Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 11 Monaten - 23.05.2023
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Quantität, Qualität oder beides?

Quantität, Qualität oder beides?

Anlässlich meiner aktuellen Rezension zu #Ambre Tibet kam mir wieder einmal der Gedanke, wie rasant sich die Parfum-Industrie in den letzten Jahren entwickelt hat. Während berühmte Traditionsmarken wie Guerlain, Caron, Dior, Chanel, die englischen Marken Harris, Trumper oder Floris, die deutschen Traditionsunternehmen 4711 oder Farina in früheren Jahren (bis in die 90er) in aller Regel allenfalls (!) einen wohlkomponierten Duft pro Jahr veröffentlichten, - bei Herrendüfte musste man schon froh sein, wenn alle fünf Jahre ein neuer erschien -, lancieren v.a. einige Nischenmarken heutzutage Unmengen von neuen Düften, so dass selbst Experten und Fans eines solchen Anbieters schnell den Überblick verlieren können. Ein Beispiel: Die beliebte Nischenmarke Xerjoff veröffentlichte dieses Jahr bis Mitte Mai 17 neue Düfte (einige scheinen auf das Konto der ehemaligen Firma Al Kimiya zu gehen), im vergangenen Jahr immerhin  noch 13 Düfte (also genau alle vier Wochen einen neuen). Da es sich hier ja nicht um billige Deos, sondern um exorbitant teuere Nischenprodukte handelt, dürften die wenigstens von uns in der Lage sein, bei dieser schieren Menge den Überblick zu behalten, geschweige denn die Düfte alle besitzen zu können (von Sharings oder Wanderpaketen als Möglichkeit eines Tests mal abgesehen). 

Dabei steht der Anspruch vieler Nischenmarken ein exklusives Produkt bieten zu wollen in merkwürdigem Gegensatz zu einer solchen geradezu inflationären Flut von Düften. Damit ist nicht gesagt, dass die Qualität automatisch sinkt. Gerade durch die modernen Methoden der Aromachemie lässt sich einfacher Neues schaffen als in Zeiten, in denen Parfums von einer Elite sogenannter "Nasen" komponiert wurden. Aber auch hier zeigt sich m.E. ein Widerspruch: Während viele Nischenmarken auf ihren Sites und in Hochglanzprospekten von "Inspiration", "Kunst" und "Manufaktur" sprechen, gelegentlich sogar von Arkanwissen und besonderer Leidenschaft seit Kindheitstagen schwadronieren, nutzen sie selbstverständlich die selben Techniken oder Supporter wie große Designermarken, die ihre Düfte ohnehin nicht selbst komponieren und produzieren, sondern z.B. in den grauen, aber effizienten Fabrikhallen moderner Hersteller - wie z.B. dem deutschen Duftfriesen Symrise in Holzminden (deren ehrlicher Anspruch u.a. neben teuren Düften auch olfaktorische Massenware für Deos, Klosteine oder Aromasprays zu produzieren mir in diesem Kontext geradezu sympathisch, weil ehrlich(er) ist). 

Was heißt das nun für die Frage von Quantität und Qualität? Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass Marken, die eine eher restriktive Veröffentlichungspolitik bevorzugen und eher selten Düfte lancieren, in aller Regel auch die bessere Qualität bieten: so z.B. Maitre Parfumeur et Gantier aus meiner aktuellen Rezension zu Ambre Tibet. Ob das im Falle der o.g. Xerjoff auch so ist, lasse ich mal offen, weil ich die meisten ihrer Neuerscheinungen noch nicht testen konnte (s. meine Ausführungen oben). Sie dienten mir somit nur als Beispiel für eine große Zahl von Neuveröffentlichungen. Zahllose andere Marken ließen sich nennen.

Auch kleine und kleinste sog. Manufakturen offerieren öfters eine derart große Menge von Düften, dass ich das nicht mehr ernst nehmen kann. Wenn ich feststelle, dass eine neue Marke gleich mit mehr als 20 Düften an den Start geht, sinkt mein Interesse in alle Regel auf Null. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass hier durchweg Qualität geboten wird und etliche Testserien mit solchen Herstellern bestätigen meine Vermutungen. Das mag in vielen Fällen auch ein Vorurteil sein, hat aber etwas mit meiner Erfahrung beim Testen von fast 12.000 Düften zu tun.

Ich bitte um Verständnis, dass ich Antworten zu diesem Blog nicht kommentieren werde, weil ich mich nicht auf kontroverse Diskussionen einlassen möchte. Gerne lese ich aber alles, was ihr zu diesem Thema denkt und schreibt - mit großem Interesse!

Aktualisiert am 23.05.2023 - 07:06 Uhr
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