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loewenherz’ Blog
vor 8 Jahren - 04.02.2016
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Das Fenster zum Hof

Liest und schreibt man hier über die schönen (und natürlich auch weniger schönen) Düfte von heute, gestern und manchmal sogar schon von morgen, erfährt man ganz nebenbei - teils offenherzig, teils eher versteckt - auch etwas über die anderen Menschen, die hier über Parfum schreiben und lesen - und ihre Leidenschaft dafür. Es sind manche dabei, die offen preisgeben, wer sie sind und wo sie wohnen, was sie so machen und was sie gerade freut oder bedrückt - und andere, bei denen man nur langsam und nach und nach und zwischen den Zeilen ihrer Beiträge ein bisschen über sie erfährt - wie es auch in der Offline-Welt extrovertierte und zurückhaltendere Menschen gibt.

Man registriert natürlich, wer welche Art von Düften mag oder auch nicht, wer lieber ausführliche Kommentare schreibt und liest, wer sich in Metaphern ausdrückt oder klare und schnörkellose Worte vorzieht. Fast nebenbei bemerkt man aber auch, wer berufstätig ist und vorwiegend abends und an den Wochenenden schreibt - und wer viel Tagesfreizeit hat bzw. mal zwischendurch online ist, während vielleicht die Kinder schlafen. Man sieht bzw. liest, wer in der Nachtschicht arbeitet, wer wann und wo im Urlaub war, wer Familie und wer Tiere hat, wer gerne isst und gerne kocht, wer wen gut leiden mag und wen nicht so - wie das eben so ist, wenn Menschen auf andere Menschen treffen.

Ein bisschen schreiben und lesen wir hier alle wie Nachbarn mit einem Fenster auf denselben Hof. Da sind diejenigen, die scheinbar immer auf dem Balkon sind - und sei es nur, um zu überprüfen, ob es auch allen gut geht heute. Da ist die Vielbeschäftigte, die nur dann und wann zuhause ist, aber dann immer wunderschön im Badezimmer singt. Da ist der strenge Blockwart, der Zettel unten am Tor befestigt, dass er schon wieder Plastikfolie im Papiermüll vorgefunden hat - 'wenn das hier alle machen würden!' Da ist der schwermütige Dichter in seiner Klause unter dem Dach, ist das etwas einfältige Mädchen, das nachmittags Seilspringen übt unten im Hof, und ist der Mann ohne Gesicht, der niemals grüßt und den man nur stumm mit einem Buch im Sessel sitzen sieht - und sich dabei manchmal fragt, ob er wohl glücklich ist. Und manchmal kommt auch ein Betrunkener, der unten nachts gegen die Mülltonnen rumpelt und sich freut, wenn jemand aufwacht und aus dem Fenster herunterflucht - aber der verschwindet meistens auch wieder ganz schnell.

Die einen mag man mehr, die anderen weniger. Manche vermisst man gleich, wenn sie kurz fehlen, bei anderen bemerkt man das erst nach ein paar Wochen. Manchen ruft man gleich fröhlich 'Guten Morgen!' zu, bei anderen nickt man kurz herüber, bei manchen verdreht man vielleicht kurz die Augen. Man schaut, wer seine Fenster putzt, wer mit wem unten am Hoftor tratscht - und wer heute schon wieder neue Sachen anhat und damit am Fenster paradiert. Man kann natürlich ganz bewusst hinsehen (und sieht dann zweifellos auch mehr), aber selbst wenn man eher beiläufig hier 'wohnt' und nur ganz ab und zu mal nach draußen schaut, bemerkt man doch, wer da ist und wer nicht - wer heute gut gelaunt pfeifend am offenen Fenster sitzt - oder ob gerade jemand vom Balkon herunterschreit, den man nun gar nicht hören will, und deshalb gleich die Jalousien runterlässt.

'Das Fenster zum Hof', so heißt ein Thriller mit James Stewart und Grace Kelly aus den 50ern, in dem ein durch einen Unfall an den Rollstuhl gefesselter Journalist durch sein Hinterhoffenster erst seine Nachbarn und schließlich einen Mord beobachtet. Das mit dem Morden wollen wir hier schön bleiben lassen - nicken und lächeln wir uns einfach weiter freundlich zu, unterhalten wir uns, lesen wir voneinander - ertragen oder ignorieren wir uns, wenn es nicht anders geht. Wir alle sind aus freien Stücken und gerne an diesen Hof gezogen - in dem es immer so gut nach Bergamotte, Moschus, Freesie, Oud und nach Lavendel duftet... In diesem Sinne: auf weiterhin gute Nachbarschaft!

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