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vor 8 Jahren - 28.09.2016
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Was Parfum kann

Laut gängiger Definition ist ein Parfum 'ein meist flüssiges Gemisch aus Alkohol und Riechstoffen, das der Erzeugung angenehmer Gerüche dienen soll.' (Quelle: Wikipedia) Und wer würde dem widersprechen wollen – ist nicht die Lust an und die Leidenschaft für 'angenehme(n) Gerüche(n)' der maßgebliche Grund, weswegen wir hier so gerne lesen, lachen, schreiben und mitunter streiten?

Und doch kann Parfum noch so viel mehr. Diese Erkenntnis scheint sich zu verfestigen, je länger man sich mit Wohlriechendem beschäftigt. Fast möchte ich behaupten, dass – ist dieses Tor denn einmal aufgestoßen – es sich nie wieder richtig schließen lässt. Parfum erzeugt und transportiert angenehme Gerüche, ja – doch jenseits dessen ist und kann es so viel mehr.

Parfum ist ein Genussmittel - so wie Wein. Es gibt hochfeine Gewächse und süße Plörre aus dem Tetrapak. Es gibt Duftfamilien so wie es Rebsorten und Anbaugebiete gibt. Es gibt echten Champagner und natürlich falschen - und genauso wie bei Wein muss man erst lernen, einzelne Aromen herauszuriechen und Schwarzkirsche, Feuerstein, Trüffel, Tabak und Heu zu unterscheiden.

Parfum kann Kunst sein, wobei das, was wir als Kunst verehren oder auch nur akzeptieren, ja nicht einfach zu definieren ist. Es gibt gefällige Parfums, die sind wie ein Bild von Renoir, das mutmaßlich niemandem missfällt (wie etwa die Arts et Matières von Guerlain). Und es gibt schwierige Konzeptdüfte, die wie ein Twombly gar nicht jedem gefallen wollen (wie etwa die Beauforts oder die Etat Libre d'Oranges).

Parfum kann auch sein wie Musik. So wie es Songs gibt, die man nur hört, wenn man traurig ist oder sehr froh, gibt es auch Düfte – und das werden bei jedem wahrscheinlich andere sein – die Heiterkeit bedeuten oder Melancholie. Und ist "Serge Noire" nicht ein bisschen wie R.E.M.s 'Losing my religion' und "Lady Million (Eau de Parfum)" wie Whigfields 'Saturday night' oder Jennifer Lopez' 'Let's get loud'?

Parfum kann 'nur' ein Accessoire sein – eines, das mal bewusster und mal achtlos als Teil der Garderobe ausgewählt wird. Das kleine Bouclé-Kostüm mit Perlenhalsband und Céline-Tasche wird erst vollständig mit ein paar Tropfen "N°5 (Parfum)", und dem grauen Anzug mit der schmalen Strickkrawatte fehlte das letzte Cachet ohne einen Spritzer "Bel Ami (Eau de Toilette)".

Parfum kann ein Konsumartikel sein für den einen oder pure Leidenschaft für den anderen – so wie ein Ferrari Testarossa oder eine Birkin Bag aus Krokodilleder. Und wie andere (Geltungs-)Konsumartikel, kann auch Parfum zu einer Projektionsfläche von Sehnsüchten und Träumen werden, weit jenseits von nur 'riecht ganz angenehm', Clive Christians "No. 1 for Men" fällt mir dazu gleich ein.

Parfum kann eine Reise sein oder Erinnerung. Kaum etwas anderes, so sagt man, erreicht unser Gehirn so unmittelbar wie Düfte und Gerüche (außer vielleicht Musik), und ein im Vorbeigehen erhaschter Hauch von Rose, Leder, Eisenkraut kann längst vergessen geglaubte Begebenheiten und Empfindungen hervorrufen – vielleicht an unsere Kindheit, an Verliebtheit, an Verrat.

Ein gutes Parfum – ein subjektiv gutes, denn nur darauf kommt es an – ist all das in einem. Genussmittel, Kunst, Musik, Accessoire, Konsum und Sehnsucht. Alles in einer kleinen Flasche. Schon Wahnsinn, oder?

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