzers Meinung so abgewägt und sorgfältig erarbeitet ist, wie es wünschenswert wäre, die wage ich an dieser Stelle nicht zu beantworten)?
Da gehts um Status und nicht um den tatsächlichen Genuss.
Die Damen scheinen mir da tatsächlich konservativer zu sein – hier regiert noch Klasse und Beständigkeit.
Sehe mich daher auch nicht in der Lage, die von Dir in der Überschrift aufgeworfene Frage, Quantität-Qualität, irgendwie sinnvoll zu beantworten 😊.
https://www.parfumo.de/Erscheinungsjahre
Weniger ist mehr.In jeder Hinsicht.Mein Anspruch war es nie alles testen zu wollen.Ich wähle gezielt aus.Alles andere würde mich schnell langweilen.
Aber duch das 4711- oder Rammsteinportfolio teste ich mich tatsächlich gerne. Und natürlich durch die Proben, die ich dankenswerterweise erhalte :) :) :)
Und 'Nische' gibt's nur noch selten von kleinen Manufakturen! Alles andere ist Massenware!
Darf man den bösen Verdacht äußern, ob die Düfte schon von der KI komponiert werden? 😂
Vielen Dank für diesen Blog!
Du sprichst mir aus der Seele!
Diese schier inflationäre Flut von neuen Düften bestimmter Hersteller und der x+n fache Flanker einer profitablen Linie sind mittlerweile unerträglich und langweilig.
Genau so nervend empfinde ich den Über-Hype der um bestimmte Labels aktuell vorherrscht, auch diese „kochen nur mit Wasser“ und Schlechtes muss leider auch nicht immer billig sein!
Don‘t get fooled !!!
Hype-Rubel rollt (für einige Zeit jedenfalls)...auch bei 17 Düften pro Semester.
Wie's riecht, ist eh nicht soooo wichtig, oder??! 😜😜
Immer abgeneigter werde ich, wenn ein Duft nach dem Anderen, rausgehauen wird.
Man verliert nicht nur den Überblick, sondern auch das Interesse, da irgendwie dran bleiben zu müssen. Derzeit entdecke ich wirklich ganz kleine Häuser, die aber durchaus Potential haben. Die Masse hat nicht immer Klasse, aber jeder so wie er mag.
Ich bin mir unsicher ob es nur daran liegt, aber mein Interesse an aktuellen Neuerscheinungen geht derzeit gegen Null.
Hinzu kommt unsere hedonistische Gesellschaft. Parfum wird üppig und verschwenderisch aufgetragen, ist dazu sogar zu einer Art Statussymbol geworden.
Schade aber die Entwicklung ist wohl nur logisch.
Auch lege ich mir Geld zur Seite für den Fall, dass Guerlain in den nächsten Monaten wieder einen neuen orientalischen Damenduft herausbringt. Die Qualität stimmt da einfach und dann gefällt mir der Duft mit größerer Wahrscheinlichkeit auch langfristig mehr, als bei Marken mit höherer Release-Rate.
Dann gibt es aber zu manchen Düften so unendlich viele Flanker, die sich entweder kaum voneinander unterscheidenund darum überflüssig sind (Black Opium) oder das alte Vorbild ist inzwischen so verhunzt (Trésor), dass es mir lieber wäre, man würde wengier Düfte rausbringen, die dann aber bitte gescheit und hochwertig.
Ich verliere mitunter auch die Lust an ellenlangen Duftreihen neuer - wie auch immer bezeichneten - Marken. Erstaunlich, dass ihr Portfolio die gängigen Duftrichtungen von Anfang an abdecken soll.
Am Ende erhalten wir eine x-fache nuancierte Version eines bereits lancierten Duftes, ein kleiner Sprenkel mehr Komponente hier, ein Zacken Nervnote weniger.
Dass die Qualität darunter leidet, ist selbstredend, vom Wiedererkennungsmerkmal ganz zu schweigen.
Diese Unternehmen wissen um ihre fragile Marktposition und ihre restriktive Finanzierung. Daher muss ja auch eine marktkompatible Schöpfung eingeplant werden.
Kunst? Wohl eher Auftragskunst, falls überhaupt.
Mittlerweile lasse ich nur mir emotional wichtige Düfte in meine Sammlung Einzug halten. Düfte, die was aussagen, die mir Bilder schenken, die sich den Moden widersetzen.
Und ja, weil es hier im Thread schon öfter geschrieben wurde, Chanel spannt uns mal wieder auf die Folter.
Von Chanel erwarte ich jedoch so langsam ein neues Herrenrelease... wird langsam Zeit !
Und Promis jeder Provenienz: Früher das Kochbuch, heute der Duft. Schnief.
Knallhart.
Auf dem Gesamtmarkt werden die Zahlen untersucht und analysiert. Und das ist nichts für "Zartbesaitete", Romantiker und Träumer. Das Resultat zählt. Schnelles Geld zählt und zwar auf ähnliche Art und Weise wie an der Börse.. 🤑💰💰💰..können z. B. keine errechneten Neuheiten-Einverkäufe bei "Nischen-Depositären" verhandelt werden, weil diese ihre Vorjahresbudget's nicht umgesetzt haben, wird es ziemlich schnell schwierig.. es folgen kurzerhand intensive Verkaufsschulungen, Verkaufsunterstützungen werden durch die Häuser eingesetzt.. wenn besser OK, wenn schlechter Depotschliessungen.
Bei dem genannten Label oben vermute ich ganz einfach, dass die ihre "Zeit" nutzen. Ansonsten würden sie nicht so viele Neuheiten in sehr kurzen Intervallen "raushauen". Grundgedanke dafür könnte sein, dass sie aktuell trotz kürzlicher Pandemie und Wirtschaftslage starke Umsatzsteigerung erreichen.
Das ist ein Trend. Fortsetzung..
Und wie so oft, weiss man auch nach dieser Pandemie, dass Menschen während und nach durchgemachten Krisen neue Lebenskraft in sich wecken.. und auch wieder geniessen wollen.. manche in "Hülle und Fülle".
Es war früher nicht anders.
Dieses Phänomen ist nicht neu.
Heute läuft alles viel schneller.. im Kommen wie im Gehen.
Wichtig erscheint mir, dass wir bewusst hinschauen, was da gerade geschieht und autonom entscheiden, was.. wieviel.. von wem und warum uns bereichert bzw. mangelt.
Sehr wichtiger Blog!
Sehr gerne gelesen.
Vielen lieben Dank, lieber Andreas und schöne Grüsse sende ich dir.
Jasmin
Die Erwartung, gelegentlich noch positiv überrascht zu werden, habe ich trotzdem. Den damit zusammenhängenden "Teststress" versuche ich durch vorherige Recherchen hier auf Parfumo zu reduzieren. Das Problem dabei ist nur, dass eine sehr gute Bewertung hier zwar so etwas wie den "Common Sense" einer überdurchschnittlich kenntnisreichen Gemeinschaft abbildet ... aber ich mir nicht sicher bin, ob ich auf diesem Weg einen für mich besonders tollen, innovativen aber eben kontroversen Duft finden kann.
"Computer, zeige mir Neuerscheinungen mit guter Performance, die einem Ü50 mit Vorliebe für Vintage gefallen könnten, die aber trotzdem irgendwie neuartig und überraschend sind."
Die extrem abgedrehten Preise bin ich nicht bereit zu bezahlen, und sie beeindrucken mich auch nicht in Bezug auf die zu erwartende Qualität. Mit Düften lässt sich viel Geld verdienen, das verführt dazu, so viele neue Kreationen auf den Markt zu bringen. Mich stößt das ab.
Ich fand es auch sehr viel aufregender, auf eine Neuerscheinung eines tollen Parfumhauses warten zu müssen. Aber die Zeiten haben sich geändert.
Daher greife ich immer wieder gerne auf altbewährtes zurück und bin damit sehr glücklich.
Tatsächlich beschreibst du ein Unbehagen, dass mir die Freude am Entdecken aktueller Düfte verhagelt hat.
Z. B. Rammstein hat bis heute 22 Düfte rausgebracht. Nach dem vierten Test war mein Interesse erloschen. Lieber teste ich vereinzelt noch Kleinode, die womöglich bald eingestellt werden, mangels Score. Neues lasse ich testen, meist, hihi ;-)